7 am 7ten – 15

7am7ten

Die 7 Wörter lauten:
Kugel – Gedämpft – Ambivalent – Episode – Gehirnwäsche – Gletscher – Königreich

Er sitzt vor dem Fernseher und schaut Dokus über Gletscher. Später eine Episode über ein Königreich, aber er bekommt nur wenig von all dem mit. Seit der Gehirnwäsche, die er über sich hat ergehen lassen müssen, er ist jedenfalls sicher, dass man ihm eine solche gegen seinen Willen verpasst hat, ist er verändert. Was ihn wirklich verändert hat, ist viel banaler. Eine Kugel bohrte sich in seinen Schädel, als er ahnungslos einen Supermarkt betrat, der gerade überfallen wurde. Der Dieb war überrascht, schoss auf ihn und floh. In Zeiten wie diesen ein völlig normaler Vorgang. Geräusche nimmt er seitdem meist nur noch gedämpft wahr, manchmal hört er auch eine ganze Weile gar nichts. Gelegentlich ist er sehr wütend, schlägt um sich, dann wieder ist er weinerlich und will alle umarmen. Man weiß nie, was einen erwartet, wenn man ihn in der Einrichtung, in der er seit dem Vorfall untergebracht ist, besucht. Wohlwollend könnte man seinen Zustand als ambivalent bezeichnen, aber das wäre wirklich eine totale Verharmlosung eines vollkommen hoffnungslosen Zustandes. Ein weiterer Tag endet. Er streichelt, wie jeden Abend, ein Stofftier, welches er täglich bekommt, um sich zu beruhigen. Später dann, als der Fernseher von einem Pfleger ausgeschaltet wird, beißt er dem Stofftier den Kopf ab und spuckt ihn aus, bevor er sich entschuldigt und alles mit der angeblichen Gehirnwäsche begründet. Alle wissen es, doch keiner spricht es aus, dass es besser gewesen wäre, wenn die Kugel ihn getötet hätte.


Alle bisher veröffentlichten Geschichten in chronologischer Reihenfolge zum nachlesen und genießen:

14 Kommentare

  1. Entschuldigung für Nichtabgabe. 😔

    Wie gewohnt eine hoffnungslose Geschichte…gefällt mir. Du bleibst Dir einfach treu. 🙃

  2. Die Türklingel schreckte Max auf, der an diesem Mittwoch Nachmittag zu Hause im
    Homeoffice am Rechner hing. Auch der Hund tänzelte unruhig hin und her. Marie
    erledigte gerade ein paar Einkäufe oder traf sich mit Freundinnen auf einen
    Capuccino oder Prosecco … so genau erinnerte sich Max nicht mehr.

    Als Max die Tür öffnete, sah er in die ernsten Gesichter einer Gruppe von
    Polizisten. Zwei Männer und eine Frau. Der Hund knurrte hinter Max und ließ sich
    von ihm nur schwer zurück halten, indem Max wiederholt versuchte, sich zwischen
    ihn und die Wohnungstür zu bringen. Die Polizisten wollten wissen, ob ein »Herr
    Harris« zu Hause sei. Herr Harris lebte jedoch in der Nachbarwohnung, auch im
    ersten Stock, jedoch schräg gegenüber, was Max den Beamten auch so kundtat.
    »Pardon, schon wieder die falsche Wohnung« sagte ein Polizist mit Schnauzbart.
    »Kein Problem« antwortete Max, konnte die Tür allerdings nicht schließen, weil
    der Hund schon mit dem Kopf hindurch geschlüpft war und sich, mit einem
    kräftigen Ruck, soviel Raum freimachte, dass er sich jetzt ungehindert auf den
    ersten Polizisten stürzen konnte. Dabei bewegte das Tier sich so merkwürdig und
    ungewöhnlich, dass kein einziger der Schüsse ihn traf, die die Beamtin
    schließlich abfeuerte, um ihre beiden Kollegen zu schützen. Und das, obwohl der
    Hund sich zeitweise zeitlupenhaft langsam zu bewegen schien. Sie leerte ein
    ganzes Magazin; traf dabei einen der Kollegen, den mit dem Schnauzbart, in Arm
    und Unterleib und den anderen in den Oberschenkel. Diese letzte Kugel verfehlte
    die Oberschenkelarterie nur um wenige Millimeter. Im schlimmsten Fall hätte es
    nur wenige Minuten gedauert, um zu verbluten. Den Hund jedoch traf die Schützin
    kein einziges Mal. »Dieser blöde Hund«, dachte die Beamtin. »Bin mal gespannt,
    wie sie das später erklären wird«, murmelte Max vor sich hin, zuckte mit den
    Schultern und ging wieder zurück in die Wohnung, um einen Krankenwagen zu rufen
    und das Wischzeug zu holen. Die Polizistin hatte dagegen den Eindruck, dass
    nicht nur Max mit den Schultern zuckte. Konnte dies möglich sein? Nach dem
    Geballer sah der Hund Max erwartungsvoll an, wie dieser wohl reagieren würde.
    Und nachdem der Freund seines Frauchens mit den Schultern zuckte und in der
    Wohnung verschwand, drehte der Hund den Kopf, schaute der Beamtin tief in die
    Augen und zuckte ebenfalls mit den Schultern. Der Hund blieb vorerst im
    Treppenhaus, warf der Polizistin noch ein paar vorwurfsvolle Blicke zu und
    entfernte sich dann durch die Hauseingangstür. Die Tür stand noch offen und
    schwang gerade zurück, um gedämpft ins Schloss zu fallen – nachdem der Hund auch
    hier hindurch schlüpfte. Denn der heimkehrende Herr Harris hatte wenige
    Momente zuvor die Szene von unten beobachtet und verließ just wieder den Ort,
    unbemerkt, so schnell es ging.

