Oktober 2014

Erster Arbeitstag ohne Bürgerarbeiterin
Kaum bin ich im Büro, fällt mir auf, dass irgendwas fehlt. Irgendwas ist anders. Doch was? Nach einer Weile erkenne ich den Fehler. Irgendwer hat den Drucker entfernt. Ohne Drucker macht es wenig Sinn, Bewerbungen zu schreiben. Mein Verdacht, dass in der Maßnahme nebenan der Drucker steht, bestätigt sich sofort, als ich rübergehe, um es zu überprüfen. Unverzüglich wird er zurückgebracht und ich bin bereit, allen, die es möchten, Bewerbungen zu schreiben. Doch weil wir in den letzten Tagen allen gesagt haben, dass hier ab Oktober geschlossen ist, ruft keiner an und es kommt erst recht niemand vorbei. So kann ich mich zunächst um Materialanforderungen und anderen Bürokram kümmern. Als das erledigt ist, frage ich mich, was ich nun tun soll. Zum Glück geht genau in dem Moment die Tür auf und ein Mann möchte eine Bewerbung. Genau dafür bin ich da. Dummerweise dauert das Ganze keine fünf Minuten, weshalb ich gar nicht erst warm werde.

Zeit ein wenig nachzudenken. Das finde ich aber rasch blöd, weil ich ja nicht dafür bezahlt werde, nachzudenken, sondern eine Aufgabe zu erfüllen habe. Doch wie soll ich meine Aufgabe erfüllen, wenn niemand hier ist? So bin ich höchst erfreut, als irgendwann plötzlich und unerwartet das Telefon klingelt. Ich melde mich ordnungsgemäß und der Mann am anderen Ende der Leitung sagt, dass er nicht arbeitslos ist und mein Anruf sich dann wohl erledigt hat. Mein Anruf? Irritiert halte ich das Telefon in der Hand und bestätige dem Mann, dass er wohl recht hat und frage, welchen Anruf er meint. Er sagt, dass ich ihn vorhin angerufen habe, weshalb er nun zurückgerufen hat. Ich sage ihm, dass ich das nicht verstehe, aber da ich weiß, dass es nicht für alles eine Erklärung gibt, sage ich ihm noch, dass es mir Leid tut und da wohl etwas schief gelaufen sein muss. Er sagt, dass es ihm nichts ausmacht und er wirkt gut gelaunt, was bei dem Wetter eine gute Sache ist. Um zu überprüfen, ob der Mann vielleicht recht hat, sehe ich in der Anrufliste des Telefons nach, wen ich so alles angerufen habe. Niemanden. Alles andere hätte mich auch sehr gewundert. Ich lege das Telefon beiseite und öffne das Fenster, um etwas Luft zu schnappen und einen Blick auf den Parkplatz zu werfen. Nichts Verdächtiges zu sehen. Dann passiert zwei Stunden gar nichts mehr. Ich gehe im Büro auf und ab, esse und trinke ausreichend und überlege, ob ich nicht gehen sollte, weil ja nichts passiert. Doch dann passiert etwas und ein Anruf bringt plötzlich etwas Abwechslung. Ein Mann möchte eine Bewerbung. Ich sage ihm, dass ich nur noch eine halbe Stunde hier bin. Das schafft er nicht, weshalb er mich fragt, ob ich nicht irgendwem hier im Haus die Bewerbung geben kann, damit er sie später abholt. Nein, das geht nicht, weil niemand außer mir hier ist. So fragt er, ob er am Montag herkommen darf. Das kann er gerne tun, nur wird dann ebenfalls niemand hier sein, weil ich nur donnerstags im Büro bin. Findet er blöd, weshalb er nun fragt, ob ich seine Bewerbung nicht in der Bäckerei gegenüber abgeben kann. Kann ich nicht. Er möchte wissen, warum ich das nicht kann. Ich erkläre ihm, dass das nicht geht und er seine Sachen schon persönlich abholen muss. Er tut so, als würde er verstehen, versteht aber vermutlich nur Bahnhof oder ignoriert meine Aussage. Nun fragt er, ob ich die türkische Bäckerei an der Ecke kenne. Ich verneine. Dann fragt er, ob ich weiß, wo Lidl ist. Ich sage ihm, dass ich auch das nicht weiß, was gelogen ist, aber auch egal, weil er sowieso nicht zuhört. Er möchte, dass ich seine Bewerbungsunterlagen zur türkischen Bäckerei bringe und versucht mir ganz akribisch den Weg dorthin zu erklären. Weil ich das ziemlich unnütz finde und das Gespräch mich zu langweilen beginnt, sage ich ihm, dass ich seine Bewerbung ganz sicher nicht irgendwohin bringe und er sie schon selber abholen muss. Nebenbei frage ich mich, was wohl in seinem Kopf vorgeht. Anscheinend nicht viel, denn nun ist er ratlos und wir beenden dieses unsinnige Gespräch, welches ihn so gar nicht weitergebracht hat. Wenig später endet mein aufregender erster Arbeitstag ohne Bürgerarbeiterin und fast ohne Kunden. Ich bin schon sehr gespannt, was am nächsten Donnerstag passieren wird.

