Tag 1
Bisher war ich vor keinem Urlaub so verpeilt, so überfordert, so weggetreten. Völlig orientierungslos, keine Vorfreude und auch sonst nichts, was zum Urlaub passt. Dabei ist das Wetter ganz wunderbar, aber irgendwie hilft das nicht.
Ich putze die Wohnung, packe alles ein, wasche den Benz. Die üblichen Routinen, doch ich bin total unkonzentriert, nicht bei der Sache. Als würde eine Art Verblödung einsetzen. Oder Demenz, Alzheimer. Wenn das nicht während der Fahrt oder spätestens nach der Ankunft besser wird, steht mir ein merkwürdiger Urlaub bevor. Statt mich zu freuen, habe ich das Gefühl, dass ich nicht wiederkommen werde. Irgendwas stimmt absolut nicht mit mir.
Weiterhin vollkommen neben der Spur geht es gegen 12.15 Uhr los. Weiter bleibt dass Gefühl, nichts passt zusammen, alles läuft falsch. Selbst im Benz ändert sich das Gefühl nicht. Ich kann mich nicht einmal daran erfreuen, dass der Lack schön glänzt. Alles fühlt sich falsch an. Nach wenigen Minuten werde ich so müde, dass ich die Augen kaum aufhalten kann. Das gab es so auch noch nie. Irgendetwas stimmt so ganz und gar nicht, und die Tatsache, dass die Anreise fast vier Stunden dauern soll, gibt mir den Rest.
Gefühlt fahre ich schon eine Ewigkeit, doch noch immer sollen es mehr als drei Stunden dauern, bis ich das Ziel erreiche. Das ist unfassbar frustrierend. Irgendwann verschwindet der Nebel langsam aus dem Kopf und ich bin endlich wieder im Hier und Jetzt. Das war schon sehr beängstigend.
Interessanterweise ist weniger Verkehr als an Sonntagen, wenn ich normalerweise anreise. Ich fahre meist eher langsam und erst auf der A60 zum ersten Mal 140. Schneller mag ich einfach nicht. Irgendwann muss ich pinkeln, verpasse aber jede Gelegenheit anzuhalten. Dann stehe ich in einer Stadt an einer Ampel, der Rückstau ist lang. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Hier ging ich entlang und ärgerte mich über den Verkehr und die Abgase. Es dauert eine Weile, bis ich endlich weiß, wo ich bin. Trier. Und ich erinnere mich an viele Stellen, an denen ich unterwegs war, aber irgendwie kommt mir alles surreal vor.
Wenig später fahre ich durch Konz. Da wollte ich dieses Jahr auch Urlaub machen, aber das geht wegen meiner Reha ja nicht. Von dem, was ich sehe, scheint Konz für einen meiner Urlaube geeignet. Vielleicht ergibt sich das ja noch. Vielleicht auch nicht.
Gegen 16.27 Uhr bin ich am Ziel. Optisch war ich schon überzeugt, noch bevor ich den Benz geparkt habe. Mir kommt es vor, als wäre Sonntag. Es ist ruhig, kaum Leute sind da und die Vermieter der Ferienwohnung empfangen mich freundlich. Ihm gefällt mein Benz, auch er hat ein cooles Auto in der Garage, aber ich frage nicht, was für eins, weil ich an Urlaubsorten anfangs grundsätzlich nicht zurechnungsfähig bin. Neuer Ort, neue Menschen. Da muss ich erstmal klarkommen. Ich wundere mich, dass ich überhaupt kommunizieren kann,
Bevor ich die Gegend erkunde, gibt es die traditionelle Suppe aus der Dose. Gut, dass ich daran gedacht habe. Anschließend geht es los. Planlos, wie von mir erwartet. Wenig später höre ich es rauschen und schon bin ich im Wasserfall. Herrlich, ich liebe so etwas. Überhaupt spricht mich alles an.
Ich gehe kurz zurück zur Ferienwohnung und mache etwas, was ich seit Jahren nicht gemacht und eigentlich nicht mehr tun wollte. Ich esse ein Duplo. Weil man mir zwei davon hingelegt hat und ich völlig disziplinlos bin und eins davon mutwillig esse, obwohl ich das eigentlich nicht mehr mache, seit ich meine Diät begonnen habe. Hoffentlich werfe ich mir mein Fehlverhalten später nicht vor.
