November 2010

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Meine Vorliebe, die Wohnung nicht zu verlassen, mein fortgeschrittenes Alter, meine Ideenlosigkeit und die üblichen Winterdepressionen, noch vor dem Winter, lassen mich immer mehr in eine Art Starre verfallen. Um nicht für immer in dieser Starre zu verweilen, beschließe ich, dass ich etwas unternehmen muss. Aber was? Ein Anruf bei Petra, die immer mal für neue Vorschläge gut ist, bringt eine Antwort. Ein Theaterbesuch soll es sein. Und so komme ich schon am nächsten Tag zum ersten Theaterbesuch meines Lebens. Wir besuchen ein kleines Theater in Dortmund und ich bin wirklich gespannt, was mich hier erwartet.
Die Bühne erscheint mir sehr klein. Das Stück heißt “Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran”. Die Vorstellung beginnt. Ein Mann steht auf der Bühne, auf der lediglich zwei Tische, eine Bank und ein fahrbares Holzgestell stehen. Ich bin etwas verwundert. Irgendwie hatte ich mehr Requisiten erwartet. Der Mann beginnt zu agieren. Ich finde es erstaunlich, dass jemand so etwas kann. Vor lauter Menschen in eine Rolle schlüpfen und diese vollkommen sicher vorzutragen. Ein zweiter Mann betritt die Bühne. Zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass es ein Zwei-Mann-Stück ist. Irritierend finde ich, dass einer der Herren auch andere Rollen spielt, z.B. eine Prostituierte. Das muss wohl Theater sein.
Was mir gut gefällt ist, wie klar und deutlich die beiden sprechen. Außerdem finde ich es faszinierend, wie gut die beiden so viel Text vortragen können und dabei so gut harmonieren. Die Zeit vergeht schneller als bei so manchem Kinofilm. Störend ist nur ein Gast in der ersten Reihe, der immer wieder ganz spontan Applaus spendet. Was mag nur in seinem Kopf vorgehen? Die beiden Darsteller lassen sich von solchen Begebenheiten nicht aus der Ruhe bringen. Vermutlich sind sie an solche Ausreißer gewöhnt. Ob das Stück eine Komödie ist, kann ich nicht beurteilen. Sicher ist es an der einen oder anderen Stelle witzig, doch warum das Publikum so häufig lacht, kann ich nicht nachvollziehen. Aber ich verstand die Menschen eh noch nie. Kein Grund weiter darüber nachzudenken.
Nach der Vorstellung trinken wir noch etwas in dem gemütlichen Theater, danach machen wir uns auf den Heimweg. Ich schätze, ich sollte öfter Neues ausprobieren. Schließlich lebe ich ja nicht mehr so lange und es gibt noch so vieles zu entdecken. Aber nicht morgen, denn morgen muss ich auf meine Couch. Die hat mich sicher schon vermisst.


Die dritte Schulwoche
Der erste Tag der dritten Schulwoche findet ohne Klaus, Sunny und die Astrologin statt. Glücklicherweise fehlt die Architektin ebenfalls. So bleibt mir ihr Mundgeruch erspart. Den Platz neben mir nimmt die Hübsche ein. Mehr kann ich wirklich kaum verlangen. Zur Krönung des Tages bekommen wir vier neue Teilnehmer dazu. Zwei Frauen und zwei Männer. Wirkliche Prachtexemplare, wie ich finde. Die eine Frau sieht einfach nur alt aus, hat einen osteuropäischen Akzent und ihre Stimme schmerzt in meinen Ohren. Die zweite Frau hat kurze, blonde Haare und einen komplett verformten Körper. Die Deformationen haben selbst vor ihrem Gesicht nicht Halt gemacht. Sie ist angelernte Krankenschwester oder Pflegerin und sieht für ihre 32 Jahre echt zum Fürchten aus. Die beiden Männer sind ebenfalls Prachtexemplare. Der eine erhofft sich unglaublich viel von dieser Maßnahme und hat schon viele Jobs gehabt. Er scheint ein naiver Träumer zu sein. Der andere ist ein unzufriedener Kasache, der mal zum Gärtner ausgebildet wurde. Sein Deutsch ist eher mäßig. So sehen also leicht vermittelbare Arbeitslose aus. Entzückend. Wenn ich mich hier so umsehe, dann sehe ich nicht wirklich viele Leute mit einer beruflichen Zukunftsperspektive. Zum Glück kann ich das aber gar nicht beurteilen, weshalb ich nicht weiter darüber nachdenke. Die Gruppe endgültig verlassen hat der 400€ Architekt, der möglicherweise auch ein Jurist sein kann. Klingt auf jeden Fall so als wäre er für diese Maßnahme eh überqualifiziert gewesen. Auch wenn er auf mich nie besonders qualifiziert wirkte. Aber wie schon erwähnt, habe ich weder eine gute Menschenkenntnis noch Ahnung von solchen Dingen.
Lustigerweise funktionieren die Heizungen mal wieder nicht wirklich und es ist kalt. Für mich zu kalt. Also beschwere ich mich bei der Dozentin. Sie fragt daraufhin irgendwo nach und teilt mir mit, dass die Heizungen entlüftet werden müssen und bald jemand kommt, um das zu machen. Großartig. Die sind hier sogar zu blöd, um Heizungen zu entlüften. Bevor ich mich weiter aufregen kann, werde ich zu einem Einzelgespräch mit der Dozentin verschleppt. Das Gespräch dauert unglaublich lange und am Ende steht „Berufsfindung“ auf dem Zettel. Meine Aufgabe der nächsten Wochen ist es, einen passenden Job für mich zu finden. Als ob es so etwas gibt. Da erscheint mir die Suche nach dem heiligen Gral eindeutig einfacher. Als ich zurück zum Gemeinschaftsunterricht komme, wird gerade der Stoff der letzten Wochen für die vier Neulinge wiederholt. Das ist selbst bei der zweiten Wiederholung noch vollkommen langweilig. Der Klassenraum hat sich während meiner Abwesenheit auch merklich abgekühlt und ich bin tatsächlich gezwungen meine Jacke anzuziehen. Der Dozent liest aus dem SGB 2 vor. Vorher hat er die Paragraphen 119 und 121 des SGB 3 vorgelesen. Diesen Teil habe ich leider verpasst, weil ich zum Einzelgespräch war. Ich weiß echt nicht, ob ich diesen Rückstand je wieder aufholen kann.

Die Kälte wandert weiter an mir hoch und ich bekomme Halsschmerzen und Reizhusten. Die Hübsche legt sich ihren Schal um und macht ihre Jacke zu. Langsam reicht es mir und so teile ich der Dozentin mit, dass ich jetzt gehen muss. Ihren Einwand, dass gleich der Heizungsmann kommt, ignoriere ich und sage, dass ich morgen früh wiederkomme, um die Heizung zu testen. Sollte sie dann immer noch nicht funktionieren, werde ich unverzüglich wieder gehen. Findet die Dozentin gar nicht gut, kann sie aber auch nicht verhindern.

Weil ich einfach nicht mehr warm werden will, Kopf- und Nackenschmerzen, Halsschmerzen und Husten habe, fahre ich direkt zu meinen Eltern, um ein Bad zu nehmen. Wirklich gesund fühle ich mich danach auch noch nicht. Ich glaube, es würde mir und meinem Körper gut tun, wenn ich eine kurze Auszeit von dieser Maßnahme nehme. Und da mich die Aussicht auf ein paar freie Tage innerlich aufwärmt, mache ich mich auf den Weg zum Arzt meines Vertrauens, klage ihm mein Leid und bekomme den Rest der Woche frei. Geht doch.


Die perfekte Passfotofrisur
Seit Wochen brauche ich Passfotos für einen neuen Ausweis und Bewerbungen. Doch bisher scheiterte jeder Versuch daran, dass ich meine Frisur unangemessen fand. Mal waren die Haare zu lang, dann waren sie zu kurz. Ein anderes Mal zerstörte der Wind jede Hoffnung auf ein akzeptables Foto.
Die Hoffnung, noch in diesem Jahr eine geeignete Frisur für Passfotos zu haben, habe ich längst begraben, als ich wieder einmal an meinem Spiegel vorbeikomme und einen flüchtigen Blick auf mein Antlitz werfe. Ich bin irritiert. Ungläubig werfe ich einen zweiten, längeren Blick in den Spiegel. Und tatsächlich. Es stimmt alles. Heute ist einer der wenigen Tage, der mir eine Frisur nach meinem Geschmack präsentiert. Heute habe ich meine Passfotofrisur. Jetzt muss ich nur noch einen geeigneten Pullover finden, der mit aufs Foto darf. Pullover Nummer 1 ist schon deshalb ungeeignet, weil er weiß ist. Pullover Nummer 2 wirkt einfach zu verspielt. Pullover Nummer 3 ist perfekt. Heute scheint es keine negativen Einflüsse zu geben. Heute werde ich mich fotografieren lassen.
Beim Fotografen entscheiden wir uns zunächst für einen weißen Hintergrund. Einen weißen Hintergrund haben wir zuletzt 1998 verwendet. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es gute Fotos werden. Von den sechs Fotos suchen wir später das Beste raus. Bild Nummer 3 lehne ich ab, weil es mir nicht gefällt. Bild Nummer 4 lehnt der Fotograf ab, weil es ihm nicht gefällt. Schließlich einigen wir uns auf Bild Nummer 2.Nach einem kleinen Small-Talk sagt der Fotograf etwas, was meine Entscheidung, heute Passfotos zu machen, noch einmal bestätigt. “Wie alt sind sie eigentlich? Achtundzwanzig?” Ob er weiß, wie glücklich er mich mit seiner Fehleinschätzung macht? Ich sage ihm, dass ich vierzig bin, mich aber wie achtundzwanzig fühle und jetzt vollkommen zufrieden bin. Es kommt eben doch darauf an, dass man mit der richtigen Frisur zum richtigen Fotografen geht.