Ein schöner Tag
Als ich am Morgen erwache, erwarte ich, wie gewöhnlich, nichts von dem Tag. Ich habe nicht einmal Wünsche an ihn. Und falls doch, weiß ich nichts davon. Die Sonne scheint, ich frühstücke, sitze am PC, liege eine Weile auf dem Bett und gehe dann ungeduscht zu meinem Vater. Meine Haare sind wenig sinnvoll angeordnet und ich trage eine Jacke, was ziemlich absurd ist, weil es zu warm für eine Jacke ist. Ich bin in letzter Zeit häufig falsch angezogen. Beim Mittagessen lese ich die BILD vom Vortag. Nach dem Mittagessen gehe ich mit meinem Vater zum Friedhof. Wir waren gestern auch schon hier. Einmal in der Woche begleite ich ihn meist. Emotionslos, oft distanziert. Als wäre es nicht das Grab meiner Mutter, als wäre alles normal und würde nicht weh tun, als würde es mich vielleicht nichts angehen. Immer wenn mir das nicht gelingt, fühle ich mich hilflos, ratlos und traurig. Ich bin dann fassungslos, starre auf ihren Grabstein, verstehe den Sinn nicht, sehe sie vor mir, vermisse sie und sehe in allem keinen Sinn. Zum Glück schaffe ich es meistens nur ein Gast zu sein, der nichts mit alledem zu tun hat. Auf dem Weg treffen wir einen Bekannten meines Vaters. Er sitzt auf einer Bank und hat einen freundlich wirkenden Rauhaardackel bei sich. Da mich der Mann nicht interessiert, begrüße ich den Rauhaardackel, tätschel seinen Kopf und hindere ihn daran, fröhlich an mir hochzuspringen. Der Mann glänzt mit Halbwissen über Arbeitslose. Als mir das zu albern wird, sage ich ihm, dass er sich irrt, mit dem, was er sagt. Er sagt, dass er sechzig Jahre alt ist und Bescheid weiß. Worüber er Bescheid weiß, finde ich leider nicht heraus. Über Arbeitslosigkeit weiß er jedenfalls nichts. Aber so sind die Menschen, schnappen irgendwas auf, reimen sich etwas zusammen und schon entsteht eine neue Wahrheit, die erschreckenderweise die tatsächliche Wahrheit schon bald vergessen lässt. Den Rest des Gesprächs, welches er nun ausschließlich mit meinem Vater führt, beobachte ich den Hund oder die Gräber in unmittelbarer Nähe. Manche sind wirklich toll bepflanzt. Wären es keine Gräber, könnte ich Gefallen daran finden. Dann endlich verabschieden wir uns von dem Mann, der so viel weiß und doch keine Ahnung hat, und gehen weiter. Am Grab meiner Mutter stehen noch die beiden Rosen, die wir gestern hingestellt haben. Das Grablicht brennt und wie üblich, sehe ich mich nach neuen Grabsteinen um. Ich weiß nicht, warum ich das mache. Um mich nicht mit dem Grab meiner Mutter beschäftigen zu müssen? Um nicht meine Gastrolle zu verlieren? Um Distanz zu wahren? Vermutlich aus all den Gründen. Vier Reihen vor meiner Mutter entdecke ich den Grabstein eines Bekannten. Er starb vor wenigen Wochen nach langem Dahinsiechen. Zumindest bezeichne ich es so, obwohl ich nicht dabei war und alles nur von seinem Sohn weiß. Aber aus den Erzählungen waren die letzten Monate eine Quälerei für den Mann. Nun liegt er hier in der Nähe meiner Mutter. Vielmehr liegt die Asche beider nun hier. Jahrelang wohnten sie nicht weit entfernt voneinander, nun liegen sie in unmittelbarer Nähe. Ich finde das Leben manchmal rätselhaft. Die Welt ist so unendlich groß, es leben so viele Menschen hier und dann findet man sich quasi nach dem Tod wieder in Gesellschaft derer, die man schon zu Lebzeiten kannte. Ob es da irgendein System gibt? Einen Plan? Oder ist alles willkürlich arrangiert?

