Ein viel zu langer Bericht über eine bescheidene Woche eines verwirrten Mannes. Teil 2

Einen weiteren Tiefpunkt erreicht die Woche in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Gegen 03.00 Uhr wache ich auf, weil ich starke Magen- Darmschmerzen habe. Da ich sehr darauf achte, abends keinen Unsinn zu essen, kann ich mir das nicht erklären. Ich wandere ins Bad, sitze auf der Toilette und frage mich, ob ich mir tatsächlich einen Magen- Darmvirus eingefangen habe. Eigentlich unwahrscheinlich, aber es geht mir schon ziemlich mies. Weil der weitere Verlauf allerdings gegen einen Virus spricht, muss es was Anderes sein. Der nahende Tod, infolge meiner schweren Krankheit, vielleicht. Irgendwann kommt das ja zwangsläufig. Da es mir nach dem Toilettenbesuch nicht bessergeht, wandere ich durch die Wohnung. Ich friere und habe mir deshalb eine Decke umgelegt. Vermutlich gebe ich ein sehr skurriles Bild ab. Gegen 03.42 Uhr bin ich dermaßen durchgefroren und erledigt, dass ich ins Bett klettere und unverzüglich die Heizdecke anschalte. Ich bin froh, dass ich diese vor zwei Wochen von Agnes geschenkt bekam. Sie weiß halt einfach, was ein alter, gestörter Mann, wie ich einer bin, braucht. Schlafen kann ich zwar nicht, aber immerhin friere ich nicht mehr und bleibe in einem unbefriedigenden Wachzustand bis etwa 04.34 Uhr im Bett. Dann sind die Schmerzen erneut so stark, dass ich beschließe einen Spaziergang zu machen. Mit Decke durch meine Wohnung. Eine halbe Stunde lang. Gegen 05.10 Uhr liege ich wieder im Bett und weiß, dass ich um sechs Uhr definitiv nicht Frühstücken kann. Kurz bevor der Wecker ankündigt, dass es an der Zeit ist aufzustehen, entspanne ich etwas und schlafe ein. Diesen Moment nutzt der Wecker, um mich daran zu erinnern, dass ich mich nun wirklich genug ausgeruht habe. Ordnung muss sein. Standesgemäß führt mich mein erster Weg zur Toilette, die erhoffte Verbesserung meines Gesamtzustandes bleibt erneut aus. Toilettengänge sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Während ich anschließend eine Banane zu mir nehme, überlege ich, ob meine neuen Präparate, Mucan und Dalektro, etwas mit meinem miesen Zustand zu tun haben könnten. Eine Antwort habe ich nicht. Vielleicht sollte ich meinen Plan, meine neuen Präparate erst drei Monate zu nehmen und dann zum Arzt zu gehen, überdenken und schon in zwei Wochen diesen Schritt machen, wenn sich mein Allgemeinzustand bis dahin nicht verbessert hat. Obwohl ich in etwa weiß, wie das dann ablaufen wird, sollte ich es vielleicht dennoch tun. Dann ist auch schon die Zeit zum Gedankenmachen vorbei und ich muss mich auf den Weg zur Arbeit machen. Das ist alles irgendwie ziemlich schräg, finde ich.

Im Laufe des Tages geht es mir etwas besser. Der Ingwertee scheint zu wirken. Zumindest habe ich beschlossen, dass ich ihn für die Besserung verantwortlich mache. Ich kann sogar normal essen. Das hatte ich zu Beginn des Tages noch ausgeschlossen. Direkt nach der Arbeit muss ich zur Physiotherapie. Erneut kümmert sich die junge Frau vom letzten Freitag um mich und mein Knie. Es ist erschreckend, dass ich mich darüber freue, dass wir nett plaudern, während sie mit ihren zarten Händen mein Bein berührt. Irgendwas stimmt mit mir ganz sicher nicht.

Seit Monaten habe ich Pickel auf der Stirn. Der Hautarzt hat mir vor Monaten eine kortisonhaltige Salbe verschrieben, die ich aber erst seit kurzem benutze. Ich creme damit aber immer nur meine linke Stirnhälfte ein. Meist gehen die Pickel dann komplett weg, manchmal nur auf der linken Seite, was ziemlich bescheuert aussieht. Wieder einmal suche ich im Internet nach Ursachen dieser Verpickelung. Verdauungsprobleme oder Stress können verantwortlich sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich schon seit Monaten Stress habe. Also ist es die Verdauung. Das weiß ich längst.

