Januar 2012

Neujahr mit Susi und Snoopy
Der Neujahrstag beginnt um 09.00 Uhr. Kaum haben die beiden mich erblickt, müssen sie ausgiebig begrüßt werden. Susi rollt und robbt über den Boden, der etwas steife Snoopy freut sich auf die klassische Art. Beide scheinen sich sehr zu freuen und die beiden sind auch echt niedlich. Also freue ich mich auch, sie zu sehen. Als wir uns genug gefreut haben, geht es raus in den strömenden Regen. Weil die beiden mit ihren kurzen Leinen kaum zu bändigen sind, habe ich auf einen Schirm verzichtet und so werden wir ordentlich nass. So nass, dass ich sie vor der Haustür erstmal abtrocknen muss. Susi lässt sich deutlich bereitwilliger abtrocknen als der steife Snoopy. Zeit für eine Mahlzeit. Ich kippe Frolic in eine Schüssel. Das macht die Besitzerin auch immer so. Die beiden fressen das dann im Laufe des Tages auf, sagte sie mir gestern. Weil mir eine Schüssel für zwei Hunde unpassend erscheint, gibt es zwei Schüsseln mit Frolic. Doch anstatt aus den Schüsseln zu speisen, schnappen sie sich jeder ein Frolic und schleppen es an einen Platz im Wohnzimmer, wo sie es auffressen. Wie doof ist denn das? Susi holt sich mehrmals immer nur ein Frolic, um es im Wohnzimmer langsam zu verspeisen. Snoopy bleibt irgendwann in der Küche und schlingt eine gute Portion in sich hinein. Es ist sicher so eine Art Dominanzverhalten. Ich kenne mich damit nicht aus, finde es aber unentspannt, was die beiden hier treiben. Snoopy frisst ja nicht nur auf diese Art, er säuft auch so gierig. Wenn ich die beiden nicht nachher wieder abgeben müsste, würde ich jemanden dazu befragen, der sich damit auskennt, um das Verhalten zu ändern. Das muss auch entspannter gehen.
Der nächste Spaziergang findet natürlich wieder im Regen statt. Doch dieses Mal bin ich schlauer und schraube mir meine Mütze an meine Jacke. So bleibt der Kopf trocken. Selbst ich bin also lernfähig. Vor einem Haus steht ein Schild, auf dem darauf hingewiesen wird, dass Hundekot nicht erwünscht ist. Und was macht Susi? Setzt sich hin und setzt an. Keine gute Idee. Also ziehe ich sie weg und weise sie auf das Schild hin. Sie versteht vermutlich nicht, was ich von ihr will, ich kann aber keine Rücksicht darauf nehmen, denn Verbotsschilder müssen beachtet werden. Ein paar Minuten später entscheidet sie aus vollem Lauf, dass es jetzt sein muss. Ich kann gerade noch so bremsen, um ihr Geschäft kein weiteres Mal zu unterbinden. Da muss ich echt voll konzentriert sein, wenn ich mit den beiden unterwegs bin. Den Rest des Spaziergangs verbringen sie mit Seitenwechseln. Und so muss ich ständig die Leinen ordnen. Das hat was von organisierter Kriminalität. Eine weitere Unart der beiden bringt mich auch jedes Mal aus dem Rhythmus. Während er zieht, bleibt sie plötzlich stehen, um sich zu schütteln. Nur mit Mühe und Not kann ich in solchen Situationen Unfälle verhindern. Ob die mich verarschen wollen?
Ich rieche mittlerweile nicht mehr nach mir, sondern nur noch nach Hund. Meine Wohnung riecht ebenfalls nur noch nach Hund. Zwei Hunde zur Regenzeit sind einfach nix für mich und meine empfindliche Nase. Bin schon gespannt, wie lange es dauern wird, bis wieder alles so riecht, wie es riechen muss und die alte Ordnung wiederhergestellt ist. Noch vier Stunden bis zur Abreise. Die Zeit bis zur Abreise verbringen die beiden schlafend. Abschließend folgt ein letzter Spaziergang. Wie bei jedem Spaziergang zittern die beiden fast ununterbrochen. Ich frage mich, woran das liegt. An der Umgebung, den Temperaturen oder daran, dass sie immer noch nervös sind? Eine Antwort bekomme ich natürlich nicht. Wie üblich müssen die beiden ihr großes Geschäft erledigen. Snoopy fängt an. Glücklicherweise macht er es irgendwo an den Rand. Sein Haufen sieht fast aus wie sein Futter. Frolicfarben. Ich glaube, dass ich Frolic blöd finde. Ein paar Meter weiter überrascht mich Susi. Mitten auf dem Bürgersteig, fast aus vollem Lauf, bleibt sie stehen und ehe ich begreife, was vor sich geht, liegen ihre Haufen, ebenfalls Frolicfarben, mitten auf dem Gehweg. Glücklicherweise ist weit und breit niemand zu sehen, der das hätte sehen können. Trotzdem ist das Scheiße. Unverzüglich entfernen wir uns vom Ort des Geschehens. Das ist voll peinlich. Wenig später endet unser letzter gemeinsamer Spaziergang und ich bin durchaus erleichtert, denn die Spaziergänge mit den beiden waren alles andere als entspannend.
Auf der Rückfahrt sitzen oder liegen beide im Fußraum und Snoopy gibt, wie schon auf der Hinfahrt, ständig merkwürdige Geräusche von sich. Als wir zurück bei der Besitzerin sind, haben die beiden nur noch Augen für sie und ich bin abgemeldet. Weil die Besitzerin immer noch sexy ist, genieße ich ihren Anblick, lasse mich bezahlen und verabschiede mich dann von ihr.


Fragen zum Jahresbeginn
Woran erkennt man eigentlich, ob man glücklich ist? Ist man schon glücklich, wenn man nicht unglücklich ist?

Woran merkt man, dass es einem gut geht?

Wieso kann ich die Frage, wie es mir geht, nie wirklich mit “gut” beantworten? Geht es mir vielleicht schon gut, wenn ich die Frage mit “Okay” oder mit “Normal” beantworte? Und wenn ja, wieso kann ich es nicht fühlen?

Wenn das Leben erträglicher wird, wenn man sich regelmäßig betrinkt, wieso mache ich das dann nicht? Nur weil ich Alkohol nicht besonders mag?

Kann es einem Depressiven durch die Einnahme von bestimmten Medikamenten wirklich gut gehen? Oder gaukeln ihm die Medikamente das nur vor? Und wenn ja, spielt es wirklich eine Rolle?

Wieso mag ich Tomaten und Käse nur auf Pizza, aber auf keinen Fall anders?

Wozu soll man sich etwas aufbauen, wenn man sowieso früher oder später stirbt?

Wenn Sex wirklich so geil ist, warum habe ich dann so selten welchen? Und was bedeutet selten?

Wo lernt man zufrieden zu sein?

Wenn es so viele freie Stellen gibt, wieso haben wir dann so viele Arbeitslose?

Warum vermehren sich dumme Menschen überdurchschnittlich oft? Wieso dürfen dumme Menschen sich überhaupt vermehren?

Warum stinken manche Menschen den ganzen Tag?


02. Januar 2012
Um Jopi Heesters muss ich mir keine Sorgen mehr machen. Er ist, wie befürchtet, inzwischen gestorben und sogar schon beerdigt.
Viel ist nicht los im Büro. Um 12.46 Uhr erscheint spontan und unerwartet der Kuchenmann. Er möchte eine Bewerbung und hat uns 500g Gebäck- und Waffelmischung mitgebracht. Die Kekse schenke ich meinen Eltern. So profitieren sie auch von meiner Tätigkeit. Ist das nicht ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es ein gutes Jahr wird? Vermutlich nicht.


03. Januar 2012
Meine Gehaltsabrechnung überrascht mich heute. Statt der 859,37€ stehen 872,96€ auf der Abrechnung. Statt 27,50€ zahle ich nur 13,91€ Lohnsteuer. Ich verstehe das nicht. Hat irgendwer an der Lohnsteuerschraube gedreht, oder ist die Lohnsteuer Ermessenssache? Mir ist das zu kompliziert und ich bin schon gespannt, wie hoch meine Zuschüsse vom Jobcenter sein werden und welche Endsumme der Dezember am Ende wirklich bringt.
Der letzte Gast des Tages schwitzt fröhlich vor sich hin und riecht alles andere als angenehm. Nach etwa zehn Minuten hat sich sein Geruch im ganzen Büro verteilt und ich wäre am liebsten woanders. Die Bürgerarbeiterin bekommt von alldem nichts mit, weil sie schon längst gegangen ist. Nachdem ich die Bewerbungen an den schwitzenden Gast übergeben habe, reicht er mir sein riesiges Schweißhändchen. Ich halte meine Hand hin und stürze sofort, nachdem er das Büro verlassen hat zu meinem Desinfektionsmittel und bade meine Hände darin. Anschließend stürme ich Richtung WC, um meine Hände ausgiebig zu waschen. Schön ist das nicht.


04. Januar 2012
Schnell stellt sich heraus, dass der Tag nicht viel zu bieten hat. Außer Eulalia. Wie üblich ist sie verwirrt und redet unfassbar viel. Mich nervt sie mittlerweile nur noch. Sie weiß natürlich nicht mehr, wo sie ihren Lebenslauf unterschreiben soll, verteilt ihre drei Bewerbungen auf den Tischen und ist kaum in der Lage, sie den richtigen Mappen zuzuordnen. Sie ist das personifizierte Chaos. Als sie mich fragt, ob ich glaube, dass sie je wieder einen Job findet, sage ich nein. Was soll ich sie anlügen? Sie ist über vierzig und ein durch und durch hoffnungsloser Fall. Selbst wenn sie mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, wird sie den Job nicht bekommen, denn wer sie in Aktion erlebt, der wird sie mit Vergnügen nicht einstellen. Während ich verzweifle, redet sie weiter pausenlos drauflos. Eine echte Plaudertasche, die viele Worte für wenig Inhalt verschwendet. Weil sie uns langweilt, erzählen die Bürgerarbeiterin und ich ihr, dass wir am 01. Januar spontan mit dem Rauchen aufgehört haben. Nun ist sie überrascht und fragt, ob wir nicht unter Entzug leiden. Natürlich nicht. Nun ist sie noch erstaunter. Der kann man auch jeden Mist als wahr verkaufen. Nach sage und schreibe einhundert Minuten erlöst sie uns endlich von ihrer Anwesenheit. Wenn ich sie täglich ertragen müsste, dann würde ich sie töten. Oder mich. Oder uns beide.


05. Januar 2012
Eine Kundin ruft an und ich kann sie beim besten Willen nicht verstehen. Selbst als sie ihren Namen buchstabiert, kann ich ihr nicht folgen und brauche etliche Anläufe bis sie in der Datei gefunden ist. Ihr Deutsch ist unter aller Sau. Dabei hat sie über ein Jahr an einem Sprachkurs teilgenommen. Gebracht hat ihr der Kurs nicht wirklich etwas. Seit sie in Deutschland lebt ist sie entweder arbeitslos oder bekommt irgendwelche Maßnahmen bezahlt. Sie ist mir, was die berufliche Laufbahn angeht, sehr ähnlich. Zwei hoffnungslose Fälle, die sich schon bald gegenüber sitzen werden. Eine Stunde später sitzt sie auch schon vor mir. Ihrem Lebenslauf entnehme ich, dass sie einen Abschluss als Wirtschaftstechnikerin hat. Was auch immer das ist, weitergebracht hat es sie bisher nicht. Aber damit hat sie in ihrem Leben immerhin mehr geschafft als ich. Zumindest klingt es gut, wenn man sagen darf, man sei Wirtschaftstechnikerin. Ich hätte auch gerne einen so wohlklingenden Abschluss. Obwohl ich Ihre Bewerbung sehr schnell erstelle, bin ich nicht schnell genug. Ihr Geruch verbreitet sich langsam aber unaufhörlich im Büro und erreicht mich kurz bevor ich fertig bin. Mist. Kaum ist sie weg, lüfte ich ordentlich durch. Ich will schließlich nicht an einer Vergiftung sterben.
Am Nachmittag kommt Eulalia zu uns, um eine Bewerbung abzuholen. Natürlich holt sie nicht nur die Bewerbung ab, sondern stellt sich mitten ins Büro und hält einen Plausch mit uns. Schlagartig werde ich noch müder und kann mich nur mit großer Mühe davon abhalten, bewusstlos vom Stuhl zu kippen. Ununterbrochen textet sie uns zu. Die gleichen belanglosen Geschichten vom Vortag, gewürzt mit einer Prise neuer Belanglosigkeiten. Dieselben dummen Fragen, wie bei jedem Besuch. Ich bin kurz davor mir meinen Bleistift ins Gehirn zu rammen. Nach einer halben Stunde fühlt es sich so an als würde mir Blut aus den Ohren laufen. Als ich mit der linken Hand nach meinen Ohren greife, um zu fühlen, ob meine Ohren wirklich bluten, stelle ich zu meiner Erleichterung fest, dass dem nicht so ist. Ich fühle mich trotzdem furchtbar. Eulalia sagt uns, dass sie sich bei uns total wohl fühlt. Ich sage ihr nicht, dass wir leiden, sondern dass sie beim nächsten Besuch Kekse für uns mitbringen soll. Das ist Kundenfreundlichkeit in Perfektion. Obwohl sie sich nicht hinsetzt, bleibt sie fast eine Stunde. Wenn ich solche Besucherinnen ertrage, dann kann ich bald sicher für die Telefonseelsorge arbeiten. Nachdem sie gegangen ist, bin ich nass geschwitzt und völlig erledigt. Ich brauche eine Gefahrenzulage. Die Bürgerarbeiterin sagt, dass ich während des Besuchs von Eulalia zwischendurch immer wieder einen roten Kopf bekommen und angefangen habe mit dem Kiefer ungewöhnliche Bewegungen zu machen. Und immer, wenn sie dachte, dass ich gleich durchdrehe, angefangen habe, Eulalia zu verarschen und meine Gesichtsfarbe dann wieder normal wurde. Ob ich bald durchdrehe?