Später sitze ich auf meinem Balkon, lese und bin unfassbar entspannt. Ein Zustand, der in dieser Ausgeprägtheit äußerst selten ist. Umgeben von meinen Balkonpflanzen lasse ich mich von der Sonne bescheinen und die Zeit scheint nicht zu existieren. Im Hier und Jetzt verweile ich und will gar nichts anderes. Unglaublich. Erst als gegenüber im Haus ein Fenster aufgeht, das Pärchen zum Rauchen ans Fenster geht und der Typ laut rülpst, bin ich wieder angewidert. Meine Hoffnung, dass die beiden aus dem Fenster gefallen sind, hat sich zerschlagen. Nur gut, dass ich die beiden nicht sehen kann. Ich lese das Buch „Aprilwetter“ zu Ende. Dann wird es mir, weil ich eine echte Frostbeule bin, etwas zu kühl auf dem Balkon und ich gehe zurück in meine Wohnung, um mir ein neues Buch auszusuchen. Dann ziehe ich mich aus, aber nicht, weil ich so gerne nackt durch die Wohnung laufe, sondern weil ich duschen will.

Später besucht mich Manni. Wir unterhalten uns über Thursten, unseren Bekannten, der uns etwas Sorgen bereitet, dem wir aber nicht helfen können. Obwohl dieser schon seit vielen Jahren arbeitslos ist, zahlt er GEZ Gebühren und ist stolz, mit der GEZ einen Deal abgeschlossen zu haben. Weil er in den letzten Jahren keine GEZ Gebühren gezahlt hat, zahlt er nun monatlich 15 Euro ab. Das ist wirklich clever von ihm. Da er für viele Jahre nachzahlen muss, wird er wohl bis an sein Lebensende für etwas bezahlen, was er nicht bezahlen müsste. So viel Blödheit ist nur schwer zu ertragen, aber da er unbelehrbar ist, wird ihm auch niemand helfen können. Ich würde ihn gerne zu dem Bekannten von meinem Vater, den wir am Nachmittag auf dem Friedhof getroffen haben, auf die Bank sitzen. Dann könnten die beiden mit ihrer Unwissenheit und ihren Erfahrungen tagelang sinnfreie und letztlich auch inhaltsleere Gespräche führen. Menschen sind echt zu blöd. Wir plaudern noch eine Weile entspannt über dies und das, dann muss Manni sich verabschieden, weil er Hunger hat und nebenbei kurz vor dem Einschlafen ist. Die Entspannung, die im Laufe des Tages von mir Besitz ergriffen hat, wohnt noch immer in mir. Ich bin durchaus entzückt und frage mich, was das zu bedeuten hat. Folgt dieser Entspannung irgendwas Unangenehmes? Doch schnell verwerfe ich meine Fragen, weil ich zu entspannt bin, um einer Frage, auf die ich kaum eine Antwort finde, nachzugehen. Und so endet ein Tag, der ein Tag wie jeder andere war, aber irgendwie doch völlig anders.