Da ich nicht weiß, was ich essen soll, will ich zu Lidl, gehe aber stattdessen zur Burgruine. Keine Menschenseele da. Ich gehe in die Burg hinauf und genieße den Ausblick. Nebenbei mache ich einen Lab Cache. Oben stehe ich eine Weile und schaue mich um. Ich glaube, selten hatte ich einen Urlaub nötiger als jetzt.
Später gehe ich zu Lidl und kaufe Dinge, die mich nicht überzeugen. Vor allem Geflügel-Frikadellen sind fragwürdig, da sie nur Aufstoßen verursachen. Dazu gibt es Reibekuchen und griechischen Joghurt. Das kann man gelten lassen. Schon beginne ich zu überlegen, was ich in den nächsten Tagen essen kann, um am Ende nicht wieder abzunehmen.
Ich nehme zwei dieser nicht einmal leckeren Frikadellen zu mir, dazu ein gekochtes Ei, das ich mitgebracht habe, anschließend etwas Nussmix. Das ist Scheiße, macht nicht satt und nervt mich.
Noch einmal gehe ich los, treffe eine Katze, die vor mir wegrennt, verabrede mich per WhatsApp mit Bruna zum Essen und stelle fest, dass ich diesen Monat viel mehr Geld ausgebe, als ich eingenommen habe. In einem Geschäft sehe ich ein Sakko, das mir gut gefällt. Zum Glück gefällt mir der Preis von 289 € nicht.
Für den ersten Tag war es letztlich okay, aber was das Thema Essen angeht, bin ich ziemlich ratlos. Das war schon mal besser.
Tag 2
Die Nacht kann nicht so wirklich überzeugen, was an der Kombination Kissen, Lattenrost, Mensch liegt. Ich habe mein Nackenkissen dabei, aber im Urlaub ist es zu flach, was daran liegt, dass ich zu Hause den Lattenrost verstellen kann, hier nicht. Also lege ich eines der vorhandenen Kissen unter mein Nackenkissen, aber die Kissen sind zu hoch und ich bin am Ende verspannt. Kann man niemandem einen Vorwurf machen, ist im Urlaub oft so. Dämlich finde ich, dass ich schon vor 06.00 Uhr wach werde und denke, ich muss aufstehen. Ich bleibe zwar bis etwa 08.00 Uhr liegen, aber richtig erholsam ist das nicht.
Nach dem fürstlichen Frühstück, Müsli, dusche ich und mache mich schick. Hemd, Sakko und Lederschuhe. Und dann laufe ich doch wieder Wege, für die mein Outfit nicht passt. Aber ich finde es irgendwie gut. Ein bisschen cachen, dann sitze ich lange auf einer Bank vor dem Kriegerdenkmal. Einfach sitzen und nichts tun. Und das tut gut. Ich muss gar nichts, nur sitzen, wobei ich nicht sitzen muss, sondern will. Ich döse entspannt vor mich hin. Vermutlich liegt es am Alter.
Gegen 11.15 Uhr bin ich zurück in der Ferienwohnung, mache mir die Reibekuchen, verstinke die Wohnung damit, serviere mir zu den Reibekuchen Kimchi aus dem Glas, selbst von zu Hause mitgebracht, und ein paar Geflügelfrikadellen, weil ich ziemlichen Hunger habe.
Vor dem Haus treffe ich die Vermieter. Die Vermieterin sagt, dass Konz nicht schön ist und dass man, wenn man hier Urlaub macht, unbedingt mit dem Bus nach Luxemburg fahren muss. Weil es dort toll ist. Allerdings findet sie Trier auch gut, mir hat es da ja nicht so wirklich gefallen. Einig sind wir uns, dass Saarburg schön ist. Dann muss ich weiter, denn der Sessellift wartet. Ich finde die Idee mit Luxemburg grundsätzlich nicht schlecht, aber mich dafür in einen Bus mit anderen Menschen zu setzen, ist keine Option. Und weil ich im Urlaub nicht Auto fahre, wird das mit Luxemburg erstmal nichts.
Ich sitze zwar nicht oft in so einem Sessellift, bin aber so begeistert, dass ich es zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen erkläre, obwohl mir manchmal auch mulmig wird, wenn ich während der Fahrt darüber nachdenke, dass man auch abstürzen kann. Ich glaube, dann hat man ein ziemliches Problem. Ob schonmal jemand einfach so runter gefallen ist, obwohl mit der Sesselbahn alles in Ordnung war und dieser dann ohne die Person weiterfuhr? Was bricht man sich beim Aufprall wohl alles?
