Silvester 2012

Obwohl es ein ganz normaler Tag sein sollte, ist der letzte Tag des Jahres es doch meistens nicht. Irgendetwas ist anders. Das beginnt schon am Vormittag. Die Geschäfte sind dermaßen voll, dass man annehmen könnte, es gibt danach nie wieder eine Möglichkeit und man müsse mit dem, was man heute kauft, bis zu seinem Tod auskommen. Dabei muss man nur bis zum zweiten Tag des kommenden Jahres überleben. Trotzdem scheint es so, als würde das Überleben davon abhängen, dass man am letzten Tag des Jahres nochmal einkauft.

Ab 13.00 Uhr schließen die Geschäfte. Bis 16.00 Uhr sind die meisten Geschäfte geschlossen. Außer Penny. Da ist länger geöffnet. Vermutlich ein Versuch, sich den Silvestertraditionen zu widersetzen.
Es ist etwa 17.00 Uhr, als ich meinen letzten Spaziergang des Jahres mache. Die Straßen sind recht leer, die Geschäfte im Ort, außer Penny, haben geschlossen. Gegen 17.45 Uhr bin ich zurück in meiner Wohnung und schaffe es nicht, mich normal zu verhalten. Das muss an Silvester liegen.
Gegen 20.00 Uhr schalte ich den Fernseher ein. Oliver Pocher stellt seine Lieblingslieder vor und quatscht zu viel. Will ich nicht sehen und schalte um. Nachrichten. Anschließend lande ich beim ZDF. Die ZDF-Hitparty unter der Führung von Andrea Kiewel. Fröhlich tanzend und singend kommen die Interpreten auf die Bühne. Frau Kiewel singt mit. Das Publikum ebenfalls. Das muss Silvesterfreude sein. Ich bin noch ganz überwältigt, da kommt auch schon der erste echte Auftritt. Mary Roos singt „Weit, weit weg“. Und ich merke, wie ich auftaue, tanzen will. Ich will gerade vom Sofa aufspringen, da steht Bernhard Brink auf der Bühne und gibt Gas. Jetzt möchte ich raus, mich bewegen, Frauen angucken. Der Geist von Silvester hat mich gepackt. Die Tänzerinnen sorgen für gute Optik und ich will mich paaren. Das wollte ich früher auch immer. Hat nie geklappt. Passend dazu läuft nun Crying at the Diskotheque. Mein Gott, was geht hier ab? Und dann steht Lena Valaitis auf der Bühne. Die ist fast siebzig und wirkt, als wäre sie zwanzig Jahre jünger. Toll restauriert. Und weil alle Playback singen, kommt der Sound über meine Anlage richtig gut rüber. Das Publikum tanzt ausgelassen, ich spüre, wie das Jahr mir aus den Fingern gleitet und drehe die Anlage auf. Moviestar. Ich höre alte Leute Musik und fühle mich fluffig. Ich glaube, ich bin ein Partytiger. Ich muss unbedingt ausgehen im nächsten Jahr. Dieses Jahr habe ich keine Disko betreten und bin jetzt ganz durcheinander. Es kommt Andrea Berg, das alte Partyluder, auf die Bühne. Ich muss aufstehen und mich bewegen. Ich liebe das Leben. Die wilde Andrea sieht mit ihrem geilen Outfit aus, als würde sie heute noch viel Spaß haben. Kaum ist das Schlagerluder weg, kommt das nächste Partyluder auf die Bühne. Patrick Lindner. Der Patty. Ich bin kurz vorm durchdrehen. Keine Ahnung, was der da singt. Aber alle haben Spaß. Das Publikum veranstaltet eine Polonaise. Die sind echt zu blöd. Verwechseln den Patrick Lindner mit Gottlieb Wendehals. Deppen. Ob die alle betrunken sind? Oder ist das so, wenn man ausgelassen feiert? Nächstes Jahr Silvester muss ich unbedingt ausgehen. Aber nicht wieder zu einer Kaffeefahrtveranstaltung. Ich will so eine richtige Party mit Ludern und allem was dazu gehört. Um alle etwas abzukühlen, quatscht nun Frau Kiewel von einem Twistmedley. Und schon geht es los. Bernhard Brink, Ireen Sheer, Lena Valaitis und Mary Roos geben Gas. Die müssen doch was genommen haben. Ich finde das peinlich. Die sollen aufhören, sonst schalte ich noch um.
Senderwechsel. RTL2. Werbung. Das ist doch krank. Warum zeigen die kein Konzert von Leonard Cohen, das würde mir gefallen. Stattdessen muss ich zurück zu den Schlagerrentnern und ihrem Twistmedley. Ob ich in dem Alter auch noch so abgehe? Das Publikum verlangt eine Zugabe und weiter geht’s. Die vier haben Spaß, das Publikum tanzt. Gut, dass das nicht live ist. Bis Mitternacht hält das sicher niemand durch. Ich jedenfalls nicht. DJ Ötzi singt von sieben Sünden in einer Nacht. Ob es eine Sünde ist, was ich hier mache? Oder sind es gar sieben Sünden auf einmal? Auf 3Sat ist ein Konzert von A-HA. Take on me. Das waren noch Zeiten. Da war ich genauso gestört wie heute. Nur war es mir damals noch nicht so bewusst. Rüber zum MDR. Goombay Dance Band. Noch ein Rentner, der für mich singt. Auch hier Playback. Zum Glück. Warum tu ich mir das nur an? Weiter zu VIVA. Gossip. Na also, geht doch.

Zwei Stunden später sitze ich noch immer da und gucke VIVA. Das ist durchaus deprimierend. Noch 85 Minuten bis zum Jahreswechsel. Zurück zum ZDF. Das ist doch alles Scheiße. Das ist wie warten auf etwas, was es nicht gibt. Zeit für einen Kamille-Fencheltee und Two and a half Men. Das hätte ich früher einschalten sollen. Um 23.42 Uhr nutze ich eine Werbepause und lande im Silvsterstadl. Alte Menschen und solche, die es gerne wären, tanzen wild durcheinander. Garniert wird der wilde Wahnsinn von einer Polonaise. Von Gottlieb Wendehals auch hier keine Spur. Das ist peinlich. Die müssen alle üble Pillen eingeworfen haben. Arme Zombies. Schnell umschalten. ZDF. Schwarzer Mann mit Sonnenbrille. Kenne ich nicht. Takata singt er. Hab ich schon mal gehört. Schnell zurück zu Pro7.

Um 00.00 Uhr stehe ich auf dem Balkon und betrachte das Feuerwerk. Bereits zum dritten Mal hintereinander betrachte ich es von hier oben. Scheint sich zu einer Tradition zu entwickeln. Und nie war es schöner. Minutenlang stehe ich da und schaue dem Feuerwerk zu. Zwischendurch werde ich irgendwie traurig. Keine Ahnung, ob das alles so richtig ist. Das Feuerwerk will scheinbar nie enden. Ich gehe zurück in die Wohnung. Das neue Jahr ist da. Hurra.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert