Oktober 2004

Freitag, 01. Oktober
19:00 Uhr. Eine weitere Informationsveranstaltung findet statt. Begleitung des Partners/der Partnerin ist ausdrücklich erwünscht. Neunzig Minuten lang wird in etwa das erzählt, was schon eine Woche vorher erzählt wurde. Fast alle sind sehr positiv eingestellt. Wie machen die das bloß? Bestimmt wurde an deren Gehirnen rummanipuliert.


Samstag, 02. Oktober
11:00 Uhr. Der erste Unterrichtstag. Die Zeit geht relativ schnell um, ich langweile mich fast nie und werde auch nicht zum Sprechen genötigt. So mag ich das und hoffe, das wird auch in Zukunft so sein. Die große Pause verbringe ich allein in meinem Auto, denn ich mag es nicht meine Mahlzeit inmitten so vieler Menschen einzunehmen und reden möchte ich auch mit keinem dieser verkleideten Menschen.

Noch drei Wochenenden dieser Art, dann sollte es für mich vorbei sein, denn die Hälfte der Teilnehmer wird danach entweder freiwillig aufhören oder aussortiert. Ich denke, ich lasse mich aussortieren, denn ich kann weder Menschen beraten noch vernünftige Finanzgespräche führen. Doch noch hat das scheinbar keiner gemerkt oder es ist ihnen egal. Sehr bedenklich. Ob ich tatsächlich etwas Geld verdiene, bevor ich gehen muss? Sehr unwahrscheinlich. Um 15.30 Uhr ist endlich Feierabend und schon die erste Hausaufgabe stellt mich vor ein unlösbares Problem. Wer in meinem Bekanntenkreis braucht diese oder jene Beratung? Woher soll ich das wissen? Niemand will von mir belästigt werden, schon gar nicht meine Bekannten. Doch wie soll ich sonst Geld verdienen? Fremde Leute zu belästigen ist ja auch nicht die feine Art. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Selbst für die nächste Woche hat man mich schon verplant, denn es wird Zeit einen eigenen Kundenstamm aufzubauen. Tolle Idee. Kann ich nicht Kunden von jemandem übernehmen, der die nicht mehr will? Aber so was gibt es ja nicht. Also darf ich mich in der nächsten Woche mal richtig blamieren. Ist Arbeitslosigkeit wirklich so schlecht wie alle sagen und bin ich jetzt tatsächlich kein Arbeitsloser mehr oder simuliere hich hier nur albern herum?


Montag, 04. Oktober
10:00 Uhr. Für mich ist dieses Treffen etwas zu früh, denn eigentlich schlafe ich schon ganz gerne etwas länger, doch das behalte ich besser für mich. Schließlich bin ich umgeben von Anzugträgern, die längst eine beispiellose Karriere hingelegt haben oder noch davon träumen. Vielleicht sind wir aber auch nur ein Haufen von Spinnern. Wer weiß das schon? Wir sitzen im Übungsraum, zumindest nenne ich den Raum jetzt so, reden über unseren neuen Job und die kommenden Aufgaben. Mir ist das jetzt schon alles zu viel. Es gibt zwar auch Freizeit, wie wir erfahren, aber zu den ungünstigsten Zeiten. Dafür ist man abends immer verplant, zumindest wenn man es richtig macht. Dann brauche ich mir deswegen wohl doch keine Sorgen machen. Wir lernen, wie man sich selbständig macht, wie viel Geld wir verdienen können und noch mehr. Kaum ist etwas ausgesprochen, vergesse ich das meiste wieder. Und es wird immer später. Erst um circa 16:00 Uhr ist es geschafft. Mein erster Tag in dieser verrückten Arbeitswelt ist vorbei. Endlich darf ich zurück ins sichere zuhause.


Dienstag, 05. Oktober
11:00 Uhr. Diese Anfangszeit kann ich akzeptieren. Heute steht Training, was eigentlich nichts anderes bedeutet als lernen, auf dem Programm. Wir lernen, was eine Hausrat- und eine Haftpflichtversicherung so alles abdecken und wann sie eintreten. Dann berechnen wir, wie viel wir arbeiten müssen, um Erfolg zu haben. Ich muss etwa 180 Kunden im Monat anrufen, um genügend Termine zu bekommen und Geld zu verdienen. Harte Fakten. Trotzdem bleibe ich und tue so, als würde ich dazugehören. Was ist nur in mich gefahren?
15.15 Uhr. Feierabend. Ich stehe noch mal dreißig Minuten im Stau, dann ist es geschafft. Wie soll ich so ein Leben führen, ohne dabei durchzudrehen?


