Jobcenter
Es ist schon erschreckend, dass ein Termin beim Jobcenter zu den bisherigen Höhepunkten des Jahres gehört. Das macht schon irgendwie deutlich, dass mit mir nicht mehr viel los ist. Am Empfang reihe ich mich in die Reihe der Arbeitslosen ein. Die Schlange wird immer länger, bis einer der beiden Sicherheitsmitarbeiter alle Leute, die einen Termin haben, zu seinem Kollegen durchlässt. Dieser kontrolliert Ausweis und Einladung und schon bin ich durch und sitze vor dem Büro meiner Betreuerin. Es dauert nicht lange, da sitze ich auch schon im Büro. Mein Zusatzbetreuer ist heute nicht da. Vermutlich hat er erkannt, dass bei mir Hopfen und Malz verloren ist und verzichtet deshalb darauf, seine Zeit weiter an mich zu vergeuden. Ist mir mehr als Recht. Meine Betreuerin sagt, dass sie gerne mal meine Bewerbungen sehen möchte, um zu schauen, ob da vielleicht das Problem liegt, weshalb ich keinen Job bekomme. Ich sage ihr, dass ich ihr meine Bewerbungen schon mitgebracht habe. Kann sie sich gerade nicht daran erinnern. Nun teilt sie mir mit, dass sie darüber nachgedacht hat, mich an einem zweiwöchigen Bewerbungstraining teilnehmen zu lassen, dann aber davon Abstand genommen hat, weil ich das ja Ehrenamtlich mache und ich vermutlich weiß, wie man Bewerbungen schreibt. Da hat sie Recht, dennoch fürchte ich, dass ich irgendwann dennoch an so einem Bewerbungstraining teilnehmen muss. Ich werte das dann als Weiterbildungslehrgang für meine ehrenamtliche Tätigkeit.
Weil die Nachfrage nach Lagerhelfern groß ist, ich aber eine Bescheinigung vom Arzt habe, dass ich immer Schmerzen habe, soll ich demnächst mal von einem Amtsarzt untersucht werden. Das wird sicher lustig, weil er wahrscheinlich bestätigen wird, dass ich gar keine Probleme habe, die einer Lagertätigkeit im Wege stehen könnten. Amtsärzte sind da manchmal komisch. Doch noch ist es nicht so weit. Heute geht es zunächst darum, eine neue Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben. Anschließend plaudern wir kurz über meine ehrenamtliche Tätigkeit, bevor nach passenden Jobs für mich gesucht wird. Ein Unternehmen sucht für TNT Auslieferungsfahrer. Meine Betreuerin fragt bei dem Herrn, der letztens noch mein neuer Betreuer war, nach, ob das noch aktuell ist. Ist es nicht. Glück gehabt. Ich bin nämlich kein Fahrer, weil ich so große Transporter gar nicht fahren kann. Außerdem tut mein Fuß weh. Es folgen drei Angebote zum Mitnehmen. Automobilkaufmann, Allroundkraft und Auslieferungsfahrer. Dreimal A. Das ist lustig und ich bin überzeugt davon, dass keiner der Arbeitgeber Verwendung für mich haben wird. Also alles wie gehabt. Und so verabschiede ich mich für heute und mache mich auf den Weg zurück in mein trostloses Leben als Vorzeigearbeitsloser.