06. Januar 2012
Um 10.24 Uhr schauen die Alleinerziehenden eine Dokumentation. Schafften sie es am Montag und Dienstag noch, Filme in angemessener Lautstärke zu schauen, so versagen sie heute leider völlig. Es ist unglaublich, dass solche Belästigungen gestattet sind. Die Bürgerarbeiterin, die von dem Lärm genervt ist, macht Musik über ihr Mobiltelefon, was aber nicht den gewünschten Effekt erzielt, weshalb sie kurz danach wieder Abstand davon nimmt. Die Dokumentation geht um Burger von McDonalds. Vermutlich die Hauptnahrung der alleinerziehenden Gestalten. Ich würde den Deppen den Film Idiocracy zeigen, damit sie sehen, wie weit sich die Menschheit, auch dank ihrer Hilfe, schon bald zurückentwickelt haben wird.
Um 13.59 Uhr ruft der Ehrengast an. Er möchte wissen, ob Neurologen und Theologen das Gleiche machen. Später stellt sich heraus, dass er Neurologen und Psychologen meint. Er möchte nämlich bei seinen Eltern ausziehen, und weil das nicht so einfach zu sein scheint, braucht er dafür die Unterstützung eines Psychologen. Er möchte ein paar Adressen von Psychologen der Umgebung. Ich bin amüsiert. Dann sagt er noch, dass er beim nächsten Besuch eine Frau mitbringt, die eine Bewerbung braucht. Ich kann es kaum erwarten, diese kennenzulernen. Kaum hat er aufgelegt, ruft er erneut an, um mir zu sagen, dass er, wenn er am Montag kommt, nicht am Donnerstag kommen wird. Und falls er am Donnerstag kommt, dann kommt er nicht am Montag. Da bin ich echt froh, dass er mir das jetzt noch mitgeteilt hat.


09. Januar 2012
Die Alleinerziehenden gucken eine Reportage. Natürlich wieder so laut, dass auch wir etwas davon haben. Heute geht es um die Halberstädter Würstchen. So eine Maßnahme ist schon toll. Man bekommt tolle Informationen, lernt quasi fürs Leben nach der Maßnahme, und ist obendrein aus der Arbeitslosenstatistik raus. Noch während ich mich an dem Bericht über die Würstchen erfreue, klingelt das Telefon. Eulalia. Sie fragt, ob ich ihr einen Widerspruch schreiben kann, weil ihre Bewerbungskosten mit der Begründung, dass Sie bei allen Bewerbungen denselben Text geschrieben hat, nicht erstattet werden. Vermutlich schreibe ich ihr immer deshalb fast identische Texte, weil sie sich ständig auf denselben Beruf bewirbt. Sind die beim Jobcenter jetzt verrückt geworden, weil sie für jeden Arbeitgeber eine andere Bewerbung wollen, oder bin ich es, weil ich den Text nicht ändere, wenn es sich um denselben Beruf handelt? Wer ist die Niete in diesem Spiel?
Seit 09.30 Uhr hat auch die Bürgerarbeiterin ihre Jacke an. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass ich mir die Kälte im Büro nicht einbilde. Die Alleinerziehenden bekommen eine neue Aufgabe. In den nächsten Tagen müssen sie Handytaschen herstellen. Und weil eine Aufgabe nicht reicht, bekommen sie gleich eine weitere. Sie sollen sich zu Hause wiegen und danach wird dann in den nächsten Tagen für jede Alleinerziehende der BMI errechnet. Bin sehr gespannt, wie überrascht viele von ihnen sein werden, wenn der BMI ein Übergewicht anzeigt.
Der nächste Besucher heißt Flokati. Also mache ich ihm auf sein Deckblatt und in seine Kopfzeile einen Flokati-Teppich. Meiner Kreativität sind heute scheinbar keine Grenzen gesetzt. Kaum bin ich fertig damit, geht die Tür in Zeitlupe auf und der Ehrengast tritt herein. Natürlich möchte er nicht nur die Adressen der Psychiater, sondern auch noch einen Brief an E-Plus. Die sollen ihm seine Mailbox einstellen. Ich liebe es, solche Briefe zu schreiben. Das setzt der Sinnlosigkeit meines Daseins die Krone auf. Was ich allerdings etwas abstoßend finde ist die Feuchtigkeit, die der Ehrengast unter seiner Nase transportiert. Ein Anblick zum Übergeben. Passend dazu umschmeichelt sein Geruch nun meine Nase. Ich hab es echt nicht leicht.


10. Januar 2012
Die Alleinerziehenden haben damit begonnen, Handytaschen zu häkeln. Das hat schon etwas von Grundschulunterricht. Während das Häkeln beginnt, ruft die Frau mit der furchtbaren Stimme: “Du kannst alles schaffen, wenn du nur fest an Dir glaubst!” Kaum zu glauben. Die erste Besucherin, die ich heute an die Bürgerarbeiterin weiterleite, ist die Frau, der ich die Raketen auf das Deckblatt gemacht habe. Wie erwartet bringt sie auch heute ihren Mann mit. Sie nimmt ihren Besucherstuhl, stellt ihn auf die andere Seite des Schreibtisches und sitzt nun direkt neben der Bürgerarbeiterin. Passend dazu zieht sie regelmäßig die Nase hoch. Das ist irgendwie widerlich. Ihr Mann nimmt den Stuhl vor meinem Schreibtisch, dreht ihn Richtung Bürgerarbeiterin und Ehefrau, setzt sich breitbeinig hin und glotzt die beiden an. Ich nenne ihn ab heute Glotzkopf. Deutsch kann er natürlich immer noch nicht. Warum auch? Fürs Reden hat er seine Frau und so kann er sich voll und ganz aufs Glotzen konzentrieren.
Am Nachmittag findet die nächste Teamsitzung statt. Wir erfahren, dass für jedes Arbeitslosenzentrum ein weiterer Bürgerarbeiter oder eine weitere Bürgerarbeiterin genehmigt wurde und die Auswahlverfahren schon laufen. Bald werde ich von einem Bürgerarbeiter oder einer Bürgerarbeiterin ersetzt. Das ist schon irgendwie erbärmlich. Außerdem erfahren wir, dass noch Fördergelder vom letzten Jahr übrig sind. Weil diese nicht verfallen sollen, dürfen wir uns etwas aussuchen. Neben einem neuen Anstrich fürs Büro bekommen wir vielleicht sogar noch einen neuen Fußbodenbelag. Wichtig ist nur, dass keine Anschaffung den Preis von 149,99€ überschreitet. Wie soll ich nur ab März ohne all diesen Schwachsinn leben können? Bevor ich zu viel darüber nachdenken muss, nehme ich eine Schmerztablette ein. Damit wird vieles erträglicher, auch wenn es unverständlich bleibt.


11. Januar 2012
Der erste Besucher des Tages wird von seiner Frau begleitet. Sie übernimmt auch das Reden. Das könnte daran liegen, dass der Mann entweder unglaublich schüchtern ist oder daran, dass er einfach der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Vielleicht ist er auch ein Glotzkopf.
Post vom Jobcenter. Ich bekomme 69,04€ zu meinem Gehalt von 872,96€. Das bedeutet ein Gesamteinkommen in Höhe von 942€. Damit habe ich zum zweiten Mal hintereinander den gleichen Betrag bekommen. Das ist sensationell gut und ich bin schon sehr auf die letzten beiden Monatsabrechnungen gespannt. Im Anschluss daran werde ich mich wieder der Arbeitslosigkeit hingeben.


12. Januar 2012
Um 13.46 Uhr kommt Eulalia, um sich den Widerspruch schreiben zu lassen. Wie von mir gefordert, hat sie Kekse mitgebracht. 500g Compliments von Lambertz. Ich liebe es, wenn eine Frau macht, was ich ihr sage. Während des wieder einmal langen Aufenthalts Eulalias kommt die nächste Besucherin. Diese kennt Eulalia und so entsteht eine rege Kommunikation zwischen den beiden. Die beiden haben sich viel zu erzählen. Mich und die Bürgerarbeiterin scheinen sie dabei völlig zu vergessen. Sie reden über einen Bekannten, der seine Frau im Ehebett betrogen hat und erwischt wurde. Herrlich. So wird das hier doch noch zu einem Arbeitslosentreff. Ich glaube, so ein Arbeitslosentreff ist nichts für mich.
Der letzte Besucher des Tages bringt seine Frau mit. Vielleicht bringt sie ihn auch zu mir. Er spricht kaum deutsch, zumindest nicht mit mir, und ist seit vier Jahren arbeitslos. Er braucht pro Monat drei Alibibewerbungen. Sie ist seit sieben Jahren ohne Job und muss monatlich fünf Alibibewerbungen schreiben. Sie haben einen Mercedes, ein IPhone 4, zwei Kinder, sind beide über 40 und haben zusammen knapp vierzehn Jahre Berufserfahrung. So viel Berufserfahrung werde ich in meinem Leben nicht mehr sammeln. Aber einen Mercedes habe ich auch.


13. Januar 2012
Die Alleinerziehenden haben heute Unterricht beim Dozenten. Obwohl Unterricht vermutlich der falsche Begriff ist. Sie sitzen einfach seit etwa 08.00 Uhr zusammen, quatschen, lärmen, lachen und schreien höchst vergnügt. Wie kleine Schweinchen quieken sie vor Vergnügen, wobei das Schweinchen mit der furchtbaren Stimme wie immer aus der Masse der Degenerierten heraussticht. Der Lärmpegel erreicht einen neuen Höhepunkt. Das Tier mit der furchtbaren Stimme dreht mehr und mehr auf. Ihre Lache erschreckt selbst Rehe, die im fünf Kilometer entfernten Wald friedlich ihren Morgenspaziergang machen. Mir bluten die Ohren und die Bürgerarbeiterin brüllt: “Mein Gott! Jetzt ist aber mal Ruhe da.” Leider sind die Degenerierten zu laut, um diese Aufforderung wahrnehmen zu können. Nur gut, dass wir gerade keine Kunden hier haben. Es wäre sicherlich merkwürdig denen zu erklären, dass wir drüben Zurückgebliebene, die wir später einschläfern müssen, betreuen.
Die letzte Kundin der Woche ist Wolga. Olga hat sie heute irgendwo vergessen. Wolga riecht nach einer Mischung aus Hospiz und Friedhof. Es ist ihr ganz persönlicher Duft, den sie immer mitbringt, wenn sie zu Besuch kommt. Ihre Bewegungen sind von graziler Trägheit und ihre Blusen seit den siebziger Jahren aus der Mode. Sie wirkt viel älter als sie ist. Sie ist 50 Jahre alt, macht aber den Eindruck, als wäre sie bald 70 und riecht, als wäre sie längst gestorben. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie einen festen Job bekommt, aber vermutlich ist meine Vorstellungskraft einfach zu begrenzt für diese Welt. Wichtig ist nur, dass ich, nachdem sie gegangen ist, lüfte und ordentlich Aqua Touch versprühe.
Später liege ich auf dem mittleren Tisch und lese, als es klopft und die Tür aufgeht. Obwohl ich aufspringe wie ein junger Hüpfer, zumindest in meinem Empfinden, bin ich sicher, dass die Besucherin, die nur etwas abholt, mein vom Tisch springen bemerkt hat. Soll mir egal sein. Nachdem sie gegangen ist, lege ich mich erneut auf den Tisch und lese weiter “Eine kurze Geschichte vom Glück”.