FZW
Am Abend fahre ich zusammen mit Sam ins FZW. Wie üblich gehören wir zu den ersten Gästen, was natürlich bedeutet, dass wir in der Nähe des Eingangs verweilen können, um einen guten Blick darauf zu haben, wer heute alles ins FZW kommt. Ich liebe es, wenn ich einen guten Platz habe. Es dauert auch gar nicht lange, bis es voller wird. Und wie üblich vor der Weihnachtszeit ist der Anteil an Frauen sehr hoch. Ständig kommen neue attraktive und wohlgeformte Frauen ins FZW. Ich bin begeistert und weiß gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll. Sam wird sofort von einer Frau angelächelt. Er fragt sie: “Kennen wir uns?” – “Nein. Nur vom Sehen.” – “Ach so. Na dann.”, antwortet er desinteressiert. Das war wohl nicht das, was sie erreichen wollte. Enttäuscht zieht sie weiter. Das fängt ja gut an. Insgesamt werde ich viermal Augenzeuge, wie er angelächelt wird. Ich hingegen werde auch heute wieder völlig missachtet. Kein Lächeln, keine gierigen, oder wenigstens interessierten Blicke. Ich vermute, dass es an den Frisuren liegt. Während Sams Frisur gelungen ist, ist meine heute weit weg von meiner Passfotofrisur. Ich hätte heute vielleicht besser ein anderes Shampoo verwendet., denn hätte ich heute meine Passfotofrisur, würde es ganz anders laufen, dann könnten all die leckeren Frauen mir gehören. So aber wird das heute sicher nichts mehr mit den Frauen und mir, was sehr schade ist, hätte es doch meinem Selbstbewusstsein gut getan. So beschränke ich mich, weil ich es eh am besten kann, aufs gucken, was aber von Minute zu Minute mühseliger wird. Denn je voller es wird, desto schwieriger wird es für mich zu entscheiden, wohin ich meine Augen richte. Die Auswahl ist echt riesig, aber auch verwirrend. Meine Augen wandern umher, ich drehe mich von rechts nach links, schaue hier und schaue dort und in meinem Kopf wird es immer konfuser. Die Stimmen sagen. “Guck mal die. Und da. Sieh nur dort. Ui, was ist das denn? Boah. Oh, Gott. Kann ich die haben? Wo bekommt man denn so einen geilen Arsch? Darf ich den bitte anfassen? Und guck dort. Und da. Und da. Sieh nur die. Boing. Pling. Oink. Knarz. ????” Ich bin völlig überfordert. Mindestens eine halbe Stunde geht das so. Dann höre ich noch folgendes “5, 4, 3, 2, 1. Bumm.” Danach ist weitestgehend Ruhe in meinem Kopf und ich kann mich etwas entspannen.
Als störend empfinde ich, dass die Lüftung so stark aufgedreht ist, dass mir, egal wo ich stehe, die kühle Luft auf meinen eh schon geschwächten Körper gepustet wird. Obwohl ich ein Salbei-Bonbon nach dem anderen lutsche, habe ich Halsschmerzen. Das gefällt mir nicht und versaut meine gute Laune.
Gegen 02.12 Uhr habe ich genug gesehen und muss ins Bett. Ich verlasse das FZW und trete die Heimreise an. Zu Hause angekommen gurgel ich ausgiebig mit Teebaumöl, in der Hoffnung, meine Halsschmerzen besiegen zu können. Leider verliere ich diesen Kampf zunächst.


Kunstwerke aus meiner Hand
Ich bin mittlerweile in einem Alter in dem man hin und wieder etwas Gutes tut. Und so bastel ich am Samstag Adventssachen für einen guten Zweck. Mein Basteltalent wird von der ersten Minute an kritisiert. Kaum habe ich mit meiner ersten Arbeit begonnen, werde ich als Monk bezeichnet. Solche Äußerungen sind natürlich nicht gut für die Konzentration und das Werk an dem ich arbeite. Also ignoriere ich die Kritiker einfach und vollende mein erstes Werk. Eine farbliche Meisterleistung, die überraschend gut gelingt und sicherlich sehr schnell verkauft sein wird. Ich nenne es: Die erste Offenbarung.Die erste Offenbarung

Meine Kritiker bleiben allerdings kritisch und so wird mein zweites Werk, direkt nachdem ich damit begonnen habe, mehr als nur belächelt. Dabei will ich nur etwas von der Norm abweichen. Nach Fertigstellung sind die Kritiker zwar nicht mehr ganz so kritisch, aber zufrieden sind sie auch nicht. Irgendwas stört sie an der Umrandung des Gesamtkunstwerks. Ich schätze, dass sie nur neidisch sind, weil meine Werke so anders sind und meine Kreativität scheinbar keine Grenzen kennt. Ich nenne es: Die Rückkehr der Umrandung.Die Rückkehr der Umrandung

Mein drittes Werk wird, kaum habe ich es begonnen, als Katastrophe bezeichnet. Dabei ist es von schlichter Eleganz, gepaart mit den wichtigsten Weihnachtselementen. Doch meine Kritiker sehen das anders und lachen mich aus, weshalb ich sehr enttäuscht bin und nach Vollendung des Werkes meine Arbeit beenden will. Das Werk trägt den Titel: Blue Christmas.Blue Christmas

Weil ich aus heiterem Himmel noch eine grandiose Idee, die ich direkt umsetzen muss, habe, mache ich aber doch noch weiter. Kritisch wird auch meine Arbeit betrachtet, doch meine Kritiker sind nicht wirklich in der Lage, etwas an meinem Werk auszusetzen. Ich bekomme sogar ein positives Feedback. Und auch ich bin dermaßen von meinem Werk begeistert, dass ich es am liebsten behalten würde. Geht aber nicht, da ich hier für eine wohltätige Sache arbeite. Das Werk trägt den Titel: Modernes Weihnachtsfest.Modernes Weihnachtsfest

Bekanntermaßen soll man ja aufhören, wenn man seinen Höhepunkt erreicht hat. Doch in meinem Kopf steckt noch eine weitere Idee für ein letztes Werk. Eine weitere Komposition schlichter Eleganz entsteht. Ein durch und durch gelungenes Werk, das durch ruhige Formen und sanfte Farben überzeugt und für Behaglichkeit sorgt. Dieses Arrangement rundet meine Kreation perfekt ab. Ich nenne es: Das letzte Weihnachtsfest.Das letzte Weihnachtsfest

Kurz vor Ende des Basteltages bekomme ich völlig überraschend eine Zusatzaufgabe, an der bereits einer meiner größten Kritiker schon vor Beginn seiner Arbeit kläglich gescheitert ist, zugeteilt. Meine Fähigkeiten, was Kreativität und Eleganz angeht, haben letztlich alle überzeugt. Und so lasse ich ein außergewöhnliches Werk entstehen, welches ebenso schön wie ungewöhnlich ist. Ein Kunstwerk, das besonders für Singles und Depressive ein wunderschönes Geschenk zur Weihnachtszeit darstellt und in seiner traurigen Eleganz kaum zu überbieten ist. Jetzt, auf dem Höhepunkt meines Schaffens und meiner Kreativität, verlasse ich meine Kritiker. Ich hoffe, sie haben von mir gelernt und können in Zukunft auch solche Werke erschaffen. Mein letztes Werk trägt den Titel: Einsame Festtage.Einsame Festtage