    Irmgard, die Polizistin, hatte in ihrem Leben schon viele Hunde erschossen. Nie
    gab es dabei Probleme. Kein normaler Hund bewegte sich so, sagte sie wenig
    später ihrem Chef. Auch die Aussagen der Polizisten, die mittlerweile im
    Krankenhaus lagen, beschrieben es ähnlich. »Dieser Hund war kein Produkt der
    Evolution. Sehen sie was er mir angetan hat.« sagte der Polizist mit dem
    Schnauzbart. Die behandelnde Ärztin intervenierte und brachte vor, dass
    sämtliche signifikanten Verletzungen von einer Schusswaffe stammten, der der
    Kollegin Irmgard, aber kein einziger gefährlicher Hundebiss zu finden sei, bei
    keinem der beiden Patienten. Man erinnerte die Ärztin an die medizinische
    Verschwiegenheitspflicht und verwies sie des Raumes. Die Aussagen der Beamten,
    für das Protokoll, hatten nicht viel gemeinsam, außer eben der geschilderten
    Seltsamkeit der Bewegungen des Hundes. Der eine beschrieb sie allgemein als die
    eines Insektes, der andere als die eines Gliedertieres, dann wieder hätten sie
    konkreter etwas Krakenhaftes oder Kakerlakenhaftes, sogar etwas Spinnenhaftes an
    sich gehabt.

    Irmgards Chef verdrehte sichtlich genervt die Augen. »Alles Humbug!«. Ein
    weiteres Kapitel totalen Versagens seiner Untergebenen, in der sie versuchten
    ihre Inkompetenz zu verschleiern, indem sie ihm langweilige Lügen auftischten.
    Trotz aller Anstrengung und gesetzlich zugebilligter Narrenfreiheit, gestaltete
    es sich mittlerweile als fast unmöglich, das, was seine Truppe veranstaltete,
    unter den Teppich zu kehren. »Irmgard, Sie haben in dem letzten halben Jahr elf
    Hunde erschossen. Keiner wog mehr als 3,7 Kilogramm. Ich denke nicht, dass die
    Bedrohungslage in jedem Fall den Schusswaffengebrauch gerechtfertigt hätte.«

    »Da sehen sie einmal, was für eine gute Schützin ich bin, wenn ich so kleine
    Tiere treffe. Hier dagegen lief etwas sehr seltsames ab.« Es mag den Anschein
    erwecken, dass Irmgard Hunde nicht mochte, aber so war das nicht. Im Gegenteil
    hatte sie lange bei der Polizeihundestaffel gearbeitet, zu der sie weiterhin
    gute Kontakte pflegte. Ihre Schützlinge hatten einen Dienstausweis und waren
    meist Schäferhunde. Irmgards Einstellung zum Töten von Hunden konnte man getrost
    als äußerst ambivalent bezeichnen. Allgemeine Sparmaßnahmen führten dazu, dass
    die Hundestaffel aufgelöst werden sollte, weil das Hundefutter sich aufgrund der
    stetig steigenden Fleischpreise im Laufe der Zeit gefährlich verteuerte. Die
    Verzweiflung kulminierte und so versuchte Irmgard schließlich, im Rahmen ihrer
    Arbeit, so viele Haustiere zu erbeuten, wie möglich, um die Möpse, Chihuahuas,
    French Dogues, Zwergspitze, Dackel, ja selbst Katzen, Hamster, Meerschweinchen
    und sonstige Kleintiere an die Polizeihunde verfüttern zu können.