Mittwoch 06. Oktober
Schon um 08:00 Uhr sitze ich beim Arbeitsamt, um Überbrückungsgeld zu beantragen. Es ist leer und still im Wartesaal. Plötzlich und unerwartet kommt eine Ladung Osteuropäer herein, ich vermute russischer Abstammung, um etwas Leben in den Wartebereich zu bringen. Zunächst sind es acht Personen, die wild diskutieren und Platz nehmen. Ich verstehe leider nur zwei ihrer Worte: AOK und Sozialhilfe, also genau das, was man wissen muss, um versorgt zu werden. Bevor ich weitere Details erfahre, werde ich auch schon aufgerufen. Als ich wieder rauskomme haben sich die Osteuropäer vermehrt, mindestens eine Erwachsene und zwei Kleinkinder bereichern nun zusätzlich den Wartebereich mit ihrer Anwesenheit. Großartig. Ich muss weg.

Die nächsten Termine beim Gewerbeamt und bei der Krankenkasse sind nicht wirklich unterhaltsam, müssen jedoch sein. Jetzt habe ich also ein eigenes Gewerbe. Wow. Nach all der Aufregung muss ich mich bis zum Abend ausruhen. Am Abend spiele ich Fußball und werde tatsächlich durch einen Anruf von Herrn Ekelfink gestört. Er schlägt mir allen Ernstes vor, mal zu einem Beratungstermin mitzukommen. Möchte ich nicht, ich will weiterspielen. Gespräch beendet. Gute Nacht.


Donnerstag, 07. Oktober
Ein Tag fast ohne Belästigungen, wenn ich von den ganzen geschäftlichen Mails, die über vieles berichten, was mir fremd erscheint, absehe. Ich lese alle brav durch und werde den Rest des Tages nicht mehr gestört. Zeit also, über mein merkwürdiges Verhalten der letzten Tage nachzudenken. Ich erkenne mich selbst nicht wieder, bin angeblich nun selbständig und muss für mich selber sorgen, habe einen Beruf der möglicherweise für gewisse Personen nicht uninteressant ist, aber definitiv nicht für mich erfunden wurde. Ich arbeite dort mit lauter Optimisten zusammen, die entweder wirklich glücklich sind oder jeden Bezug zur Realität verloren haben. Ich werde diese merkwürdigen Leute weiter beobachten und habe bald, wenn es nach diesen Leuten geht, täglich zwölf oder mehr Stunden Arbeitszeit. Sonn- und Feiertage werden abgeschafft. Das ist doof, denn bis vor kurzem hatte ich nur Sonn- und Feiertage. Das Leben kann echt hart sein. Darüber mag ich nicht mehr nachdenken, das deprimiert mich nur.


Freitag, 08. Oktober
Um 19:00 Uhr steht Training, tatsächlich kein Fußballtraining, sondern irgendein Quatsch mit Finanzen, auf dem Programm. Was auch immer das ist, ich bin dabei und verlasse daher das Haus gegen 18.15 Uhr und wundere mich mal wieder über die wenigen Parkplätze vor dem Haus. Gut, dass ich eine Garage habe. Als ich diese erreiche, muss ich feststellen, dass mein Sierra nicht da ist. Ich gehe eine Runde durch die Garage und überlege, wo ich den Wagen geparkt haben könnte, wandere anschließend zurück zum Haus und finde den Wagen dort vor. Was für ein Glück. Ab geht’s.

Das Training leitet Herr Franzel, ein gut geschulter Mann, wie mir scheint. Ich bin fast begeistert von seiner Show, reiße mich dann aber doch zusammen, bevor man mir was anmerkt. Vier oder fünf Leute haben den Weg ins Trainingscamp heute nicht mehr geschafft, so dass nur noch 23 Personen dieser Veranstaltung beiwohnen. In der Pause spricht mich ein Teilnehmer an und wir unterhalten uns etwas. Ich habe ihn vorher noch nie gesehen, obwohl ich ganz hinten sitze und alles im Blick habe. Pause vorbei, zurück auf die Plätze. Zu meinem Erstaunen nimmt der Teilnehmer nun neben mir Platz. Sind wir jetzt Freunde? Ich bin überrascht und verwirrt, lasse es mir aber nicht anmerken. Nach circa zweieinhalb Stunden ist das sogenannte Training überstanden und ich darf zurück nach Hause. Puh.