Ehrenamt – Agatha
Der erste Arbeitstag in meinem neuen Büro verlief recht unspektakulär, abgesehen davon, dass ich kaum dazu kam, Pausen zu machen, weil so viele Leute das Bedürfnis hatten, von mir Bewerbungsunterlagen erstellt zu bekommen. Auch heute ist der Terminkalender wieder gut gefüllt. Der dritte Termin des Tages geht an Agatha. Sie ist etwas älter als ich und ich habe sofort das Gefühl, dass ich ihr sympathisch bin. Abgesehen davon, dass ich in Wahrheit nur selten sympathisch bin, verläuft der Termin recht normal. Sie redet auf mich ein, während ich ihre Bewerbungsunterlagen erstelle und weil ich nicht wirklich zwei Dinge zugleich tun kann, konzentriere ich mich auf die Bewerbung und tue an den passenden Stellen so, als würde ich ihr konzentriert zuhören. Ab und zu mal ein Kopfnicken, ein kleiner Kommentar und Agatha fühlt sich wohl. Nachdem ihre Unterlagen erstellt sind und sie zufrieden ist, habe ich noch eine halbe Stunde Zeit bis zum nächsten Termin. Die Zeit möchte ich nutzen, um eine Kleinigkeit zu essen. Ich warte nur noch darauf, dass Agatha das Büro verlässt. Sie ist schon fast so weit, als sie mich fragt, ob sie mir eine Geschichte, die ich sicher so noch nie gehört habe, erzählen darf. Wenn etwas so anfängt, dann kann es nicht gut werden. Doch weil ich ein gelegentlich sympathischer Mann bin, gebe ich mich interessiert und bin gespannt, was sie zu erzählen hat. Und schon geht es los. Agatha gesteht mir, dass sie über zehn Jahre ein Verhältnis mit dem Mann ihrer Schwester hatte. Ihre Schwester, so sagt sie, ist etwas zurückgeblieben und der Mann nur noch bei ihr, weil die Schwester alleine nicht lebensfähig ist. Ich frage mich, ob ich in einer dieser nachmittäglichen Sendungen auf RTL oder RTL2 gelandet bin. Da gibt es auch immer so abstruse Geschichten. Da allerdings kann ich wegschalten. Hier geht das nicht. Nun gesteht mir Agatha etwas, was sie noch nie jemandem erzählt hat und was auch niemand in ihrer Familie wissen darf, weil sie sonst verstoßen würde. Sie hat nämlich ein Kind mit dem Mann ihrer Schwester. Dieses Kind ist zwar etwas zurückgeblieben, aber sie hofft, dass es eines Tages in der Lage sein wird, alleine und selbständig zu leben. Dafür tut sie alles. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, dass ich nun Dinge weiß, die sonst angeblich keiner weiß. Ihre Schwester hat auch ein Kind mit dem Mann. Das nimmt ihr Agatha aber nicht übel. Dem Mann auch nicht, weil es ja seine Frau ist. Sie versteht nur nicht, wieso der Mann sich nicht trennen will, weshalb sie einen Schlussstrich unter die Beziehung gezogen hat. Der Mann geht zwar noch davon aus, dass sie ihre Meinung irgendwann ändert, aber sie sagt, das werde nie geschehen. Und ich frage mich, womit ich es verdient habe, dass sie mir ihr Herz ausschüttet. Ich bin doch kein Pfarrer und auch nicht ihr Beichtvater. Ich bin nur ein ehrenamtlich tätiger Arbeitsloser, dem aus unerklärlichen Gründen die Leute Sachen anvertrauen, die ihn gar nichts angehen. Und ich will das auch nicht wissen. Wenn mich so etwas interessieren würde, würde ich den ganzen Tag diese Sendungen im TV gucken. Agatha ist nun irgendwie stolz auf sich und stellt mir eine Frage, die ebenso eine Aussage sein kann. „So etwas haben Sie noch nicht gehört?“ Darauf kann ich nicht viel antworten außer „Nein“, weil ich so etwas wirklich noch nicht gehört habe. Außer im Fernsehen, aber das zählt nicht. Wie kommt man nur auf die Idee, so etwas einem Fremden zu erzählen? Und macht uns das jetzt zu Verbündeten? Verbindet uns das nun bis zum Ende unseres Daseins? Und wenn ja, auf welche Weise und warum? Und wie viele Geschichten wird mir Agatha noch erzählen? Für heute ist sie jedenfalls fertig und verabschiedet sich von mir. Dabei wirkt sie irgendwie glücklich, eventuell sogar befreit. Vielleicht hat es ihr gut getan, den ganzen Ballast mal loszuwerden. Vielleicht bin ich doch nicht so unsympathisch, wie ich immer denke, denn ich habe konzentriert bis zum Ende zugehört und keine blöden Kommentare dazu abgegeben. Vielleicht wird doch noch etwas aus mir. Aber was?