    »Haben Sie wenigstens diesen Harris befragen können?« schleuderte ihr der Chef
    entgegen. Die Polizistin beschloß zu ihrem eigenen Schutz nur noch so wenig wie
    möglich zu sagen: »Leider nein, Chef. Wir konnten ihn nicht antreffen.«

    Gegen Mitternacht kam Marie nach Hause. Von den Blutspuren an der Wand vor der
    Wohnung beunruhigt, die am Boden hatte Max schon aufgewischt, erkundigte sie
    sich nach dem Befinden und dem Verbleib des Hundes. Die Antwort stimmte sie
    nicht froh. Zornentbrand überschüttete sie Max mit Vorwürfen. Sie hätte ihn nur
    um eine einzige Sache gebeten. Er wüsste, wieviel ihr der Hund bedeutete. Ohne
    sie, Marie, würde er, der Max, genauso enden, wie der »Alte«, Herr Harris. (Herr
    Harris, soviel sei bemerkt, war ein Junggeselle um die 50. Der auch schon als
    Junggeselle lebte, als Max vor vielen Jahren hierher zog.) Sie, Marie,
    ganz allein, hätte ihn, den Max überhaupt erst zu einem Menschen gemacht. Er
    unterbrach sein Schweigen an dieser Stelle, um die Aufmerksamkeit von sich weg
    zu lenken. »Ich weiß nicht, was Du gegen den Harris hast. Der ist die
    Friedfertigkeit selbst. Dein Hund kriegt in der Woche von Dir mehr Zuneigung,
    als der alte Kauz vermutlich ein ganzes Leben lang überhaupt hatte – und Dein
    Hund hat in der letzten Zeit trotzdem mehrere Menschen angegriffen.« Marie
    insistierte, dass Max sich sofort auf die Suche nach dem Hund machte und er
    solle ihr nicht unter die Augen treten, wenn er ihn nicht fand.

    Nach dieser Gehirnwäsche fühlte sich Max nicht mehr in der
    Lage, bei Marie in der Wohnung zu bleiben. Also ging er hinunter auf die
    spärlich beleuchtete Straße, dann zielstrebig in die nächste Kneipe. »Ab wann
    lief es eigentlich schief?«, dachte er sich, den Raum vom Tresen aus musternd.
    Er war sich sicher, hätte er die Chancen ausgenutzt, die er vor vielen Jahren
    hatte, sähe es auch im Universum ganz anders aus. Die Liaison mit diesem Biest
    und Nörgelweib, Marie, hätte nie stattgefunden. Letztlich hielt sie die
    Beziehung nur mit Erpressung aufrecht – das allerdings erfolgreich. Er dachte an
    seine Jugendschwärme. Er dachte an die Zeit, als er in seinen Zwanzigern gewesen
    sein mochte. An alles, was auf der imaginären Zeitachse lag. An die Kreuzwege
    und Abzweigungen in seinem Leben. Die längste »hätte-hätte-Fahrradkette«, die
    man sich vorstellen kann. Alle verpassten und vergeigten Gelegenheiten
    spazierten vor seinem inneren Auge. Hätte er damals anders entschieden, anders
    gehandelt, die Welt wäre eine andere geworden. Wie friedlich, wie normal könnte
    sich das Leben anfühlen.

    Kriege hätte es wahrscheinlich auch keine mehr gegeben. Alles hätte just anders
    sein müssen, wenn er damals nicht er selbst, sondern eben diese andere Version
    von sich gewesen wäre. Ein klarerer und freierer Kopf säße auf seinen Schultern.
    Es gäbe mehr Raum für Sinnvolles und Schönes, da die Sehnsucht zumindest über
    die Grundbedürfnisse hinaus gesättigt wäre. Etwas weniger Zurückhaltung, etwas
    mehr Offensive seinerseits, und er hätte in den Armen von Frauen liegen können,
    die es in dieser Attraktivität heute gar nicht mehr gibt. Die kaum noch zu
    denken sind. Nun, die Welt ist bekanntermaßen eine andere. Es ist eine
    kalte, böse und nicht zuletzt hässliche Welt und man muss sich bescheiden und
    leiden.

