Mittelaltermarkt
Damit ich in Übung bleibe, gehe ich am Sonntag mit meinem Vater auf den Mittelaltermarkt in Mengede. Ich bin zwar kein Freund des Mittelalters und habe auch keine Ahnung, was an dem Markt so toll sein soll, will aber sehen, was es da so gibt. Und was es gibt, ist viel. Vielleicht ist es auch nur viel Rauch um Nichts, denn die Luft ist alles andere als gut. Überall brennt irgendwas. Dazu verkleidete Menschen, wohin das Auge sehen kann. Sie sitzen, stehen oder bewegen sich überall auf dem Markt. Manche schlafen auf dem Boden, andere kämpfen. Ich verstehe den Sinn nicht. Das ist wie Karneval mit Themenvorgabe. Karneval finde ich doof. Allerdings gibt es hier keine übertriebene Fröhlichkeit und es scheint weniger Alkohol als an Karneval zu fließen. Dafür gibt es Bratwurst vom Grill. Gab es im Mittelalter auch Bratwurst? Was es mit Sicherheit nicht gab, sind Marlboro Zigaretten. Deshalb finde ich es befremdlich, dass einige dieser verkleideten Menschen rauchend auf einer Bank sitzen. So genau scheinen sie es mit dem Mittelalter dann doch nicht zu nehmen. Erstaunlich viele Menschen, verkleidet und nicht verkleidet, tummeln sich hier. Bei denen, die verkleidet sind und auf dem Platz zu wohnen scheinen, frage ich mich, was das soll. Ich verstehe deren Fetisch so absolut nicht. Was ist daran so toll, sich so zu verkleiden und so zu tun, als lebte man im Mittelalter? Mit denen stimmt bestimmt etwas nicht. Da aber mit den meisten Menschen etwas nicht stimmt, ist es vermutlich irgendwie normal, weshalb ich mir keine weiteren Gedanken mache. Wozu auch? Bringt ja nichts. Wir haben jedenfalls genug gesehen und verabschieden uns.
Weil es noch früh am Tag ist, fahren wir nach Lünen, um dort über die Kirmes zu wandern. Nach einer etwas längeren Parkplatzsuche befinden wir uns in einer großen Menschenmenge. Es ist nämlich nicht nur Kirmes, sondern auch verkaufsoffener Sonntag. Schön ist das nicht. Aber es gibt schlimmeres, weshalb ich mich nicht weiter aufrege, sondern einfach mit der Masse durch die Stadt schwimme. Fast wie in einem Zombiefilm. Teilweise auch optisch.
Ein alter Bekannter
Es muss Jahre her sein, als ich Sören zuletzt gesehen habe. Zumindest aus so kurzer Entfernung. Und hier bei Penny an der Kasse hätte ich ihn wirklich nicht erwartet. Als ich ihn, der von einer jungen, blonden Frau begleitet wird, sehe, sage ich zu Manni:“Den kenne ich, das ist Sören.“ Interessanterweise überhört, oder soll ich sagen ignoriert, Sören, der fast direkt vor mir steht, meine Ansage. Konsequent dreht er sich nicht mehr um und übersieht uns mit einer Konsequenz, die fast schon meisterlich ist. Vermutlich will er einfach nichts mit uns zu tun haben, obwohl wir zusammen die Schulbank gedrückt und so manchen Ausflug gemeinsam unternommen haben. Doch das ist ewig her. Sören gibt seiner Begleiterin seinen Autoschlüssel, bittet diese, schon mal den Wagen aufzuschließen, bezahlt, ignoriert uns weiter und verlässt den Laden. Manni findet das mehr als peinlich, lächerlich geradezu. Von einem Mann über vierzig erwartet er mehr, als sich wegzudrehen und mit rotem Kopf seine alten Bekannten zu ignorieren. Manni kann sich kaum beruhigen über das Verhalten von Sören. Ich rege mich nicht auf, weil ich vermutlich nicht sonderlich überrascht bin. Überrascht bin ich eher, dass Sören hier im Penny einkauft. Aber letztlich ist auch das unwichtig, weil Sören eben Sören ist.
