Damals – 1. Quartal 2011

Auch 2011 war mein Leben abwechslungsreicher als es derzeit ist. Und weil es Tradition ist, gibt es an dieser Stelle drei ziemlich lange Texte von damals zum nachlesen. Einen aus dem Januar, einen aus dem Februar und einen aus dem März 2011. Viel Vergnügen.


Abschied nehmen
Du bist quasi mit mir hier eingezogen. Es war ebenso Dein zu Hause, wie es meines war. Gemeinsam sorgten wir für Ordnung. Mindestens einmal in der Woche rutschten wir über den Fußboden, um ihn zu reinigen. Wir befreiten den Boden von allen möglichen Unreinheiten. Nach getaner Arbeit machte ich Dich sauber und hängte Dich zum Trocknen auf. Dann legte ich Dich zurück in Deinen Eimer. Den Eimer musstest Du mit einem Leder teilen. Immer wenn ein Leder starb, bekamst Du ein neues an Deine Seite. Doch uns war immer klar, dass auch Du eines Tages sterben wirst und durch einen neuen Aufnehmer bzw. ein neues Bodentuch ersetzt werden würdest. Aber diesen Gedanken verdrängten wir und putzten weiter. Du warst stets da, wenn ich Dich brauchte. Als ich mich übergeben musste, warst Du Dir nicht zu schade, selbst diese Schweinerei gemeinsam mit mir zu beseitigen. Nie hast Du Deine Arbeit verweigert. Doch die Zeit ist gnadenlos und der Verschleiß nicht zu stoppen. Und so waren die letzten Monate nicht mehr leicht für Dich. Du wurdest dünner und dünner. Deine Reinigungskraft ließ nach und Dein Geruch veränderte sich. Fast wie bei alten Menschen. Die fangen auch oft an zu riechen, wenn es zu Ende geht. Wir zögerten Dein Ende, solange wir konnten raus. Noch einmal wolltest Du die Sonne sehen, noch ein letztes Mal gemeinsam mit mir für eine saubere Wohnung sorgen. Und heute ist dieser Tag. Ein sonniger Tag wird zu Deinem letzten Tag. Wir wischen ein letztes Mal gemeinsam die Fliesen. Du gibst alles, reißt Dich zusammen und putzt wie zu Deinen besten Zeiten. Doch optisch bist Du längst nur noch ein alter Lappen. Nachdem es vollbracht ist, stelle ich Dir Deinen Nachfolger, ein orangenes Bodentuch vor. Dann trage ich Dich in die Küche, öffne den Mülleimer, lege Dich hinein und schließe den Deckel. Die Wohnung ist sauber. Du bist erlöst.

Ein irgendwie ungewöhnlicher Abend
Im Bierhaus Stade ist es voll, aber nicht zu voll. Dafür aber viel zu warm. Der Männeranteil ist überraschend gering. Dafür ist der Frauenanteil genau richtig, um ordentlich zu gucken. Neben uns stehen drei Frauen. Zwei davon beachte ich nicht weiter, aber die dritte hat es mir angetan. Ich frage mich, wo ich sie schon mal beobachtet habe. Sie hat schwarze Haare und trägt Zöpfe. Und sie hat einen sehr süßen Mund. Ich bin vollkommen entzückt von dem Anblick, finde sie echt süß und möchte gar nicht mehr weggucken. Ob ich sie einfach mal anlächle? Plötzlich reißt mich Sam aus meinen Träumen und sagt, dass eben diese Frau ihm gefällt und sie ihn ständig anguckt. Ich bin etwas enttäuscht, weil ich mir sicher war, dass sie mich anguckt. Da habe ich mich wohl geirrt. Weil ich glaube, dass Sam sie sich gerne gönnen würde und plant sie anzusprechen, drehe ich mich von ihr weg und gucke sie nicht mehr an. Etwa drei Minuten halte ich es durch, dann drehe ich mich zu ihr und lächle sie an. Sie lächelt zurück. Ihr Lächeln ist unglaublich süß und ich bin glücklich. Wenige Minuten später lächle ich sie nochmal an. Sie lächelt erneut zurück. Das ist allerdings blöd, denn ich habe mal irgendwo gelesen, dass man nach dem zweiten lächeln eine Frau ansprechen muss, weil man sich sonst lächerlich macht. Ich will sie aber gar nicht ansprechen, denn ich habe nichts zu sagen und bin krank im Kopf. Ich will doch nur gucken. Zum Glück wechseln wir spontan den Standort und die Frau mit den Zöpfen steht nun schräg hinter mir. Das Thema ist somit erledigt und wir beobachten zwei Frauen, die uns gegenüberstehen. Eine ist blond und klein, die andere ist größer und hat blonde Haare mit schwarz eingefärbter Stelle. Das sieht furchtbar aus und wir machen uns ein wenig über sie lustig. Sie gehört in eine Talkshow. Die beiden setzen sich in Bewegung und gehen an uns vorbei. Die kleine Blonde starrt Sam ununterbrochen an. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, warum sie das tut, unterhalten sich die beiden auch schon. Angeblich kennen sie sich von hier. Sam stellt mich vor. Die kleine blonde Frau sagt, dass sie mich auch kennt und sich an meinen Namen erinnert. Ich kenne Gitta, so heißt sie, nicht. Sie ist sich allerdings ganz sicher, dass sie uns hier kennengelernt hat. Erst erzählt sie, dass wir damals zu zweit hier waren, dann erzählt sie, dass wir mit mehreren Leuten hier waren und ich glaube, dass sie verwirrt ist. Da ich fast nie mit fremden Frauen spreche und mich nicht an sie erinnern kann, muss eine Verwechslung vorliegen. Ihre Freundin mit der albernen Frisur heißt übrigens Herta. Mir doch egal. Wir wechseln noch ein paar belanglose Sätze, dann verabschieden sie sich und die kleine Blonde sagt, dass sie da drüben am Tisch sitzen. Es klingt so, als würde sie uns an den Tisch einladen. Das kann sie sich sparen, wir werden nicht kommen. Wenig später sehe ich den Chef des Autohauses, bei dem ich mein Praktikum gemacht habe. Anstatt ihn zu übersehen, mache ich auf mich aufmerksam und begrüße ihn. Wir tauschen ein paar alberne Floskeln aus, dann wimmelt er mich mit den Worten “Wir reden später noch darüber” (er meint meine Arbeitslosigkeit) ab. Das war eines dieser vollkommen überflüssigen Gespräche, die ich sonst immer vermeide. Ich glaube, ich verliere vollkommen den Verstand. Während der ganzen Zeit, die wir nun hier stehen, wurde die Frau mit den Zöpfen von mindestens vier Typen angesprochen. Sie unterhält sich mit jedem und scheint ein netter Mensch zu sein. Ich beobachte eine dunkelhaarige Frau, die mir schräg gegenüber steht und bilde mir ein, dass sie sich für mich interessiert und bin mir sicher, dass sie ständig zu mir rüber guckt. Vielleicht gucke ich aber auch ständig zu ihr rüber. Ich weiß es einfach nicht. Aber sie hat was. Sam meint auch, dass sie was hat, nämlich ein Pferdegesicht. Ich bin mir nicht sicher, entscheide mich aber, ab sofort woanders hinzusehen. Also drehe ich mich zur Seite und direkt in die Richtung, in der die Frau mit den Zöpfen jetzt steht. Spontan lächelt sie mich an. Ich lächle zurück. Das ist grotesk. Und jetzt fällt mir ein, wo ich sie schon gesehen habe. Vor zwei oder drei Jahren im Prisma. Ich bin mir sicher, dass sie es war. Zwei derart entzückende Exemplare kann es nicht geben. Und damals hat sie mich auch einmal angelächelt. Ich glaube, sie lächelt jeden an. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, stellt sich eine große Frau an unseren Tisch. Sam sagt, dass er ihre Nase süß findet und ich finde, dass er recht hat. Sie sieht zu mir rüber und lächelt kurz. Ich grinse leicht behindert zurück. Das ist alles ziemlich sonderbar hier. Wir sollten gehen, bevor es eskaliert und bereiten uns gerade auf das Ende des Ausflugs vor, da drängt sich plötzlich Herta zwischen uns. Was soll denn das jetzt? Sam sagt ihr, dass wir gleich gehen müssen, weil er betrunken ist und ich morgen früh aufstehen muss. Ihre Frage, ob ich wirklich morgen arbeiten muss, bejaht er. Wieso muss ich morgen arbeiten? Ich arbeite doch nie. Ich fordere Sam auf, seine Jacke zu holen und sage Herta, dass es schön mit ihr war. Sie erkennt wohl die Ironie, schaut mich an und sagt: “Ja, schön kurz.” Ich erwidere, dass es kurz und heftig war, drehe mich um und mache mich auf den Weg. Nicht, dass ich hier am Ende noch neue Freunde oder was auch immer finde.