Vierte Schulwoche
‘Scheiße’ ist das Wort, welches ich seit Maßnahmebeginn täglich sage. Und zwar immer direkt nachdem ich von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen werde. Das kann nicht gesund sein. Ab heute weckt der Wecker mich bereits um 06.17 Uhr, weil ich es meinem Benz nicht mehr zumuten mag, die Nächte im Freien zu verbringen. Und so habe ich jetzt jeden Morgen einen etwa zwölfminütigen Marsch zur Garage vor mir. Es ist verdammt unpraktisch, wenn man die Garage nicht in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung hat.
Nach meinem morgendlichen Spaziergang bin ich alles andere als entzückt, als ich in der Schule feststellen muss, dass die Heizungen nicht wirklich warm sind. Doch noch bevor ich mich beschweren kann, kommt ein Mitarbeiter und entlüftet die Heizungen, was zur Folge hat, dass es tatsächlich einigermaßen warm wird. Lediglich die Füße bleiben während des gesamten Vormittags kalt. Leicht vermittelbare Arbeitslose brauchen scheinbar keine warmen Füße. Den Platz neben mir nimmt die Architektin ein. Sie setzt sich sogar extra für mich um. Das hätte sie wirklich nicht tun müssen. Zunächst machen wir etwas recht Sinnvolles und besprechen Bewerbungsanschreiben. Trotzdem langweile ich mich und beobachte die Hübsche dabei, wie sie sich die Fingernägel feilt. Dabei gerate ich ins Träumen und stelle mir vor, wie ich unanständige Dinge mit ihr anstelle. Das gefällt mir. Der Gerd Baltus Doppelgänger ist heute besonders nervig und reißt mich immer wieder aus meinen Träumen. Er spricht mittlerweile mehr als der sprechende Sprudelbrunnen. Aber im Gegensatz zu dem verblödeten Sprechhaufen, amüsiert er uns wenigstens. Mein Blick wandert zurück zur Hübschen. Sie kaut einen Kaugummi und selbst das macht mich an. Miststück. Ich bin definitiv untervögelt.
Gegen 11.00 Uhr habe ich das Bedürfnis die Toiletten aufzusuchen. Kaum öffne ich die Toilettentür, kommt mir ein beißender Uringestank entgegen. Was soll denn der Scheiß? Die Antwort ist schnell gefunden. Bei keiner der drei Toiletten funktioniert die Spülung. Diese Maßnahme ist echt abartig.
Der Mundgeruch der Architektin hat mittlerweile seinen Tageshöhepunkt erreicht. Und irgendwie passt das zu der defekten Toilettenspülung und dem chemischen und sicher nicht gesunden Duft in unserem Klassenraum. Diese Maßnahme könnte tödlich enden.
Um 13.00 Uhr ziehen wir ins Gebäude der VHS um. L/WP ist angesagt. Zunächst müssen wir wieder irgendwelche Erlebnisse aufschreiben und vortragen. Ich weigere mich, was ein Privatgespräch mit Dozentin 2 zur Folge hat. Ich erkläre ihr, dass ich L/WP für Blödsinn halte. Sie sagt, dass es mich weiterbringen wird. Da mich diese Diskussion nicht weiter bringt, erfinde ich einfach irgendwelche Erlebnisse. Wo ist da der Sinn?
Später wird uns mitgeteilt, dass wir am Mittwoch unseren Aktivtag haben. Das bedeutet, dass wir am Mittwoch in sechs Betriebe gehen und dort unsere vier Fragen stellen und versuchen, die Mitarbeiter in ein Gespräch zu verwickeln, um so einiges über den Betrieb herauszufinden. Klaus macht so etwas nicht mit. Ich will auch nicht mitmachen. Doch meine Argumente sind heute wenig brauchbar. Dozentin 2 erklärt mir, dass ich nur so eine Chance habe, jemals einen Job zu bekommen, weil meine Bewerbungen ja bisher zu nichts geführt haben und in Zukunft auch zu nichts führen werden. Ich bin schlecht vorbereitet und der Punkt geht an sie, weil ich auf ihre dämlichen Ausführungen nicht antworte. Da ich nicht alleine gehen will, muss ich versuchen die Unsichere zu überreden, mich mitzunehmen, weil alle anderen schon jemanden haben, mit dem sie diesen Unsinn machen können. Obwohl sie absolut keine Lust hat, mit mir diesen Mist zu machen, hat sie keine Chance gegen meine Argumente. Jetzt hat sie mich am Hals und muss Mittwoch mit mir losziehen.

Am Dienstag bleibt der Platz rechts neben mir frei. Die Architektin hat ein Zahnproblem und muss zum Zahnarzt. Vielleicht wird bei der Gelegenheit auch ihr Mundgeruch entfernt. Obwohl ich heute zwei Paar Socken anhabe, bin ich bereits um 08.30 Uhr durchgefroren. Um nicht endgültig zu erfrieren, muss ich meine Jacke anziehen. Interessanterweise bin ich das einzige Weichei in der Klasse, denn außer mir scheint niemand zu frieren. Das erste Unterrichtsthema sind Zeitarbeitsfirmen. Das ist in etwa so interessant, wie einen vertrockneten Kaktus zu bewundern.
Nach der Frühstückspause wird es erträglicher, denn die Temperatur ist leicht gestiegen. Das Thema lautet nun „Initiativbewerbung per Telefon“. Ziel ist es, später gemeinsam ‚Telefonbewerbung‘ zu spielen. Ich hasse Rollenspiele. Die Toiletten stinken weiter bestialisch und es würde mich auch nicht wundern, wenn hier im Gebäude mittlerweile Ratten leben. In dem schmalen Treppenhaus, das zu unserem Klassenraum führt, riecht es passend dazu nach Verwesung. Die Treppe zur Hölle, nenne ich sie ab heute. Der sprudelnde Sprechbrunnen bringt sich immer sein ganz persönliches Sitzkissen mit, um es etwas bequemer auf den harten Stühlen zu haben. Allerdings ist es kein normales Sitzkissen, sondern ein Hämorrhoidenkissen. Vielleicht redet er deshalb so viel, weil er hofft, durch sein ständiges Gequatsche die Hämorrhoiden in die Flucht schlagen zu können. Die alte, dicke, blonde Frau mit der trommelfelltötenden Lache gibt es nicht mehr in unserem Kurs. Sie hat es irgendwie geschafft dem Teufelskurs zu entkommen. Irgendwie beneide ich sie und den Architekten, oder was auch immer er ist, schon ein wenig. Sie müssen das hier nicht mehr ertragen.
Sunny und die Astrologin fehlen auch weiterhin. Dafür erfreut uns der Kasache täglich aufs Neue mit seinem Lachen. Immer wenn er etwas tun soll, sagt er „Nix verstehen“, „Kann nix“ oder „Weiß nix“ und bricht dann in ein ziemlich blödsinniges Gelächter aus. Klaus und ich finden es köstlich und amüsieren uns mit ihm. Weil ich ein neugieriger Mensch bin, spreche ich ihn wenig später auf sein merkwürdiges Verhalten an. In gebrochenem Deutsch sagt er mir, dass er keinen Bock auf das alles hat. Da er mit der Masche meist durchkommt, beneide ich ihn ein wenig. Vielleicht sollte ich auch nach jedem Satz einfach loslachen. Lachen soll einen außerdem sympathischer erscheinen lassen. Zur Belohnung, dass endlich mal jemand mit ihm gesprochen hat, scheint der Kasache mich nun zu mögen. Die Gerd Baltus Kopie hat es sich aus unerklärlichen Gründen angewöhnt mich vollzuquatschen. Ich weiß zwar oftmals nicht, worum es in unseren Gesprächen bzw. seinen Ausführungen geht, aber es scheint ihm gut zu tun mit jemandem zu reden. Wenn das so weitergeht, werde ich noch der beliebteste Mann in diesem Kurs. Die Dicke mit den rot gefärbten Haaren ist irgendwie merkwürdig und erzählt, dass sie Probleme beim Telefonieren hat. Immerhin klappt es mit dem Essen, denn so dick wird man kaum, wenn man Probleme beim bzw. mit dem Essen hat. Bei ihr auf dem Tisch stehen allerdings, wie bei vielen unter Adipositas leidenden Menschen, nur gesunde Sachen. Meist Mineralwasser und Obst. Aber davon lasse ich mich nicht beeindrucken. Ihr Körperumfang kann mich nicht täuschen. Sie ist eine dicke und träge Planschkuh. Da hilft ihr auch kein Döschen voller Obst. Dick bleibt dick und doof bleibt doof. Ich weiß das, weil ich ein Mensch voller Vorurteile bin. Wie ich erst jetzt bemerke, ist die Frau mit dem verformten Körper auch aus dem Kurs verschwunden. Vermutlich hat sie einen Job in einer Geisterbahn bekommen. Immer noch besser als hier sein zu müssen. Der hoffnungsvolle Typ mit dem osteuropäischen Akzent sitzt mit geöffnetem Mund im Unterricht und lauscht den Ausführungen des Dozenten. Ob es sich bei dem geöffneten Mund um eine spezielle Atemtechnik handelt oder ob der Mund vor lauter Begeisterung offen steht, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen.