3D
Es ist mehr als vier Jahre her, dass ich den ersten 3D-Film im Kino sah. Avatar. Meine Begeisterung für 3D hielt sich seitdem in Grenzen und meine Hoffnung, dass der 3D-Wahnsinn im Kino bleibt, wurde nicht erfüllt. Meine Begeisterung für 3D Filme ist weiter gemäßigt. Ganz nett, aber ich liebe es eher Zweidimensional, was vielleicht daran liegt, dass ich eher Eindimensional bin. Umso verwunderlicher ist es, dass ich beim Kauf meines neuen TV-Gerätes darauf achte, dass es 3D-fähig ist. Ein krasser Widerspruch zu meiner Einstellung zu 3D. Möglicherweise leide ich unter fortgeschrittener Ambivalenz. Und so bin ich nun gespannt, wie es sein wird, wenn ich zum ersten Mal einen 3D-Film auf meinem eigenen Fernseher sehen werde und ob ich mir eines Tages einen 3D-Film kaufen werde. Manchmal gerät mein Leben wirklich total aus dem Gleichgewicht.
Mircos nächste Unverschämtheit
Es ist auch weiter nicht nachvollziehbar, was in Mircos Kopf so vorgeht. Denn obwohl seine ganzen sinnfreien Schreiben unbeantwortet bleiben, schreibt er in regelmäßigen Abständen weiter. Der Schwachsinn, den er von sich gibt, wird allerdings nie weniger. Seine Beziehung scheint ihn jedenfalls nicht auszufüllen, sonst würde er auf solche schwachsinnigen Anschrieben verzichten. Du solltest auf Deine Wirkung nach aussen achten!!! Weil dein einfältiger frohsinn auch immer etwas minderbemittelt wirken kann….dein zwanghaft stralendes Gemuet wirkt auf andere eventuell künstlich….ist nur lieb gemeint….gruß Mirco
Vor zwei Jahren oder so, schrieb er noch, wie verliebt er in Agnes ist. Nachdem seine Liebe nicht erwidert wurde, ist er dazu übergegangen Beleidigungen abzusondern. Das ist nicht nur ein wenig abartig, es ist lächerlich und zeigt seinen wahren Charakter. Und wer so einen Charakter hat, sollte eigentlich in einem Käfig gehalten werden und nicht die Erlaubnis haben, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Doch leider ist Käfighaltung, zumindest bei Menschen, verboten und so wird das Prachtexemplar eines unnützen Mannes auch weiterhin seinen Müll absondern.
Erste Erkältung des Jahres
Der Monat Juni neigt sich langsam dem Ende entgegen. Die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien läuft und das Wetter ist Wischiwaschi. Ich schlafe zu wenig und entspanne nie wirklich. Logische Folge ist, dass mein Körper selbst dafür sorgt, dass ich endlich mal Pause mache. Er tut dies, wie auch schon im letzten Jahr, dadurch, dass er mir eine Erkältung schenkt, denn mit so einer Erkältung schränke ich meine unentspannten Phasen ein und schlafe mehr. Mein Körper ist klüger als ich. Wäre ich nämlich klüger, hätte ich schon früher auf meinen Körper gehört, der ja immer mal angezeigt hat, dass ich mal richtig und bewusst entspannen muss. Doch leider bin ich immer wieder aufs Neue erst hinterher schlauer und nehme mir erst jetzt, wo ich keine Wahl habe, die Zeit, die ich brauche. Dumm nur, dass ich meine Erkältungen mit vielen Mitteln zu unterstützen pflege. So habe ich wieder Ausgaben, die ich mir, ebenso wie die Erkältung, hätte sparen können. Schön blöd und einfach unbelehrbar.
Im Gegensatz zur letzten Erkältung scheint diese mehr Energie zu haben, denn am Nachmittag habe ich keine Energie mehr und will nur noch liegen. Außerdem brauche ich eine Ibuprofen, weil mir Kopf und Nacken weh tun. Dazu fahre ich meine üblichen Schnupfenmittel auf. Anfokali, Soledum, Engystol, japanisches Heilpflanzenöl zum Inhalieren. Nasenspülungen dürfen auch nicht fehlen, ebenso diverse Erkältungstees. Am Abend steht dann trotzdem fest, dass das nicht reicht. Meine Armada gegen die Erkältung ist chancenlos und ich habe Schüttelfrost. Erst die Wärmflasche bringt etwas Wärme in meinen geschwächten Körper. Weil Agnes immer gut auf mich aufpasst, bringt sie mich dazu, Fieber zu messen. Allerdings protestiere ich zunächst vehement, weil das Fieberthermometer im Bad ist und ich das Bett nicht mehr verlassen mag. Letztlich füge ich mich aber und hole es. 38,2. Nicht hoch, für mich aber bemerkenswert, weil ich gewöhnlich auf erhöhte Temperaturen komplett verzichte. Agnes fordert mich auf, eine Ibuprofen zu nehmen. Da sie immer recht hat und weiß, was gut für mich ist, mache ich das. Nach einer Weile ist mir so warm, dass ich die beiden Decken, die ich extra um mich gewickelt habe, entfernen muss. Ich schlafe, wache auf, schlafe ein. Gegen 04.30 Uhr denke ich, dass ich aufstehen muss, weil es so hell ist und ich mich wach fühle. Der Husten ist stärker und ich glaube, dass ich ersticken muss. Wobei der Husten nicht so stark ist, dass der normale Durchschnittsbürger, dem es ähnlich geht, so etwas denken würde. Diese Panik ist mir vorbehalten. Ich stehe auf, wandere umher und entscheide, dass ich Wasser für die Wärmflasche kochen muss. Während das Wasser kocht, durchsuche ich meinen Medizinschrank nach einem Hustenmittel, finde aber keins. Da werde ich mir später wohl eins kaufen müssen. Mit der Wärmflasche geht es zurück ins Bett. Und kaum liegt diese auf meinem Brustkorb, geht es mir besser. In Zukunft bei Husten immer eine Wärmflasche auf den Brustkorb legen. Das macht Sinn und ich schlafe tatsächlich wieder ein. Gegen 08.30 Uhr stehe ich auf, nehme Anfokali, mache eine Nasenspülung und gönne mir einen Husten- und Bronchialtee. Da der Tee zur Neige geht, muss ich gleich in der Apotheke neuen besorgen. Und Orangen. Frisch gepresster Orangensaft kann sicher nicht schaden.
In der Apotheke besorge ich mir Husten- und Bronchialtee, Ibuprofen und Bronchipret Elixir. Fast vierzehn Euro kostet der Spaß und ich hoffe, dass dadurch meine Beschwerden gelindert werden. Aus der Nase läuft gelber Schleim, grünen Schleim huste ich. Ich telefoniere mit Agnes, inhaliere und mache mein Müsli. Anschließend muss ich schlafen. Erst als mein Vater gegen 11.30 Uhr zu mir kommt, stehe ich auf. Ich will einkaufen, doch mein Vater nimmt es mir ab. Ich spüle und bin anschließend total platt. Meine Arme bekomme ich kaum hoch und meine Beine sind wie Pudding. Ich will Fieber messen, zerstöre dabei das Thermometer, als ich es mit meiner rechten Hand gegen die linke schlage. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich eine Erkältung jemals so ausgezehrt hat. Ich will nur noch schlafen, schlafen, schlafen. Dumm nur, dass ich im Schlaf weder meine Medikamente nehmen noch etwas trinken kann. So mache ich mir einen Tee und fange an zu frieren. Der Tag ist echt hart. Den Tee trinke ich nicht, weil ich schlafen muss. Als mein Vater mir die Einkäufe bringt, stehe ich wieder auf, um kurz danach wieder zu schlafen. Temperatur 38,6. Später versuche ich eine Suppe zu essen. Mein Körper will aber nicht essen, also schlafe ich wieder. Das geht den ganzen Tag so, ich stehe kurz auf, muss mich dann wieder hinlegen. Am Abend ziehe ich vom Bett aufs Sofa, wo ich weiter schlafe. Ist das nun ein besonders heftiger Virus oder bin ich jetzt in einem Alter, wo eine Erkältung mich völlig lahmlegt? Nach 22.00 Uhr wird mir wieder kalt. Wärmflasche und Decke bringen mich durch das Fußballspiel, dann muss ich ins Bett und schlafe rasch ein.
Gegen 3.30 Uhr wache ich auf, weil mir kalt ist. Ich nehme eine Ibuprofen, mache neues Wasser für die Wärmflasche und kann mit warmer Wärmflasche wieder schlafen. Gegen 07.30 Uhr wache ich völlig durchgeschwitzt auf, fühle mich aber etwas besser, dusche, frühstücke und plane den Tag, bis ich gegen 10.00 Uhr so müde werde, dass ich mich hinlegen muss. Erst gegen 12.30 Uhr schaffe ich es aufzustehen und mir etwas zu essen zu machen. Meine Kopfschmerzen werden schlimmer. Was ist das nur für eine abartige Erkältung?
Den Nachmittag verschlafe ich größtenteils. Ansonsten ist die Erkältung wohl ganz normal. Das Fieber ist weg und Husten und Schnupfen halten sich in einem erträglichen Rahmen. Ich nehme weiter meine Medizin und stelle fest, dass die Erkältung schon fast so etwas wie ein Event ist, denn sie bringt Abwechslung in mein Leben. Endlich passiert mal etwas, was nicht alltäglich ist. Was mir nie gelingt, mal etwas anderes zu erleben, gelingt mit Erkältung leicht. Ich habe etwas, worüber ich reden kann, es passiert etwas nicht Alltägliches und mein Leben ist plötzlich ausgefüllt. Und ich schlafe viel besser. Irgendwie entspannter. Ich fürchte, ich bin nicht normal.
In der Nacht schlafe ich mit der Wärmflasche in meinen Armen. Als ich gegen 05.00 Uhr aufwache, ist die Wärmflasche etwas zu kühl. Ich koche neues Wasser, fülle die Wärmflasche und schlafe mit ihr im Arm selig ein. Ich glaube, diese Wärmflasche beruhigt mich sehr. Und tut mir gut. Vielleicht sollte ich auch nach der Erkältung daran festhalten, mit Wärmflasche zu schlafen. Gegen 09.00 Uhr stehe ich auf, nehme meine Medizin, mache eine Nasenspülung, trinke Tee und frage mich, wann ich endlich wieder so fit bin, dass ich Sport machen kann, um meine verspannte Muskulatur zu trainieren. Dem Auswurf nach zu urteilen, dürfte das noch ein paar Tage dauern. Verdammt. Ich gehe kurz rüber zur Post und bin anschließend etwas erschöpft. Zwei Stunden nach dem Aufstehen bin ich so schlapp, dass ich mich hinlegen und schlafen muss. Welche Seuche hat mich nur heimgesucht? Den Rest des Tages fühle ich mich besser als am Vortag, ohne mich allerdings gut zu fühlen. Meine Nase schmerzt immer mehr und es tut doch arg weh, sie zu putzen. Ich friere weniger und gehe am Nachmittag sogar kurz bei Penny einkaufen. Allerdings muss ich weiter den Fahrstuhl nutzen, um hoch zu meiner Wohnung zu gelangen.
Am Abend sehe ich die erste Blu Ray auf meinem neuen 55 Zoll TV, den mir mein Vater zu Beginn der WM geschenkt hat. Einen schlechteren Film als The Councelor hätte ich mir kaum aussuchen können für diese Premiere. Nach dem Film denke ich, wie schon so oft im Laufe des Tages, nach. Ich habe ziemlich viel. Eine kleine Wohnung, einen Mercedes usw. Vom Materiellen bin ich für einen Arbeitslosen top ausgestattet. Sicherlich habe ich wenig zu all meinem Besitz beigetragen, abgesehen von meiner Sparsamkeit, aber dennoch sollte ich zufriedener sein. Das ist schon eine Art Luxus, den ich hier lebe. Ich wurde vielleicht zu sehr verwöhnt und habe deshalb nie mehr getan, nix gemacht aus meinem Leben. Doch das erscheint zu einfach. Ohne die Unterstützung meiner Eltern, meines Onkels, Freundinnen und anderen wäre das sicher nicht möglich, aber vermutlich hätte ich mir auch so keinen Job gesucht und eben einfach bescheidener gelebt. Ich denke, dass mein Problem mit einer beruflichen Tätigkeit tief in mir verwurzelt ist. 80% Faulheit, 20% Abneigung gegen ein normales Arbeitsverhältnis. Vielleicht auch andere Gründe, die mir gerade nicht einfallen. So eine Zwangspause intensiviert Gedankengänge, die sich sonst schnell abwürgen lassen. Weitere Gedanken folgen. Der Ort hier ist mir zu klein, meine Wohnung ist es auch. Raus muss ich, weg von hier. Ein zwei Nächte in einer anderen Stadt verbringen. Spontan. Noch kann ich es mir leisten. Besser wird es nicht. Wenn nicht jetzt, wann dann? Gute Frage. Verschieben lässt es sich leicht, aber irgendwann ist kein Platz mehr zum verschieben. Und dann? Nein, ich muss raus. Vielleicht ans Meer. Nicht an den Strand. Nur die unendliche Weite des Meeres sehen, spüren, riechen. Beobachten. Mit wem? Warum nicht allein? Den Kopf frei kriegen, entspannen und auch spannen. Warum auch nicht? Die Zeit wartet nicht auf mich, sie vergeht. Ich muss es nicht nur planen, was ich seit Jahren tue, ich muss es machen. Und da haben wir das Problem. Aktiv sein. Ausbrechen. Nichts für mich. So dreht sich das Gedankenkarussell weiter und weiter. Ich würde es gerne aufs Fieber schieben, doch ich habe kein Fieber. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Längst bin ich im Bett und schlafe wenig später ein. Wieder einmal träume ich, dass ich verfolgt werde, in die Enge getrieben, es keine Chance zur Flucht gibt. Meine Verfolger wollen mich töten, so viel ist klar. Ich renne, doch jede Richtung, die ich einschlage, scheint die falsche zu sein. Und so verkrieche ich mich, wie in so vielen Träumen dieser Art im Keller im Haus bei meinen Eltern. Es ist stockdunkel, dreckig und ich ekel mich vor den Spinnenweben, dem Dreck und versuche möglichst wenig zu atmen, damit der Verfolger, der kurz hinter mir ist, mich nicht hören kann. Sehen kann er mich nicht, denn am Ende dieses Ganges in den ich geflüchtet bin, geht es nach rechts in eine Nische. In dieser stecke ich nun fest. Diese Nische habe ich schon so oft in meinen Träumen als Zufluchtsort genutzt. Es ist eine ganze Weile her, dass ich diesen Traum zuletzt hatte. Warum gerade jetzt? Ich kann mich nicht erinnern, je wirklich in diese Kellernische gekrabbelt zu sein. Vielleicht sollte ich es mal tun. Vielleicht ist da irgendwas aus meiner Vergangenheit. Vielleicht ist es auch nur Scheiße.
Es ist 08.30 Uhr, als ich völlig nassgeschwitzt aufwache. Ich frage mich, wie das wohl kommt und ob man in seinem eigenen Schweiß ertrinken kann. Der Unterschied zu vorgestern ist, dass ich einen anderen Schlafanzug trage und in dieser Nacht zum ersten Mal nicht aufgestanden bin, um die Wärmflasche neu zu befüllen. Fieber messen. 36,8°. Das Thema Fieber sollte durch sein. Duschen und Nase spülen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich es mag, wenn sich der Schleim aus der Nase bei der Nasenspülung löst und dann ins Waschbecken fällt. Es hat irgendwie etwas Befreiendes. So als würde das Böse aus mir heraus gespült. Meine Nase ist aber in einem desolaten Zustand. Sie tut bei jeder kleinen Bewegung weh und sie zu putzen ist kaum möglich. Optisch sieht sie auch arg mitgenommen aus. Ich kann mich nicht erinnern, wann eine Erkältung zuletzt einen solchen Schaden angerichtet hat. Ich hoffe nicht, dass der Beginn des Tages darauf schließen lässt, wie er weitergeht.
Gegen 13.30 Uhr mache ich mich auf den Weg zu meinem Vater. Zu meiner Überraschung schaffe ich den Weg ohne große Probleme. Möglicherweise geht es doch langsam aufwärts. Im Gegensatz zu mir hat er eine Waschmaschine, die ich zum Glück mitbenutzen darf. Ich stecke meine verseuchte Wäsche in die Maschine, nehme bereits gewaschene Wäsche ab und nehme sie mit zu mir, weil es wenig Sinn machen würde, wenn ich sie bei meinem Vater lasse. Auf dem Weg zurück betrachte ich den Ort. Er ist schäbig, irgendwie dreckig und verkommen. Menschen ohne Glanz, angepasst an den Ort, begegnen mir. Es gibt nichts, was einen hier hält und doch lebe ich schon immer hier und habe mich in gewisser Weise von diesem Ort abhängig gemacht. Zumindest ist es einfach, eine unverkäufliche Eigentumswohnung als Grund zu nennen, warum ich noch nicht gegangen bin aus dieser grauen Tristesse. Und wäre es nicht die Wohnung, wäre es mit Sicherheit etwas anderes. Ich finde immer Gründe, irgendwas nicht zu tun und meinen Stillstand zu erklären. Und zur Not kann ich ein Zitat von einer Postkarte anführen: „Woanders ist auch Scheiße“. Das Grau wird für einen Moment von einer blonden Frau durchbrochen. Sie ist attraktiv, gut angezogen und sieht in diesem Moment völlig deplatziert aus. Sie kommt aus der Bäckerei, wird von den grauen Gestalten, die vor der Bäckerei sitzen, wie ein Fremdkörper betrachtet. Auch ich, der ich aussehe, wie eine der grauen Gestalten, beobachte sie. Es wirkt, als wären ihr die Blicke unangenehm. Schnellen Schrittes versucht sie sich zu entfernen und würdigt uns grauen Gestalten keines Blickes. Sie achtet vielmehr sehr darauf, uns nicht anzusehen und schnell zu entkommen. Dieser Farbklecks passt nicht ins Bild, zumindest nicht heute. Zum Glück ist neben der Bäckerei auch schon meine Wohnung. So kann ich runter von der Straße, weg aus der grauen Masse, zurück in meine kleine Welt, die mir scheinbar so gefällt und die ich doch auch immer wieder zum Kotzen finde. Vermutlich alles eine Einstellungssache oder eine Frage des Blickwinkels.