Samstag, 09. Oktober
Schon wieder Schule und jetzt sind wir nur noch 22 Teilnehmer. Etwas Verlust gibt es immer. Meinen Tischnachbarn von gestern erkenne ich diesmal sogar. Da er, im Gegensatz zu den meisten anderen Pappnasen, relativ normal zu sein scheint, setze ich mich neben ihn. Dummerweise sitzen wir in der ersten Reihe, wie die Streber damals in der Schule. Ich bin kein Streber. Die Pause verbringe ich auch heute alleine in meinem Auto. Anschließend rede bis zum Schulschluss kein Wort mehr, dann ist es geschafft und ich freue mich auf den morgigen freien Sonntag.
Nach der Schule lasse ich ordnungsgemäß meinen weißen Sierra waschen und während die Bürsten rotieren klingelt mal wieder mein Telefon. Herr Rotenbaum, wer sonst? Am Sonntag von 14:00 Uhr bis circa 19:00 Uhr hat der Firmengründer die Stadthalle in Kamen gemietet und es wäre schön, wenn ich diesem Ereignis beiwohnen könnte. Ich zögere und entscheide mich, mich nicht zu entscheiden. Später entscheide ich, nicht teilzunehmen, weil der Gedanke, den Sonntag so zu verbringen, meine Laune schlagartig verschlechtert hat. Zu viel Zeit mit zu vielen Erfolgreichen oder eingebildeten Erfolgreichen, das kann ich einfach nicht verkraften und frage mich, wann mir dieser Erfolgschip eingepflanzt wird und ob ich dann auch so gepflegt und überzeugend reden kann, solche Termine als den Höhepunkt des Tages ansehe und nicht mehr darauf verzichten mag. Und merke ich es, wenn ich diesen Erfolgschip eingesetzt bekomme? Ich werde sehr wachsam sein in den nächsten Tagen.


Sonntag, 10. Oktober
Den Sonntag verbringe ich trotz Sonnenscheins schlecht gelaunt in meinem Zimmer, weil der Gedanke an den Montag im Büro einfach keine gute Laune aufkommen lässt. Ich stelle mal wieder fest, dass arbeiten nichts für mich ist, aber ich werde zunächst weiter machen. Ob man mir längst heimlich irgendwelche Medikamente eingeflößt hat?


Montag, 11. Oktober
Ich bin krank und gehe erst um 15:00 Uhr ins Büro. Dort mache ich meine eigene Datenerhebung, auch so ein beknackter Wichtigtuer-Begriff, um zu sehen, wie so etwas geht. Da ich seit Ewigkeiten arbeitslos bin, ist diese Auswertung ziemlich witzlos, doch so habe ich es wenigstens auch einmal gemacht. Danach verlasse ich das Büro auch schon wieder.


Dienstag, 12. Oktober
Um 11:00 Uhr beginnt ein neuer aufregender Tag in meinem Leben als zukünftiger Finanzberater. Wir üben telefonieren. Was hat man zu sagen, um einen Termin beim Kunden zu bekommen und wie reagiert man auf seine ablehnenden Bemerkungen? Wir lernen ein paar Standardtexte, die angeblich ausreichen, um die meisten Menschen umzustimmen. Anschließend darf jeder einmal in den Nebenraum gehen und wir spielen ein einfaches Telefongespräch nach. Als ich wieder zurück in den Übungsraum komme, empfangen mich drei applaudierende Mitarbeiter. Wie peinlich das ist. Für mich hat das den typischen Sektencharakter, was ich aber für mich behalte. Stattdessen spiele ich den Blödsinn weiter mit und klatsche brav, als die anderen von den Telefonsimulationen zurückkommen. So richtig anfreunden kann ich mich mit dem Ganzen nicht und bin froh als endlich Schluss ist und ich nach Hause kann.
Am Abend, um 20:00 Uhr, besucht Herr Rotenbaum Petra und mich, um eine Datenerhebung bei Petra durchzuführen. Es wird ein langer Abend, der erst um 23.30 Uhr endet. Mich langweilt das trockene Versicherungsvertretergeschwafel so sehr, dass ich Mühe habe, nicht am Tisch einzuschlafen. Herr Rotenbaum hat Mundgeruch.