Ehrenamt – Tim und Tom
Ich weiß noch gar nicht, was ich von Agathas Auftritt halten soll, da stürmen Tim und Tom mein Büro. Blitzschnell muss ich mich auf die beiden und ihr Temperament einstellen. Beide wollen bei IKEA arbeiten und ich soll ihnen bei den Bewerbungen helfen. Tim hat seine Bewerbungsunterlagen dabei. Ich soll sie nur mal überprüfen und verbessern. Ihm fehlt das Bewerbungsfoto, doch das wollen die beiden gleich hier mit der Kamera des Mobiltelefons machen. Tom hat ein Bewerbungsfoto dabei, aber beim Rest hapert es. Die beiden reden viel und schnell und sind der Meinung, dass wir uns duzen sollen. Die Stimmung ist ausgelassen fröhlich. Die Stimmung von Tim und Tom. Ich passe mich nur soweit an, dass es stimmig wirkt. Jetzt wo wir uns duzen sind wir wohl sowas wie Kumpel für den Augenblick. Toms Bewerbung ist anders. Die förmliche Anrede wurde durch Du und Ihr ersetzt. Weil IKEA das so möchte und man so mit denen redet. Mir soll es recht sein. Ausbruch aus dem Einheitseinerlei. Ich ändere ein paar Sätze, Tom macht ein paar Fotos von Tim, wir wählen ein passendes aus und fertig ist die Bewerbung von meinem Kumpel Tim. Tim riecht übrigens irgendwie nach Alkohol. Ob er gestern gefeiert hat oder sich heute zum Frühstück etwas gegönnt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber vielleicht ist er deshalb so überschwänglich und zuversichtlich. Tom ist etwas weniger aufgekratzt als Tim und weniger gut vorbereitet, weshalb es etwas länger dauert, seine Bewerbung zu erstellen. Während ich an der Bewerbung arbeite, sind die beiden ausgelassen und voller Elan. Sie erzählen sich, oder mir, wie geil es wäre, wenn es bei IKEA klappt. Denn bei IKEA sind Arbeitsbedingungen und Bezahlung viel besser als woanders. Das wissen sie, weil ein Kumpel von ihnen da arbeitet. Echte Kumpeltypen sind die beiden und herrlich unkonventionell. Und ich bin ihr talentierter neuer Kumpel, der gerade noch als Beichtvater tätig war. Innerhalb weniger Minuten bin ich in eine völlig neue Rolle geschlüpft. Auch wenn mir diese ausgelassene Stimmung zu viel ist und ich es eher beschaulich und ruhig mag, fülle ich meine Rolle prima aus. Und ich wette, dass ich dabei sympathisch rüberkomme. Nachdem die Bewerbungsunterlagen erstellt sind, verabschieden sich die beiden aufgedrehten Jungs und ich wünsche ihnen und mir, dass die Bewerbungen zum Erfolg führen werden. Als was werde ich wohl als nächstes gebraucht?
Ehrenamt – Hani
Kaum sind meine Kumpel auf Zeit weg, folgt der letzte Termin des Tages. Hani braucht Hilfe. Hani kommt schon seit Jahren her und es gelingt mir einfach nicht, ihm eine erfolgreiche Bewerbung zu erstellen, die ihm einen Job bringt. Vielleicht liegt es aber auch an Hani, dass er keinen Job findet. Hani ist über 50 und hat aus gesundheitlichen Gründen einige Einschränkungen. Hani ist ein lieber Kerl und hat heute ein paar Adressen mit, wo er sich bewerben will. Mein größtes Problem ist, dass Hani nicht so gut deutsch kann und dazu noch leise und meiner Meinung nach undeutlich spricht. Darum gestaltet sich die Kommunikation recht schwierig. Ich frage häufig nach und weiß dennoch oft nicht, was Hani möchte. Also nicke ich ab und zu oder sage etwas, wovon ich glaube, dass es jetzt passt. Hani ist dann immer dankbar und scheint mich auch zu mögen, weil er heute nach Sachen fragt, die nichts mit dem Termin zu tun haben. So beantworte ich seine persönlichen Fragen an mich und es scheint so, als würde ich einen neuen Freund gewinnen. Wenn ich ihm schon nicht helfen kann, dann kann ich ihm wenigstens das Gefühl vermitteln, dass er nicht alleine ist und ernst genommen wird. Ich kann echt gut mit Leuten umgehen, die es nicht unbedingt leicht haben. Hani ist jedenfalls glücklich und möchte schon in zwei Wochen wiederkommen, damit ich ihm aus dem Internet ein paar Stellenangebote aussuche, um ihm dann weitere Bewerbungen zu schreiben. Ich glaube nicht, dass ihm das mit den Bewerbungen wirklich etwas bringt, aber ich denke, dass er sich hier gut aufgehoben und verstanden fühlt. Und das ist besser als gar nichts. Ich bin längst zu einer Anlaufstelle für Menschen geworden, die einfach mal jemanden brauchen, der ihnen zuhört und ein gutes Gefühl vermittelt. Und nebenbei schreibe ich Bewerbungen. Wenn das so weitergeht, werde ich mir irgendwann auch noch sympathisch. Vielleicht sollte ich mir auch mal Bewerbungen schreiben.