Mein Vater bringt mir ein paar Sachen, die es bei Penny nicht gibt. Er kümmert sich sehr darum, dass mir nichts fehlt. Nicht nur während meiner Erkältungszeit, die mich etwas einschränkt. Ohne ihn wäre ich ziemlich verloren, nicht nur finanziell. Dumm nur, dass ihm vermutlich nicht mehr viel Zeit bleibt. Sein Bauchspeicheldrüsenkrebs ist nicht heilbar. Und da soll man ein lebensbejahender Mensch werden. Dass ich nicht lache. Kaum ist er weg, räume ich ein paar Sachen auf, werde müde, lege mich hin und mache ein Nickerchen. Das ist auch irgendwie eine Art von Luxus. Mittagsschläfchen.
Am Abend sitze ich am Laptop, surfe durch die schöne, bunte Internetwelt und entdecke eine Motte, die auf dem Rollo Platz genommen hat. Meine Frage, was sie da macht, bleibt unbeantwortet. Da ich diese kleinen Viecher nicht mag und Angst habe, dass sie irgendwo in meiner Wohnung nisten, muss ich sie vernichten. Was mir nach ein paar Versuchen auch gelingt. Motten sollen hier kein zu Hause haben. Kaum habe ich die Motte entsorgt, entdecke ich in der Küche eine Spinne. Ich fange sie und setze sie auf dem Balkon aus. Zeit für eine Nasenspülung. Nichts drin. Das Wasser läuft ins linke Nasenloch hinein und aus dem rechten wieder heraus. Es scheint, als wäre meine Nase leer. Fast schon wehmütig betrachte ich den Vorgang. War es das wirklich? Seitenwechsel. Nun läuft es rechts hinein und links heraus. Doch irgendwas scheint es zu verstopfen. Vielleicht ist es doch noch nicht vorbei. Es löst sich tatsächlich noch etwas. Ich finde das irgendwie befriedigend. Dann läuft es besser, die Nase scheint nun wirklich frei. Ein sehr bedeutender, fast schon magischer Moment. Endet meine Erkältung wirklich mit dieser Nasenspülung? Beginnt genau in diesem Moment mein neues, aktives Leben? Ich bin nur dann gut, wenn ich gut bin. Was will mir dieser Satz jetzt sagen und wo kommt er auf einmal her? Während ich versuche, das herauszufinden, stelle ich fest, dass mein Bronchipret Elixir fast aufgebraucht ist und ich gestern Abend noch dachte, dass ich eine Lungenentzündung habe. Ich glaube, ich bin ziemlich verrückt und sollte jetzt besser schlafen. Zu viel denken schadet meiner Genesung nur und verwirrt mich zusehends.
