Nachdem Manni schon letztes Jahr angekündigt hatte, dass er dieses Jahr Heiligabend keinen Besuch will, schreibt er fünf Tage vor Heiligabend: “Weihnachten dieses Jahr bei mir fällt aus”. Da er sich, wie ich später erfahre, nicht daran erinnert, dass er es letztes Jahr schon angekündigt hat, hat er sicher andere Gründe. So endet die Heiligabend Tradition, die zehn Jahre stattgefunden hat, zwar nicht gänzlich überraschend, aber komisch ist es dennoch. Vor einer Weile dachte ich noch, dass wir den Heiligabend einfach nicht mehr bei Manni, sondern bei mir verbringen würden, aber zuletzt deutete sich schon an, dass die Heiligabend-Gruppe reduziert sein würde.
Das Wetter ist am Heiligabend genauso beschissen, wie in den letzten Tagen. Der Klimawandel, der sich nicht aufhalten lässt, macht mit dem Wetter einfach, was er will. Nach dem heißesten Sommer aller Zeiten, befinden wir uns im wärmsten Dezember aller Zeiten, was wir aber nicht wirklich merken, da es ständig regnet und der Wind wütend macht. Daher ist es wenig verwunderlich, dass ich kein Interesse habe, die Wohnung zu verlassen, um ins Fitnessstudio zu gehen, obwohl ich das an Heiligabend schon das eine oder andere Mal gemacht habe und mein Körper es wirklich nötig hat. Stattdessen kommuniziere ich mit verschiedenen Leuten über WhatsApp, was irgendwie bescheuert und beliebig ist. Weihnachtsgrüße, belangloser Smalltalk, klassisches Bla Bla. Per WhatsApp kommuniziert man zwar ständig, aber irgendwo ist das oft auch oberflächlich und hat die echte Kommunikation bei mir ziemlich reduziert. Das ist bescheuert und da ich auch bescheuert bin, vermutlich folgerichtig. Ich koche Reis, dazu gibt es Like Grilled Chicken. Fertig ist mein Weihnachtsmenü. Anschließend etwas Staub putzen, durchwischen und mit Agnes telefonieren. Schon ist es Nachmittag und ich schalte die PlayStation ein, um Desperados 3 zu spielen, denn ich möchte das Spiel dieses Jahr gerne noch zu Ende spielen. Es ist wichtig, dass man Ziele im Leben hat.
Zwei Stunden später brauche ich eine Pause, dusche, esse eine Kleinigkeit und stelle fest, dass Heiligabend immer mehr an Bedeutung verliert. Seit Jahren habe ich nicht so wenig Weihnachtsmusik gehört, so wenige Weihnachtsfilme geschaut, so wenig Interesse an dem Tag gehabt und irgendwie missfällt mir das. Denn wenn selbst solche Tage in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, was bleibt dann noch? Ist ja nicht so, dass es stattdessen andere Tage gibt, die sich vom Alltagseinerlei abheben. Vielmehr scheint es, als näherte sich mein Leben mit jedem Tag mehr einer Nullinie an. Wie bei Leuten, die gestorben sind und an Tagen wie diesen finde ich es durchaus bedenklich, wie sich die Dinge entwickeln. Ich weiß aber auch, dass ich so bin und nichts ändern werde, bis der Sargdeckel geschlossen wird. Und dass ich danach noch etwas ändere, bezweifle ich doch sehr stark. Um mich nicht noch mit meinen Gedanken runterzuziehen, öffne ich die Geschenke aus der Tüte, die eine frühere Teilnehmerin und ihre sechsjährige Tochter für mich zusammengestellt haben. Das hebt die Stimmung. Am besten gefällt mir der Kugelschreiber mit vier Farben. So einen hatte ich vor etwa 40 Jahren und mochte ihn sehr. Vermutlich habe ich irgendwann mal erwähnt, dass ich solche Kugelschreiber toll finde. Jetzt habe ich wieder einen, was mich sehr rührt. Obwohl ich noch gern die Geschenke der Bürgerarbeiterin öffnen würde, mache ich es nicht, weil man auch mal innehalten und genießen muss.
Da mir spontan der geplante Tagesablauf nicht mehr zusagt, lasse ich Weihnachtsmusik spielen, zünde Teelichter an und sorge für fast weihnachtliche Stimmung. Anschließend frage ich Petra, ob wir hier nicht ein paar Baguettes zu uns nehmen sollen. Bringt ja nichts dieses konsequente vor sich hinvegetieren.
Da ich heute keine Filme gucken werde, weil Agnes meint, dass ich das sonst schon genug mache und nicht auch Heiligabend tun muss, bleibt der Fernseher aus. Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Und sie hat fast immer Recht. Petra und ich gönnen uns Baguettes aus dem Gefrierfach, dazu gibt es Tee und Malzbier. Es folgt die traditionelle Bescherung, dann öffne ich endlich die zahlreichen Geschenke der Bürgerarbeiterin, die ich auch weiterhin Bürgerarbeiterin nennen werde, obwohl sie einen Namen hat. Doch das würde nur verwirren und den Lesefluss stören. Anschließend startet der Spieleabend mit der PlayStation. Beach Buggy Racing, Injustice und zum Schluss Trivial Pursuit. Viel abwechslungsreicher kann man so einen Heiligabend kaum gestalten. Sollten wir nächstes Jahr noch leben, könnten wir das in ähnlicher Form wiederholen. Oder wir machen etwas ganz anderes, oder überhaupt nichts.