Ehrenamt – Missionen erfüllt
Zum ersten Mal seit langer Zeit betrete ich das Büro nicht als Leiter, sondern als zusätzliche Kraft. Auf dem Platz, den ich sonst immer einnahm, sitzt die neue Kollegin. Alles gehört nun ihr. Und alles wird nach und nach eine neue Ordnung bekommen. Ich sitze von nun an an einem anderen Platz und fühle mich direkt fehl am Platz, denn eigentlich gibt es hier nichts mehr für mich zu tun. Vier Monate habe ich alleine gearbeitet, nun gibt es wieder eine Vollzeitkraft, die den Job erledigt. Fast wie damals, als die Bürgerarbeiterin mit mir den Laden geschmissen hat, aber doch ganz anders. Der Blick in den Terminkalender zeigt mir, dass es hier für mich heute nichts zu tun gibt. Ich könnte auf der Stelle wegrationalisiert werden und keiner würde es merken. Meine Mission, den Laden so lange zu leiten, bis jemand gefunden ist, der ihn weiterführt, ist erfüllt. Was kann ich jetzt noch tun, was mein Ehrenamt rechtfertigt? Ich sitze auf dem Bürostuhl, esse ein paar Pizzabrötchen und frage mich, was nun aus mir wird, als eine etwas verrückte Kundin das Büro betritt. Weil sie mich kennt, setzt sie sich zu mir, statt zu der neuen Mitarbeiterin, und klagt mir ihr Leid. Sie hat ihre Bewerbungsunterlagen auf einem USB-Stick gespeichert und behauptet nun, dass die Daten beim letzten Mal, als sie hier war, an bzw. von unserem PC zerstört wurden. Angeblich machte der PC ein Update und anschließend waren alle ihre Daten zerstört. In der Tat ist auf dem USB-Stick nichts mehr lesbar. Ich rate der Frau, den Stick zu entsorgen. Weil ich weiß, dass die Frau alle ihre Bewerbungen per Mail verschickt hat, gehe ich davon aus, dass in ihrem Mailpostfach alle Mails noch gespeichert sind. Doch weil die gute Frau nicht ganz frisch im Oberstübchen ist, hat sie alle Mails gelöscht. Und weil Klaudia, so heißt die Frau, natürlich unschuldig ist, ist sie nun bestürzt, weil ihre Bewerbungen echt toll waren und nun verschwunden sind. Wie es sich für eine etwas durchgeknallte Person gehört, scheint sie mich aber zu mögen, denn immerhin kann ich ihr eine Bewerbung und ihren Lebenslauf retten. Außerdem bin ich ein scheinbar aufmerksamer Mensch, der ihr zuhört und Verständnis zeigt. Dabei bin ich total genervt von ihr. Bevor sie wieder auf dumme Gedanken kommt, sage ich ihr, dass sie nie wieder unseren PC benutzen darf und empfehle ihr, dass sie uns erlaubt, ihre Bewerbungen in Zukunft hier zu speichern. Nur für den Fall, dass mal wieder alles auf mysteriöse Weise zerstört wird bei ihr. Zu meiner Überraschung ist sie einverstanden und möchte gleich noch einen neuen Termin, um weitere Bewerbungen, die sie zu Hause vorbereiten will, zu erstellen. Den Termin überlasse ich der neuen Mitarbeiterin, weil ich die Mission Klaudia als erfüllt ansehe und genug von ihr habe.
Zwei weitere Stunden vergehen, in denen ich einfach nur da bin. Dann erscheint eine Frau ohne Termin, um sich einen Termin geben zu lassen. Weil ich gerade nichts zu tun habe, findet der Termin sofort statt. Die Frau ist sehr unzufrieden mit dem Jobcenter und den angebotenen Jobs, die nicht zu ihr passen. Ich sage ihr, dass sie sich nicht aufregen und brav die Bewerbungen schreiben soll. Das überzeugt sie scheinbar, denn nun möchte sie jede Woche herkommen, um sich Bewerbungen schreiben zu lassen. Ich kann echt voll gut mit unzufriedenen Frauen umgehen. Mission unzufriedene Frau erfüllt.