Rosenmontag
Während Sam sich mit Christiane unterhält, spricht mich eine blonde Frau an. Ich verstehe nicht wirklich, was sie von mir will. Das liegt zum einen daran, dass es hier zu laut ist und zum andren daran, dass sie nicht wirklich nüchtern ist. Dafür sieht sie gut aus. Also versuche ich herauszufinden, was ihr Problem ist. Wenn ich sie richtig verstehe, fragt sie nach irgendwelchen Männern, die vorher wohl noch hier standen. Ich sage ihr, dass die abgehauen sind. Glaubt sie mir nicht. Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht für sie tun. Sie bleibt trotzdem bei uns stehen und noch bevor ich mir weitere Gedanken über ihren Verbleib machen kann, erfahre ich, dass sie irgendwie zu dem Frauenclub gehört, dem auch Christiane angehört. Ich nehme es zur Kenntnis. Sams Begeisterung will gar nicht mehr abklingen. Noch immer findet er alles toll und schlägt mir vor, dass wir nächstes Jahr auf jeden Fall wieder herkommen müssen. Aber verkleidet, weil er sich so unverkleidet nicht wirklich wohl fühlt. Sollte ich nächstes Jahr tatsächlich wieder herkommen, dann ganz sicher nicht verkleidet. Ich verkleide mich nie. Ich bin viel zu cool, um mich zu verkleiden. So ein Blödsinn. Um uns herum wird wild geknutscht. Zungen werden in geöffnete Mäuler geschoben, Hände greifen an Äsche und ich denke darüber nach, welche Krankheiten durch dieses ganze Geknutsche übertragen werden. Das mache ich unter anderem deshalb, weil ich in Wirklichkeit neidisch bin, dass ich hier niemanden zum Knutschen und Anfassen habe. Direkt vor mir küsst eine Blondine einen Typen. Ich versuche nicht hinzugucken, schaffe es aber nicht. Plötzlich werde ich von schräg hinten angesprochen. Es ist die blonde Frau, die vorhin nach irgendwelchen Männern suchte. Es fällt mir abermals schwer zu verstehen, was sie von mir will. Ich konzentriere mich, beuge mich zu ihr rüber und lasse sie direkt in mein Ohr sprechen. Sie erzählt etwas von küssen, deutet auf die beiden, die das direkt vor meiner Nase tun, und ich weiß nicht, was genau sie mir mitteilen will. Die beiden Küssenden lösen sich voneinander, die Frau lässt den Mann stehen, und die blonde Frau sagt zu mir, dass Frauen das so machen. Küssen und dann weitergehen. Und dann sagt sie, dass ich mir auch eine Frau aussuchen soll, die mir gefällt und die dann küssen soll. Zumindest verstehe ich das so. Ich gucke sie an. Sie hat schöne Augen. Will sie etwa, dass ich sie küsse oder will sie mich nur aufklären? Ich küsse sie natürlich nicht, sondern schaue sie einfach nur an und sie murmelt wieder irgendwas, was ich nicht verstehe. Das bringt doch alles nichts. Nun fragt sie mich nach meinem Parfum. Kenzo. Sie findet es toll. Da habe ich mich ja doch richtig entschieden, als ich mich für L’eau par Kenzo statt für Egoiste entschieden habe und fasse ihre Begeisterung für mein Parfum einfach als Kompliment auf. Sie murmelt wieder etwas, was ich nicht verstehen kann. Dann setzt sie sich hin und erzählt mir, dass Männer immer wollen, dass Frauen gut aussehen und hohe Schuhe tragen. Und jetzt muss sie sitzen, weil es anstrengend ist so hohe Schuhe zu tragen. Tja, was soll ich jetzt