Donnerstag, 14. Oktober
Um 14:00 Uhr habe ich einen Termin beim Steuerberater, der eine Stellungnahme fürs Arbeitsamt abgeben muss, damit ich Überbrückungsgeld erhalte. Das Büro des Steuerberaters wurde scheinbar in den 70ern eingerichtet und seitdem nicht mehr wirklich verändert. Der Herr Steuerberater sieht auch aus wie in den 70ern zu Ende entwickelt und passt vorzüglich in sein 70er Jahre Büro. Hier scheint die Zeit seit Jahren still zu stehen. Der Herr Steuerberater ist wirklich nett und nach ein paar Minuten habe ich die Stellungnahme fürs Arbeitsamt. Verrückt. Anschließend begebe ich ins Büro und werte Petras Daten aus. Das heißt, ich gebe sie in ein Programm ein, welches sie auswertet. Herr Rotenbaum versucht nun alles zu optimieren. Meinen Hinweis, von ihrer Lebensversicherung die Finger zu lassen und da nicht herum zu optimieren, beachtet er irgendwie nicht und am Ende möchte er, dass Petra den HAUS DREI(Immobilienfonds) und den Sparplan Segelyacht als Anlage für die Zukunft nimmt, dazu noch einen Aktienfonds. Klingt alles sehr gut, ist aber, wie sich schon bald herausstellen wird, nicht ganz das, was sich Petra vorgestellt hat. Das Risiko ist zu hoch und in dieser Form nicht gewünscht. Ich bin gespannt, wie er ihr das in der nächsten Woche schmackhaft machen wird.
Des Weiteren erwähnenswert an diesem Tag ist die Beschwerde des Herrn Ekelfink, dass ich nicht ordentlich rasiert bin und sein Gefasel von ‘im Auto rasieren’ und ‘Handys mit Rasierapparat’. Als ich seine Bemerkung als sinnloses Gebrabbel abwerte und seinen Vorschlag ‘Handy mit Rasierapparat’ leicht spöttisch wiederhole, ist er irgendwie irritiert und sichtlich unzufrieden, aber da muss er wohl durch. Ich hingegen muss von nun an damit klarkommen, dass ich monatlich Büromiete zahlen muss, anfangs nur 150 Euro, später 250 Euro und noch später noch mehr. Dafür darf ich aber Kaffee trinken, telefonieren und die Toilette mitbenutzen. Na, wenn das kein Angebot ist. Herr Ekelfink will allerdings viel lieber ab sofort 250 Euro Miete haben und ist über meine Ablehnung nicht begeistert. Mir ist es vollkommen egal, ob der Kasper davon begeistert ist oder nicht. Zum Abschluss des Tages setzt Herr Ekelfink noch einen drauf und erzählt, dass wir am Samstag Menschen anrufen werden, um diese als Kunden zu gewinnen. Hatte ich ganz vergessen, dass wir so etwas Unsinniges vorhaben, und deshalb niemanden angeschrieben bzw. angemailt und somit auch gar keinen Grund arme, unschuldige und vollkommen ahnungslose Leute anzurufen. Und Lebewesen aus meinem privaten Umfeld kommen dafür erst recht nicht in Frage. So ein Pech. Doch auch hier weiß man im Büro eine Lösung: Telefonbuch auf und einfach irgendwen anrufen. Das finde ich sehr interessant, denn Punkt 11.2 aus dem Handelsvertretervertrag verbietet eigentlich so eine Aktion: 11.2 Der Handelsvertreter wird darauf hingewiesen, dass es rechtlich unzulässig ist, fremde Personen zum Zwecke der Akquisition in ihrer privaten Sphäre zu stören (zum Beispiel durch Anrufe), ohne dass deren ausdrückliches Einverständnis hierzu vorliegt.

Das kann aber auch was ganz anderes bedeuten. Ich verstehe das wahrscheinlich nur wieder nicht richtig und werde brav tun, was man von mir verlangt.