    Er nahm sein Leid auseinander, zerteilte es, musterte und verglich jeden
    Baustein, aus dem es bestand. Diese imaginären alternativen Lebensläufe, wo
    hätten die hingeführt? War er so schlecht dran mit Marie? Und stand Herr Harris
    als Alleinstehender wirklich noch schlechter da? Wie viele Ehemänner lebten auch
    unfreiwillig zölibatär, wie der Harris? Denen brachte die Ehe rein gar nichts,
    im Gegenteil. Mit einer schönen Frau ist nichts eklig, mit einer hässlichen Frau
    dagegen, ist *alles* eklig. Er wäre auch verschont von dieser ganzen
    emotionalen Tunke, die alles begleitet. Die es nicht einfacher macht. Wie viel
    von der Schönheit ist noch übrig, mit 35, mit 45, von darüber hinaus ganz zu
    schweigen, wenn die Attraktivität nicht nur auf Null, sondern weit darunter
    sinkt. Der Ansatz »Handtuch und ein Kasten Bier« oder einfach der Gebrauch der
    »Aus-Funktion« des Lichtschalters werden im Alter immer bedeutender, wenn man
    das Sexualleben nicht gar als Ganzes einfach sterben lassen will. Aber dann
    darf die Frau in der Dunkelheit keine Stimme haben, wie ein absaufendes Auto
    oder ein wieherndes Pferd, eine quietschende Schubkarre oder sie sollte am
    Besten zeitweise ganz schweigen können.

    »Wie geht man damit um, was machen die anderen?« Er hatte in den 90er Jahren
    eine Folge einer Science Fiction Serie gesehen, die davon handelte, dass ein
    schleimiges Alien auf der Erde gestrandet war. Dieses Alien konnte mittels der
    Absonderung von pheromonartigen Chemikalien und Drogen, den Erdenbewohnern jede
    Erscheinung vorgaukeln. So auch einem Erdenmännchen, dem das Alien als
    ausgesprochen attraktive Frau erschien. Die beiden heirateten und damit wäre im
    gewöhnlichen Kino der Film vorbei. Aber hier fing er erst an. Das Alien verlor
    im Laufe der Jahre zunehmend die Fähigkeit, seine Erscheinung vorzugaukeln und
    der Mann sah sie in einzelnen Momenten und schließlich immer häufiger, als das
    glitschige, schleimige Monster mit Unterbiss, das ihrem wahren Naturell
    entsprach. Allerdings hatte Max vergessen, wie die Geschichte ausging.
    Vermutlich hat sie den Erdling einfach aufgefressen. Naja, der Autor der
    Episode hatte offensichtlich nur leicht verfremdet geschildert, was
    Millionen von Männern mittleren Alters irgendwann erwartet.

    Max verstieg sich weiter in die Extreme, die er täglich erleben konnte. Im
    Supermarkt gab es eine Verkäuferin, die eine der grauenhaftesten Erscheinungen
    hatte, die eine halbwegs gesunde und junge Frau überhaupt annehmen konnte. Auf
    ihrer Haut befanden sich Borsten. Das eigentliche Gesicht (also Augen, Nase,
    Mund) nahm nur einen kleinen Teil des frontalen Kopfes ein. Sie hatte praktisch
    keinen Hals. Da wo der Hals hätte sein müssen, befand sich eine Verlängerung des
    Kinns, auf dem ein weiteres kleines Kinn saß. Ihr Körper hatte die Silhouette
    eines Seesterns. Sie versuchte in der Weise zu »flirten«, wie es in dieser Stadt
    für Frauen üblich war. Also dem Gegenüber eine unangenehme Situation bereiten,
    umständlich und unverschämt (gemeint ist wohl »frech«, im sexy Sinn) zu sein.
    Also, so, wo man früher, »was sich neckt, das liebt sich«, gerufen
    hätte. Nachdem sie die Waren über den Kassenscanner zog, schob sie sie praktisch
    nicht weiter als nötig war, um den Scanner frei zu halten. So dass Max sich oft
    zu ihr hin strecken musste, um die Waren einpacken zu können. Wenn sie
    Gegenstände doch in seine Richtung schieben musste, so knallte sie sie ihm hin.
    Ihr Verhalten war betont herablassend, um kurz darauf wieder extrem freundlich
    zu sein. Aber Max fand das alles nicht sexy.

