Januar 1991

Bäcker oder Metzger
Neues Jahr, altes Leid. Ich bin noch immer 20 Jahre alt und ein unglaublich fauler Sack. Eine Freundin ist weit und breit nicht in Sicht und meine schulischen Leistungen haben sich, wie es zu erwarten war, nicht verbessert. Und so ist es wenig verwunderlich, dass mein Klassenlehrer sich erneut beim Betrieb beschwert und mitteilt, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass ich die Ausbildung schaffe. Abermals werde ich daraufhin von unserem Meister zu einem Gespräch gebeten. Alles wie vor vier Monaten. Doch irgendwie auch ernster. Mein Meister schlägt mir vor, es als Bäcker oder Metzger zu versuchen, weil ich scheinbar zu schlecht für diesen Beruf bin. Da ich als Metzger oder Bäcker ebenso ungeeignet bin, lehne ich einen Berufswechsel ab, verspreche erneut mich zu bessern und muss die nächsten Wochen im Zimmer neben dem Meister lernen. So bin ich unter ständiger Beobachtung, was aber nichts nützt, denn ich mache zwar den Eindruck als würde ich lernen, aber in Wirklichkeit blättere ich nur in den Fachbüchern rum, da ich kein Wort von dem verstehe, was dort geschrieben steht. Es interessiert mich auch nicht. Stattdessen genieße ich es, nicht in einer der dreckigen Hallen arbeiten zu müssen, sondern im warmen Büro zu sitzen, Musik zu hören und ab und zu ein paar technische Zeichnungen zu erstellen. Technische Zeichnungen sind übrigens das einzige, was ich hinkriege, ohne alles falsch zu machen. Und so erwecke ich den nächsten Wochen den Eindruck, dass ich es schaffen will und werde und darf deshalb meine Ausbildung fortsetzen. Ob das wirklich ein Glücksfall für mich ist, darf bezweifelt werden. Aber immerhin habe ich mir so ein wenig Luft verschafft.

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