Freitag, 15. Oktober
Von 10:00 bis 17:00 Uhr findet eine Immobilienveranstaltung statt. Wer wieder einmal fehlt bin ich, denn auf so einer Veranstaltung verdient man kein Geld und wird nur permanent zugelabert. Ich gehe stattdessen ins Fitnessstudio, auch wenn das meinen Beliebtheitsgrad bei dem coolen Finanzdienstleistungsunternehmen, ganz besonders bei Herrn Ekelfink, nicht steigert. Das Leben ist halt kein Wunschkonzert.
Um 19:00 Uhr steht das nächste Training auf dem Programm. Wir sind jetzt noch 21 Teilnehmer. Zwei weitere Teilnehmer sind also in den letzten Tagen auf der Strecke geblieben. Vor der Pause müssen wir alle einmal einen möglichen Kundeneinwand mit Hilfe der gelernten Texte abweisen. Dazu dient ein Ball, auf dem die Einwände geschrieben sind. Dieser wird uns zugeworfen und der Einwand, der oben steht, ist abzuweisen. Ich entscheide mich, einfach den Einwand zu nehmen, den ich einigermaßen kann und bei dem der Text auch recht kurz ist. Dass ich dafür von Herrn Franzel gelobt werde, ist mir irgendwie peinlich. Die Pause verbringe ich draußen vor der Tür mit einigen Rauchern. Irgendwann während der Pause kommt eine Frau aus dem Gebäude. Auf den ersten Blick sieht sie attraktiv aus, kommt mir aber auch ein wenig merkwürdig vor. Sie stellt sich uns vor und gibt jedem von uns die Hand. Ich verzichte bewusst darauf, ihr meinen Namen zu sagen. Dann fragt sie, ob wir noch ein wenig Zeit hätten für eine Zigarette. Ich antworte: “Die Zeit nehmen wir uns einfach”, was sie dazu veranlasst blöd zu lachen und meinen Satz zu wiederholen. Während ich noch darüber nachdenke, was mit ihr nicht stimmt, setzt sie dem Ganzen noch einen drauf und fragt mich: “Was ist dieses Finanzdienstleistungsunternehmen?” Nun muss ich laut loslachen und stoße dabei den Satz “Ach du Scheiße.” hervor, was sie dazu veranlasst, noch gestörter zu gucken, auch diesen kurzen Satz fragend zu wiederholen, und mich danach penetrant blöd anzugucken. Ich überlege, ob ich nun einfach gehen soll, entscheide mich dann aber dafür, ihr einen der Standardsätze aufzusagen, die man uns ständig entgegenwirft. Das gefällt ihr scheinbar und so wendet sie sich mit der nächsten doofen Testaktion dem nächsten Trainingsteilnehmer zu. Sie ist wirklich ziemlich unattraktiv und scheinbar sehr gestört. Wir sollten sie beobachten und vielleicht bei Gelegenheit an einen Arzt übergeben. Als wir im Fahrstuhl hochfahren, labert sie die ganze Zeit von irgendwelchen Immobilien und wie toll doch alles ist. Ich schaue sie dabei mehrfach an und finde sie sogar zum Vögeln zu hässlich. Erstaunlich, wie unattraktiv jemand werden kann, wenn er so viel Scheiße in einer solch dämlichen Art und Weise vorträgt. Endlich steigt sie aus dem Fahrstuhl und erlöst uns von ihrer Anwesenheit. Ab sofort werde ich einen großen Bogen um die Schreckschraube machen. Die ist nämlich definitiv völlig beschränkt.