Während die neue Mitarbeiterin Bewerbungen schreibt, suche ich nach einem Job für mich und finde drei Stellenangebote, auf die ich mich bewerben will, doch nur eines der Angebote interessiert mich tatsächlich. Aber das ist nicht wichtig. Meine Mission, mich regelmäßig zu bewerben, habe ich für heute auch abgeschlossen. Wenig später bekommen wir ein neues Türschild. Dort steht unter dem Namen der neuen Mitarbeiterin auch mein Name. Das ist fast so, als würde man mich zum Ritter schlagen oder mir einen Orden verleihen. Vierundvierzig Jahre musste ich auf so einen Moment warten. Nun ist es vollbracht. Die Mission Türschild ist erfüllt.
Da ich davon ausgehe, dass es nicht besser werden kann und ich diesen Monat schon genug Stunden zusammen habe, beende ich meinen Arbeits- und Missionstag um 15.30 Uhr und fahre zum Jobcenter, um dort meinen Antrag auf ALG II abzugeben, um auch in Zukunft nicht mittellos zu sein. Das ist meine letzte erfüllte Aufgabe des Tages. Ich bin wahrlich ein erfolgreicher Mann. Oder ein Missionar. Oder auch beides.
Was stinkt hier so?
Während ich mir ein paar Eier brate, habe ich das Gefühl, dass es in meiner Wohnung nach Aschenbecher riecht. Weil aber alle Fenster geschlossen sind, ich alleine in meiner Wohnung und seit meiner Geburt Nichtraucher bin, vermute ich, dass ich mir den Gestank nur einbilde. Nachdem die Eier gebraten sind, setze ich mich, um zu essen. Es riecht, als würde ein gefüllter Aschenbecher neben mir stehen und mein Essen schmeckt mir nicht. Aus dem Flur vernehme ich Geräusche und dann fällt mir ein, was der Grund für den Gestank sein wird. Der Nachbar unter mir zieht heute aus und seine Wohnung wird gerade ausgeräumt. Deshalb ist seine Wohnungstür geöffnet und der Gestank aus der Wohnung kann ungehindert alles verstinken. Ich gehe in den Flur, um das Flurfenster zu öffnen. Der Gestank bringt mich fast um. Es ist, als würde ich durch einen vollen Aschenbecher wandern. Zurück in meiner Wohnung öffne ich zwei Fenster. Es ist zwar furchtbar kalt, aber ich habe keine Wahl. Wie kann jemand nur in so einem Gestank leben? Ich mag den Nachbarn unter mir ja, aber das ist absolut krank. Ich bin froh, dass er die Tür sonst nie lange geöffnet hatte, denn sonst hätte ich mich über ihn beschweren müssen. Ich will nämlich nicht in so einem Gestank leben. Das ist eine Zumutung. Ich fand Raucher ja schon immer etwas behindert, aber das ist die Krönung. Wie kann man so bekloppt im Kopf sein, dass man so einen Gestank in Kauf nimmt? Wieso kauft man sich Abgase, nichts anderes ist Zigarettenqualm, und pumpt sich damit voll? Wie blöd muss man sein, dafür Geld auszugeben? Und wieso muss ich unter dieser Sucht leiden? Sollte die stinkende Wohnung je wieder vermietet werden, was ich derzeit wegen des Geruchs ausschließe, dann hoffentlich an einen Nichtraucher oder eine Nichtraucherin. Aber vermutlich wird die Wohnung nur an eine Person zu vermieten sein, die raucht. Eine andere Person wird sich das sicher nicht antun. Es wird vermutlich Wochen oder gar Monate dauern, bis der Gestank weg ist. Sicher müssen alle Tapeten entfernt und alle Wände irgendwie behandelt werden, damit die Wohnung wieder bewohnbar wird. Raucher sind echt abartig und können definitiv nicht richtig im Kopf sein.
