Juli 2012

3 Bewerbungen = 1 Absage
Nachdem ich mich dreimal beim selben Autohaus, dem Familienbetrieb, beworben habe, bekomme ich heute die erste Absage. Per Post und handgeschrieben. Abgesehen von zwei Rechtschreibfehlern eine wirklich schöne Absage. Die haben sich doch tatsächlich für einen anderen Bewerber entschieden. Wer auch immer den Job bekommen hat, ich bin mir sicher, dass auch ich ihn statt meiner eingestellt hätte. Die handgeschriebene Absage hefte ich sorgfältig in meinen Ordner mit Absagen, der immer voller und schwerer wird. Ich befürchte, dass ich bis zur Rente, die ich ja nicht wirklich bekommen werde, weil ich fast nie gearbeitet habe, einen weiteren Ordner für Absagen benötige. Hoffentlich bekomme ich von dem Familienbetrieb nicht noch zwei Absagen. Wäre zwar schön und würde mich irgendwie auch erfreuen, mich gleichzeitig aber in Bedrängnis bringen, da in den Ordner nicht mehr viele Absagen passen und ich dann schon bald einen neuen Ordner für Absagen öffnen müsste.


Alt sein fängt manchmal auf dem Kopf an
Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals eine wirklich gelungene Frisur mit mir herumgetragen habe, aber immerhin hatte ich ausreichend Haare, um eventuell eine Frisur zu kreieren. Im letzten Jahr wechselte ich den Friseursalon. Obwohl es dort kostengünstiger ist, wurden die Haare viel kürzer geschnitten, was dazu führte, dass ich seitdem eine fast praktische Kurzhaarfrisur trage. Weil mich das auf Dauer nicht überzeugen konnte, wollte ich meine Haare wieder wachsen lassen. Sechs Wochen blieb ich dem Friseursalon fern. Meine Haarpracht entwickelte sich prächtig, sah aber Scheiße aus.
Nun sitze ich mit der Scheiße auf dem Kopf hier und beschließe, dass es so nicht weiter gehen kann. Das muss geordnet werden. Also gehe ich zu meinem Friseursalon und sage, dass ich es nur ein klein wenig kürzer haben möchte. Der Friseur macht sich ans Werk und ich merke sofort, dass er eigene Pläne hat. Er mag es kurz und ich bin nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Als er fertig ist, habe ich die Frisur von Tim, von Tim und Struppi. Pflegeleicht, aber nicht für meinen Kopf geeignet. Zu Hause betrachte ich das Kunstwerk und stelle fest, dass meine Haare irgendwie vor meiner Stirn zurückgewichen sein müssen. Die Stirn beansprucht mehr Platz als bisher. Doch damit nicht genug. Beim Betrachten meines Gesichts, was durch meine praktische Kurzhaarfrisur unfreiwillig größer wirkt, stelle ich mit Entsetzen fest, dass es ein altes, eingefallenes Gesicht voller Falten ist, was durch mein Untergewicht wirklich übel aussieht. Mit dem richtigen Licht und aus dem richtigen Winkel betrachtet, sehe ich wirklich sehr krank und eingefallen aus. Ich könnte prima einen Sterbenden spielen. Oder gar einen Toten, weil ich obendrein Kalkweiß bin. Während ich mich so betrachte, was mich wahrlich deprimiert, kommt mir der Gedanke, dass ich so, wie ich mittlerweile aussehe, kein junges Gemüse mehr ins Bett bekomme. Vermutlich bekomme ich gar keine Frau mehr ins Bett. Gerade als ich vor Verzweiflung weinen will, fällt mir ein, dass ich ja eine junge Freundin habe, die sicher noch das eine oder andere Mal mit mir ins Bett gehen wird. Zumindest so lange, bis ich auch ihr zu alt aussehe, ist also doch noch nicht alles verloren. An die Zeit danach denke ich jetzt besser nicht mehr, sonst muss ich wirklich noch weinen. Und vor Spiegeln sollte ich in Zukunft weniger Zeit verbringen, denn das, was ich dort zu sehen bekomme, ist alles andere als gut anzuschauen. Ein spontaner Friseurbesuch kann tatsächlich ein ganzes Leben ruinieren.