Samstag, 16. Oktober
Schule. Ich setze mich, wie ich es am liebsten mag, in die letzte Reihe, was aber bei Herrn Franzel, der das Training leitet, auf wenig Gegenliebe stößt. Er beordert mich weiter nach vorn. Ich finde sein Verhalten zwar lächerlich, aber eine Diskussion macht wenig Sinn und so folge ich seiner Aufforderung. Der Tischnachbar, an den ich mich in den letzten Tagen gewöhnt habe, erscheint erst kurz vor Trainingsbeginn und setzt sich in die letzte Reihe. Kurzentschlossen stehe ich von meinem zugewiesenen Platz auf und setze mich zu ihm in die letzte Reihe. Als Herr Franzel dies bemerkt, kündigt er an, in der Pause mit mir darüber zu reden. Es scheint so, als dulde er so was nicht. Ich glaube, der hat auch einen an der Waffel.
Um drei Minuten nach 11:00 Uhr betritt Teilnehmer Nummer 21 den Unterrichtsraum. Herr Franzel eilt sofort mit einer Spardose, in die alle Zuspätkommer 10 Euro einzahlen müssen, herbei, um dieses Geld von Teilnehmer Nummer 21 zu kassieren. Dieser hat dazu gar keine Lust und lässt es auch alle merken. Herr Franzel schickt nun Nummer 21 raus, damit dieser sich Geld von seinem Teamleiter holt, was aber nur ein Vorwand zu sein scheint, denn er folgt ihm entschlossen. Einen kurzen Augenblick später kommt Nummer 21 wieder zurück, holt seine Sachen und verabschiedet sich zum letzten Mal von den anderen Teilnehmern. Er war nicht brav, für ihn ist die Karriere vorbei. Autsch. Mit 20 Teilnehmern geht es nun weiter. Mein angekündigtes Gespräch mit Herrn Franzel findet übrigens nicht statt. Vielleicht ist ihm aufgefallen, dass es lächerlich wäre und ihn so gar nicht weiter bringen würde, wenn er auf so ein Gespräch besteht.
Irgendwann gegen 14:00 Uhr heißt es ‘telefonieren’. Wir sollen entweder Leute anrufen, die wir kennen oder welche, die nicht einmal wissen, dass es uns gibt. Erscheint mir wenig sinnvoll und der falsche Zeitpunkt für solche Spielereien. Die drei erfolgreichsten Telefonierer werden mit Sekt bzw. Wein ausgezeichnet. Ich gehöre nicht dazu, denn ich telefoniere überhaupt nicht. Telefonterror ist nichts für mich. Ob dies ein Nachspiel für mich haben wird, zeigt sich wohl in der nächsten Woche. Ich bin gespannt.


Mittwoch, 20. Oktober
Ich bringe meinen Antrag auf Überbrückungsgeld zur Agentur für Arbeit. Alles klappt reibungslos. Draußen vor dem Arbeitsamt hält ein schwarzer Golf mit polnischen Kennzeichen neben mir. Der Fahrer kurbelt das Fenster runter und fragt in wunderschön gebrochenem Deutsch nach einer Straße, deren Name mir zwar bekannt ist, von der ich aber nicht weiß, wo sie sich befindet, was ich dem Fahrer auch mitteile. Im Fahrzeug stinkt es nach Alkohol und ich bin froh, dass ich nicht einsteigen muss.


Freitag, 22. Oktober
Wieder Schule, zum letzten Mal am Freitag. Achtzehn Teilnehmer ertragen auch diesen Tag und freuen sich, dass sie freitags nun wieder selbst entscheiden können, was sie anstellen und wo sie es anstellen. Ich langweile mich.


Samstag, 23. Oktober
Jetzt sind es nur noch 17 Teilnehmer und heute findet der Abschlusstest statt. Ich habe das Gefühl, dass ich es schaffe, denn 51 Prozent sind machbar. Als vor der Mittagspause endlich mit dem Test begonnen wird, trifft mich fast der Schlag. Zwanzig Fragen, 75 Prozent müssen erreicht werden. Sind die doof? Egal. Die ersten Fragen bereiten keine großen Schwierigkeiten, erst ab Frage 15 verliere ich den Überblick, lese noch mal nach, verbessere eine Aufgabe, was sich später als Fehler herausstellt, und gebe den Test als erster ab. Ich bin gerne Erster und ich werde es nicht akzeptieren einen Test nicht zu bestehen.

Nach der Pause schwafelt Herr Melmack noch etwas von seiner Karriere und nervt mich mehrmals, weil ich ja so unfreundlich und unmotiviert in die Gegend starre. Bekomme ich ein Stück Kuchen, wenn ich grinse? Wie auch immer, das Geschwafel endet irgendwann und ich kann endlich nach Hause fahren.


Dienstag, 26. Oktober
Ein weiterer Bürotag. Wir lernen etwas über Fonds, unterhalten uns über Kundengespräche, ich schreibe fünfzehn Werbebriefe und werde darauf hingewiesen, dass ich, wenn ich meine Texte nicht langsam besser beherrsche, keine Zukunft bei diesem Finanzdienstleistungsunternehmen habe. Schön, dass sie nun auch langsam begreifen, dass ich ungeeignet bin. Ich blamiere mich noch zweimal mit den Texten, die ich nicht beherrsche, mache mich zum Deppen des Tages, dann ist es vorbei und ich darf nach Hause, muss aber wiederkommen. So schnell geht das dann doch nicht mit der Trennung. Wieso trenne ich mich eigentlich nicht? Ach ja, weil ich konsequent inkonsequent bin.