Weil ich eh gerade das Internet durchsuche, suche ich nach Depressionen. Dazu gibt es viele Tests, die es zu machen gilt. Nach einer ganzen Reihe gemachter Tests steht fest, dass ich mindestens leichte Depressionen habe, vermutlich aber sogar mittelschwere bis schwere. Zwei dieser Tests endeten mit der Aufforderung mich unverzüglich mit einem Arzt in Verbindung zu setzen. Echt irre dieses Internet.

Weil Freitag ist und ich den Filmabend wegen meiner Unpässlichkeit auf Morgen verschoben habe, schaue ich, was Amazon Prime Video mir zu bieten hat. Ich habe Lust auf eine Komödie und entscheide mich für „Ein Dorf sieht schwarz“. Ich muss zwar auch mal lachen, aber irgendwie ist der Film auch traurig. Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Wahl war.

Ein weiterer Traum. Ein großes Gebäude. Möglicherweise Hotel. Ich kümmere mich um eine junge Frau. Sie ist Gast oder Kundin, ich weiß es nicht. Sie ist unter dreißig, hat glattes, blondes Haar, klare Augen und wunderschöne Haut. Ich fühle mich offensichtlich zu ihr hingezogen, halte den nötigen Abstand zu ihr immer weniger ein. Es scheint als ginge es ihr ähnlich. Ich verliere meinen Job, wenn das einer bemerkt. Wir sitzen auf einem Bett, rücken näher, liegen halb auf dem Bett als sich plötzlich die Chefin ankündigt. Wir müssen Abstand halten, es will uns nicht gelingen. Der Fahrstuhl geht auf, irgendwie haben wir es dann doch geschafft aufzustehen. Wer genau hinsieht erkennt, dass wir gegen die Regeln verstoßen, so wie wir uns verhalten. Man übersieht es wohlwollend. Ich will die Frau berühren, aber ich brauche ein Zeichen, dass sie es auch will. Dann berührt sie mich fast beiläufig mit dem Handrücken an der Hose und ich weiß, sie will es auch. Wir nähern uns und küssen uns, was längst unvermeidlich war. Ich berühre sie an den Hüften, sie legt ihre Arme um mich, ich schiebe ihr Shirt leicht hoch, um ihre Haut zu spüren. Die Intensität dieses Moments ist so groß, dass ich es einfach genieße und wünschte es würde nie aufhören. Aus diesem Traum will ich nicht erwachen. Ihre Nähe tut so gut, dass ich alle Zweifel und Bedenken, die mich sonst tragen, verliere. Szenenwechsel. Wir reden, sie hat Zweifel, Bedenken, scheinbar hat sie meine Rolle übernommen. Ich will weder Zweifel noch Bedenken, ich will sie nur noch einmal spüren. Sie küssen und genießen. Im nächsten Moment küssen wir uns und wieder spüre ich diese unglaubliche Nähe, fühle mich gut, und es stört mich nicht, dass man uns sieht, dass ich meinen Job verlieren kann, dass es keine Zukunft hat. Ich will sie einfach nur in diesem Moment spüren und dieses Gefühl aufsaugen, einmal jemand anderes zu sein als sonst. Dann ist sie weg. Letzte Szene. Sie liegt auf einem Bett, wir telefonieren, aber sie sagt nicht wirklich was. Ein Mann nimmt ihr Telefon. Er ist kräftig und unattraktiv und beschimpft mich. Sie dreht sich weg, ich wache auf. Es gibt wahrlich schlechtere Träume.

Wenn ich einen Blick auf die vergangenen Tage werfe, dann ist es mehr als deutlich, dass ich derzeit komplett durch bin. Ich scheine mich in einer echten Krise, der schlimmsten seit Jahren, zu befinden und mein Körper versucht es mir scheinbar irgendwie klar zu machen. Es ist als wenn jemand wie verrückt an der Tür klopft, um zu sagen, dass man die Tür öffnen und sofort das Haus verlassen muss, weil das Haus gerade abbrennt. Ich indes sehe die Flammen, spüre das Feuer, gucke durch den Türspion und gebe mich unbeteiligt. Was interessiert mich die andere Seite der Tür? Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit bis die Flammen sich durch die Tür fressen und mich verschlingen. Bis dahin warte ich einfach ab, denn es ist eine wirklich massive Tür, die ich mir hab einbauen lassen.

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