    Er fragte sich, warum sie sich so verhielt. Einmal hatte ein Pärchen ihr
    Kleindkind mit den übrigen umfangreichen Einkäufen auf das Kassenband gesetzt
    und die Vierertruppe aus Eltern, Kind und Kassiererin befanden sich geradezu im
    Freudentaumel. Wobei die Erwachsenen dieses illustren Kreises, sich über
    die vorgebliche Niedlichkeit der Situation nicht mehr einkriegten. Max hatte das
    alles anfangs nicht beachtet und nicht richtig wahrgenommen. Gedankenverloren
    legte er ein Warentrennhölzchen auf das Band, um dann seinen gesamten Einkauf,
    eine Packung Kondome, die er aus dem Impulswarenangebot vor der Kasse
    entnahm, abzulegen. Das Pärchen hatte ihr Statement gemacht, er hatte sein Statement
    gemacht. Naja, aber das ist doch eigentlich kein Grund von der Kassiererin
    fortan deswegen gemobbt zu werden. Also doch ein Flirtversuch?

    Die Kassiererin war füllig, was an sich noch nicht schlimm ist. Jedoch verband
    sich diese Fülligkeit mit einer Amorphie des Körpers, die kaum noch etwas
    Menschliches an sich hatte. Das Äußere mal ausgeklammert, gab auch ihre
    Persönlichkeit stetig Anlass zu Maxes Missfallen. In jeder Äußerung schwang
    Bosheit, Niedrig- und Niederträchtigkeit, Gehässigkeit, kurzum: sie war wirklich
    schlecht und sah auch so aus. Dies mag den Eindruck eines übereilten und
    ungerechten Urteils erwecken, nur ging Max in diesem Supermarkt schon jahrelang
    einkaufen. Und Maxes Urteil verfestigte sich von Mal zu Mal. Dessen ungeachtet
    erzählte sie ihm früher immer wieder private Brocken. Eben auch dieses: Sie
    selbst hatte ein Kind. Max empfand Kinder im Allgemeinen als Ausgeburten der
    Widerlichkeit. Hätte Marie von ihm ein Kind gewollt, wäre es aus gewesen,
    Erpressung hin oder her. Er wollte um keinen Preis zu den Bekinderten gehören.
    Die Verkäuferin zeigte ihm damals ihr Handy mit einem Foto und Max dachte nur
    »Igitt, nimm weg.« Aber er entbot sich jeglichen Kommentars und
    nickte nur.

    »Wie kann so jemand nicht allein sein und so viele Männer aber schon.« All ihre
    Trümpfe verdichteten sich auf ihre geheiligte Weiblichkeit an sich. Da
    Sexualität im mindesten Fall auch nur eine körperliche Notwendigkeit ist, wie
    andere biologische Notwendigkeiten, die auch kein hohes Ansehen genießen, ist
    die Verweigerung dieser Notwendigkeit ein Hebel unglaublicher Macht. Ein Hebel
    der von dem Überorganismus, den man gemeinhin »Gesellschaft« nennt, in
    vielfältiger Weise bedient wird. Der Ausdruck »sex sells« mag eine Wahrheit
    haben, jedoch ist diese Wahrheit winzig und fast nichtig gegenüber der Wahrheit,
    dass aus der *Verweigerung* der Erfüllung von Bedürfnissen noch gewaltigere
    Gewinne generiert werden. Der halbe Staat basiert darauf. Max mochte sich nicht
    mehr damit auseinander setzen. Er dachte, vorerst hätte er dem lieben Gott etwas
    zuviel ins Handwerk geschaut. Max nahm für sich mit, dass er mit Marie nicht das
    allerschlechteste Los gezogen hatte. Auch wenn ihr Herz einem Gletscher glich,
    und sich nur für eines, den Hund, erwärmen konnte. Zu diesem Schluss, also nicht
    so schlecht mit Marie dran zu sein, kam er nicht nur durch seine obige
    Meditation, sondern vor allem durch den grundsoliden Rausch, den er sich
    inzwischen angetrunken hatte. Er dachte zudem, dass vermutlich auch Herr Harris
    nicht so schlimm dran war, wie es erschien. Max dachte immer, dass kein Mensch
    ein Leben lang allein bleibt. Nun, Herr Harris war der Gegenbeweis. Manche
    Menschen bleiben doch ein Leben lang allein. Bei aller Philosophiererei hatte
    Max den Hund längst vergessen und freute sich fasst schon nach Hause zu kommen.
    Wie gesagt, der Alkohol. Doch Marie hatte ihn nicht vergessen und nicht die
    Auflage, nur mit dem Hund zurück zu kehren.