Am Nachmittag klingelt mein Telefon, Herr Rotenbaum mal wieder. Er teilt mir mit, dass ich den Test bestanden habe. Okay, dann ist das wohl so.


Mittwoch, 27. Oktober
Das nächste Beratungsgespräch mit Petra steht an. Herr Rotenbaum sagt, dass er heute weniger reden möchte und meiner Freundin zuhören will, was sie an seinen Plänen stört und aus welchem Grund. Am Ende redet aber nur Herr Rotenbaum. Ich werde immer unkonzentrierter, kann kaum noch folgen und Petra geht es wohl ähnlich. Nach etwa zwei Stunden zaubert er doch noch ein Produkt aus dem Hut, was Petras Interesse weckt. Ich bin überrascht und wir fahren heim.
Später liest Petra das Prospekt zu dem Produkt durch und ist nicht mehr davon überzeugt. Ich denke, sie wird es nicht nehmen. Mir auch egal, ich will auch keine weiteren Beratungen mit ihr. Das frustriert alle nur. Eigentlich bin ich mittlerweile fast ständig genervt, frustriert und desinteressiert und kann mir gut vorstellen, die ganze Sache vorzeitig zu beenden. Diese merkwürdige Sache mit dem Finanzdienstleistungsunternehmen und meiner angeblichen Tätigkeit dort. Und Belästigungen unschuldiger Menschen sind auch nur Scheiße. Entweder Du bst das geborene Finanzdienstleistungsarschgesicht oder nicht. Ich bin einfach nur ein Arschgesicht.


Donnerstag, 28. Oktober
Um 19:00 Uhr beginnt der Unterricht. Heute unter der Leitung von Herrn Eber. Herr Eber ist 28 Jahre, sieht aber mindestens zehn Jahre älter aus. Hat dieses Finanzdienstleistungsunternehmen ihn so alt gemacht? Wir lernen etwas über die gesetzliche Rentenversicherung und sind sogar über dreißig Teilnehmer, weil viele Nebenberufler regelmäßig an diesen Veranstaltungen teilnehmen müssen. Macht es mir nicht gerade sympathischer, aber egal. Gegen 21.40 Uhr ist es überstanden und ich fahre nach Hause.


Freitag, 29. Oktober
Ich verbringe den Tag fast ohne Belästigungen durch irgendwelche Mitarbeiter des Finanzdienstleistungsunternehmens und bekomme lediglich zwei Info-Mails. Unter einer steht ‘Gemeinsam sind wir stark’. Solche Sprüche begeistern mich überhaupt nicht, aber auch das behalte ich für mich, denn es würde sowieso keiner von diesen merkwürdigen Menschen, mit denen ich seit einiger Zeit zu tun habe, verstehen. Morgen wird mein erster Aktivtag im Büro sein und ich freu mich darauf fast genauso, wie über einen Pickel auf der Nase. Es wird bestimmt ein grandioser Tag.


Samstag, 30. Oktober
Der erste Aktivtag beginnt damit, dass alle erzählen, wie viele Einheiten sie schon haben und wie viele noch dazu kommen werden. Interessiert mich nicht und Einheiten habe ich auch keine. Es wird noch etwas über Möglichkeiten gesprochen, dann beginnt der entsetzliche Teil. Wir sollen telefonieren. Telefonbuch auf und los. Ist zwar verboten, aber interessiert hier niemanden. Nach dem dritten oder vierten Anruf bei fremden Leuten habe ich keine Lust mehr. Die wollen alle nicht, dass ich sie berate und ich habe Schwierigkeiten mit dem Text. So kommt kein Termin zustande. Also rufe ich die Personen an, denen ich Anfang der Woche Werbebriefe geschickt habe. Besser gesagt, ich rufe zwei von denen an. Einer will sich partout nicht beraten lassen, der andere ist zwar nicht interessiert, macht dann aber doch einen Termin mit mir, weil ich ein netter Kerl bin. Danach stelle ich meine Aktivitäten für diesen Tag ein. Ein Termin, der meiner Meinung nach nichts bringen wird, ist zwar kein wirklicher Termin, aber so kann ich wenigstens etwas vorweisen und man nervt mich etwas weniger. Weiterhin völlig demotiviert verlasse ich etwas später das Büro. Wieder ein Tag geschafft. Karriere macht man mit meiner Einstellung und Begeisterung ganz sicher weder hier noch sonst irgendwo.

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