Jobangebot
Überraschend besucht mich mein Chef im Büro, um mir einen Job anzubieten. Die Jobcenter haben zum Ende des Jahres einige Fördergelder über, die nun ausgegeben werden müssen. Deshalb wäre es möglich, dass ich einen Job beim Fahrdienst bekomme. Behinderte fahren und später Fahrpläne erstellen. Ich wäre dann, so fällt mir ein, ein Untertan von Jabba the Hutt, die ja Fahrdienststellenleiterin ist. Der Job ist befristet auf sechs Monate und bringt 1500 Euro Brutto bei 40 Stunden in der Woche. Für mich wäre das eine tolle Gelegenheit wieder ins Berufsleben zu kommen. Ich sehe das aber anders und will nicht vierzig Stunden in der Woche einer Tätigkeit nachgehen, die mich nicht interessiert. Ich hasse Transporter und will erst recht keine Menschen transportieren. Wieso denken immer alle, dass es toll ist, wenn man so ein Angebot bekommt und dass es nichts Erstrebenswerteres gibt als einer Tätigkeit nachzugehen? Und wieso denke ich anders? Ich möchte das nicht. Ich möchte nicht, dass sich irgendetwas verändert. Alles soll immer bleiben, wie es jetzt gerade ist. Ich sage, dass ich darüber nachdenke, weiß aber schon, dass ich längst entschieden habe. Ich will das nicht und werde das Angebot ablehnen. Verantwortung für andere zu übernehmen war noch nie ein Wunsch von mir. Und Verantwortung für Behinderte zu übernehmen, noch weniger. Und alles, was über dreißig Wochenstunden hinausgeht, bringt mein Leben völlig aus dem Gleichgewicht. Auch das möchte ich nicht.

Große Augenuntersuchung
Nachdem ich mich angemeldet habe, muss ich zunächst unterschreiben, dass ich nach der Pupillenerweiterung, die heute für die Augenuntersuchung notwendig ist, kein Auto fahren werde. Es reicht seit diesem Jahr nicht mehr, dass man sagt, dass man anschließend nicht fährt, man muss es auch unterschreiben. Das bringt vermutlich nichts, außer mehr Arbeit für das Personal, aber das macht nichts. Bekloppte Ideen setzen sich halt mehr und mehr durch. Dass das Leben dadurch sicherer wird, erscheint besonders in diesem Fall zwar zweifelhaft, aber egal. Hauptsache, ich unterschreibe. Kaum ist diese Formalität erledigt, fragt die Frau an der Anmeldung, ob ich denn auch immer brav die Ganfort Augentropfen und die Brimonidin Tropfen genommen habe. Da mir beim letzten Mal keine Brimonidin Tropfen aufgeschrieben wurden und auch nichts dazu gesagt wurde, sage ich, dass ich nur Ganfort genommen habe, wobei das ja, wie immer, glatt gelogen ist. Wegen der nicht genommen Brimonidin Tropfen soll die Ärztin unterrichtet werden, weil das ja nicht gut ist, wenn ich die nicht nehme. Für mich steht somit fest, dass die Augenärztin, egal wie mein Augendruck sein wird, nicht zufrieden sein und mir sagen wird, dass ich unbedingt Brimonidin nehmen muss. Nachdem mein Augendruck, nach dem Sehtest und der Gesichtsfelduntersuchung, gemessen ist, wird es, wie erwartet, ernst. Die Augenärztin erklärt mir sehr besorgt, und so als würde sie keinen Widerspruch dulden, dass mein Augendruck bei 14 liegt. Eindeutig zu hoch für mein Alter. Ziel ist ein Augendruck von 10 – 12. Schließlich müssen meine Augen noch fünfzig Jahre funktionieren. Wenn ich achtzig wäre, beim letzten Mal sprach sie noch von hundertzwanzig, dann wäre der Augendruck okay, aber so ist das zu gefährlich. Immer wieder erzählt sie mir fast dasselbe. Und immer wieder will sie, dass ich brav Augentropfen nehme. Und so verschreibt sie mir, fürsorglich, wie sie nun einmal ist, neben Ganfort auch Brimonidin. Dann untersucht sie, wie es meinem Sehnerv geht. Dem geht es gut, stellt sie fest. Und damit es so bleibt, muss ich auf jeden Fall die Tropfen nehmen und wenn der Augendruck beim nächsten Mal nicht gesunken ist, müssen wir schauen, was wir machen können. Ich bin dafür, dass sie mir dann weitere Augentropfen aufschreibt, denn der Erfolg der Augentropfen ist bisher immens gewesen. Da werden weitere Augentropfen sicher nicht schaden. Damit ich nichts falsch mache und der Augendruck beim nächsten Mal den Wunschwert erreicht, soll ich morgens erst Ganfort nehmen, anschließend Brimonidin und zwölf Stunden später erneut Bromonidin. Manchmal macht mir die Beschränktheit der Götter in Weiß echt Angst.

