The smile has left your Eyes

Als meine Mutter starb, sortierten mein Vater und ich nach und nach viele Sachen aus. So stießen wir auf alte Fotos. Einige davon sortierten wir sofort aus, andere nicht. Fotos meiner Eltern vor meiner Zeit, Fotos mit mir als Baby. Dann fehlen einige Jahre, bevor es wieder Fotos gibt. Damals fiel mir schon auf, wie fröhlich und ausgelassen meine Eltern irgendwann gewesen sind. Nachdem wir ein paar Fotos aussortiert hatten, stellten wir die Kisten mit den Kartons zurück.

Nachdem mein Vater gestorben war, nahm ich diese Fotos mit zu mir und sortierte anfangs einige aus, weil Fotos einen oft nur deprimieren, und legte die anderen zur Seite. Monatelang lagen sie da bis ich einen neuen Versuch startete, die Fotos weiter zu reduzieren, weil Fotos einem auch nicht helfen und das Leben immer weiter dem Ende entgegen rast. Fotos machen einen dabei oft nur traurig und ratlos.

Beim Betrachten der Fotos fiel es mir wieder auf, wie glücklich und unbeschwert meine Eltern in der Jugend waren. Eigentlich waren sie es sogar noch als ich zur Welt kam. Ich würde meine Eltern sogar als durchaus attraktiv bezeichnen, was mir zu Lebzeiten nicht auffiel. Möglicherweise hatten sie ihre Attraktivität da aber auch längst verloren. So wie sie ihr Lachen verloren haben. Und ihre Unbeschwertheit. Doch wie kam es dazu? Wie konnten diese Menschen, die auf den Fotos glücklich aussehen, ausgelassen tanzen und offensichtlich Spaß haben, sich nur so verändern? Der Zeitpunkt lässt sich dank dieser Fotos und meiner eigenen Fotoalben eingrenzen. Während meiner ersten Lebensjahre muss es zu dieser gruseligen Veränderung gekommen sein. Denn sowohl meine Eltern als auch der kleine Doc lachten anfangs noch zusammen und dann, wie von Geisterhand gesteuert, war es damit vorbei. Fortan wirkten die Bilder gestellt, das Lächeln erzwungen und unecht. Fröhlichkeit wie weggeblasen. Die normale Durchschnittsfamilie ist von da an nur noch unglücklich, genervt, verloren. Und wirklich zurück kam diese Fröhlichkeit auch nicht mehr. Bei keinem von uns. Sicherlich hatten wir Phasen, aber wieso nur Phasen? Was war passiert?

Eine naheliegende Vermutung ist, dass ich das Problem war. Denn bevor es mich gab, waren ja alle froh und ausgelassen. Dann entwickelte ich mich zu dem, was ich jetzt bin und der Spaß war schlagartig vorbei. Zwischen meinem dritten und siebten Lebensjahr muss das gewesen sein. Möglicherweise zog auch da die eheliche Gewalt ein und machte uns zu unglücklichen und kaputten Menschen. Auch da sehe ich mich mitverantwortlich, weil es das vor meiner Zeit vermutlich nicht gab. Meine Mutter sagte mir damals oft, dass sie das alles ja nur erträgt, damit es mir gutgeht. Aber mir ging es gar nicht gut. Materiell natürlich schon. Ich bekam, was immer möglich war. Vielleicht als eine Art Schmerzensgeld in Form von Geschenken. Oder damit meine Eltern ihr schlechtes Gewissen beruhigen konnten.

Meine Eltern fanden Trost oder Zuflucht im Alkohol. Zumindest glaube ich dass, denn Alkohol war immer ein wichtiger Bestandteil des ganzen Familienverbundes. Wenn er reichlich floss, wurden die Gewaltexzesse durchaus bedrohlicher und unkontrollierter. Da konnte man schon Angst um das Leben meiner Mutter haben. Um mein Leben hatte ich weniger Angst, schließlich war ich ja an allem Schuld. Eine schöne Vorstellung und gute Erklärung, weil man kaum das Gegenteil beweisen kann.

Besonders die Fotos meiner Mutter zeigen diesen Verlauf deutlich. Diese permanent nach unten gezogenen Mundwinkel passen so gar nicht zu der Frau, die auf den frühen Fotos zu sehen ist. Bei meinem Vater ist es ähnlich, nur gibt es halt von ihm nicht so viele Fotos. Und meine Abneigung gegen diese gestellten, verlogenen Fotos kann man auch deutlich sehen. Es scheint als hätte man versucht mit den Fotos etwas zu präsentieren, was es schon lange nicht mehr gab. Eine heile Familie. Dumm nur, dass keiner von uns so gut schauspielern konnte oder wollte. Die Fotos wurden also immer seltener und wenn es welche gab, dann sah man nur verlorene Menschen. Verloren in einem Leben, das jeden Glanz verloren hatte.

Man könnte sicher Stunden darüber nachdenken, was damals tatsächlich passiert ist, was den untergang ausgelöst hat, und ob man es hätte verhindern können, doch eine Antwort wird es nicht geben. Sie hätte es auch nicht gegeben, wenn ich mit meinen Eltern darüber gesprochen hätte. Vergangenheit lässt sich nicht verhindern, sie kann aber prima als Erklärung Ausrede für die Gegenwart herhalten. Man kann sich so herrlich dahinter verstecken. Man kann alles und jeden dafür verantwortlich machen, doch letztlich wird jeder seinen Teil dazu beigetragen haben. Für mich dient die Vergangenheit als Erklärung, oder doch nur als Ausrede, warum ich nie länger entspannen kann und immer irgendwie angespannt bin. Entspannen konnte ich beim Fußball, mitunter beim Joggen, Phasenweise beim Sex und wenn ich so viel Unsinn rede, dass alle lachen und ich mich selbst für unfassbar witzig halte. Leider nehmen diese Phasen nur einen kleinen Teil meines Lebens ein und werden mit zunehmendem Alter immer weniger. In diesen Phasen kehrt das Lachen, was unsere Familie früh verlor, für eine Weile zu mir zurück.

4 Kommentare

  1. Von uns gibt es kaum Fotos. Und dieses (mir gut bekannte) Schauspiel namens „heile Familie“ lässt mich im Nachhinein nur noch staunend den Kopf schütteln. Unsere Regel lautete wohl irgendwie: Die Geschehnisse werden erst wirklich, wenn man sie in Worte fasst – also haben wir über nichts geredet. Mit niemandem. Aber erst recht nicht mit Außenstehenden, die ihrerseits zwar alles gesehen oder gehört haben (weil manches einfach nicht zu übersehen oder zu überhören war), uns aber nie darauf ansprachen. Da alle ihren Part so dermaßen überzeugend gespielt haben, habe ich mich tatsächlich manchmal gefragt, ob ich vielleicht einfach nur halluziniere oder eine sehr lebhafte Phantasie habe. Faszinierend. Und krank.

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