Obwohl ich es nicht vergessen habe, habe ich es doch irgendwie verdrängt und bin überrascht, als ich die Mitteilung bekomme, dass ich offiziell schwerbehindert bin. Der Grad der Behinderung beträgt 50. Die Erkrankung des lymphatischen Systems wurde wegen der besonderen Begleitumstände und des ungewissen weiteren Krankheitsverlaufs höher bewertet. Die folgenden zwei Jahre sind als Zeit der Heilungsbewährung abzuwarten, dann wird erneut überprüft, in welchem Zustand ich mich befinde. Mein Ziel ist es natürlich, dass ich diesen Ausweis wieder loswerde, auch wenn manche mich darum beneiden. Denen überlasse ich gerne sowohl den Ausweis als auch die Erkrankung. Obwohl mir die Gesamtsituation missfällt, werde ich nächste Woche bei der Kontrolluntersuchung nach einer Kur fragen. Die Lebenszeit ist einfach zu begrenzt, um nicht wenigstens darüber nachzudenken. Agnes findet eine Kur wegen möglicher Kurschatten interessant. In der Tat eine möglicherweise lustige Vorstellung und etwas, was in meinem Lebenslauf noch fehlt. Was die Kurorte angeht, kommen nur solche in Frage, die ich mit dem Benz bequem erreichen kann. Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln lehne ich grundsätzlich ab.
Meinen Arbeitgeber sollte ich auch informieren, denn so ein Ausweis bringt mehr Urlaubstage. Macht mich allerdings sicher nicht beliebter. Dass man mit so einem Ausweis für Frauen interessanter wird, glaube ich allerdings nicht. Obwohl es sicher auch Frauen gibt, bei denen die Mitleidsnummer zieht. Probiere ich vielleicht mal aus, ist aber eher unwahrscheinlich. Ich frage mich tatsächlich, was meine Eltern wohl dazu sagen würden, dass ich so einen Ausweis bekommen habe. Wie würden sie reagieren? Bestürzt? Besorgt? Oder mein Onkel? Würde er mir dazu alle Vor- und Nachteile aufzählen? Unnütz darüber nachzudenken, weil sie alle nicht mehr da sind und ich der letzte Überlebende dieses engen Kreises bin. Mit mir endet die Familiengeschichte, aber das ist eine ganz andere Geschichte und hat mit diesem Grad der Behinderung rein gar nichts zu tun.
Der GdB von 50 hat beim Arbeitgeber nicht nur den Vorteil zusätzlicher Urlaubstage, sie genießen jetzt besseren Kündigungsschutz. Man kann Ihnen jetzt nur noch mit Genehmigung des Versorgungsamtes kündigen.
Mehr Urlaub, schwer kündbar. Beliebter werde ich so aber wirklich nicht. Jetzt hat der Arbeitgeber eigentlich gar keine Vorteile mehr durch mich. Wenn ich noch drei Wochen Kur genehmigt bekomme, wird es sicher auch nicht besser. 😳
Mag sein, daß Sie dadurch nicht beliebter werden. Ist das denn wichtig? Wichtiger als Ihre Gesundheit, Ihr Leben? Nach meiner Erfahrung haben Arbeitgeber gerade genug Vorteile.
Ohne über Ihren Arbeitgeber und Ihre Situation genaues zu wissen (nur das, was hier im Blog veröffentlicht wird), bin ich mir sehr sicher, daß der Arbeitgeber weitaus weniger über Ihr Wohlergehen nachdenkt, als Sie über seines.
Nach dreißig Jahren Vollzeitberufstätigkeit, welche meine Gesundheit komplett ruiniert hat, lebe ich nun von einer mickrigen Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Erkenntnis daraus ist die, daß ich schon viel früher mein eigenes Wohlergehen über das der sog. „Arbeitgeber“ -was für ein Unwort, die nehmen Arbeit, und geben dafür Peanuts!- hätte stellen müssen.
Es dankt Ihnen kein Mensch (und erst recht keine Firma: die am allerwenigsten!), wenn Sie sich selbst zugrunde richten.
Dass der Beruf die Ihre Gesundheit ruinier hat, ist erschreckend. Was war es für ein Beruf?
Ich weiß, dass niemand einem dankt. Ich will nur möglichst unauffällig durchs Berufsleben schlendern bis zur Rente. Außerdem kann ich mir so leichter vorgaukeln, dass es mir gutgeht. Zumindest zeitweise.
War Studiotechniker bei einem großen deutschen Fernsehsender. Schichtdienst, Permanenter Zeit-, Leistungs- und Erfolgsdruck. Wollte ebenfalls bis zur Rente durchhalten, mir ist es leider nicht gelungen. Das ist etwas knapp formuliert, aber öffentlich kann ich nicht mehr kundtun.
Wünsche Ihnen, daß Sie es schaffen, es sich vorzugaukeln, daß es Ihnen gutgeht… bei Ihrem ausgeprägten Realitätssinn ist das bewundernswert.
Das Unterbewußtsein arbeitet jedoch immer. Ohne willentlich beeinflußbar zu sein. Und es läßt sich nichts vorgaukeln, nicht dauerhaft. Gegen die Realität hat die Illusion auf Dauer keine Chance.
Dieser ständige Druck ist echt mies. Klingt gruselig mit Ihrem Job.
Ich plane, mindestens so lange daran zu glauben, dass es mir meist gutheht bis ich alle geplanten Urlaube abgeschlossen habe. Und wenn das geklappt hat, bin ich stolz auf mich. Ich finde den Plan ganz hervorragend für einen Realisten.
Und nicht vergessen, den Steuerfreibetrag von 1140€ anzugeben.
„Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln lehne ich grundsätzlich ab.“ Köstlich.
Ich hoffe, mir auch wieder ein Auto zulegen zu können. Obwohl ich nur Kurzstrecke fahren würde.
Ja, den Steuervorteile nehme ich gerne.
Hauptsache, man muss nicht in öffentliche Verkehrsmittel steigen…