Ehrenamt – Rauchende Kollegin
In dem Gebäude, in dem sich das Büro mit meinem Namen auf dem Türschild befindet, rauchen viele Menschen. Oft stehen sie vor dem Gebäude, um sich ihrer Sucht hinzugeben. Weil mir diese Sucht mehr als unsympathisch ist, finde ich es durchaus lächerlich, wenn ich die Menschen vor dem Gebäude rauchen sehe. Vor allem bei Temperaturen um 0 Grad. Weil ich mein Büro nicht mit ihnen teilen muss, schenke ich ihnen aber nur wenig Beachtung. Bei meiner neuen Kollegin allerdings verhält es sich anders, denn wir teilen uns ein Büro. Es gibt ja Raucher und Raucherinnen, da merkt man es nicht sofort, dass sie rauchen und man riecht es meist auch nicht. Bei meiner Kollegin ist es allerdings nicht so. Ihre Kleidung riecht nach Aschenbecher, sie riecht nach Aschenbecher. Und diesen Duft verströmt sie ungeniert im ganzen Büro. Und dummerweise riecht das Büro auch so, obwohl sie nicht darin raucht. Bisher haben nur Kunden so gestunken und die Luft im Büro versaut. Doch die gingen meist schnell wieder, ich konnte lüften und die Ordnung war wiederhergestellt. Die Kollegin geht leider nicht wieder. Sie ist da, wenn ich das Büro betrete und auch, wenn ich es verlasse. Und so kann der Gestank herrlich alle Poren des Büros verschließen. Ich bin echt dafür, rauchende Personen von nicht rauchenden Personen zu trennen, so wäre ich diesem Wahnsinn nicht mehr ausgesetzt. Aber leider ist das in dieser Welt nicht möglich und so muss ich weiter leiden und die Geruchsbelästigungen ertragen. Ich glaube, es ist Zeit, dass ich mich ehrenamtlich neu orientiere.
Rotzi
Vor mir geht ein Mann. Er trägt eine rote Windjacke, die alles andere als sauber ist. Dazu eine schwarze Hose, möglicherweise Skihose, die ebenfalls alles andere als gepflegt wirkt. Weil das hier im Ort aber nicht so außergewöhnlich ist, beachte ich ihn nicht weiter. Er ist einer unter vielen. Ich träume gerade so vor mich hin, da klatscht er spontan rhythmisch in die Hände. Vermutlich hat er gute Laune. Nun winkt er fröhlich. Es ist nur niemand da, dem er winkt. Vielleicht ist er ein lustiger und freundlicher Mensch, der gerade gute Laune hat. Oder er ist irgendwie gestört. Ein fröhlicher Gestörter vielleicht. Wenige Meter weiter hält er sich ein Nasenloch zu und rotzt den Schnodder aus dem anderen Nasenloch in die Hecke zu seiner rechten Seite. Dann wechselt er die Seiten, dreht sich dabei weit nach hinten, so dass ich direkt sehen darf, wie er den Schnodder aus seiner Nase abschießt. Er bemerkt mich und schaut mich an. Missbilligend und angewidert gucke ich direkt in sein Rotznasengesicht. Er dreht sich um, nimmt sich ein Taschentuch und wischt seine Rotznase ab. Dann wechselt er die Straßenseite. Während er das tut, murmelt er etwas, das ich nicht verstehen kann. Ich frage mich, wie man nur auf die Idee kommen kann, seinen Rotz auf diese Art und Weise durch die Gegend zu schleudern. Das ist ekelerregend.
Der Mann in Weiß
Es gibt hier im Ort einen Mann, der gern Hut trägt und gelegentlich mit ausgebreiteten Armen irgendwelche Dinge brüllt. Mal schreit er „Jetzt komme ich!“, dann schreit er „Ich bin da!“ Manchmal erzählt er den Leuten irgendwelche Geschichten, manchmal wirkt er zornig und schimpft mit irgendwem. Wenn er nicht gerade mit ausgebreiteten Armen unterwegs ist oder Leute beschimpft, ist er regelrecht freundlich. Sein Verhalten wird allerdings in letzter Zeit immer absonderlicher. Und so reicht es ihm nun scheinbar nicht mehr, seine Arme einfach so auszubreiten. Und wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre es durchaus lustig, wie er sich heute präsentiert. In der linken Hand trägt er eine Plastiktasche und in der rechten einen weißen Stoffhasen. Er breitet die Arme aus, brüllt etwas und sieht dabei wirklich witzig aus. Ich weiß nicht, ob er möglicherweise sogar gefährlich ist, aber in seinem weißen Leinenanzug, mit seinem weißen Stoffhasen und dem weißen Hut, sieht er irgendwie putzig und fast zum gernhaben aus. Aber leider ist sein Zustand weder putzig noch zum gern haben und ich wechsle vorsichtshalber die Straßenseite, weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich ihm in so einem Zustand zu nahe komme. Menschen sind echt komische Wesen.