Der Aktivtag beginnt um 09.00 Uhr. Ich hole die Unsichere ab und als ich gerade losfahren will, taucht eine dicke, etwas unförmige Frau vor uns auf. Da ich finde, dass sie im Weg ist, sage ich, dass wir die ruhig überfahren können, weil sie es sicher nicht leicht hat in ihrem Leben und wir sie so erlösen könnten. „Das ist meine Tante.“, sagt die Unsichere. Autsch. Da hätte ich wohl besser geschwiegen. Bevor ich weiteren Unsinn rede oder ihre Tante tatsächlich überfahre, fahren wir zu einem Seniorenpflegeheim nach Alstedde und befragen die Dame am Empfang. Da die Unsichere mir zu unsicher ist, übernehme ich nach einer Weile das Gespräch und stelle einfach irgendwelche Fragen, die mir spontan einfallen. Die Unsichere fragt abschließend, ob sie sich eventuell um einen Arbeitsplatz bewerben darf. Darf sie. In ungefähr vier Jahren wird möglicherweise eine geeignete Stelle frei. Das ist ja großartig. Zeit uns zu verabschieden. Das war herrlich sinnlos.
Weil der Spaßfaktor während des Gesprächs fast ins Unermessliche gestiegen ist, beschließen wir, dass wir noch ein zweites Interview führen. Deshalb befragen wir in einem Seniorenwohnheim einen Mitarbeiter des sozialen Dienstes. Das ist durchaus peinlich und vor allem völlig unwürdig und sinnlos, weshalb wir danach unverzüglich beschließen, dass wir so etwas nie wieder tun werden. Abschließend ziehen wir folgendes Fazit. Die Aktion macht nur dann Sinn, wenn man einsam ist und mit Leuten sprechen möchte und Quereinsteiger haben nicht wirklich eine Chance auf einen Job im Seniorenwohnheim. Außerdem haben wir unsere Zeit vergeudet und kamen uns dabei ziemlich bescheuert vor. Ein weiteres Mal brauchen wir den Quatsch definitiv nicht. Um 10.00 Uhr ist der Schultag für uns beendet.

Am Donnerstag wird unsere Gruppe abermals vergrößert. Ein weiterer Mann und eine weitere Frau bereichern ab sofort diese lustig zusammengewürfelte Truppe der leicht vermittelbaren Arbeitslosen, die komischerweise nur schwer zu vermitteln sind. Der neue Mann in unserer Gruppe ist gelernter Koch, hat einen Spitzbart, zurückgekämmte und mit Gel fixierte Haare und trägt Sachen, die ihm etwas zu groß sind. Vielleicht ist er auch nur zu klein für seine Sachen. Was auch immer der Grund ist, schön sieht das nicht aus. Die Frau ist 28 Jahre, sehr dünn, hat ein spitzes Kinn, eine große Nase und trägt eine Brille. Um das merkwürdige Gesamtbild abzurunden, trägt sie eine etwas zu kurze Jeans mit einem roten Streifen auf jeder Seite. Ich dachte, solche Hosen werden seit Jahren nicht mehr hergestellt. Entweder habe ich mich geirrt oder sie hat die Hose aus ihrer Kindheit ins Erwachsenenleben mitgenommen. Zumindest weiß ich nun endlich, wer solche Hosen trägt. Unfassbar. Sie ist erotisch wie eine vertrocknete Erbse. Der sprudelnde Sprachcomputer, der nur Müll produziert, ist entzückt, als sich die vertrocknete Erbse neben ihn setzt. Sofort schwallt er sie zu. Dazu hat er sein Dauergrinsen aufgesetzt und seine Brille abgenommen. Heute gibt er alles und es läuft ganz gut für ihn. Die Erbse springt scheinbar auf seine penetranten Balzversuche an. Pervers.
Neben mir sitzt die Architektin. Ihr Zahnproblem wurde gelöst, indem ihr der Zahn gezogen wurde. Ich bin mir nicht sicher, aber es scheint, als wäre der Mundgeruch dadurch auch zurückgegangen. Aber ich trau der Sache noch nicht. Positiv lässt sich anmerken, dass die Toilettenspülung wieder funktioniert und der bestialische Uringestank verschwunden ist. Jetzt macht der Toilettengang fast wieder Spaß.
Bis 11.00 Uhr spielen wir wieder Telefonrollenspiele. Die Zeit bewegt sich im Zeitlupentempo. Ab 11.00 Uhr starten wir ein neues Thema. E-Mail-Bewerbungen. Die Zeit verlangsamt sich noch einmal. Gefühlte sechsundvierzig Stunden später ist es 12.30 Uhr. Mittagspause und Zeit in die VHS umzuziehen. Klaus und ich haben es tatsächlich geschafft, bis zu diesem Zeitpunkt nicht ein Wort im Unterricht zu sagen. Nicht ein einziges Wort. Unglaublich.
In der VHS besprechen wir zunächst kurz die gestrigen Tagesausflüge. Die Frage, ob ich auch etwas dazu sagen möchte, beantworte ich mit „Nein. Danke.“ Was soll ich auch sonst sagen? Danach müssen wir wieder einen Erlebnisbericht schreiben. Leider brauchen einige dafür etwas länger, weshalb Klaus zu mir sagt „Du solltest denen mal erklären, wie man so schnell wird wie Du“ und dabei in Richtung der langsamen Gruppe deutet. „Du meinst die Gruppe der Lernbehinderten?“, frage ich ihn. Wir sind vergnügt. Dozentin 2 schaut mich etwas irritiert an. Da muss sie jetzt durch. Wenig später müssen die Erlebnisberichte in Dreiergruppen ausgewertet werden. Klaus und ich bekommen den Kasachen zugelost. Und ab sofort darf gelacht werden. Der Kasache ist echt genial. Er versteht kaum, was um ihn herum passiert, aber er hat einen Mordsspaß. Und weil er ständig lacht, lachen wir mit. Wir sind völlig außer Rand und Band. Weil ich ein netter Mensch bin, erkläre und buchstabiere ich dem Kaschen das Wort ‚lernfähig‘, welches er vorher wohl noch nie gehört hat. Beim letzten Buchstaben bekommt er Schwierigkeiten. Was er auch versucht, das g ist eine zu hohe Hürde für ihn. „Das G ist nicht so Dein Ding, was?“ Kaum habe ich es ausgesprochen, fängt Klaus an zu lachen. Und obwohl er es nicht versteht, lacht der Kasache mit. Jetzt muss auch ich lachen. Das ist doch nicht normal. Nachdem wir uns wieder beruhigt und dem Kasachen ein paar Dinge erklärt haben, kommt Dozentin 2 an unseren Tisch. „Eigentlich wollte ich heute noch etwas anderes mit Ihnen machen. Aber die Gruppe da hinten braucht noch etwas Zeit. Deshalb können Sie schon jetzt nach Hause gehen.“ Ich schaue zu der Gruppe und kann mir einen Kommentar nicht verkneifen. „Ach, die Lernbehinderten da hinten.“ – „Ja. Haben Sie ein Problem damit?“ – „Ja. Es deprimiert mich.“ – „Ehrlich?“ – „Nein.“ Sichtbar erleichtert erzählt Dozentin 2 nun von einer anderen Gruppe, in der einige Teilnehmer wohl davon deprimiert wurden, dass sie in einer Gruppe mit weniger intelligenten Teilnehmern arbeiten mussten.“ Eine sehr traurige Geschichte, die mich allerdings nicht interessiert, weshalb ich meine Sachen packe und auf den Weg nach Hause mache.


frau TV
Donnerstag, 22.00 Uhr. Ich sitze vor dem Fernseher und schaue frau TV. Es ist mir ein Rätsel, wie es dazu gekommen ist. Doch nun sitze ich hier und schaue die Sendung mit dem Thema “Männer, Frauen, Sex”. Die Moderatorin, Lisa Ortgies, hat eine lustige Frisur. Mit ihr würde ich vermutlich auch Sex haben, wenn es sich ergäbe. Neben der Moderatorin gibt es drei Gäste. Joe Bausch, der ab und zu im Tatort als Gerichtsmediziner auftritt, Johanna Klum, Moderatorin der Lokalzeit und Christine Westermann, die die Sendung “Zimmer frei” moderiert. Diese vier unterhalten sich nun über Frauen, Männer und Sex. Frau Westermann guckt immer sehr skeptisch und ich glaube, ich habe Angst vor ihr. Herr Bausch fühlt sich sichtbar wohl. Vor allem, weil die Frauen sein Parfum mögen. Leider verrät er nicht, welches Parfum es ist. Das ist schade, ist es doch das, was mich am meisten interessiert. Ich rieche auch gerne gut und liebe es, wenn mir das von Frauen gesagt wird. Es werden ein paar Filmchen eingespielt, es wird diskutiert und ich frage mich, was das für einen tieferen Sinn hat. Außerdem frage ich mich, ob ich der einzige Mann bin, der diese Sendung schaut. Nebenbei erfahre ich, dass die Klitoris durchschnittlich 11 cm lang ist. Ob Frauen auch mit der Klitorislänge angeben, wie es Männer mit der Penislänge tun, erfahre ich leider nicht. Der vaginale Orgasmus ist ein Mythos und das Liebesspiel dauert inkl. Vorspiel 35 Minuten. Da bin ich bedeutend schneller. Vielleicht sitze ich deshalb auch jetzt alleine vor dem Fernseher.
Herr Bausch behauptet nun, dass es sehr wohl vaginale Orgasmen gibt. Die Frauen fragen ihn, ob er schon mal darüber nachgedacht hat, dass die Frauen ihm das nur vorgespielt haben, woraufhin er etwas den Faden verliert. Ich frage mich indes, warum Frauen einen Orgasmus vorspielen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das irgendwie weiter bringt. Ich bin jedenfalls noch nie auf die Idee gekommen einen Orgasmus vorzutäuschen. Sehe ich einfach keinen Sinn drin. Während die vier weiter plaudern, frage ich mich, ob ich nicht beruflich in irgendwelchen Sendungen sitzen könnte, mich über Themen unterhalten, von denen ich keine Ahnung habe, und mich dafür angemessen bezahlen lassen könnte. Nach einer Weile bin ich der Meinung, dass das genau der richtige Beruf für mich ist. So eine Sendung dauert ja meist nicht lange und man lernt ständig neue Menschen kennen. In dieser Sendung z.B. hätte ich mich intensiver mit Johanna Klum beschäftigt. Die hat nämlich schöne Zähne. So habe ich durch frau TV endlich einen Beruf gefunden, der mir gefallen könnte. Jetzt muss die ARGE nur noch die Umschulung bezahlen, dann starte ich durch.