Zweite Erkältung des Jahres
Ein Kratzen im Hals deutet darauf hin, dass eine Erkältung versucht, von mir Besitz zu ergreifen. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für eine solche Attacke. Sofort gurgel ich mit Teebaumöl, um die Erkältung in ihrer Entstehung zu vernichten. Dazu mache ich vorsorglich Nasenspülungen und trinke Tee mit Honig, nehme Anfokali und hoffe, dass all das ausreicht. Doch schon am nächsten Tag muss ich feststellen, dass es wohl nicht gereicht hat. Den ganzen Tag fühle ich mich schlapp und spüre, dass ich den Kampf verloren habe. Nur vier Monate nach meiner letzten Erkältung hat es mich erneut erwischt. Das ist mehr als ärgerlich, denn eigentlich reicht mir eine Erkältung pro Jahr absolut. Außerdem war die letzte Erkältung mehr als heftig, so dass eine Wiederholung mehr als unnötig ist. Ich nehme Meditonsin, Anfokali, mache Nasenspülungen, trinke Tee, nehme Soledum und gurgel mit Teebaumöl, in der Hoffnung, die Symptome wenigstens zu reduzieren und bin durchaus zufrieden, als sich der Tag dem Ende entgegen neigt. Doch in der Nacht schwindet meine Zufriedenheit. Kopf- und Nackenschmerzen und dazu sitzt die Nase zu. Phase zwei der Erkältung hält Einzug. Erst nach einer Ibuprofen schlafe ich ordentlich weiter.
Der nächste Morgen ist alles andere als erbaulich. Alles deutet auf einen Schnupfentag hin. Schnupfen passt gerade gar nicht, weil ich heute ins Büro muss. Wenn ich mich vertreten lassen könnte, würde ich darauf verzichten ins Büro zu gehen. Doch da ich keine Vertretung habe, muss ich mal schauen, wie lange ich das durchhalte. Ich mag das nicht, weil ich niemanden mit meinen Viren verseuchen möchte. Den meisten Leuten ist das egal, ich hingegen finde so etwas äußerst verwerflich und schäme mich, dass ich unschuldige Leute mit meinen Viren in Gefahr bringe.

Im Büro geht es hoch her. Ein Kommen und Gehen. Das Telefon klingelt ständig und nach nur anderthalb Stunden spüre ich, dass meine Stimme nicht mehr lange funktionieren wird. Das Kratzen im Hals wird stärker. Ach , hätte ich doch nur ein paar Salbeibonbons hier. Weil der 13.00 Uhr Termin ausfällt, fahre ich kurz zu Lidl und kaufe mir ein paar Bonbons, um meinem Hals etwas Gutes zu tun. Kaum gekauft, stecke ich ein Bonbon mit Kirschgeschmack in meinen Mund und stelle fest, dass ich nichts mehr schmecke. Jetzt könnte ich sicher auch Lakritz essen. Vor dem Büro wartet eine junge Frau auf mich. Sie ist hier, um einen neuen PC im Büro anzuschließen. Das macht nicht wirklich Sinn, so lange außer mir niemand hier arbeitet, aber wenn sie schon mal da ist, dann soll sie das auch machen. Obwohl es mir unangenehm ist, mit meiner Triefnase zu kommunizieren, übe ich etwas Small Talk. Da sie recht sympathisch ist, klappt das auch ganz gut. Zwischendurch kommt Olga herein und stellt sich, wie es Tradition ist, vor. „Hallo. Mein Name Kramer, Olga. Ich möchte mich bewerben als Briefträgerin.“ Weil ich wusste, dass sie kommen würde, habe ich schon zwei Bewerbungen für sie fertig. Da hätte sie es sich gar nicht erst gemütlich machen sollen und ihren Mantel anbehalten können. Durch meine Erkältung komme ich nicht in den Genuss, ihren speziellen Duft, den sie für gewöhnlich verströmt, aufnehmen zu müssen.