Willkommen im Märchenland
Lidl. Kassenbereich. Vor mir ein Mann ausländischer Herkunft. Auf dem Band fünf Teile, im Einkaufswagen ein Rucksack. Als er an der Reihe ist, schiebt er seinen Einkaufswagen an der Kassiererin vorbei. Sie bittet ihn, den Rucksack zu öffnen, damit sie hineinsehen kann. Er reagiert nicht. Sie fordert ihn erneut auf, den Rucksack zu öffnen. Er nimmt ihn in die Hand, macht aber keine Anstalten ihn zu öffnen. Mehrmals fordert sie ihn noch auf, dann sagt er, dass er die Sachen bezahlen möchte, legt die Sachen vor die Kassiererin und beteuert, dass er nur vergessen hat, den Inhalt des Rucksacks aufs Band zu legen. Die Kassiererin ruft ihre Vorgesetzte. Der Mann ist mittlerweile fertig damit, Waren aus seinem Rucksack vor die Kassiererin zu legen und sagt, dass er geträumt und deshalb die Waren nicht aufs Band gelegt hat. Die Vorgesetzte erscheint. Wieder beteuert der Mann, dass alles nur ein Versehen war. Die Vorgesetzte sagt der Kassiererin, dass sie die Waren kassieren soll. Fall erledigt. Der Mann hatte Waren für über siebzig Euro in seinem Rucksack. So Kleinigkeiten kann man durchaus mal vergessen. Ich hätte trotzdem die Polizei gerufen, aber wahrscheinlich hätte das nichts gebracht. Schließlich kann man durchaus mal Waren im Wert von über siebzig Euro in seinem Rucksack vergessen. Ist menschlich, tut dem Mann sicher sehr Leid und wird natürlich nie wieder vorkommen. Willkommen im Märchenland.


16. Januar 2012
Die Bürgerarbeiterin hat Lautsprecher für den PC mitgebracht. Damit können wir ab sofort Gegenlärm produzieren, wenn die Alleinerziehenden wieder über die Stränge schlagen. Die Alleinerziehenden gucken einen Film oder eine Serie. Als sie dabei in schallendes und Ohrenbetäubendes Lachen ausbrechen, sagt die Bürgerarbeiterin “Das sind da drüben auch alles Leute für Frauentausch”. Wie Recht sie doch damit hat. Ich finde, dass man problemlos eine niveaulose Sendung mit denen machen könnte. Man müsste sie einfach nur mit einer Kamera begleiten und schon wäre die Fernsehwelt um eine weitere Scheiße erweitert. Solche Maßnahmen der Jobcenter sollten immer automatisch gefilmt werden. Das sollte bei der nächsten Arbeitsmarktreform beschlossen werden. Die Fernsehsender würden so einen Teil der Kosten finanzieren und die Jobcenter hätten mehr Geld zur Verfügung, um weitere sinnlose Maßnahmen zu erfinden und zu fördern. Und ich sollte eine Beraterfirma gründen. Bei meinen hervorragenden Ideen würde ich rasch zu einem wohlhabenden Mann über den schon bald ganz Deutschland spricht.
Der Tag heute entwickelt sich weiter prächtig. Die Alleinerziehenden gucken nun eine Reportage über Dönerspieße. Auch dabei bricht die eine oder andere gelegentlich in schallendes Gelächter aus. Da hilft vermutlich nur eine schallende Ohrfeige. Später gucke ich zusammen mit der Bürgerarbeiterin eine Folge Pan Tau auf Youtube. Ziemlich merkwürdig, dieser Pan Tau. Als die Bürgerarbeiterin Feierabend hat, gucke ich noch Soulkeeper, einen durch und durch billigen und schlechten Film.


17. Januar 2012
Der Anrufbeantworter blinkt. Zwei neue Nachrichten. Noch bevor ich sie abhöre, weiß ich, dass es der Ehrengast ist. Er sucht jemanden in Deutschland, vielleicht aber auch nicht in Deutschland. Vielleicht in Dortmund, vielleicht auch nicht in Dortmund. Er redet viel, ich verstehe wenig. Die zweite Nachricht ist ähnlich verwirrend. Er möchte, dass ich eine Nummer übers Internet für ihn herausfinde. In seinem Kopf ist immer etwas los. Ich fürchte nur, dass es keineswegs gut für ihn ist, was sich da so in seinem wirren Köpfchen abspielt. Den Besitzer der Nummer, die er mir nennt, kann ich natürlich nicht ermitteln.

Die Frau mit dem merkwürdigen Kinnbart, möchte sich heute als Concierge bewerben. Ich glaube zunächst, dass sie mich veräppeln will, doch es ist ihr ernst. Sie will sich tatsächlich als Concierge bewerben. Warum nicht? Wir sind hier ja für fast jeden Bewerbungsspaß zu haben. Der Ehrengast ruft an. Er hat durch einen Mann erfahren, dass der Mann, den er sucht, eine andere Nummer hat. Und er hat ihn irgendwie gefunden. Wieder redet er viel, wieder weiß ich nicht, wovon er eigentlich spricht. Vermutlich ist er einer großen Sache auf der Spur. Oder er ist einfach nur verrückt. Er will mir auf jeden Fall, vermutlich am Donnerstag, einen Besuch abstatten. Wozu er mich besuchen will und was ich für ihn tun soll, bleibt ein Rätsel.