Letzer Schultag der vierten Woche
Als ich am Freitag an der Schule ankomme ist das Gebäude nicht beleuchtet und schnell stellt sich heraus, dass es noch verschlossen ist. Einige Teilnehmer und der Dozent stehen frierend davor. Noch bevor ich irgendwelche Fragen stellen kann, werde ich darauf hingewiesen, dass wir keinen Zutritt zu dem Gebäude haben und deshalb ins Gebäude der VHS umziehen. Dort empfängt mich Dozentin 2 und weist darauf hin, dass in der Aula kein Platz für uns ist. Wieder einmal erweist sich die Maßnahme als perfekt organisiert und durchgeplant. Letztlich werden wir in einen Kellerraum der VHS weitergeleitet. Logischerweise ist dieser nicht beheizt. Doch es kommt noch besser, denn ich habe das Vergnügen neben dem Kasachen zu sitzen. Und so wird meine Nase mit leicht muffigen Gerüchen, die der Kleidung des Kasachen entweichen, umschmeichelt. Das muss ein Alptraum sein. Weil niemand mit dem Unterrichtsthema ‚Tagesimpuls‘ etwas anfangen kann, wiederholen wir einfach den aufregenden Unterricht vom Vortag. Und so hält der Dozent den Vortrag über Online-Bewerbungen einfach erneut. Passend dazu bewegt sich der Uhrzeiger in Zeitlupe. Als der Dozent feststellt, dass wir das alles gestern schon gemacht haben, sieht er trotzdem keinen Grund damit aufzuhören. Warum auch? Macht schließlich einen Mordsspaß.
Um 08.34 Uhr erscheint die Dozentin und wir ändern das Thema. Der Tagesimpuls wird hervorgeholt und wir reden plötzlich über öffentliche Verkehrsmittel und unsere Erfahrungen damit. Da kann und will ich nicht mitreden. Erstaunlicherweise ist die Hälfte der Mitschüler nun mit vollem Einsatz dabei und so entsteht eine rege Diskussion. Ich bin schockiert und meine Füße werden trotz zwei Paar Socken immer kälter. Hört der Wahnsinn denn nie auf? Die Scheiben des Unterrichtsraums beschlagen immer mehr, während der Dozent uns die Vorteile von Bus und Bahn gegenüber dem PKW erklärt. Ich habe einen Benz. Was interessieren mich Bus und Bahn? Während der Dozent weiterredet, versuche ich mit der Kraft meiner Gedanken die dicke, rothaarige Frau platzen zu lassen. Leider gelingt mir das nicht und so müssen wir warten bis sie irgendwann von alleine platzt. Das war es dann auch zum Thema Tagesimpuls.
Spontan geht es zurück in unser versifftes Schulgebäude. Dort angekommen weist die Dozentin mich darauf hin, dass ich die Heizung nicht wieder höher drehen soll, weil es warm genug ist und alle von der Wärme so müde werden. Ich weise sie darauf hin, dass es nicht die Wärme ist, die uns müde werden lässt. Dieser Einwand gefällt ihr, wie sollte es auch anders sein, nicht. Sie mag es wohl nicht, wenn der hochwertige Unterricht kritisiert wird. An alter Wirkungsstätte sitzt die Architektin wieder neben mir und ich muss feststellen, dass es nicht wirklich etwas gebracht hat, dass ihr ein Zahn gezogen wurde. Sie riecht wieder wie zu besten Zeiten. Vielleicht sollten ihr alle Zähne gezogen werden. Als nächstes bekomme ich einen 2GB USB-Stick ausgehändigt. Dieser wird zu Unterrichtsbeginn ausgeteilt und am Ende eines jeden Tages wieder eingesammelt. Und so liegt ‚mein‘ USB-Stick den ganzen Unterrichtstag lang vor mir auf dem Tisch. Der Sinn dieser Aktion bleibt mir leider verborgen. Das Unterrichtsthema ist jetzt ‚Hunger‘. Dazu halten einige Teilnehmer Referate. Der sprudelnde Sprechhaufen beginnt und hält einen Vortrag über Bio-Lebensmittel. Ich habe das Gefühl, hier zu einem Bio-Bauern ausgebildet zu werden. Weitere Referate folgen. Sie behandeln folgende Themen: Nahrungsergänzungsmittel, Chemie in Lebensmitteln und Ausgewogene Ernährung. Die Referate und die folgenden Diskussionen dazu, nehme ich nur entfernt wahr. Gedanklich reise ich auf einem fliegenden Teppich über Obstfelder und pflücke hier und dort einen garantiert naturbelassenen Apfel. Plötzlich passiert etwas Unerwartetes. Der Dozent teilt mir mit, dass er meinen Lebenslauf überarbeitet und eine Bewerbung für mich geschrieben hat. Der neue Lebenslauf ist wirklich gelungen. Das Anschreiben auch. Warum ich mich jetzt allerdings in Arnsberg bewerben soll, verstehe ich nicht so ganz. Das ist etwas zu weit weg. Doch ich will nicht meckern. Für einen so schönen Lebenslauf und ein so gelungenes Anschreiben, kann ich mich auch mal in Arnsberg bewerben. Noch bevor ich zu euphorisch werde, beginnen wir mit dem letzten Unterrichtsteil. Wir sollen in neunzig Minuten den Wochenplan einer alleinerziehenden Mutter erstellen. Dreißig Minuten später bin ich fertig und darf eine Stunde einfach nur so dasitzen und meine Mitschüler beobachten. Ich beobachte, wie der sprechende Sprudelkopf die vertrocknete Erbse angräbt und sie ganz verzückt darauf reagiert. Die beiden sind ein echtes Traumpaar. Er sollte nicht zu lange zögern, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo auf der Welt noch eine Frau gibt, die seine flachen Witze und Erzählungen ohne Pointe so toll findet wie die Erbse. Der hoffnungsvolle Typ mit dem offenen Mund heißt ab heute „Synapsen Joe“, weil er immer so spontan und unfassbar wirr drauf los spricht oder schreit, wenn irgendwelche Kurzschlüsse in seinem Gehirn stattfinden. Man zuckt regelmäßig zusammen, wenn er loslegt. Und obwohl er so laut spricht oder schreit ist er nur sehr schwer zu verstehen, was an seiner furchtbaren Stimme und seinem schlechten Deutsch liegt. Was haben die nur für Chaoten in diesen Kurs gesteckt?


Agnes 3
Agnes und ich telefonieren weiter regelmäßig und vereinbaren ein drittes Treffen. Dieses findet am 20. November 2010 statt. Der Ablauf ist ähnlich wie bei unserem letzten Treffen. Wir setzen uns aufs Sofa, plaudern ein wenig, küssen uns und es dauert nicht lange bis ich vorschlage, dass wir das Ganze im Bett fortsetzen. Im Bett machen wir da weiter, wo wir bei unserem letzten Treffen aufgehört haben. Einem ausführlichen Vorspiel folgt unglaublich intensiver und geiler Sex. Ich hätte nicht erwartet, dass es noch heißer zugehen würde als beim letzten Mal. Doch Agnes tut Dinge, die mir den Verstand rauben und mich unglaublich anmachen. Sie überrascht mich sehr und macht Lust auf mehr. Diese Nummer werde ich jedenfalls so schnell nicht vergessen.
Weil wir noch etwas Zeit haben, gehen wir nach unserer Exkursion ins Bett, ins Wohnzimmer, trinken etwas, küssen uns und es dauert nicht lange bis wir den unteren Teil unserer Kleidung abgelegt haben, um ein weiteres Mal miteinander zu schlafen. Agnes macht mich dermaßen an, dass ich einfach nicht genug von ihr kriege. Ich liebe ihre sexuelle Aufgeschlossenheit und hoffe, dass wir noch oft zusammen Sex haben werden. Und ich muss gestehen, dass sie mir auch außerhalb des Bettes ausgesprochen gut gefällt.


Keine Zukunft als Künstler
Der Verkauf meiner selbst gebastelten Kunstwerke lief, wie ich von Ursula erfahre, nicht wirklich gut. Nur drei meiner Werke konnten verkauft werden und so werde ich in Zukunft darauf verzichten, weitere Kunstwerke zu erstellen. Scheinbar sind die Menschen noch nicht reif für meine Kunst.


