Silvester 2017

Silvester ist ein komischer Tag. Ich
kann nicht einmal erklären, was daran so merkwürdig ist. Es ist als würde ich
den ganzen Tag darauf warten, dass etwas vorbei ist. Wie kann ein Jahreswechsel
mich nur so verwirren? Den ganzen Tag höre ich Musik, sitze auf dem Sofa, stehe
auf, gehe durch die Wohnung, starre aus dem Fenster, um diesen Vorgang immer
wieder zu wiederholen. Dann wird es dunkel, ich lasse die Rollos runter und zünde
Kerzen an. Es ist als würde ich darauf warten mich zu verwandeln. An meinem
Verhalten ändert sich nichts bis ich endlich duschen muss. Dann ruft Agnes an
und ich muss los.
Gegen 19.45 Uhr treffen Manni und ich bei
Petra ein. Der vierte traditionelle Silvesterabend steht auf dem Programm. Zum
ersten Mal dabei sein werden Loerz und Frau Loerz, die allerdings erst um nach
20.00 Uhr von mir am Verkehrshof abgeholt werden.
Wir beginnen damit, dass wir über die
Entstehung unserer Dezembertraditionen nachdenken. Es war im Jahr 2013, kurz
nachdem meine Mutter starb. Heiligabend hatte bis dahin so ausgesehen, dass ich
den frühen Abend bei meinen Eltern verbrachte und dann zu mir ging, um alleine
den Tag ausklingen zu lassen. Bis auf wenige Ausnahmen war das meine Heiligabendtradition.
Die neuen Umstände verlangten nach einer Änderung und wir beschlossen, dass wir
den Heiligabend zusammen verbringen. Während des ersten gemeinsamen
Heiligabends beschlossen wir nicht nur, den 24. Dezember fortan immer zusammen
zu verbringen, sondern den Silvesterabend gleich auch, weil sonst vermutlich
jeder für sich alleine diese Abende verbringen würde. Und jetzt sitzen wir hier
zum vierten Mal und haben eine echte Routine entwickelt. Während wir so
zurückdenken, stelle ich fest, dass ich vermutlich 2017 sterben werde und dies
unser letztes Traditionsjahr sein wird. Wie ich auf diesen Schwachsinn komme
ist naheliegend.  2013 starb meine
Mutter, 2015 mein Vater. Da es keine weiteren Familienmitglieder gibt, die 2017
sterben könnten,  bin ich automatisch der
nächste, den es erwischt. Ich glaube, die Dezembertraditionen werden mir fehlen.
Bevor es zu traurig wird, mache ich
mich auf den Weg, um die Loerzens abzuholen. Gemeinsam wird anschließend
gegessen. Der Raclette-Grill gehört wie jedes Jahr dazu und wie immer ist so
viel zu essen da, dass weitere Personen problemlos gefüttert werden könnten.
Mindestens drei Leute könnten wir satt kriegen. Ich esse mehr als je zuvor und
dann bilden wir zwei Gruppen, die sich getrennt voneinander unterhalten. Auf
der einen Seite die drei Männer, auf der anderen die beiden Frauen. Während die
Frauen scheinbar ernste Gespräche führen, beschränken wir uns auf Rückblenden
und lustige Geschichten. Schließlich waren wir alle für eine Weile in einer
Klasse, was aber gefühlte tausend Jahre zurückliegt, obwohl wir uns an Vieles
erinnern.
Dann ist es Mitternacht, wir stoßen
an, die Frauen bleiben in der Wohnung und wir gehen runter, um die Raketen, die
Manni besorgt hat, abzufeuern. Auf der Straße sind im Gegensatz zu den letzten
Jahren unglaublich viele Leute. Jeder Gruppe sucht sich einen Platz, um ihr
Feuerwerk zu starten. Niemand wünscht irgendwem ein Frohes Neues Jahr. Jede
Gruppe bleibt geschlossen unter sich. Ich war zwar  nie für die Vermischung von festen Gruppen,
finde es aber dennoch befremdlich mit welcher Distanz man Seite an Seite seinen
Aufgaben nachgeht. So stur waren Menschen früher nicht, wenn ich mich recht
erinnere. Ich unternehme allerdings auch nichts, um die Gruppen wenigstens für
einen Moment aufzulockern und dieses komische distanzierte Verhalten zu lösen.
Wer schon so verkrampft und eigenbrötlerisch ins neue Jahr startet, dem ist
nicht zu helfen. Menschen sind echt gruselig.
Das Feuerwerk der anderen ist wirklich
schön und mir fehlen die Wunderkerzen, ohne die Silvester einfach nicht perfekt
sein kann. Wunderkerzen hätte ich an alle, die hier für sich alleine Silvester
feiern, verteilen können und so hätten wir gemeinsam und andächtig einen Moment
der Zusammengehörigkeit verbracht. Wieder eine Chance verpasst.
Den Rest unseres Zusammenseins ist mir
dann schlecht, weil ich nicht nur zu viel, sondern auch für meinen Körper
ungeeignete Sachen zu mir genommen habe. Zu allem Überfluss ist auch noch
Petras Katze verschwunden und ich frage mich, ob das nicht ein bisschen zu viel
ist für den Einstieg ins Jahr 2017.
Da mein Darm sich auch weiterhin
furchtbar aufregt, mache ich mich zusammen mit den Loerzens um 01.20 Uhr auf
den Weg. In quasi allerletzter Minute erreiche ich meine Toilette. Gegen 02.00
Uhr liege ich im Bett und falle direkt in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Willkommen 2017.

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