Gegen 15.00 Uhr kommt die letzte Besucherin des Tages. 21 Jahre, tolle Figur und durchaus attraktiv. Nun sitze ich hier mit zwei jungen Frauen, eine installiert irgendwelche Software, die andere möchte, dass ich ihre Bewerbung kontrolliere, und habe eine Rotznase. Das ist unangenehm und alles andere als schön. Ich hasse Leute, die mit Erkältung im Büro sitzen und andere mit ihren Viren verseuchen. Und ich hasse es, mir alle paar Minuten die Nase zu putzen Das ist abartig und unerotisch. Der Lebenslauf der 21 jährigen sieht völlig bescheuert aus. Ich frage sie, wie sie ihn erstellt hat. Mit Hilfe einer App. Was für eine beschissene App das ist, frage ich besser nicht. Erstens habe ich Angst, dass mir während der Kommunikation Schleim aus der Nase läuft und zweitens sieht sie so glücklich aus, dass ich ihr das nicht verderben will. Ob sie wohl gut riecht? Ich mag es nämlich, wenn Frauen gut riechen. Bevor ich weiter darüber nachdenke, meldet sich die PC Frau kurz ab, um eine zu rauchen. Ich wette, dass sie nicht gut riecht. Frauen, die Rauchen, riechen selten gut und ich bin froh, als die beiden Frauen endlich weg sind und ich wieder alleine mit meiner Erkältung bin. Als ich später endlich zu Hause bin, bin ich auch echt durch und frage mich, wieso ich so pflichtbewusst bin. Normalerweise hätte ich zu Hause bleiben sollen. Stattdessen habe ich vermutlich unschuldige Menschen angesteckt. Das ist total bekloppt.

Den nächsten Tag verbringe ich komplett zu Hause und erhole mich. Trinke unendlich viel Tee mit Honig und Bronchiselect. Ob und wie das schmeckt, kann ich nicht beurteilen. Ich finde, dass man grundsätzlich mit einer Erkältung eine Woche zu Hause sein sollte. Mindestens.
Am Abend schaue ich mir The Voice of Germany an. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen es gibt, die singen können. Die Sendung ist unterhaltsam, was hauptsächlich an den Coaches liegt. Ich finde nur das Wort Coaches blöde, was aber niemanden außer mir interessiert. Zwei Dinge an der Sendung finde ich allerdings furchtbar. Zum einen ist es der Moderator, wenn er hinter der Bühne mit Bekannten und Freunden der gerade auf der Bühne singenden Personen steht und dort seine Kommentare abgibt. Völlig unnatürlich und behindert. Ein absoluter Fremdkörper, der immer möchte, dass einer der Coaches für das Talent auf den Buzzer drückt. Das nervt und ist peinlich. Entweder ist der wirklich so drauf oder er macht es nur, weil er glaubt, oder ihm jemand gesagt hat, dass das so sein muss und gut ankommt. Aber seine peinlichen Auftritte sind nichts gegen das Publikum. Da scheinen nur gestörte Kreaturen zu sitzen. Ständig springen sie auf, jubeln wie verrückt, singen mit und sind emotional völlig ergriffen. Da möchte man kotzen, wenn man das sieht. Wenn ich mir das so ansehe, dann wünsche ich mir das baldige Aussterben der Menschheit herbei. Die Leute im Publikum brauchen bestimmt eine Therapie. Ich hoffe zwar, dass die nicht wirklich so sind, sondern dass man denen irgendwelche Mittel verabreicht hat, gehe aber davon aus, dass dem nicht so ist und diese ausufernden Emotionen echt sind. Das macht mir Angst und verdirbt die Sendung. Menschen sind echt zu blöd. Vielleicht wäre es sinnvoll, Menschen in Käfige zu sperren. Nach der emotional aufwühlenden Sendung, während der ich zwischendurch inhaliert habe, gönne ich mir eine Folge Dr. House. Das gefällt mir eindeutig besser als diese pseudo fröhlichen Psychopathen aus dem Publikum. Wenn man schon erkältet sein muss, dann am besten mit Dr. House.

