Maßnahmegeschichten 31.23

Bereits 25 Minuten vor Arbeitsbeginn fahre ich auf den Parkplatz. Mir ist echt nicht mehr zu helfen. Teilnehmerin 168 wartet da bereits draußen und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, denn ihr Termin ist erst in 40 Minuten. Ihr ist vermutlich auch nicht mehr zu helfen. Kaum beginne ich mit der Arbeit, entdecke ich, dass Örge einen Maßnahmeplatz doppelt vergeben hat. Dann bemerke ich, dass ich am Freitag vergessen habe, eine Abmahnung zu verschicken. Das hat Örge, die sonst jeden meiner Fehler anmerkt, scheinbar auch nicht bemerkt und daher auch gestern keine Abmahnung verschickt. Vermutlich interessiert sie das auch gar nicht mehr, da sie nur noch wenige Tage hier ist. Heute ist sie an einem anderen Standort, sodass ich mich in Ruhe um alles kümmern kann. Zunächst kläre ich das mit der doppelten Belegung eines Platzes, weil das nun mal nicht geht. Alle vier Termine heute Morgen werden eingehalten, so dass ich Teilnehmerin 160 in den anderen Raum setzen muss, weil jeder Raum nur über drei Rechner verfügt. Bis 11.30 Uhr komme ich nicht einmal dazu etwas zu trinken, weil ich Dinge regeln muss und die Teilnehmerinnen immer wieder Hilfe benötigen oder Fragen haben. So geht die Zeit natürlich schnell vorbei, was ich großartig finde. Zwischendurch schreibe ich noch zwei Abmahnungen und eine Einladung, weil die Verwaltungskraft in mir auch beschäftigt werden muss. Jörg ist von der Neuigkeit, dass Örge Teamleiterin wird und mehr Geld bekommt, total überwältigt und versteht die Welt nicht mehr. Ich glaube, er hält das für einen schlechten Scherz, der aber keiner ist, weil Qualität sich immer durchsetzt.

Da Örge uns bald verlässt und Jörg an zwei Tagen an einem anderen Standort ist, teile ich die Teilnehmenden neu auf. Elf für mich, sieben für Jörg und einen Teilnehmer können wir im Wechsel betreuen. Ob diese Aufteilung umsetzbar ist, werden wir ab der 33. Kalenderwoche sehen. Teilnehmer 177, der uns quasi angefleht hat, ihm bei der Suche nach einer Ausbildung zu helfen, ist für uns weiterhin nicht erreichbar. Ich vermute, dass irgendwas nicht mit ihm stimmt, kann mich aber auch irren, weil ich mich ständig irre.