Temperaturmessung am 29.11.2010
Nach dem ersten Schnee, der mich tierisch nervt, trifft mich der nächste Schock, als ich versuche, in meiner Wohnung eine angenehme Temperatur zu bekommen. Ich drehe beide Heizungen auf Maximum und stelle fest, dass die nächsten Monate sehr hart für mich werden. Im Wohnzimmer herrschen tropische 19,6°. Im Schlafzimmer angenehme 18,6°. Im Bad frische 15,5° und in der Küche sage und schreibe 13,1°. Wärmer kriege ich die Zimmer einfach nicht. Und dabei hat der Winter noch gar nicht richtig angefangen.


Fünfte Schulwoche
Am Montag fehlen Sunny, die Astrologin und der Spitzbart. Ich beneide sie um jeden Tag, den sie nicht hier sein müssen. Das Thema des Tages ist „Selbständig(keit)“. Klingt langweilig und ist es auch. Zur Belohnung bekommen wir wieder Zuwachs. Eine weitere Teilnehmerin wird uns von der ARGE geschenkt. Die können sie echt nicht alle haben bei der ARGE. Die neue Teilnehmerin ist blond und hat eine ansprechende Figur. Nur schade, dass ihre beste Zeit seit zwanzig Jahren vorüber ist. Somit ist sie uninteressant für mich. Wer mich etwas irritiert ist die Architektin. Entweder hat sich ihr Bauchumfang am Wochenende spontan verdoppelt oder ich habe vorher einfach übersehen, was für einen Kugelbauch sie vor sich her trägt. Sie sieht aus wie kurz vor der Entbindung. Sehr merkwürdig.
Um 09.15 Uhr gibt es in der Küche der VHS Frühstück für uns. Als Entschädigung für die ersten Tage ohne Heizung und als willkommene Abwechslung vom langweiligen Unterricht. Die Tischgespräche sind allerdings furchtbar. Es geht um Selbstmord, Versagen und andere deprimierende Themen. Kein Grund also, sich an irgendwelchen Tischgesprächen zu beteiligen. Wobei ich zugeben muss, dass ich auch bei anderen Themen nicht mitdiskutiert hätte. Es gibt schließlich für alles seine Grenzen. Etwa eineinhalb Stunden später sitzen wir wieder in unserem übelriechenden Klassenraum. Ein faulig-süßer Duft umschmeichelt unsere Nasen und erfüllt uns mit Ekel. Vermutlich ist das genau der richtige Raum für leicht vermittelbare Arbeitslose wie uns.
Am Nachmittag geht es erneut rüber zur VHS. Weil wir etwas früh dran sind und Dozentin 2 noch nicht beginnt, dürfen wir eine weitere großartige Show der durchgeknallten Sprechblase bewundern. Zunächst zitiert er vollkommen losgelöst von jeglichem Verstand irgendwelche Filmszenen oder spricht ganze Passagen aus verschiedenen Filmen nach. Das ganze versetzt ihn dermaßen in Verzückung, dass er lachen muss. Als er merkt, dass sein Publikum, also wir, nicht wirklich auf ihn achtet, macht er das, was er in solchen Situationen stets zu tun pflegt. Er steht auf, stellt sich in die Mitte unseres Stuhlkreises und zündet die nächste Stufe des Sprechblasenwahnsinns. Er zitiert etwas, dann fängt er an zu singen. Die anderen Teilnehmer schauen weg oder schütteln den Kopf, was ihn nur noch mehr motiviert. So hebt er die Stimme, trällert wie ein schwer Gestörter und gibt danach wieder irgendwelche Geschichten, die selbst er wohl kaum versteht, zum Besten. Keine Ahnung, wovon er redet oder was er singt. Vermutlich kann niemand, nicht mal er, seinen Ausführungen folgen. Und außer ihm will das vermutlich auch niemand. Er schaut halb vergnügt, halb verwirrt, aber insgesamt doch recht sparsam auf sein Publikum und gibt dann endlich auf. Eine weitere Sprechblasenshow ist vorüber. Der Applaus bleibt aus und der L/WP-Schwachsinn beginnt. Zunächst wiederholen wir die „Ätzend“ Liste und schreiben auf, was an einem Chef ätzend sein kann. Mein Einwand, dass wir das alles schon einmal gemacht haben, wird zur Kenntnis genommen. Die Wiederholung erklärt Dozentin 2 damit, dass mittlerweile so viele neue in der Gruppe sind und es deshalb notwendig ist es zu wiederholen. „Und wenn in zwei Wochen wieder ganz viele Neue dabei sind, wiederholen wir es nochmal?“, frage ich sie. Sie verneint. Doch davon wird es auch nicht besser. Und so darf zuerst Synapsen Joe seinen Text vortragen. Natürlich muss er dazu aufstehen. „Mein Name ist Synapsen Joe. Ich finde es ätzend, wenn mein Chef cholerisch ist.“ Es folgt Mr. Bean. Er steht auf und legt los. „Ich heiße Mr. Bean. Synapsen Joe findet es ätzend, wenn sein Chef cholerisch ist. Ich finde es ätzend, wenn mein Chef unehrlich ist.“ So geht es einmal rum. Beim Kasachen gibt es eine kurze Unterbrechung, weil er mal wieder nichts versteht, aber freundlich lacht. Nach einer kurzen Erklärung, die er auch nicht versteht, geht es ohne ihn weiter. Allerdings steht jetzt niemand mehr auf. Die Blonde mit dem Oberlippenflaum findet es übrigens ätzend, wenn ihr Chef inkonsequent ist. „Inkontinent?“, frage ich. „Ja, das auch.“ Und so endet unsere lustige Kinderrunde vergnügt und völlig ohne Sinn. Was uns das auf dem Weg zur Selbstvermittlung bringt, bleibt uns auch heute verborgen. Zum Abschluss des Tages schreiben wir einen weiteren Erlebnisbericht, den wir anschließend von unseren Mitschülern auswerten lassen. Man könnte fast darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre.

Der Dienstag beginnt mit einer Gruppendiskussion ohne Dozenten. Das Ergebnis unserer Diskussion ist, dass wir alle kein L/WP mehr wollen und erst Recht keine Aktivtage. Meine Frage, ob wir uns alle wirklich einig sind, wird bejaht. Und so teilen wir unsere Meinung dem Dozenten und der Dozentin mit. Sie sind etwas ratlos und sagen uns, dass die ARGE L/WP vorgegeben hat und es deshalb keine Möglichkeit gibt, es vom Unterrichtsplan zu nehmen. Mir ist es egal, was die ARGE will. Nach der ersten Pause schlagen ein paar Teilnehmer vor, den Aktivtag zu nutzen, um zur Zeitung zu gehen und dort von dem Kurs, den unmöglichen Zuständen und der Steuergeldverschwendung zu erzählen. Ich finde die Idee hervorragend, doch die Teilnehmerinnen, die am lautesten protestiert haben und auf keinen Fall mehr L/WP machen wollten, sind längst eingeknickt und haben, nachdem die Dozenten gesagt hatten, dass die ARGE sicher nicht vom L/WP abweichen wird, beschlossen, weiter am Unterricht teilzunehmen, weil es nur noch fünf Wochen sind. Bis dahin wollen sie sich unauffällig verhalten und so tun, als würden sie aktiv mitmachen. Das finde ich sehr interessant, weil diese Dumpfbacken gestern, als ich eben dies vorgeschlagen habe, völlig entsetzt waren und meinten, dass sie keine Lust haben so zu tun, als würden sie mitmachen und das auf jeden Fall etwas passieren muss. Ich glaube, die sind verwirrt. Oder haben ihre Tage. Oder beides.
Die vertrocknete Erbse scheint kurzzeitig von der sprudelnden Sprechblase genervt zu sein. Ob sie doch nicht so verrückt ist, wie ich es befürchtete habe? Die Neue, Blondie, hält mich für aggressiv und schaut immer wieder skeptisch über ihre Lesebrille hinweg zu mir herüber, um zu sehen, was ich mache. Meistens schlafe ich ein. Im Klassenraum ist es wieder mal bitterkalt. Viele frieren, doch keiner sagt etwas. Ich ziehe, wie viele andere, eine Jacke an. Das kann es echt nicht sein. Die Scheiben sind beschlagen und in der Pause stelle ich fest, dass die Heizungen nur auf drei stehen und nicht wirklich warm sind. Ich drehe alle Heizungen höher. Wirklich warm wird mir deshalb nicht. Wenig später ist die Dozentin der Meinung, dass es zu warm ist und dreht wieder alle Heizungen runter. Diese ganze Maßnahme ist eine einzige Zumutung. Da ich so viel Schwachsinn nicht länger ertrage und mein Auto in die Werkstatt muss, beende ich den Tag um 14.30 Uhr.

Am Aktivtag bin ich sehr aktiv. Ich beantrage einen neuen Personalausweis, putze die Wohnung inkl. 2 Fenster, gehe einkaufen und zum Training. Ich bin sehr zufrieden mit mir. Das nenne ich einen richtigen Aktivtag.