Zurück zu den alten Gläsern
Nachdem ich den Versuch mit der neuen Brille für gescheitert erklärt habe, mache ich mich auf den Weg zur Augenärztin, um sie davon in Kenntnis zu setzen. Ausgerechnet heute ist sie nicht da und ich muss zu Ihrer Kollegin. Ihr schildere ich mein Problem und sie ist sehr überrascht. Mir wird ein lustiges Gestell auf den Kopf gesetzt, um die neuen und alten Gläser direkt miteinander zu vergleichen. Es bleibt dabei, dass ich mit den neuen Gläser besser sehe. Die Augenärztin sagt, dass es vorkommen kann, dass das Gehirn manchmal mit bestimmten Gläsern nicht klarkommt. Jetzt ist es also offiziell. Ich habe einen Hirnschaden. Zum Glück aber gibt es die passenden Gläser zu meinem Gehirn, sodass ich mir keine Sorgen machen muss, weil keine Komplikationen zu befürchten sind. Die Augenärztin wird für mich bei Fielmann anrufen und erklären, dass ich andere Gläser brauche. Dann werden sie kostenlos umgetauscht. Wären sie sicherlich auch ohne Anruf, denn ich habe ja diese Versicherung. Erleichtert verlasse ich die Praxis. Alles wird gut.


Die Teletubbies machen einen Ausflug
Mittagszeit. 26 Grad. Perfektes Wetter, um auf dem Balkon zu sitzen und zu lesen. Leider habe ich dafür aber nicht den geeigneten Balkon. Auf meinem Balkon im vierten Stock ist es so windig, dass es keinen Spaß macht, dort zu sitzen. So schnappe ich mir eine orangefarbene Stofftasche mit Apothekenwerbung, packe eine Flasche Multivitaminsaft, eine Rolle Haribo Happy Cola, einen Weberli Kuchen und ein Buch, “Vorsicht vor Leuten”, hinein und mache mich auf den Weg in den Park.
Meine Lieblingsbank wird von einer Teeniefamilie mit Hund belagert. Das missfällt mir. Widerwillig nehme ich auf einer anderen Bank Platz und beobachte die Teeniefamilie. Ich glaube nicht, dass einer von denen das achtzehnte Lebensjahr schon überschritten hat. Die Mutter ist etwa 1,50m bis 1,55m groß und die Tochter nur unwesentlich kleiner. Der Mann eindeutig ein Milchgesicht. Die Frau hat den jungen Hund an der Leine. Allerdings hat sie Mühe ihn, als er fröhlich im Wasser planscht, dort wieder herauszuziehen. Mich nervt ihr unbeholfenes Ziehen an der Leine. Die sollen von meiner Bank verschwinden. Sofort. Stattdessen fordert die Frau den Mann nun auf, Fotos zu machen. Der Hund heißt übrigens Laa-Laa. Wie kann man seinen Hund nur nach einem Teletubbie benennen? Vermutlich, weil die zusammen immer die Teletubbies gucken. Oder vielleicht sind die vier sogar die Teletubbies. Ausschließen kann man heutzutage nichts. Nach der Fotosession wirft der Mann Steine ins Wasser. Laa-Laa findet das Klasse und stürzt zum Wasser. Dummerweise ist am Ende der Leine die kleine Frau, die vermutlich Po heißt, und wird einige Meter Richtung Wasser gezogen, bevor sie Laa-Laa und sich stoppen kann. Nachmittagscomedy nennt man so etwas wohl. Laa-Laa und Po ziehen sich noch eine Weile hin und her, der Mann wirft weiter Steine und das Mädchen beobachtet alles. Eine schrecklich nette Familie. Nett finde ich sie allerdings erst, als sie sich endlich auf den Weg machen und meinen Platz verlassen.
Kaum sind sie weg, nehme ich Platz und lese mein Buch. Der Wind dreht und es riecht nach Scheiße. Ich suche die Umgebung ab, finde aber nichts Verdächtiges. Vielleicht kommt der Gestank aus dem Müll, vielleicht riecht der Teich auch so. Gut, dass der Wind bald wieder aus einer anderen Richtung kommt. Eine Entenfamilie watschelt an mir vorbei und eine Spinne seilt sich von meiner Brille ab. Ich esse Kuchen und Haribo Happy Cola. Eine meiner Zahnfüllungen löst sich und versaut die gute Laune schlagartig. Spontan rufe ich bei meinem Zahnarzt an und vereinbare einen Termin. Ziemlich viel Aufregung an einem Dienstag, den ich ganz gemütlich auf einer Parkbank verbringen wollte.