18. Januar 2012
Der Anrufbeantworter blinkt. Dafür kann nur der Ehrengast verantwortlich sein. Und natürlich ist er es. Er hat den Mann tatsächlich gefunden, redet weiter wirres Zeug, will Kontakt aufnehmen, ich soll auch irgendwas machen, genaueres erfahre ich, wenn er mich besucht. Ich konzentriere mich wirklich sehr beim Abhören des Anrufbeantworters, doch verstehen kann ich nicht wirklich etwas. Ich lasse mich einfach überraschen, mit welch wahnsinnigen Geschichten er mich morgen besuchen wird und überlege, ob es nicht Sinn machen würde, sein Leben zu verfilmen. Uwe Boll erscheint mir da ein geeigneter Regisseur.
Die erste Besucherin des Tages hat einen interessanten Lebenslauf. Sie hat mehrere Jahre als Betreuerin und Hausaufgabenhilfe gearbeitet. Sie kommt aus Kasachstan und hat laut ihrem Lebenslauf eine Ausbildung als Erzieherin in Pädagogisches Fachschule mit der Note gut abgeschlossen. Auch diese Formulierung in ihrem Lebenslauf macht mir etwas Angst VHS Orientierungsmaßnahme für Berufliche Bildung einschließlich von Praktikum als Erzieherin. Sie möchte, dass ich ihr einen Brief schreibe. Es gibt ab März 2012 ein neues Gesetz, dass die Zeugnisse und Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden, geprüft und anerkannt werden. Wohin ich den Brief schreiben soll, weiß sie nicht. Sie hat eine Straße, einen Ort und einen Ansprechpartner. Das bringt mich zunächst nicht wirklich weiter. Ich frage mich, wie eine Frau, die nicht einmal einen einfachen Brief verfassen kann, als Hausaufgabenhilfe gearbeitet haben kann. Kein Wunder, dass die Kinder immer mehr verblöden. Sie ist gelernte Erzieherin. Was für einen Sinn eine so unsichere Erzieherin, die in Zeitlupe spricht, haben soll, weiß ich nicht. Braucht kein Mensch. Auch nicht mit anerkannten Zeugnissen. Nach kurzer Recherche wird klar, dass sie ihren Lebenslauf zur Bezirksdirektion Detmold schicken möchte. Nun zeigt sie mir irgendwelche Bescheinigungen von Lehrgängen, an denen sie in Deutschland teilgenommen hat. Die sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Sie allerdings denkt, dass sie wichtige Schreiben in ihren Händen hält. Ich frage mich, wer ihr diesen Schwachsinn eingeredet hat oder wie sie darauf kommt. Ihre Trägheit macht mich echt fertig. Noch besser finde ich die Unterlagen, die sie an die Bezirksdirektion Detmold schicken will. Ein Zeugnis der Stadt Selm, eines von einer Kindertagesstätte, einen ausgefüllten Personalfragebogen und ein Foto aus einem Altenheim mit der Aufschrift “Guten Rutsch ins Neue Jahr”. Vollkommen schwachsinnig, dieses Vorhaben. Weil sie mich eh nicht verstehen würde, wenn ich ihr erklären würde, dass es um Zeugnisse aus dem Ausland geht, die anerkannt werden sollen und der Blödsinn, den sie abschicken will, keinen Sinn macht, lasse ich sie gehen. Soll sie sich doch der Lächerlichkeit preisgeben. Ich kann nicht jeden Menschen retten. Nicht heute.
Gegen 13.00 Uhr geht die Tür in Zeitlupe auf. Der Ehrengast kommt herein und hat neben einer neuen braunen Kapuzenjacke ein paar lustige Probleme mitgebracht. Er hat zwei E-Mails von E-Plus bekommen, die er nicht versteht. Werbemails. Ich sage ihm, dass es nur Werbung ist und er die sofort löschen soll. Schon sind zwei Probleme gelöst. Ein Problem mit einem Gutachter kann ich lange nicht verstehen. Er redet und redet und ich weiß nicht, was er will. Am Ende finde ich es doch noch heraus. Er will wissen, was ein psychologisches Gutachten kostet. Da kann ich ihm leider nicht helfen. Abschließend formuliere ich ihm eine seiner Bewerbungen um. Endlich mal eine sinnvolle Aufgabe. Die Bürgerarbeiterin ist der Meinung, dass der Ehrengast voll zugedröhnt ist, weil er Medikamente nimmt. Ausschließen kann man es nicht.


19. Januar 2012
Am Nachmittag machen wir es uns gemütlich und gucken einen Film. Dead Snow. So verhalten wir uns gemäß unserer Bezahlung.


20. Januar 2012
Kaum sind die Alleinerziehenden im Haus, wird es wieder laut. Sie gucken auch heute wieder eine Reportage über Fast Food. Eine Maßnahme, bei der man fast nur Filme und Reportagen guckt, muss ich auch noch machen. So eröffnen sich mir hier immer weitere Möglichkeiten, meine unfassbare Karriere auch nach dieser Weiterbildung abwechslungs- und erfolgreich fortsetzen zu können. Leider schaffen die Alleinerziehenden keine Reportage, ohne zwischendurch in furchtbares Gelächter auszubrechen. Blödheit scheint echt Spaß zu machen. Zumindest den Blöden. Ich hingegen bin nur genervt.
Völlig unerwartet betritt die Frau, die ein Dämon ist, das Büro und möchte eine Bewerbung. Sie setzt sich auf den Besucherstuhl, gibt mir die Adresse und starrt den Türrahmen an. Dämonisch. Nachdem ich die Bewerbung geschrieben habe, frage ich, ob sie eine Kopie des Anschreibens will. Nun ist der Dämon erwacht und sagt mit unverwechselbarer Stimme, dass die Frau immer alles kopiert, murmelt einige unverständliche Sätze und erzählt am Schluss von einer Frau, die auf der Toilette war. Ich nicke verständnisvoll, obwohl ich kein Wort verstanden habe. Der Dämon schweigt, die Frau geht.
Später kommt die junge Frau mit ihrem Mann Glotzkopf ins Büro. Er schnappt sich wieder den Stuhl vor meinem Schreibtisch, dreht ihn in eine andere Richtung, setzt sich und starrt drauflos. Zum Abschied sagt er Tschüss. Das wird ja immer besser.