    Der Hund träumte derweil schon seelenruhig, in der Nähe von Herrn Harris, bei
    einer Brücke über dem Kanal. Er lag halb rücklings gestreckt da, die Pfoten
    angewinkelt, wie ein Känguru. Die Sterne kreisten über seinem Kopf, wie ein
    Mobilé über einer Kinderwiege. So als schienen sie nur für ihn. Und man hätte
    schwören können, dass er lächelte, der Hund.

    Irgendwo da draußen im Zentrum, um das die Sterne über dem Kopf des Hundes in
    einer Spirale tanzten, lag sein Heimatplanet. Das heißt, nicht der des Hundes,
    aber der des Virus, welches ihn befallen hatte (Fußnote: siehe voriger Teil).
    In Wirklichkeit befiel ihn nicht ein gewöhnliches Meningitisvirus, sondern eine
    außerirdische Lebensform, der es gelang, ihr Bewusstsein in einen veränderten
    Meningitisvirenstamm zu transformieren. Diese Lebensform konnte dann so von dem
    Körper des Wirts Besitz nehmen, welchen der Virus befallen hatte. (Fragt mich
    nicht nach Einzelheiten, in den 80er Jahren konnte sich auch niemand vorstellen,
    dass es mal Smartphones geben würde und doch gibt es sie jetzt überall.)
    Jedenfalls nahm dieser Virenstamm dann von seinem Wirt Besitz, wie ein Dämon
    Besitz von einem Menschen ergreift. Das ist auch nicht ungewöhnlicher als die
    Methodik des Leberegels. Eines Parasiten, der Ameisen befällt, um deren
    Verhalten so zu verändern, dass sie sich eher von dem eigentlichen Wirt, einem
    Rind z.B., fressen lassen.

    Trotz der Dämonenanalogie und trotz des Umstands, dass die Lebensform einen
    unschuldigen Hund befallen hatte, war sie nicht gänzlich böse. Im Gegenteil
    befand sie sich auf einer Rettungsmission. Sie bezeichnete sich inzwischen
    selbst als Humanoiden Unhold Nebulöser Dimension (sprich: HUND). Und obwohl sie
    diesen blauen Planeten nur kurz kannte, empfand sie ihn schon als ihr
    Königreich. Es waren *ihre* Steine, *ihre* Bäume, *ihre* Blumen, *ihre* Tiere,
    *ihre* Menschen und letztlich *ihre* Welt. Die Zerstörung ihrer alten Heimat
    konnte sie nicht aufhalten. Diesmal würde sie sich nicht so leicht geschlagen geben.

  3. Der äußere Kampf mit dem inneren Schweinehund. In jede(m/r) steckt ein Stofftiertöter. Der eine braucht eine Kugel, um ihn zu wecken, die andere eine Kugel Eis.

          • Ich glaube die meisten Stoffe sind nicht niedlich:

            Abwehrstoff,Arbeitsstoff,Atombrennstoff,Baustoff,Bezugstoff,Bildungsstoff,Bitterstoff,Blutsauerstoff,Brennstoff,Diskussionsstoff,
            Dramenstoff,Duftstoff,Ersatzstoff,Explosionsstoff,Farbstoff,Fremdstoff,Futterstoff,Gesprächsstoff,Glanzstoff,Grundstoff,Gärstoff,
            Harnstoff,Hauptnährstoff,Hemdenstoff,Hilfsstoff,Hüttensauerstoff,Impfstoff,Inhaltsstoff,Isolationsstoff,Isolierstoff,Katalysestoff,
            Kernbrennstoff,Klebstoff,Kohlenstoff,Kohlenwasserstoff,Kraftstoff,Kunststoff,Lehrstoff,Nährstoff,Oberstoff,Papierzellstoff,Rohstoff,
            Sauerstoff,Schadstoff,Schichtstoff,Schmierstoff,Schutzstoff,Schwefelkohlenstoff,Schwefelwasserstoff,Sprengstoff,Stickstoff,Süßstoff,
            Treibstoff,Unterrichtsstoff,Urstoff,Verbandstoff,Wasserstoff,Werkstoff,Wirkstoff,Zellstoff,Zündstoff

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