Gegen 06.00 Uhr werde ich wach. Die Wärmflasche liegt neben dem Kopfkissen. Vielleicht brauche ich sie bald nicht mehr. Ich gehe zur Toilette und nehme eine Ibuprofen. Dann schlafe ich weiter, bis sich um 09.02 Uhr der Wecker bemerkbar macht. Nassgeschwitzt bin ich und überlege dennoch ernsthaft, ob ich wirklich duschen muss. Da ist sie wieder meine exklusive Faulheit, zu der sich gerne Trägheit, Ausreden und andere störende Eigenschaften gesellen. Weil diese Eigenschaften meist wenig förderlich sind, dusche ich unverzüglich. Schließlich soll es ja aufwärts mit mir gehen. Nicht nur gesundheitlich. Meine Nase schmerzt sehr. Ein Blick in den Spiegel zeigt blutige Verkrustungen. Nein, so übel sah meine Nase nach einer Erkältung wahrlich noch nie aus. Und wieder stellt sich die Frage, ob das nun eine Ausnahme ist oder in Zukunft immer so sein wird. Eine Frage meines Alters? Ich hoffe nicht.
Gegen Mittag bringe ich Müll runter und wundere mich über den ganzen Verpackungsmüll, der sich innerhalb von Stunden angesammelt hat. Das ist irgendwie abartig. Statt des Fahrstuhls nehme ich die Treppen. Mache ich etwa Fortschritte?
Am Nachmittag gehe ich zu meinem Vater, fülle die Waschmaschine, unterhalte mich auf sichere Distanz mit ihm und gehe später mit ihm zum Friedhof. Etwas Sauerstoff kann nicht schaden. Nach dem Spaziergang nutze ich den Fahrstuhl. So fit bin ich dann doch noch nicht. Zurück in der Wohnung mache ich nicht mehr viel außer Fernsehen, das Leben merkwürdig finden und mich fragen, was mal aus mir werden soll. Später läuft „Über den Dächern von Nizza“ im TV. Nach Nizza will ich schon lange und jetzt, wo ich Nizza im Film sehe, will ich sofort hin. Unverzüglich suche ich im Internet nach Reisen. Ich möchte in Dortmund abfliegen und keinen Zwischenstopp in Barcelona machen. Somit scheint es unmöglich eine Reise zu bekommen. Aber ich will nun einmal von Dortmund fliegen und ich will auf keinen Fall erst nach Spanien geflogen werden. Das ist völlig unsinnig. So gebe ich nach einer halben Stunde auf. Ich werde wohl nicht nach Nizza kommen. Mir fehlen Motivation und Ausdauer, um etwas zu tun. Ich werde in diesem schäbigen Ort mehr und mehr verfallen, so wie viele Gebäude und irgendwann werde ich feststellen, dass man mich längst begraben hat. Für immer verbunden mit diesem Ort. Als hoffnungsloser Fall werde ich in die Geschichte eingehen. Herrliche Aussichten.
Am nächsten Morgen wache ich um 07.02 Uhr auf. Ein Nasenloch sitzt zu, ich nehme Nasenspray und verliere unverzüglich wieder das Bewusstsein. Erst als um 09.02 Uhr der Wecker klingelt, erkläre ich mich bereit aufzustehen. Ich bin nicht nassgeschwitzt und somit gibt es keinen Grund heute Morgen zu duschen. Duschen geht mir eh auf die Nerven. Meine Nase ist weiter voller gelblichem Schleim und kaum ist sie geputzt, blutet sie. Die vertrocknete und lädierte Haut ist einfach nicht für Erkältungen gemacht. Und alle Cremes und Salben, die ich zur Linderung genommen habe, scheinen keine Wirkung zu haben. Wenn eine Erkältung drei Tage kommt, drei Tage bleibt und am Ende drei Tage geht, muss allerspätestens morgen alles vorbei sein. Denn ich bin mir nicht sicher, ob die Erkältung schon am Sonntag oder doch erst am Montag kam. Sollte sie allerdings morgen nicht verschwunden sein, ist diese Dreitageregel nachweislich totaler Quatsch. Die meisten Geschichten und Theorien über Schnupfen und andere Krankheiten sind sowieso Quatsch. Lustige Thesen von Menschen, denen die Langeweile zu Kopf gestiegen ist oder die nichts als Schabernack und unsinnige Thesen im Kopf haben. Unterhaltsam, vielleicht, Unsinn zumeist.