Ich trage ein weißes Poloshirt und bilde mir ein, dass es das einzige Shirt ist, das mir wirklich passt. Saarburg überzeugt auch weiterhin und ich glaube nicht, dass es nur am Wetter liegt. Ich treffe wenige Leute, die meisten sind freundlich und für Leute, die einfach nur abschalten wollen, ist Saarburg perfekt. Nach einem kleinen Rundgang kommen mir Zweifel, ob ich wirklich die Sommerrodelbahn benutzen soll. In meinem Kopf sind manche Dinge wirklich kompliziert. Über eine halbe Stunde dauert es, bis ich endlich mache, was ich mir vorgenommen habe. Ich zahle drei Euro und fahre zum ersten Mal auf einer Sommerrodelbahn. Im Fußballverein, vor vielen Jahren, habe ich das zwar auch mal gemacht, aber damals nicht alleine und meiner Meinung nach auch nur geradeaus. Das zählt nicht. Gefühlt bin ich zügig unterwegs und als der Mann von der Sommerrodelbahn sagte, dass es süchtig macht, hatte er natürlich recht. Ich glaube, ich bin der Schnellste heute, doch dann wird mir angezeigt, dass ich mit lediglich mit 16km/h unterwegs bin. Sofort bin ich enttäuscht von mir und drücke den Hebel nach vorn. Vermutlich bin ich noch immer nicht schneller, aber für den Moment glaube ich es und fühle mich ganz wunderbar. Das muss ich morgen oder übermorgen unbedingt noch einmal tun.
Auf dem Rückweg sitze ich erst lange auf einer Bank, dann liege ich auf einer dieser Liegebänke. Obwohl mir klar ist, dass die Sonne stark ist und mein Kokosöl nicht der stärkste Sonnenschutz ist, bleibe ich lange sitzen und genieße es einfach nur. Als ich gestern losfuhr, war ich unentspannt und nicht bereit für den Urlaub, obwohl ich vermutlich nie zuvor einen Urlaub nötiger hatte. Jetzt bin ich so entspannt, dass ich hier draußen sogar schlafen könnte.
Gegen 15.15 Uhr bin ich zurück in der Ferienwohnung und total erledigt. Ich muss mich ausruhen, liege eine Weile auf dem Bett und wundere mich, dass ich heute schon 14 Kilometer gewandert sein soll. Gestern sagte die App, ich sei gar nicht gewandert und nun angeblich schon 14 Kilometer. Vielleicht bin ich deshalb so erledigt. Kann aber auch von der Sonne sein, oder am Alter liegen. Vielleicht hat es aber auch etwas mit dem Klimawandel zu tun. Oder wegen Putin, der soll ja derzeit auch an fasst allem Schuld sein.
Weil mir das mit dem Essen so auf die Nerven geht und ich keine Lust zu kochen habe und erst recht keine Kartoffeln kaufen und kochen will, beschließe ich, dass ich essen gehe, werde aber ausgebremst, weil die meisten Restaurants geschlossen haben bis mindestens 17.30 Uhr. Aber mein Plan steht. Um 17.30 Uhr stehe ich vor dem Restaurant Trattoria Bella Vista, lese die Speisekarte und will nicht mehr hinein. 13 Euro für eine Pizza Margherita sind dann doch etwas zu viel. Irgendwo muss auch mal gut sein, da hilft dann der tolle Blick auf die Saar auch nicht weiter. Kurz überlege ich, afrikanich zu essen, aber zum einen reizt mich das Essen nicht so und zum anderen sind die Preise im Yeshi Habesha Restaurant mir auch zu hoch. So muss ich warten bis um 18.00 Uhr das Pizzahaus Rustica öffnet. Dort setze ich mich draußen in die abgelegenste Ecke, neben mir ist nur ein Tisch, alle anderen sind hinter mir. Ich hoffe, so kann ich meine Eigenart, ungestört und unbemerkt zu essen, ausleben. Ich entscheide mich für die Pizza mit Brokkoli, will aber keine Oliven. Noch bevor ich bestellen kann, setzten sich zwei Frauen an den Nebentisch. Sofort breche ich innerlich zusammen. Warum? Warum? Warum? Es sind fast alle Tische frei, aber sie kommen zu mir. Sofort beschwert