Am Mittwoch zeigt mir Teilnehmer 175 meine Grenzen, denn nach einer Stunde möchte er nach Hause. Das war in seiner letzten Maßnahme auch schon so, länger geht es einfach nicht. Meine Vorschläge, nach Ausbildungsplätzen oder Helferstellen zu suchen, findet er nicht schlecht, aber das dauert ihm zu lange. Dieses Jahr will er auch keine Ausbildung machen, sondern nächstes Jahr. Vielleicht ein Praktikum, aber dann muss ich die Arbeitgeber für ihn finden und anrufen. Er braucht einen Job, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, denn er ist vor acht Jahren aus Syrien zu uns nach Deutschland gekommen und nun möchte er endlich deutscher Staatsbürger werden. Danach wird er sicher eine der viel gesuchten Fachkräfte für uns werden. Spätestens aber nach seiner Ausbildung. Ich freue mich total, dass ich ihm auf dem Weg helfen kann, obwohl er meine Hilfe eher nicht will. Mich macht seine Langsamkeit echt fertig, aber da kann er nichts zu, denn meine Ungeduld ist keine gute Eigenschaft, aber ich bleibe ruhig und der Kunde / Teilnehmer ist sowieso König. Wenn der Teilnehmer einen Job hat, möchte er einmal in der Woche zu uns kommen, damit wir ihm Bewerbungen schreiben. Dass er das alleine macht, kommt ihm nicht in den Sinn. Ich erkläre ihm, dass wir gar nichts mehr für ihn tun, wenn er einen Job hat, weil dann unsere Aufgabe erfüllt ist. Er will daher, wenn es so weit ist, beim Jobcenter vorsprechen, dass sie ihm helfen. Ich frage mich, warum sie das tun sollten, wenn er kein Bürgergeld mehr bekommt, vermute aber das es da sicher Regelungen gibt, damit er weiter unterstützt wird. Allerdings kenne ich mich damit nicht so gut aus und es geht mich auch nichts an. Er wird wissen, was das Richtige für ihn ist und ich scheitere hier wieder einmal an meiner Beschränktheit. Nach dem Termin will er unbedingt mit seiner IFK sprechen und mit ihr vereinbaren, dass er keine drei Stunden mehr hier sein muss. Mir ist das alles vollkommen egal, denn helfen kann ich ihm sowieso nicht. Also rufe ich seine IFK und teile ihr mit, dass der Teilnehmer nicht an zwei Tagen in der Woche für drei Stunden hier sein kann oder will. Die IFK möchte mit dem Teilnehmer sprechen, ich reiche ihm das Telefon. Nach dem Gespräch möchte sie wieder mit mir sprechen. Der Teilnehmer sagte ihr dass er hier nicht arbeiten kann, weil der PC kaputt ist und beschwerte sich dann, weil ich für ihn nur nach Ausbildungsplätzen für 2024 gucken will also nicht in seinem Sinne handle und er das nicht akzeptiert. Der Mann kennt seine Rechte und darf sicher auch mal lügen, wen ihm was nicht passt. Glücklicherweise glaubt die IFK mir und nicht ihm und so muss er sich an die Regeln halten und ich ihn weiter betreuen, obwohl ich da keine Lust zu habe, weil er ein Lügenmaul ist. Wenig später macht er mir nochmal klar, dass er dieses Jahr keine Ausbildung mehr machen will, sondern erst 2024. Mir soll es recht sein.

Am Donnerstag telefoniert Örge wieder lange mit ihrer Mutter, bevor sie ein Nickerchen macht. Vorher isst sie aber noch etwas. Mit ihrer einzigen Teilnehmerin des Tages redet sie kein Wort, Dirk und ich machen das schon. Die Souveränität und dieser geregelte Arbeitsablauf sind einfach bemerkenswert und ich frage mich immer öfter, wieso ich nicht so cool sein kann. Jeden Tag liefert sie neue Gründe für ihre Beförderung und ich verstehe immer mehr, warum ich nur Stellvertreter bin.

Am Freitag soll Örge einen Praktikumsvertrag an einen Arbeitgeber schicken, doch sie muss erst etwas erledigen und macht in alles Seelenruhe Fotos von der IKEA-Webseite, verschickt diese und ist minutenlang beschäftigt, bis sie endlich ihren Job erledigt. Mit jeder Woche wird sie dreister und konsequenter ihren eigenen Stil durchzusetzen. Erst kommt sie, dann der Job. So werden Karrieren heute gemacht. Später erfahre ich, dass sie sich an ihrem neuen Arbeitsstandort am Mittwoch ins Büro zurückgezogen und nichts weiter getan hat, als den Tag sanft ausklingen zu lassen. Als sie später den Einsatzplan für ihren neuen Standort sieht, ist sie alles andere als begeistert, denn statt zwei Kollegen dort zu haben, muss sie sich mit nur einer Kollegin um die Leute kümmern. Man sieht ihr direkt an, wie wenig ihr das gefällt. Sie dachte wohl, dass sie als Leitung gar nichts mehr tun muss. Ich finde es wirklich großartig, dass sie den nächsten Schritt auf der Karriereleiter so souverän angeht und freue mich immer mehr, dass sie ab November vermutlich meine Vorgesetzte sein wird und ich von ihr lernen kann. Von mir hat sie leider nichts gelernt, weshalb sie zu Recht an mir vorbeizieht und sich die Gehaltserhöhung mehr als verdient hat. Mit der Erkenntnis, dass ich es einfach nicht drauf habe, endet die Arbeitswoche durchaus versöhnlich.

23 von 38 Terminen wurden eingehalten und die Quote liegt nun bei 33,75%. Mit einer modernen Maßnahmeleitung würde das alles sicher rosiger aussehen.

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