Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als wäre die Rückkehr ins Büro nach jedem Urlaub schwieriger. Ohne den finanziellen Aspekt, gäbe es eigentlich keinen Grund, herzukommen. Wobei es finanziell durch die ganzen Preissteigerungen, die wir unfähigen Politikern zu verdanken haben, langsam auch immer enger wird. Sicherlich brauche ich eine Aufgabe, aber letztlich geht es um die Kohle, auch wenn es hier zugegebenermaßen für mich und meine Merkwürdigkeiten ganz gut zu ertragen ist. Allerdings, und das scheint kein Blödsinn zu sein, ist es nicht wirklich gesund, dass ich hier ständig alleine bin. Das fördert nur meine Schrulligkeit, tut aber mit Sicherheit nicht gut. Vielleicht habe ich aber auch nur einen an der Waffel und damit ist alles gesagt. Letztlich ist es, wie es ist und ich muss mich nach meiner Abwesenheit erstmal wieder zurechtfinden. Ein paar neue Leute sind dazugekommen, andere scheinen immer merkwürdiger geworden zu sein während meiner Abwesenheit. Neukunden hat Örge auf Mittwoch und Freitag terminiert, statt auf den Donnerstag, den einzigen Tag, an dem ich nicht alleine hier bin. Mitdenken ist einfach nichts für jedermann. Oder sagt man heute jederfrau? Jedefrau? Was auch immer.
Teilnehmerin 184 beschwert sich indirekt über Jörg, weil er ihr unsympathisch ist und aus ihrer Sicht nicht mit jungen Menschen umgehen kann. Ich erkläre ihr, dass er nur anders arbeitet, als ich es mache, aber sie meint, seine ganze Art ist eher das Problem. Kollegin Örge ist nett, aber ich bin der Netteste hier. Ich lasse mich gerne von attraktiven, jungen Frauen einlullen. Die Vermittlungsquote hat sich leider während meiner Abwesenheit nicht verbessert und liegt bei 35,39%. Das kommt davon, dass Örge einfach nicht mehr regelmäßig hier war und ist. Ich fürchte, wir werden die Vorgabe von 40% ziemlich deutlich verfehlen.
Teilnehmer 162 will maximal einen Minijob machen, denn wenn er mehr verdient, muss er Unterhalt zahlen und das möchte er nicht. Auch er beschwert sich über Jörg, den er unfreundlich findet. Die meisten Arbeitslosen mögen es einfach nicht, wenn man etwas strenger ist und ihnen sagt, was sie tun sollen. Da ich sie meist in Ruhe lasse, kommt das in der Regel besser an. Umgekehrt ist es natürlich bei Leuten, die Unterstützung wollen und einen Jobcoach benötigen, der einen Plan hat und Fachfragen beantworten kann. Da ist Jörg erste Wahl, da er, im Gegensatz zu mir, eine Ausbildung als systemischer Coach hat, während ich einfach nur zum Quatschen und Verwalten zu gebrauchen bin. Da das mit einem Job für Teilnehmer 162 nichts wird, möchte er als nächstes seinen Hund online verkaufen. Einen Mops. Mit Papieren. Ich frage nicht weiter nach, wird schon alles seine Richtigkeit haben.
Teilnehmer 153 muss mit Dirk sprechen, Jörg ist nicht da. Ich verbinde die beiden per Telefon, dann erzählt mir der aufgebrachte Teilnehmer, was ihn stört, was sein Problem ist und dass er mit Jörgs Aussagen nicht einverstanden ist. Soweit, so gut. Das Problem ist allerdings, dass der Teilnehmer nur englisch spricht, ich hingegen nicht. Er spricht schnell und ist in Rage, ich versuche aus dem, was ich verstehe, holprige Antworten zu formulieren, die Wogen zu glätten und eine Lösung zu finden. Ich sollte vielleicht Diplomat werden, denn am Ende des Gespräches gibt der Teilnehmer mir die Hand und bedankt sich, obwohl ich eigentlich nichts gesagt habe, nichts geregelt wurde und wir keinen Schritt weiter sind als vor dem Gespräch.
Teilnehmerin 194 sehe ich heute zum ersten Mal. Erster Eindruck: Verhaltensgestört. Ein guter Coach würde so nicht denken, aber ich bin keiner und darf das. Ein Bewerbungsfoto hat sie machen lassen. Nicht, wie gewünscht, beim Fotografen, sondern bei dm. Ich erkläre ihr, dass das nicht gut ist, sie sagt, dass es sehr schöne Fotos geworden sind und sie diese auf die Lebensläufe kleben will. Ich erkläre, dass man so etwas nicht mehr macht, sie erwidert, dass das früher so gemacht wurde und immer zum Erfolg führte. Ich erkenne zum Glück meist schnell, wenn weitere Ausführungen zu nichts führen, weshalb ich nicht weiter diskutiere. Die Frau ist 54 Jahre, trägt merkwürdige Sandalen und ist seit sechzehn Jahren arbeitslos, abgesehen von diversen Maßnahmen, die sie im Anschluss absolviert hat. Wieso ich den Erfolg ihrer Bewerbungsbemühungen mit dem aufgeklebtem Automatenfoto im Lebenslauf nicht erkenne, ist mir Schleierhaft. Dabei passt alles so perfekt zusammen. In ihren Bewerbungsunterlagen hat sie nämlich sogar eine Fußzeile eingefügt. Dort steht: Schmuckverkäuferin aus Leidenschaft. Das ist schon mehr als fragwürdig, wenn man sich als Schmuckverkäuferin bewirbt, aber ihre letzte Bewerbung ging an Takko und Takko steht nicht unbedingt an erster Stelle, wenn es um den Verkauf von Schmuck geht, aber was weiß ich denn schon? Weil ich so eine Fußzeile für fahrlässig halte, lösche ich sie mutwillig und ohne nachzufragen. Mein anmaßendes Verhalten sollte ich vermutlich überdenken, aber das sehe ich nicht ein. Das einzige, was mich noch mehr als die Fußzeile wundert, ist die Tatsache, dass Örge das nicht geändert hat und die Frau diesen Lebenslauf bei Takko abgeben lassen hat. Vermutlich ist das eines der vielen Geheimnisse ihres Erfolges.
Die Quote liegt mit 35,75% leicht über der Quote vom Wochenanfang. Das ist der Örge-Effekt, weil jetzt natürlich die Ernte ihrer Arbeit eingefahren wird. Nächste Woche sollen noch zwei Arbeitsverträge unterschrieben werden. Wir werden so eine Traumquote vermutlich nie mehr erreichen, denn Örge ist bald nicht mehr da, was einen großen Qualitätsverlust darstellen wird. Das ist wirklich, wirklich bitter, aber wir müssen unser Bestes geben, um nicht völlig in der Quotenbedeutungslosigkeit zu versinken. Wenn Jörg auch noch abhaut, was ich für sehr wahrscheinlich halte, dann ist der Standort endgültig verloren.
“Ohne den finanziellen Aspekt gäbe es eigentlich keinen Grund, herzukommen.” – schöner kann man es nicht sagen.
🙂