Der Verfall und mein Sprunggelenk
Seit Jahren bereitet mir mein Sprunggelenk Probleme. Manchmal sind die Schmerzen so groß, dass ich kaum gehen kann. Fußball kann ich deshalb seit Jahren nicht spielen und joggen längst auch nicht mehr. Mehrere Ärzte, die mein Sprunggelenk begutachtet haben, kamen zu dem Entschluss, dass es sich um Arthrose handelt und man nichts machen kann.
Da die Schmerzen in letzter Zeit wieder stärker sind, suche ich erneut einen Orthopäden auf. Dieser überweist mich zum MRT. Dort stellt man nicht wirklich etwas fest. Nicht einmal Arthrose. Ich habe nur schwache Bänder, mehr nicht. Zurück zum Orthopäden. Da es eine Gemeinschaftspraxis ist, sitzt heute ein anderer Arzt vor mir. Der jüngste Arzt dieser Gemeinschaft. Er liest den Bericht und freut sich, mir mitteilen zu können, dass nichts kaputt ist. Ich freue mich nicht wirklich und weise auf meine Schmerzen hin. Er untersucht den Fuß, kommt auf meinen Fußballunfall zu sprechen und sagt, dass es vorkommen kann, dass bei einer Bänderverletzung die Nerven irgendwie involviert sind. Der genaue Wortlaut ist mir zu kompliziert. Jedenfalls kommt es sehr selten vor und er will mir jetzt eine Cortison-Spritze geben. Also lege ich mich auf die Liege, er setzt die Spritze an und scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen mir Cortison in den Fuß, exakt in die Stelle, die bei leichtem Druck sehr schmerzt, zu spritzen. Der Schmerz lässt mich verkrampfen, mein Mund steht offen, aber ich verhalte mich ruhig. Er fragt, ob es geht. Ich sage unter größter Anstrengung “Ja. Ja.” Was bin ich doch für ein tapferer Mensch. Als ich wieder aufstehen darf, stelle ich fest, dass ich vor Schmerzen kaum gehen kann. Der Arzt sagt, dass wir das in zwei Wochen wiederholen. Und noch zwei Wochen später erneut. Dann sollte es gehen. Er hofft, dass ich so um eine Operation herumkomme. Ich auch, denn ich bin zu alt für Operationen. Und zu weich.
Auf dem Weg nach Hause, der sich als mühevoll erweist, denke ich darüber nach, wie sehr es mir gefällt, dass ich wohl doch keine Arthrose habe. Mein Hausarzt hat mal gesagt, dass mein Sprunggelenk dem eines über 90-Jährigen entspricht. Ob er das eventuell zurücknimmt? Und wer hat wirklich Recht? Die Mehrheit der Ärzte oder dieser junge Arzt? Werde ich es je erfahren?


Der Verfall und mein Magen
Ich neige schon lange zu Sodbrennen. Regelmäßig bin ich deshalb beim Arzt, bekomme meist irgendwelche Tabletten und soll zu einer Magenspiegelung. Da eine Magenspiegelung bei mir nur unter Narkose möglich ist, bleibt es am Ende immer bei Tabletten. Weil Sodbrennen auf Dauer üble Folgen haben kann, bin ich heute bei einem anderen Arzt und schildere ihm meine Probleme, vor allem vom ständig von Magensäure gereizten Hals, und weise sofort darauf hin, dass eine Magenspiegelung nicht möglich ist. Er sagt, dass man mich, wenn es denn so weit ist, während der Spiegelung schlafen legen kann. Das klingt gut. Weil er vermutet, dass irgendwas an meinem Magenausgang nicht richtig arbeitet, was daran liegen kann, dass ich so dünn bin, und deshalb Magensäure dahin gelangen kann, wohin sie nicht gelangen soll, soll ich täglich eine Pantopraxal-Actavis nehmen, weil unbehandeltes Sodbrennen zu Speiseröhrenkrebs führen kann. Sollte das nicht helfen, kommen wir auf die Magenspiegelung zurück. Scheiß Verfall.