23. Januar 2012
Die Degenerierten sind wieder im Nebenraum. Der Lärmpegel ist fast durchgehend hoch und ich kann immer noch nicht glauben, dass es so etwas gibt. Vielleicht sollte ich auch Dozent werden. Dann bekomme ich so ein paar Hohlköpfe, rede mit ihnen, zeige ihnen Filme und lasse mich dafür auch noch bezahlen. Zu gönnen wäre es mir. Der Lärm ist trotz der Anwesenheit eines Dozenten und einer Dozentin auch nach zwei Stunden unerträglich hoch. Mein Schädel droht zu zerplatzen. Die sind echt peinlich. Vier Stunden Lärm verursachen, scheint alles zu sein, was die können. Eingesperrt gehören sie. In einem Loch, ganz tief unter der Erde.
Wolga schaut heute auch wieder vorbei. Wie immer hängt sie zunächst ihren Schirm auf, zieht sich in Zeitlupe die Jacke aus, hängt sie auf, nimmt den Schal ab, hängt ihn ebenfalls auf und setzt sich dann ordnungsgemäß auf ihren Platz. Dabei verströmt sie selbstverständlich ihren ganz persönlichen Duft, den sie zu jedem Besuch mitbringt. Während ich ihr eine Bewerbung schreibe, schaut sie sich einen Tischkalender an, den sie auf dem Infotisch entdeckt hat. Selbst als ich längst die Bewerbung erstellt habe, kann sie nicht aufhören, darin zu blättern. Weil ich keine Verwendung für den ollen Kalender habe, schenke ich ihn ihr. Wolga freut sich und ich bin den Kalender los. Nachdem Wolga glücklich ist, steckt sie ihre Bewerbungsunterlagen in Klarsichtfolien, erhebt sich, geht zum Kleiderständer und bindet sich höchst konzentriert und äußerst sorgfältig ihren Schal um. Dann zieht sie sich ihre Jacke an, nimmt ihren Schirm, die Tüte mit den Bewerbungsunterlagen und verabschiedet sich. Ein wirklich herrliches Ritual.
Der nächste Besucher ist Schweißi. Er schwitzt heute noch genau wie damals. Da freue ich mich natürlich sehr als er mir seine Schweißhand reicht. Noch mehr freut sich die Bürgerarbeiterin, als er auch ihr zur Begrüßung die Flosse reicht. Sie hasst Händeschütteln noch viel mehr als ich es tue. Während ich die Bewerbungsunterlagen erstelle, schwitzt Schweißi fröhlich vor sich hin, wischt sich, mal mit der linken, mal mit der rechten Hand, den Schweiß ab und ich freue mich schon sehr darauf, ihm zum Abschied die Hand zu schütteln. Glücklicherweise verzichtet er beim Abschied auf das lästige Ritual. Dennoch sprühe ich mir meine Hände sofort mit Desinfektionsflüssigkeit ein und renne danach zur Toilette, um mir die Hände ausgiebig zu waschen. Widerlich.


24. Januar 2012
Als eine der Dozentinnen der Alleinerziehenden den Laptop holt, sagt sie, dass drüben wieder ein Film geguckt wird. Die Bürgerarbeiterin fragt, ob wir wieder mithören können. Die Dozentin will gerade erklären, was für einen Film die Alleinerziehenden heute gucken, als sie von der Bürgerarbeiterin mit den Worten “Das interessiert mich nicht” unterbrochen wird. Die Dozentin ist etwas irritiert und muss sich nun anhören, dass es uns gestern zu laut war und unsere Besucher sich fragen, ob da drüben Verrückte untergebracht sind. Sie geht zurück in den Klassenraum der verrückten Alleinerziehenden und weist darauf hin, dass es gestern zu laut war und so nicht mehr geht. Ein paar Minuten herrscht daraufhin Ruhe. Dann wird die Frau mit der furchtbaren Stimme wieder lauter. Wir werden sie vermutlich doch einschläfern müssen. Sie ist definitiv ein hoffnungsloser Fall.


25. Januar 2012
Der erste Besucher des Tages gibt mir seine Bewerbungsmappe. Diese stinkt dermaßen nach Aschenbecher, dass mir beim Abtippen seines Lebenslaufs fast schlecht wird. Wie kann man nur so Leben? Wenn seine Bewerbungsmappe schon so stinkt, wie stinkt dann wohl seine Wohnung? Und wieso hat er so verfaulte Zähne? Das ist widerlich.
Nebenan, dort wo sonst die Alleinerziehenden toben, ist heute ein Prüfer vom Jobcenter. Es geht wohl darum festzustellen, wie sinnvoll die Maßnahme mit den Alleinerziehenden ist. Die Chefin ist extra angereist, um ihn von der Maßnahme zu überzeugen. Der Mann, der übrigens ohne Kopfbehaarung unterwegs ist, prüft Anwesenheitslisten, Unterrichtslisten und was es noch so für Listen zum prüfen gibt. Um 11.21 Uhr verlassen die Chefin und der Glatzkopf, zusammen mit den beiden Dozentinnen der Alleinerziehenden, das Gebäude und kommen um 12.11 Uhr zurück. Vermutlich haben sie irgendwo ein feudales Mittagessen zu sich genommen. Sicher nicht bei McDonalds oder Burger King. Kaum zurück werden wieder Listen kontrolliert. So kann man theoretisch feststellen, wie sinnvoll unsinnige Maßnahmen in der Praxis nicht sind, sich in der Theorie aber gelohnt haben. Würde mich nicht wundern, wenn sie am Ende des Tages feiern, dass es eine weitere Maßnahme mit Alleinerziehenden gibt. Da wäre ich gerne mit dabei. Ich muss mir unbedingt ein Kind besorgen. Bevor es soweit ist, werden drüben die Anwesenheitslisten geprüft. Die Teilnehmerin, die mit mir Gassi gehen wollte, ist seit dem 29.11.2011 krankgeschrieben. Ihr würde ich, sollte eine weitere Maßnahme stattfinden, auf jeden Fall einen Platz reservieren. Später, die Prüfung ist längst vorbei, erfahre ich, dass eine neue Maßnahme geplant ist. Mit etwa dreißig Alleinerziehenden. Dieses Land ist wirklich nicht mehr zu retten.
Der letzte Besucherin des Tages bringt etwa 20 Zeugnisse zum einscannen vorbei. Und eine Mappe mit Referenzen, die ich ebenfalls einscannen soll. Als neugieriger Mensch werfe ich natürlich einen Blick auf diese Referenzen. Und ich muss zugeben, dass ich bisher gar nicht wusste, was Referenzen sind. Ihre Referenzen sind nette Zeilen von Arbeitskolleginnen, die ihr alles Gute wünschen, sich für die Zusammenarbeit bedanken und wünschen, dass man in Kontakt bleibt. Also privat hingedruckte Freundlichkeiten ohne jeglichen Nutzen. Die zwanzig Zeugnisse bzw. Bescheinigungen über Weiterbildungen und Maßnahmen würde ich nicht unbedingt einer Bewerbung beifügen, schaffe es aber leider nicht, der Besucherin dies auszureden. Und so wird die Bewerbungsmail später über 10MB groß. Das man das so besser nicht macht, behalte ich für mich. Soll sie doch die größten Bewerbungsmails aller Zeiten verschicken und auf einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde hoffen. Ich kann ihr nicht helfen, schweige einfach und lasse die Bürgerarbeiterin scannen und scannen und scannen. Bis sie Feierabend hat. Dann ist die Besucherin glücklich und darf ebenfalls gehen. Um 15.19 Uhr klettere ich auf einen Tisch und bleibe bis 15.58 Uhr darauf liegen.