Am Donnerstag wird uns mitgeteilt, dass Sunny einen Job als Immobilienmaklerin bekommen hat. Vermutlich wird das jetzt sofort irgendwo als Vermittlungserfolg verbucht. Der Optik in unserer Gruppe tut das absolut nicht gut, dass sie nun nicht mehr da ist. Wenig später meldet sich der Kasache krank. Die Hübsche ist ebenfalls abwesend. Nur ich Trottel sitze hier und erfreue mich an dem Geruch und der Kälte in diesem Gemäuer. Ich muss echt bekloppt sein.
Den Vormittag verbringen wir mit lustigen Rollenspielen. Wir spielen Vorstellungsgespräche nach oder vor. Das macht zwar keinen Spaß, verhindert aber, dass ich einschlafe. Als Gerd Baltus an der Reihe ist, wird es lustig. Er spielt den Arbeitgeber und interpretiert seine Rolle so: „Ich muss meine Opfer richtig demolieren.“ Mit Opfer meint er die Architektin, die die Rolle der Arbeitssuchenden spielt. Gerd Baltus ist eindeutig witziger als Mario Barth. Und er kann nicht einmal etwas dafür. Wegen der angenehmen Temperaturen sitzt die Lesbe, die in Wahrheit keine Lesbe ist, direkt vor der Heizung. Wenige Meter weiter kämpft die Unsichere mit der zweiten Erkältung, die sie während der Maßnahme bekommen hat. Ob es da einen Zusammenhang gibt?
Am Nachmittag gibt es L/WP. Da wir alle noch immer nicht wissen, was das alles soll und was es uns bringt, stehen heute Einzelgespräche auf dem Programm. Nach dem Gespräch darf jeder nach Hause. Dazu warten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf dem gut gekühlten Flur der VHS. Damit es keine Unstimmigkeiten wegen der Reihenfolge gibt, ziehen wir Zetteln mit Nummern drauf. Ich bekomme die Nummer 9 von 13. Weil die Gespräche unterschiedlich lange dauern, verbringe ich nur 140 Minuten wartend auf dem gut gekühlten Flur. Dann bin ich endlich an der Reihe. Das Gespräch verläuft sehr merkwürdig. Ich werde dafür gelobt, dass ich trotz meiner großen Skepsis und meiner mangelnden Begeisterung für L/WP so aktiv mitmache. Versteh ich zwar jetzt nicht, aber gut. Dann wird meine Zusammenarbeit mit der Unsicheren angesprochen. Dozentin 2 ist total überrascht, dass ich mit der Unsicheren zusammen arbeite und erklärt mir, wie gut es der Unsicheren tut, dass ich sie so tatkräftig unterstütze. Dazu kann ich nichts sagen. Als wäre es noch nicht genug, schlägt mir die Dozentin 2 nun vor, beruflich irgendwas in diese Richtung zu machen. Zum Beispiel etwas mit Kindern. Trotz meiner Verwirrung schaffe ich es, ihr mitzuteilen, dass ich auf keinen Fall etwas mit Kindern machen will. Ich habe schließlich keine Ahnung von diesen kleinen und unberechenbaren Lebewesen. Bevor die Gehirnwäsche weitergeht und ich anfange diese positiven Dinge zu glauben, ist es Zeit das Gespräch zu beenden und mich auf den Weg nach Hause zu machen.

Freitag ist EDV-Tag. Das bedeutet, dass wir in den EDV-Raum mit den Heizungsattrappen umziehen müssen. Wie soll man sich da wohlfühlen? Als erstes machen wir einen IT-Test. Die Zeit dafür beträgt eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde, die der Dozent dazu nutzt, um uns zu verlassen. Der Sinn dieser Testaktion bleibt mir leider verborgen. Später suchen wir nach Stellenangeboten und schreiben Bewerbungen. Ich bewerbe mich bei KODi als Verkäufer. Und weil ich gerade in der Stimmung bin, bewerbe ich mich noch irgendwo als Empfangsmitarbeiter und als Schulbusbegleiter für den Transport von Behinderten. Langsam macht die Maßnahme auch für mich Sinn und ich denke, dass ich schon bald kein Arbeitsloser mehr bin. Ich könnte vor Freude durchs Klassenzimmer hüpfen, entscheide mich aber dann doch dafür, meine fast grenzenlose Freude zu unterdrücken.
Um 13.00 Uhr wechseln wir zurück in unseren müffelnden Unterrichtsraum. Das Thema ist Mobbing. Sehr langweilig, sehr überflüssig und sehr ermüdend. Nach einer Stunde machen wir deshalb etwas ganz anderes. Wir spielen ein merkwürdiges Spiel. Dazu wird jedem ein Zettel vor den Tisch geklebt, auf dem steht, welche Rolle er spielt, z.B. Chef, Pedant, Vorstandsvorsitzender, Schleimer, Azubi, usw. So weiß jeder, was die anderen für eine Rolle spielen, aber nicht, was für eine Rolle man selber spielt. Mir erscheint das alles ziemlich nutzlos. Nun wird die Aufgabe, welche die Gruppe zu erledigen hat, genannt. Es geht irgendwie um Integration und eine Veranstaltung. Richtig folgen kann ich weder dem Thema noch dem Rollenspiel. Und so wirklich scheint keiner zu verstehen, was die Dozenten von uns wollen. Dennoch hat vor allem die Dozentin viel Spaß. Irgendwas stimmt ganz sicher nicht mit ihr. Nach dem Spiel besprechen wir es noch kurz. Ich verstehe noch immer nicht, was das soll und was das Ziel dieser Spielerei ist. Vermutlich bin ich einfach noch nicht so weit, solche Dinge zu verstehen.


Sechste Schulwoche
Nachdem ich am Wochenende leicht erkältet war und es irgendwie noch immer bin, macht es doppelt Spaß in den gut gekühlten Unterrichtsraum zurück zu kommen. Die Gruppe ist heute etwas kleiner, weil die alte Frau, der Autist und Mr. Bean diese Woche in Unna verbringen, um dort auf ihre Bürotauglichkeit getestet zu werden. Die Unsichere, der sprudelnde Sprechbrunnen und Gerd Baltus scheinen krank zu sein. Zumindest sind sie heute nicht da. Wir beginnen mit einer Diskussion über das Rollenspiel vom Freitag. Der Dozent ist etwas enttäuscht und fragt, warum es so schlecht lief. Ich sage ihm, dass ich es vollkommen albern fand und es nicht ernst nehmen kann, wenn so etwas gemacht wird. Den Rest der Diskussion lasse ich an mir vorüber ziehen. Anschließend werden unsere Pläne und Wünsche für die nächsten vier Wochen abgefragt. Niemand scheint einen Plan oder Wünsche zu haben. So werden wir vermutlich wie gewohnt weiter machen. Der Unterrichtsraum ist kälter als je zuvor. Fast alle haben ihre Jacken an, ihren Schal umgelegt und leiden still vor sich hin. Zwei der vier Heizungen sind leider ausgefallen. Mir ist das alles zu doof, ich will hier nicht mehr leiden und so verlasse ich den Unterricht um 09.30 Uhr mit dem Hinweis darauf, dass ich erkältet bin und es hier viel zu kalt ist. „Dann brauchen Sie eine AU, die sie im Büro abgeben.“ Sollen sie haben.
Am Nachmittag erzähle ich meinem Arzt von meiner Erkältung, dem kalten Klassenraum und dass ich da nicht mehr hin kann. Er hat vollstes Verständnis für mich und schreibt mich eine Woche krank. Schade finde ich nur, dass ich in dieser Woche deshalb auf die 16€ Fahrgeld verzichten muss. Verdammte Drecksmaßnahme.