dazu sagen? Erwartet sie ein Kompliment von mir oder wollte sie das einfach nur loswerden? Ich weiß es nicht. Bevor sie mir weitere Geschichten erzählen kann, wird sie von einem Typen angesprochen. Wenige Augenblicke später sind die beiden verschwunden. Liegt das jetzt nur an Karneval oder muss das so sein? Ich schaue mir weiter die Leute an. Irgendwie sind die alle so vergnügt und gelöst. Es scheint so als wäre ich der einzige hier, der böse guckt. Dabei bin ich gar nicht böse, ich kann nur nichts mit fröhlichen Menschen anfangen. Sam erzählt mir, dass er sich nächstes Jahr als Arzt verkleiden wird. Als Prof. Dr. Dr. Warum nicht. Wenn es ihm Freude bereitet, dann soll er das tun. Direkt vor mir stellen sich drei Frauen hin. Zwei tragen Cowboyhüte, eine hat sich als Indianerin verkleidet. Die Indianerin steht direkt vor mir und riecht gut. Ich rücke näher an sie heran, um ein wenig an ihr zu schnuppern. Da sie mit dem Rücken zu mir steht, bemerkt sie von meiner merkwürdigen Aktion zum Glück nichts. Während ich ihren Duft aufsauge, beobachte ich ihre beiden Begleiterinnen. Die sind irgendwie ganz entzückend und ich nehme noch einen kräftigen Zug von der Indianerin, dann habe ich genug geschnuppert, gehe einen Schritt zurück und schaue den anderen Karnevalisten zu. Währenddessen stellt Christiane dem Sam die Katrin vor. Dann dreht Katrin sich zu mir um und sagt: Das ist also der Sam. Und wer bist Du?” Ganz schön mutig von ihr, mich einfach so anzusprechen. Ich stelle mich vor und wir tauschen ein paar Sätze aus. Nun erzählt Caahristiane Katrin, dass Sam ihr heute ein Kompliment gemacht hat und wie außergewöhnlich das ist, weil Sam sonst nie Komplimente macht. Irgendwie versteht Katrin das aber alles falsch und so dreht sie sich zu mir um und fragt: “Du stehst auf Komplimente?” Weil ich keine Lust habe, ihr zu erklären, dass sie da etwas falsch verstanden hat, sage ich einfach nur ja. Kaum habe ich es ausgesprochen weiß ich, dass Katrin mir gleich ein Kompliment machen wird. “Du hast schöne blaue Augen.” Weil ich denke, dass die Antwort “Ich weiß” etwas arrogant klingen könnte, sage ich einfach danke. Damit ist der Abend gerettet und wir haben beide was von unserer Konversation. Wir plaudern noch ein wenig, was bei der Lautstärke alles andere als einfach ist. Irgendwann muss Katrin zur Toilette und während sie sich auf den Weg macht, stelle ich mir vor, dass ich nicht mehr da bin, wenn sie zurückkommt und frage mich, was sie dann wohl denkt. Vermutlich würde sie es komisch finden. Ich finde den Gedanken irgendwie lustig und bin mir plötzlich sicher, dass es genauso kommen wird. Als Sam mich fragt, ob wir noch etwas trinken oder gehen, sage ich ihm, dass wir jetzt gehen müssen. Wir verabschieden uns von Christiane. Zum Abschied gibt es eine Umarmung, und ich muss gestehen, dass ich enttäuscht gewesen wäre, wenn wir uns zum Abschied nicht umarmt hätten. Von Katrin können wir uns leider nicht mehr verabschieden. Genauso hatte ich mir das vorgestellt. Besser kann ein Abend kaum enden. Es ist exakt 21.04 Uhr als wir das Brauhaus Krone verlassen.

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