26. Januar 2012

Um 08.44 Uhr klopft es an der Bürotür. Ich lege das Buch, welches ich gerade lese, Neun Erzählungen von J.D. Salinger, aus den Händen und warte, wer da wohl zur Tür hereinkommt. Herein kommt eine blonde Frau, die eine Lieferung hat und nicht weiß, wohin damit. Die Frau ist sehr attraktiv, hat eine tolle Figur, eine angenehme Stimme und würde sich sicher gut in meinem Bett machen. Doch zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass mich das völlig kalt lässt. Ich bin sehr distanziert und bringe sie in ein anderes Büro. Noch einmal schaue ich sie an. Früher wäre ich bei so einem Anblick völlig aus dem Häuschen gewesen, jetzt drehe ich mich gleichgültig um, gehe zurück in mein Büro und lese weiter.
Der Ehrengast ruft an und fragt, ob ich eine Bewerbungsmappe für ihn habe. Weil ich ein netter Mensch bin und noch gebrauchte Mappen hier liegen habe, sage ich ihm, dass er sich eine abholen kann. Da freut er sich fast. Zwei Stunden später ruft er erneut an und fragt, ob ich einen großen Briefumschlag für ihn habe. Natürlich nicht, das ist hier schließlich keine Filiale für Bürobedarf. Er fragt trotzdem nochmal nach, schließlich kann es ja sein, dass sich so etwas innerhalb von Sekunden ändert. Weil ich erneut verneine, fragt er, ob ich keine Briefumschläge bestellen kann, weil er keine hat. Kann ich nicht. Heute scheint er besonders verwirrt zu sein. Kaum hat er aufgelegt, ruft Eulalia an. Sie ist ganz aufgeregt und stellt wie immer tausendmal dieselben Fragen. Ihre Stimme ist wenig Telefontauglich und mit jeder Minute schmerzen Kopf und Ohr mehr. Nach sechzehn Minuten beenden wir den Plausch. Hätten wir uns auch sparen können, weil es keinen von uns weitergebracht hat.
Um 14.24 Uhr geht die Tür in Zeitlupe auf. Wer könnte das anders sein als der Ehrengast? Er trägt wieder seine blaue Kapuzenjacke und den ganz persönlichen Duft, der meiner Nase so gar nicht schmeicheln mag, und möchte die Bewerbungsmappe abholen. Die angebotenen Mappen gefallen ihm nicht. Ich sage ihm, dass ich keine anderen für ihn habe. Er ist skeptisch und nimmt nur zögerlich eine der angebotenen Mappen. Er testet, ob sie in den Umschlag, den er sich extra besorgt hat, passt. Sie passt. Er geht ins Nebenbüro, ordnet seine Unterlagen und steckt sie in die Mappe. Dann verabschiedet er sich. Bis bald.
Um 16.14 Uhr klettere ich auf einen Tisch und bleibe bis zum Feierabend dort liegen. Mein Zustand ist alles andere als gut.


27. Januar 2012
Der letzte Arbeitstag der Woche ist gleichzeitig der letzte Arbeitstag vor meinem letzten Urlaub. Im Terminkalender steht heute kein einziger Termin. Es könnte also langweilig werden. Und es wird langweilig. Lediglich zwei Besucher verirren sich im Laufe des Tages hierher. Das Telefon steht still. Ich lese “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Folge 4”. Später gucken wir einen Film. House. Ein belangloser Film aus den 80ern mit nicht vorhandenem Unterhaltungswert.


Wohin mit der Leiche?
Mittlerweile habe ich den größten Teil meines Lebens hinter mich gebracht. Es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit bis ich sterbe. Das kann morgen passieren, oder nächste Woche, oder in einigen Jahren. Die Frage, die sich dann stellt, lautet: Wohin mit der Leiche? Ich bevorzuge es, nicht beerdigt zu werden. Ich stelle es mir in so einem Sarg wenig gemütlich vor. Neben der Tatsache, dass ich, bzw. meine Leiche, dann im Sarg in einem Erdloch liegt, gibt es noch andere Gründe, mich nicht beerdigen zu lassen. Ich friere immer sehr schnell und fürchte, dass es da unten zu kalt für mich ist. Außerdem habe ich Probleme mit engen Räumen. Somit ist es klar, dass ich mich da unten nicht wohlfühlen würde. Die Argumente, dass ich dann tot bin und gar nicht merke, ob es kalt ist oder nicht, lasse ich nicht gelten. Denn keiner, der so etwas behauptet, war schon einmal tot. Oder? Also bleibt mir nix anderes übrig, als mich verbrennen zu lassen. Das stelle ich mir zwar auch sehr heftig vor, doch dafür ist es ein kurzweiliges Leiden. Wenn ich erst zu Asche geworden bin, dann sollte es eigentlich überstanden sein. Zumindest stelle ich es mir angenehmer vor, als eine Ewigkeit in einem Sarg rumzuliegen. Meine Asche soll dann verstreut werden. Nur zur Sicherheit und für den Fall, dass es selbst dann noch nicht vorbei ist. In so einer Urne würde ich mich kaum wohlfühlen. Meine Asche soll, wenn möglich, nicht an einer Autobahn oder einer Einflugschneise verstreut werden. Irgendwo am Wasser wäre mir recht. Nur nicht im Wasser, denn ich kann nicht schwimmen. Am allerliebsten allerdings wäre mir folgende Alternative. Anstatt beerdigt oder verbrannt zu werden, hätte ich gerne, dass man mich irgendwo vor einen Fernseher setzt. Egal, ob alleine oder mit anderen Leichen. Wichtig wäre nur, dass immer die aktuellsten Filme gezeigt werden. So könnte ich auch nach meinem Tod das machen, was ich im Leben auch ständig gemacht habe. Den Fernseher anstarren und Filme gucken. Das wäre optimal. So müsste ich mich auch nicht groß umstellen. Ob sich dieser Wunsch erfüllen wird? Und wenn ja, wann?

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