Siebte Schulwoche
Der Montag startet mit L/WP. Für Dozentin 2, die Urlaub hat, springt Dozentin 3 ein. Sie ist Sozialpädagogin und macht ebenso wie Dozentin 2 derzeit ihre Ausbildung zur L/WP Trainerin oder Ausbilderin oder was auch immer. Zunächst fragt sie, ob wir uns siezen oder duzen sollen. Alle Teilnehmer sagen, dass es ihnen egal ist. Da es egal nicht gibt, fragt Dozentin 3 erneut, was wir bevorzugen. Wieder ist es allen egal. Weil wir so nicht weiterkommen, entscheide ich. „Bleiben wie beim Sie, um eine gewisse Distanz zu wahren.“ Für einen Augenblick scheint sie überrascht. Damit hat sie wohl eher nicht gerechnet, aber so kommt sie wenigstens nicht auf die Idee, eine von uns zu sein. Ich bin für klare Grenzen. Bevor es losgeht, stellt sie noch folgendes klar: „Humoristische Fähigkeiten gehören nicht zu meinen Eigenschaften.“ Wieso ich nicht wirklich über diese Aussage überrascht bin, kann ich spontan gar nicht sagen. Leider schafft sie es nicht wirklich ein Gespräch mit uns zu führen. Außer der alten Frau, Gerd Baltus, Klaus und mir redet keiner mit ihr. Was auch immer sie fragt, die Teilnehmer starren vor sich hin und bleiben die Antworten schuldig. Das liegt aber nicht unbedingt an Dozentin 3, sondern an L/WP. Die Abneigung gegen dieses Thema ist in der Woche meiner Abwesenheit unglaublich gestiegen. Passend zu dem frostigen Klima in der Gruppe ist die Temperatur in der Aula. Meine Beine sind abgefroren vor Kälte und ich fürchte, dass ich, wenn ich versuche aufzustehen, direkt wieder hinfalle, weil meine Beine dann wegen der Kälte sofort zerbrechen. Weil die Dozentin es auch kalt findet, stellt sie uns eine wirklich intelligente Frage. „Was sollen wir machen? Jacken anziehen?“ Würde ich ja gerne, geht aber nicht, da ich meine Jacke schon anhabe. Und so machen wir nichts und frieren weiter bis zum bitteren Ende.
Um 13.00 Uhr geht es zurück in unseren müffelnden Klassenraum. Dieser ist mäßig warm, dafür steht die Tür auf. Noch bevor ich nachfragen kann, bekomme ich die Erklärung geliefert. Die Tür steht auf, weil das Licht ausgefallen ist und der schmale Treppenaufstieg unbeleuchtet ein zu hohes Unfallrisiko darstellt. Dafür ziehen nun Kälte und Gestank vom Flur in den Klassenraum. Da das Licht nicht repariert werden kann, weil niemand weiß, wo sich der Sicherungskasten befindet, ziehen wir um in den unbeheizten EDV-Raum. Wir nehmen zwei kleine Heizlüfter mit, die den Raum, laut Aussage der Dozentin in kürzester Zeit ausreichend erwärmen. Ich frage mich abermals, was mit der Dozentin nicht stimmt, was für Drogen sie nimmt oder unter was für Wahnvorstellungen sie wohl leidet. Mit jedem Tag wird diese Maßnahme unglaublicher. Natürlich schaffen die zwei Lüfter es nicht, den Raum wirklich aufzuheizen und so bleiben die Füße kalt, die Jacke an und der Schal um. Da die Hälfte der PCs heute nicht ins Internet kommt, dürfen heute zwei Personen an einem PC arbeiten. Hat den Vorteil, dass man sich so gegenseitig wärmen kann. Ich verzichte aufs Internet und aufs gegenseitige wärmen und wandere stattdessen durch den Klassenraum, um nicht zu erfrieren.
Kurze Zeit später bittet die Dozentin mich zum Einzelgespräch. Das Gespräch nutze ich, um darauf hinzuweisen, dass ich noch nie eine derart üble und unorganisierte Maßnahme machen musste und weise erneut darauf hin, dass neun Wochen viel zu lang sind und es so gar nichts bringt. Die Dozentin erklärt mir daraufhin, dass die Maßnahme sehr wohl für einige Teilnehmer etwas gebracht hat und einige Teilnehmer sich prima weiterentwickelt haben. Ich sage ihr, dass ich davon nichts mitbekommen habe, mag aber nicht anzweifeln, dass es so ist, weil ich es ja eben nicht weiß. Mir hat jedenfalls niemand gesagt, dass es ihn weitergebracht hat. Als nächstes kommen wir zum Hauptgrund meines Einzelgesprächs. Meine berufliche Zukunft. Meinen Plan, einen 400€ Hilfsjob anzunehmen, findet sie nicht gut. Stattdessen einigen wir uns darauf, dass ich eine Coaching-Ausbildung machen soll, um später mit Erwachsenen zu arbeiten. Allerdings sind diese Ausbildungen teuer und müssen selber bezahlt werden. Damit kommt eine solche Ausbildung für mich nicht in Frage. Dennoch muss ich eine Zielvereinbarung für die nächsten zwei Wochen unterschreiben. Und so verpflichte ich mich, mich über eine Coaching-Ausbildung zu informieren und auch weiter Bewerbungen zu schreiben. Ich unterschreibe die Vereinbarung und ein durch und durch furchtbarer Tag geht zu Ende.

Da das Licht auch am Dienstag noch nicht funktioniert, werden wir in einem anderen unbeheizten Raum untergebracht. Sofort schalte ich die beiden kleinen Heizlüfter ein und nehme einen Sitzplatz direkt neben einem der Heizlüfter ein. Heute werde ich keine kalten Füße bekommen. Doch kaum erfreue ich mich an der Situation wird uns mitgeteilt, dass wir zurück in unseren müffelnden Klassenraum können, weil dort das Licht wieder funktioniert. Der Klassenraum hat zwar Licht, aber die vier Heizungen sind nur auf einer Seite warm. Vermutlich sind sie voller Luft, aber das scheint niemanden zu stören. So machen wir zwei kleine Heizlüfter an und glauben, dass uns davon warm wird. Wird es natürlich nicht und die Scheiben beschlagen langsam. Was für eine Bruchbude. Zumindest sitze ich neben der Hübschen. Sie friert auch fürchterlich und so sage ich, natürlich nicht uneigennützig, zu ihr, dass ich einen weiteren Lüfter besorge. Ich glaube, das findet sie gut. Der Heizlüfter sorgt allerdings auch nicht wirklich für Wärme, was mich natürlich deprimiert. Gegen meine Depressionen bekomme ich ein Bonbon von der Hübschen. Läuft richtig gut heute. Sieht ganz danach aus als würden wir uns endlich näherkommen.
Die Architektin scheint heute etwas verwirrt zu sein. Fragt sie mich doch, ob ich sie und die Unsichere nach der Maßnahme näher kennenlernen will. Ich antworte spontan und unmissverständlich „Hm?“, weshalb sie die Frage wiederholt. „Willst Du uns nach der Maßnahme denn noch näher kennenlernen?“ – „Nein. Das reicht mir hier mit dem kennenlernen.“ Denn ein Dreier kommt für mich schon alleine wegen des Mundgeruchs nicht in Frage und alles andere wäre noch absurder. Thema des Unterrichts ist das Kommunikationsquadrat. Da kann man herrlich drüber diskutieren. Über ein näheres Kennenlernen nicht.
Um 11.08 Uhr bin ich dermaßen durchgefroren, dass es mir reicht. Da meiner Aufforderung, dass die Heizungen entlüftet werden müssen, nicht nachgekommen wurde, organisiere ich mir diesen Schlüssel zum Entlüften der Heizungen und entlüfte selbst. Wenige Minuten später wird es spürbar wärmer. Das scheint Synapsen Joe nicht zu gefallen, weshalb er ein Fenster kippt, um die alte Kälte wiederherzustellen. Ein offenes Fenster kommt bei der Rothaarigen nicht gut an, weshalb sie es wieder schließt. Ich glaube, Synapsen Joe hat seine Tabletten nicht genommen, denn in der Pause dreht er alle Heizungen runter. Dass es einfacher wäre seinen Schal und seine Trainingsjacke abzulegen, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen. Ich glaube, dass er etwas durcheinander ist und drehe die Heizungen auf meiner Seite wieder auf.
Kurz vor Ende der Pause hat die Dozentin plötzlich etwas zu tun. Sie will testen, ob ihr Auto, das sie gestern wegen des Schnees vor der Schule stehen ließ, um mit dem Zug zurück nach Münster zu fahren, noch funktioniert. Also geht sie raus, befreit ihr Auto von Schnee und Eis, setzt sich rein und startet den Motor. Weil ihr das nicht genügend Sicherheit gibt, legt sie den Rückwärtsgang ein und fährt zwei bis drei Meter. Dann legt sie den Vorwärtsgang ein und fährt wieder zurück in die ursprüngliche Parkposition. Sie steigt aus und ist glücklich, dass ihr Auto noch funktioniert. Es ist schon erstaunlich, wie merkwürdig manche Leute so drauf sind und ich frage mich abermals, was mit der Dozentin nicht stimmt.
Dafür ist heute mein Tag des Lächelns. Ich lächle abwechselnd die Architektin, die Blonde mit dem Oberlippenflaum und die Hübsche an. Außerdem kommuniziere ich recht viel mit der Hübschen, die irgendwann fragt, wie alt ich bin. Ob diese Frage bedeutet, dass sie Interesse an mir hat? Mein Alter verrate ich ihr trotzdem nicht. Während des Unterrichts sehe ich dabei zu, wie die Scheiben auf der gegenüberliegenden Seite wieder beschlagen. Die Frauen fangen an zu frieren und fordern mich in der nächsten Raucherpause auf, die Heizungen erneut zu entlüften, weil die ganz kalt sind. Ich zeige auf Synapsen Joe und sage, dass er vorhin alle Heizungen abgedreht hat. Synapsen Joe und Spitzbart spielen währenddessen auf der beschlagenen Scheibe Tic-Tac-Toe. Vielleicht sollten wir sie einschläfern lassen.
Die Pause verbringe ich mit der Architektin, der Unsicheren und der Hübschen. Ich fühle mich wie der Hahn im Schulkorb. Die Hübsche hat eine 12jährige Tochter und ist 29 Jahre. Als sie sagt, dass sie bald 30 wird und das nicht gut findet, sage ich ihr, dass Frauen ab 30 die interessantesten sind und ihre beste Zeit bald kommt. Ob sie sich jetzt freut, bald 30 zu werden, weiß ich nicht.

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