Der Verfall und meine Zähne
Ich kann wirklich nicht behaupten, gute Zähne zu haben. Ein Implantat, acht Kronen und zahlreiche Füllungen können das bestätigen. Die jährliche Kontrolluntersuchung ist jedes Mal eine Herausforderung für mich. Vor zwei Monaten war es soweit. Mein Weißheitszahn, der schon lange raus soll, wurde angemerkt und ein anderer Zahn behandelt. Alles im erträglichen Rahmen. Dass ich heute wegen einer defekten Füllung und Zahnfleischbluten erneut und außerplanmäßig zum Zahnarzt muss, passt mir gar nicht. Der Termin ist um 08.00 Uhr. Ab 05.00 Uhr bin ich wach. Zu aufgeregt zum Schlafen. Um 06.32 Uhr klettere ich aus meinem Bett, mein Zustand verschlechtert sich im Minutentakt, mein Magen rebelliert und je näher der Termin rückt, desto häufiger sitze ich auf der Toilette. Zwischendurch würge ich fröhlich vor mich hin. Das ist echt gruselig. Ich greife nach einer Packung Diazepam, unterdrücke aber den Reflex, eine dieser netten kleinen Pillen einzuwerfen. Draußen sind angenehme 24 Grad, doch mir ist kalt. Und so ist es wenig verwunderlich, dass ich mir eine Jacke anziehe, als ich das Haus verlasse.
Ich bin der einzige Mensch, der eine Jacke trägt. Trotzdem ist mir nicht warm. Das System, welches mich am Leben erhält, ist völlig außer Kontrolle. In bemitleidenswert gebückter Haltung wandere ich Richtung Zahnarztpraxis. Mehrmals muss ich dem Impuls, auf der Stelle umzukehren, eine Abfuhr erteilen, was mir nur schwer gelingt. Je näher ich der Praxis komme, desto langsamer bewege ich mich fort. Zeitlupenwanderungen sind deutlich schneller. Ich werde immer verwirrter und verliere kurz den Überblick. Dann stehe ich, wie durch Geisterhand versetzt, plötzlich in der Zahnarztpraxis. Wie konnte es nur soweit kommen? Während ich mich anmelde, kämpfe ich gegen meinen Fluchtreflex. Mir ist nicht mehr kalt. Stattdessen schwitze ich. Der Kreislauf macht, was er will. Ich verliere irgendwie völlig die Orientierung. Wenige Minuten später sitze ich im Behandlungsstuhl und will doch nur weg. Der Zahnarzt erscheint, ersetzt meine defekte Füllung, schaut sich den Zahn an, der das Zahnfleisch bluten lässt, behandelt ihn irgendwie, stopft mir ein Wattebällchen mit ekligem Medikament in den Mund, empfiehlt mir eine Desinfektionslösung zum Spülen und vorbei ist der Spuk. Ich verlasse die Arztpraxis und es geht mir prima, abgesehen vom komischen Geschmack im Mund. Warum habe ich eine Jacke mit, obwohl es Sommer ist? Das Lebenserhaltungssystem arbeitet wieder ordnungsgemäß. Ich bin befreit. Zumindest bis zum nächsten Zahnarzttermin. Dann geht der ganze Wahnsinn vermutlich von vorne los.


Der Verfall und meine neuen Brillen
Endlich ist es soweit und ich kann meine Brillen abholen. Ab jetzt bin ich ein richtiger Brillenträger. Vorbei die Zeiten, als ich noch hoffte, je wieder Kontaktlinsen zu tragen. Vorbei auch die Zeiten der alten Brille. Und vorbei auch die Zeiten, in denen ich meine Sonnenbrille über meine normale Brille setzen musste, weil ich noch keine Sonnenbrille in meiner Stärke hatte. Nun muss ich bei Sonnenschein nur noch eine Brille tragen. Das ist nicht nur praktisch, es sieht auch einfach besser aus. So schnappe ich mir meine Brillen, verlasse Fielmann als sehender Mann und gehe positiv und sehend in mein neues Leben als Brillenträger. Ich kann es kaum erwarten, die ersten Frauen mit meinen neuen Brillen zu verführen. Ich glaube, mein Leben hat endlich wieder einen Sinn.

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