Emden – Tag 2

Am Vormittag wandere ich etwas herum, bin aber nicht wirklich angetan. Leute stehen mit Masken irgendwo an und irgendwie ziehe ich mich bei dem Anblick genervt runter. Erst als ich mich weiter entferne und kaum noch Menschen sehe, entspanne ich etwas. Als ich mir etwas Geld abheben will ist es mit der Entspannung vorbei, denn ich bekomme wegen einer defekten Karte kein Geld. Ich wandere noch zu einem anderen Automaten, doch auch hier habe ich kein Glück. Die Karte scheint tatsächlich defekt zu sein. Verwirrt und auch etwas ratlos setze ich mich auf eine Treppe und starre ein Loch in die Gegend. Hätte ich doch nur, wie ich es sonst zu tun pflege, ausreichend Bargeld mitgenommen. So bleiben mir 13 Euro Bargeld bis zu meiner Abreise. Dieser Urlaub stresst mich irgendwie und ich überlege, ob es nicht besser wäre unverzüglich den Rückweg anzutreten. Interessant ist, dass ein Teil von mir völlig ruhig und entspannt ist, während mein stets genervtes und nervendes Ich sich Sorgen machen und aufregen will. Warum kann ich nicht einfach cool bleiben, wie es sich für einen anständigen Typen gehört? Dieses Aufregen bringt doch nichts und es ist nichts passiert, was mich wirklich beunruhigen sollte. Zumindest im Moment nicht. Agnes schlägt mir Google Pay vor, um wenigstens auf diesem Wege zahlen zu können. Also richte ich das ein, weil das vernünftig klingt und ich möglicherweise nochmal irgendwas bezahlen muss.

Um 14.00 Uhr möchte ich eine Hafenrundfahrt machen, Grachtenrundfahrten sind dank der Corona-Scheiße derzeit nicht möglich, doch schon der Hinweis, dass man eine Maske tragen muss, lässt mein Interesse sinken. Als ich die Schlange der Menschen sehe, die auch eine Hafenrundfahrt machen wollen, bin ich regelrecht angewidert und streiche die Hafenrundfahrt von meinem Plan. Unverzüglich geht mir alles auf die Nerven und der Nörgler in mir scheint endgültig das Kommando zu übernehmen. Essen gehen werde ich in diesem Urlaub wohl auch nicht und Menschen will ich keine mehr sehen. Also breche ich zu einer Wanderung auf, die mich von Menschen wegführen soll. Nach einer Weile bin ich wieder unaufgeregt und gleichgültig. So ist es besser. Ich muss dennoch aufpassen, dass ich Zeiten ohne persönliche Kontakte zu anderen Lebewesen nicht immer weiter ausdehne, sonst werde ich mehr und mehr zu einer verschrobenen Person. Andererseits ist es vielleicht einfach das Beste für mich auf jegliche Kontakte der persönlichen Art zu verzichten. Über was ich alles nachdenke, wenn ich durch die Welt wandere, ist erschreckend und belustigend zugleich.

Den Rekord, 17,8 Kilometer an einem Urlaubstag durch die Gegend zu wandern, knacke ich schon am Nachmittag. Wie von Sinnen irre ich durch die Sonne und verbrenne mir dabei möglicherweise das Gesicht. Am frühen Abend will ich bei Aldi einkaufen, weil ich denke, dass ich noch etwas zu essen brauche und weil ich testen will, ob die EC-Karte tatsächlich nicht mehr funktioniert. Ich gehe, weil ich verwirrt bin, an einem Friedhof entlang. Dort steht eine alte Frau neben ihrem Fahrrad, die schon von weitem einen gestörten Eindruck auf mich macht. Sie sieht etwas irre aus, ist geschminkt wie Pippi Langstrumpf und verhält sich irgendwie merkwürdig. Als ich auf sie zugehe, wird sie noch nervösen und ruft plötzlich leise „Hilfe.“ Sie scheint etwas in Panik zu geraten, bewegt sich vor und zurück und starrt auf meine Hand, in der ich mein Telefon halte. Vielleicht hält sie es für eine Waffe. Als ich bei ihr ankomme, schaut sie mich merkwürdig an und sagt „Moin“. Da ich zumeist kein Unmensch bin, erwidere ich den Gruß und die überschminkte Frau lacht ein wenig irre vor sich hin. Meine Wirkung auf Frauen ist echt Phänomenal. Bei Aldi benutze die EC-Karte und beim kontaktlosen bezahlen funktioniert die Karte. Also habe ich kein Problem und meine ganze Aufregung war umsonst. Spürbar erleichtert gehe ich zurück ins Apartment und entdecke später, als ich wieder durch die Gegend laufe, sogar die Promenade an der ich bis fast 22.00 Uhr verweile. Während ich an der Promenade sitze, die Menschen und das Wasser betrachte, denke ich, ohne erkennbaren Grund, dass es das war mit mir und meinem Leben. Mehr kommt nicht und meine Bronchien werden auch nicht mehr besser. Ich bin ein alter Mann geworden, ohne mich geistig so zu fühlen. Nur mein Körper, der gibt mir immer wieder so Zeichen, dass es irgendwie zu Ende geht. Zu meiner Unfreude betrachte ich nun ein paar verliebte Paare und erkenne, dass das nichts mit mir und meinem Leben zu tun hat. Ich bin alt, verbraucht, verschroben und habe verlernt, wie es ist sich auf irgendwen oder irgendwas einzulassen. Dann denke ich, dass es dennoch in diesem Moment kaum schöner sein könnte. Weil es mich plötzlich fröstelt, will ich mir etwas Wärmeres überziehen, doch kaum bin ich im Apartment angekommen bin ich zu K.O. für weitere Ausflüge. 22,1 Kilometer bin ich heute gewandert. Mehr geht wirklich nicht, aber immerhin scheine ich langsam in diesem Urlaub anzukommen.

2 Kommentare

  1. Diese misanthrope Art sich mitzuteilen liebe und hasse ich zugleich. und immer die Unsicherheit, ob das alles wahr ist. Ich mag das ?

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