sich die Stimme in mir über die zwei älteren Frauen mit den praktischen Kurzhaarfrisuren, die mir auch zu laut, zu präsent sind. Ich starre demonstrativ auf mein Smartphone oder meine Schuhe, aber es nützt nichts. Sie möchten rauchen und bekommen einen Aschenbecher. Ich bestelle die Pizza, bin aber so außer mir, dass ich vergesse zu sagen, dass ich keine Oliven auf der Pizza will. Die beiden Damen bestellen Eiswürfel, ich bekomme eine Pizza mit reichlich Oliven. Die beiden wünschen mir Guten Appetit. Ich bedanke mich und weiß, dass ich ihnen gleich auch einen guten Appetit wünschen muss. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich sitze abseits, gucke unfreundlich und jetzt das. Die beiden sind nett und vermutlich auch nicht, oder nicht viel, älter als ich. Heute Abend wollen sie zusammen einen Film schauen. Vermutlich sind wir uns ähnlicher, als mir lieb ist. Wir alle tragen praktische Kurzhaarfrisuren und befinden uns im freien Verfall. Deren Vorteil ist, dass Ihre Haare bei Wind nicht durcheinander geraten, während ich nach jedem Windstoß, trotz Pomade, völlig zerzaust bleibe und dann vollkommen lächerlich aussehe. Für die wirklich praktische Kurzhaarfrisur sind meine Haare noch zu lang, was aber nicht für mich spricht. Die beiden bekommen ihr Essen, ich bin fast fertig mit der Pizza. Ich wünsche Guten Appetit, sie bedanken sich. Ich bin Coach, ich kann das. Ich kann mit Fremden reden. Eine der beiden sagt, dass sie fürchtet, dass sie sich Flecken aufs Oberteil macht und weist darauf hin, dass ich mich beim Essen nicht bekleckert habe. Ich erwidere, dass ich mir nur deshalb Pizza bestellt habe und keinen Auflauf. Ich kann wirklich gut mit Frauen. Voll das witzige Kerlchen bin ich. Für Pizza und einen halben Liter Wasser zahle ich 14,70€. Damit kann ich leben. Wobei 5,20 Euro für das Wasser schon heftig sind. Wir wünschen uns noch einen schönen Abend und ich weise die Frau darauf hin, dass auch sie sich gar nicht bekleckert hat. Ich bin wirklich furchtbar witzig und wortgewandt. Diese Urlaubserfahrung werde ich sicher nicht vergessen. Fast wie ein Erwachsener habe ich mich benommen, mich freundlich und unterhaltsam präsentiert, obwohl ich beim Essen lieber ungestört bin. Vermutlich war das heute ein Entwicklungssprung, den ich noch gar nicht begreife. Was wohl der Coach in mir dazu sagen wird.
Offensichtlich habe ich einen Sonnenbrand, meine Arme leuchten fast schon rot, mein Gesicht ist stark gerötet und aufgeheizt. Vielleicht hat das die beiden Frauen magisch angezogen. Mein Parfum kann es nicht sein, denn obwohl ich Unmengen Perseus aufgesprüht habe, merke ich nichts davon. Es ist zwar einerseits der absolut passende Duft zu diesem Urlaub, aber die Sillage lässt sehr zu wünschen übrig. Ich nehme den Duft jedenfalls nicht wahr. Nur wenn ich an der Kleidung rieche, ansonsten nicht. Schade.
Ich ziehe mich um und mache noch einen kleinen Spaziergang. Es ist so herrlich, wie wenige Leute man hier sieht. Runtergekommen sieht hier auch wenig aus. Man sollte hier unbedingt Urlaub machen, denn wie lange das noch so schön bleibt, kann niemand wissen. Wenn der Russse das sieht, kommt er sicher und klaut es uns oder macht es kaputt.
Ich bin vollkommen erledigt und möglicherweise waren die 18 Kilometer und die vielen Sonnenbäder heute doch etwas zu viel auf einmal. Doch ich glaube, dass ich all das gebraucht habe. Heute Nacht, spätestens aber morgen, werde ich wissen, wie ich es verkraftet habe.
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Saarburgin Bildern