Wie es sich für eine traditionelle Erkältung gehört, habe ich am Samstag Husten und meine Stimme klingt arg ruiniert. Nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen, müsste es mir ab morgen bedeutend besser gehen. Ein paar Nasenspülungen noch, viel Tee, regelmäßiges Inhalieren und meine Medizin, dann bin ich morgen sicher geheilt. Die Symptome der Erkältung waren bisher ganz gut zu ertragen. Dennoch halte ich es für unnötig und inakzeptabel, zweimal im Jahr erkältet zu sein. Doch weil Menschen Fehlkonstruktionen sind, muss das wohl alles so sein.

Am Sonntag ändert sich nicht wirklich etwas und ich bin weiter verschleimt. Das ist zwar alles kein Weltuntergang, aber doch zu lästig, um Freude aufkommen zu lassen. Allerdings ist der Vorteil, den eine solche Erkältung mir bringt, nicht von der Hand zu weisen. Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, dass ich den ganzen Tag noch weniger mache als sonst und auch nicht übers Training nachdenke. Ich muss mich nicht einmal waschen und kann quasi komplett vor mich hingammeln, ohne mich schämen zu müssen. Das ist irgendwie schön, aber, wenn man es kritisch betrachtet, auch ganz schön verachtenswert und in gewisser Weise abstoßend. Ein weiterer Nachteil dieser Erkältung ist, dass ich gelegentlich auf die Idee komme, etwas über vieles und sogar über mich nachzudenken. Und ich muss gestehen, dass ich mich, je älter ich werde, immer merkwürdiger finde. Verschroben zumindest. Und je mehr ich mich kennenlerne, was sich leider nicht verhindern lässt, desto unsympathischer und unzulänglicher finde ich mich. Das ist echt blöd und wird bestimmt mit zunehmendem Alter nicht besser. Fehlkonstruktion.

Ungepflegter Verlierer
Am Montagnachmittag verlasse ich spontan und unvorbereitet die Wohnung, um einen Spaziergang zu machen. Eigentlich eine gute Idee, aber so wie ich aussehe, fühle ich mich alles andere als wohl. Weil ich mich ebenso wie gestern geweigert habe, mich zu waschen und ungewaschen auch keine frischen Sachen angezogen habe, laufe ich nun hier rum, als würde ich prima in den Ort passen. Dazu sind meine Haare voll verklebt und mieser angeordnet als üblich. Das liegt daran, dass ich heute Vormittag Khadi Balsam Haaröl aufgetragen habe. Das Zeug riecht furchtbar und ist wenig förderlich für die Optik, soll aber gut für meine Kopfhaut sein. Früher wäre ich so niemals vor die Tür gegangen, doch heute ist alles anders. Ich baue echt immer mehr ab. Irgendwann werde ich sicher auch in Trainingshose und Badelatschen den Müll runterbringen. Diese Entwicklung, hin zu einem waschechten Schlabberheinz, scheint unvermeidlich und ist vermutlich nicht auf die Erkältung zurückzuführen. Ich hoffe, dass ich, wenn es eines Tages so kommt, nicht mehr merke, was ich tue.

Am Abend spiele ich online FIFA14 und blamiere mich dabei prächtig, verliere alle Spiele und werde teilweise von meinen Gegnern lächerlich gemacht. Einer rennt mit seinem Torwart über den ganzen Platz und schießt sogar aufs Tor, weil ich so gar keine Ahnung habe, wie ich ihn vom Ball trennen kann. Ein anderer macht irgendwelche Kunststücke mit dem Ball, schiebt ihn sich gemütlich zu und lässt mich minutenlang wie einen Trottel hinter ihm herlaufen. Gegen 00.30 Uhr gebe ich meinen Plan, erst ins Bett zu gehen, wenn ich mal ein Spiel nicht verliere, auf. Ich glaube, ich bin zu alt für solche Spiele.

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