Ausflug ins Kreuzviertel

Manchmal, nur für einen kleinen Moment, und nur, wenn man nicht richtig hinsieht oder hinhört, könnte man glauben, wir drei sind normale Menschen, die sich nicht schon im nächsten Moment selbst entlarven und ihrer ganz persönlichen Verschrobenheit hingeben. Jeder für sich ist schon eine merkwürdige Gestalt, voller Behinderungen und Schatten, zusammen sind wir eine selten bekloppte Mischung, die möglicherweise kaum zu ertragen ist und für Außenstehende sicher sehr befremdlich wirkt. Dummerweise sind wir nicht immer leise in unserm Dasein, so dass wir durchaus auch mal als echte Zumutung durchgehen könnten. Unser Verhalten ist geprägt von Routinen und/oder Absonderlichkeiten. Wir streiten das gerne ab, aber wenn andere oder wir genauer hinsehen, dann ist zu erkennen, dass in unseren Oberstübchen ein sehr merkwürdiger Film abläuft. Dauerhaft kompatibel sind wir mit den wenigsten, kurzzeitig mitunter allerdings durchaus amüsant. Zumindest hin und wieder. Alles hängt natürlich von der jeweiligen Tagesform aller Beteiligten ab. Wir sind älter als wir uns das selber abnehmen, denn in unserem Wesen sind wir kindisch, verwirrt, verstört und eigenartig. Nur niemals tatsächlich erwachsen geworden. Zumindest nicht, wie andere, wie viele oder gar die meisten. Entwicklungstechnisch haben wir den einen oder anderen Schub verpasst oder bewusst umschiff. Und so sitzen wir hier im Kreuzviertel und können es selbst kaum glauben.

fatto in casa

Es ist Freitag, der vorgezogene Sommer hat uns einen Strich durch den traditionellen Filmabend gemacht, und ohne es wirklich zu verstehen verabredeten wir uns nicht nur, um das Haus zu verlassen, wir haben es auch umgesetzt. Als wäre es das Normalste von der Welt. Aber das ist es nicht. Für uns sind derartige Abweichungen von der Routine eine äußerst seltene Sache. Wobei unser Jüngster, der Manni, sich im Großen und Ganzen schon längst weiter entwickelt hat. Petra und ich hingegen sind da längst nicht so weit. Bei Petra muss man fürchten, dass sie irgendwann nur noch im Garten sitzt und Vögel und Eichhörnchen füttert, beobachtet und bespricht und bei mir ist die Gefahr groß, dass ich eines Tages eins sein werde mit meiner Wohnung. Dennoch wirkt unser Ausflug für Außenstehende vermutlich ganz normal, für uns aber stellt er eine Art Meilenstein der Entwicklung dar. Ein seltenes Schauspiel, ein wahres Event. Und um all dem die Krone aufzusetzen, sind wir nicht nur ins Kreuzviertel gefahren, wir haben sogar einen Plan mit uns geführt. Salat essen an einem fremden Ort zu einer, zumindest für mich, außergewöhnlichen Zeit. Manchmal, wenn mich so ein Entwicklungsschub packt, bin ich mir noch unheimlicher als ich es ohnehin schon bin.

Für mich gibt es ordnungsgemäß stilles Wasser, weil stilles Wasser still ist und in der Regel keinem sauer aufstößt. Serviert in einer für mich ansprechenden Flasche, die zum Ambiente passt.

Stilles Wasser

Während wir auf das Essen warten, verzichten wir auf Gespräche über Krankheiten, obwohl es da immer was zu erzählen gibt. Beim Thema Krankheiten nimmt Petra schon lange einen Spitzenplatz ein. An ihr scheint mittlerweile alles am Bewegungsapparat kaputt gegangen zu sein und Schwierigkeiten zu bereiten. Ich bin größtenteils innerlich kaputt und wirke nach außen fast agil. Mein Verfall verläuft größtenteils von innen nach außen und ohne Schmerzen. Ich kann nur meine verpickelte Stirn präsentieren und vermutete böse Hautkrankheiten. Petra hingegen kann von immer neuen Schmerzen berichten und scheint als erste von uns komplett kaputt zu gehen. Also so kaputt, dass man auch nicht mehr weiß, ob man da noch was reparieren kann. Anderseits sind diejenigen, die früh mit dem Leiden beginnen am Ende oft die, welche über die meisten Jahre einfach nur so leiden, während die andern längst an einer grauenvollen Krankheit, die glücklicherweise rasch das Leben beendet hat, verstorben sind. Da weiß man auch nicht, was wirklich besser ist. Weil diese Themen aber in der Regel Hauptbestandteil der Gespräche, während der Wanderungen an denen Manni meist nicht teilnimmt, sind, reden wir heute nicht darüber. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, die das Thema gesundheitliche Gebrechen verhindern. Möglicherweise haben wir auch nur vergessen über Krankheiten zu reden. Wir erfreuen uns stattdessen an unserem Ausflug und wundern uns lediglich, dass wir überhaupt einen Ausflug gemacht haben. Gelegentlich gehen attraktive Frauen an uns vorbei, die meine volle Aufmerksamkeit erfordern. Schöne Frauen und schöne Autos kann ich mir immer anschauen. Eines der wenigen Talente, welches mir auch im Alter geblieben ist. Dann bekommen wir unser Essen.

Rucola e Tacchino

Es ist etwa 20.10 Uhr und ich kann mich nicht erinnern, jemals so spät einen Salat gegessen zu haben. Überhaupt kann ich mich daran erinnern, in meinem Leben schon öfter als zweimal einen Salat bestellt zu haben. Habe ich mir je zuvor Salat in dieser Größenordnung, der eine andere Mahlzeit ersetzt, bestellt? Ich weiß es nicht. Obwohl ich Ruccola etwas gewöhnungsbedürftig finde, kann ich den Salat nur empfehlen. Ich bin so zufrieden, dass ich am Ende fast drei Euro Trinkgeld gebe. Einfach mal so tun, als spiele Geld eine untergeordnete Rolle. Tolle Sache.

Es folgt ein Spaziergang durchs Kreuzviertel. Wir erinnern und an unseren letzten Ausflug hierher. Damals hat es uns so gut gefallen, dass wir eine baldige Rückkehr beschlossen. Und wir haben Wort gehalten. Nur etwa neun Monate später sind wir wieder hier. Wenn wir uns etwas vornehmen, dann setzen wir es auch zeitnah um. Da sind wir schon konsequent, Und weil wir auch heute sehr entspannt und angetan sind, nehmen wir uns vor, demnächst wieder herzukommen und in einem anderen Lokal zu essen. Das wird sicher toll.

Obwohl ich noch bleiben könnte und mich gut fühle, was möglicherweise vom Salat kommt, suchen wir kein weiteres Lokal auf, sondern beenden kurze Zeit später unseren Ausflug. Schließlich ist es spät geworden und dunkel. Es ist etwa 21.30 Uhr als wir zurück am Auto sind und die Heimreise antreten. Es fühlte sich fast wie ein Urlaubstag an, ohne im Urlaub gewesen zu sein. Wenn alles gut läuft, sind wir schon 2019 wieder im Kreuzviertel. Es ist wirklich schön derartige Pläne zu haben, die einem das Leben versüßen und einem für einen Moment das Gefühl vermitteln als wäre man nicht völlig geistesgestört.

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