Wenn ich nicht irre, so haben wir längst Sommer, doch das Wetter scheint davon nichts zu wissen. Das Wetter passt zu meiner Erkältung und umgekehrt. Meine Antriebslosigkeit wird vom Wetter perfekt untermalt. Eine herrliche Symbiose, die so keinem nützt. Mein Husten lässt nicht den Eindruck entstehen, dass meine Erkältung schon bald gehen wird. Mein Abwehrsystem scheint noch immer keinen Weg gefunden zu haben, die Erkältung erfolgreich zu bekämpfen. Das System ist zu schwach oder Fehlerhaft. Oder gar beides. Meine Motivation für den Tag ist genauso dürftig, wie meine Motivation fürs Leben. Und selbst ohne Erkältung wäre das nicht anders. Wenn mir unendlicher Reichtum auch weiterhin verwehrt wird, wird das nichts mehr mit mir. Das steht fest. Mieses Karma? Ich bin schon erbärmlich. Sitze hier mit einer Erkältung und jammere rum, während mein Vater heute seine erste Chemotherapie bekommt. Er hat allen Grund zu meckern, allen Grund, alles in Frage zu stellen. Er hat kaum noch die Gelegenheit nach Nizza zu fahren oder woanders hin zu reisen. Für ihn geht das Leben zu Ende. Lebensverlängernde Maßnahmen nur noch. Lebenserleichternd, wenn es gut läuft. Und ich rege mich über eine Erkältung auf und bedauere mich wegen meines Hustens. Das ist nicht nur pervers, sondern auch abartig. Und entspricht doch genau meinem Charakter. Ich bin ein lächerlicher Jammerlappen. Alles dreht sich um mich und um mich und wieder um mich. Das widert mich an, doch ändern werde ich das auch nicht. Ich empfinde es als Frechheit, mich über meine Erkältung zu beklagen. Es ist eine Unverschämtheit in Anbetracht dessen, was meinem Vater widerfährt, eine Unverschämtheit in Anbetracht dessen, was auf der Welt passiert. Doch ich bin keine Ausnahme, sehen die meisten Menschen doch nur sich und ihre Belange. Was mich zu der Frage bringt, ob es, wäre es anders, wirklich besser wäre. Und geht das überhaupt, dass der Mensch nicht sich selbst immer wieder in den Vordergrund stellt? Sind Menschen nicht insgesamt eine einzige Zumutung für sich und die Umwelt? Oder ist das Leben diese Zumutung? Ich fühle mich außerstande, eine Antwort zu finden. Aber das ist wenig verwunderlich, bin ich doch eh zu nur wenig im Stande. Eine Enttäuschung durch und durch. Eine Fehlkonstruktion. Ein defektes Individuum. Doch leider keine Ausnahme. Dennoch habe ich kein Verständnis mehr für meine Erkältung, keine Lust mehr meinen Tag so zu gestalten, dass die Erkältung verschwinden kann. Diese Erkältung ist eine Belästigung, ein Eingriff, eine Frechheit. Die Nase läuft, der Husten nervt. Ich versuche mich damit zu trösten, dass ich dieses Mal ja Fieber hatte und das gut ist, weil man angeblich, wenn man nie Fieber hat, eher Krebs bekommen kann. Mein Vater hatte fast nie Fieber. Hat er deshalb Krebs? Wohl kaum. Bauchspeicheldrüsenkrebs soll vererbbar sein. Dann kann ich mir das Fieber bei Erkältungen doch sparen. Man muss sich nur mal vorstellen, wie ich leide, was ich für ein Drama daraus mache, wenn ich wirklich mal krank bin, wenn ich schon bei einer Erkältung völlig ausflippe. Ich könnte mich ununterbrochen aufregen oder resignieren. Oder beides. Morgen fange ich ein neues Leben an. Spätestens nach der Erkältung. Bis es soweit ist, werde ich nach Ausreden suchen, warum ich es dann doch nicht kann. Und sollten mir keine einfallen, werde ich welche finden. Ausreden und Ausreden erfinden in Perfektion. Das bin ich.
Erneut kein Schläfchen im Laufe des Tages. Husten und Schnupfen bleiben. Die Nase weiter eine blutige Ruine. Medikamente reduziert. Morgen muss die Erkältung vorbei sein. In der Theorie. Und dann? Dann werde ich vor Aktionismus nicht mehr zu stoppen sein. Ich spüre förmlich, wie ich brenne, wie sich unter der Verschleimung Pläne abzeichnen, die ich nur in die Tat umsetzen muss. Mein Durchbruch steht kurz bevor. Der Juni endet und der Juli verspricht schon jetzt mehr, als ein Monat halten kann. Freudig erregt huste ich mich durch den Tag. Freudig erregt und voller gespielter Zuversicht lege ich mich später schlafen. Der Juli soll mein Monat werden. Ich kann es kaum erwarten.