Der Teilnehmer, der seinen Coach vielleicht zu sehr mag

Er ist 19, war schon einmal bei uns und sein Berufsziel war damals Bürgergeld. Das Ziel hat er mit erstaunlicher Leichtigkeit erreicht. Als er zu uns zurückkam, bekam er einen anderen Coach, nämlich mich. Und ob das gut für seine Entwicklung war, darf bezweifelt werden.

Es war durchaus anstrengend und ich hielt dem jungen Mann viele meiner Standardreden. Mein Repertoire ist echt begrenzt, weshalb ich vieles mehrfach wiederholen musste. Da könnte man auch fast eine K.I. dafür benutzen. Aber egal. Manchmal wurde es albern, der Teilnehmer erzählte viel, wollte Geschichten aus meinem Leben hören und mich besuchen, um zu sehen, wie ich lebe. Derartiges musste ich konsequent ablehnen, denn dazu gibt es keinen Grund. Ich bin ja kein Sozialcoach, der die Leute außerhalb dieser Maßnahme betreut. Irgendwann sagte er zu mir: “Ich hab Sie lieb.” Das war vermutlich der Moment, an dem man den Coach hätte tauschen müssen, aber wenn man der einzige Coach vor Ort ist, geht das natürlich nicht. Ein paar Tage später endete die Zusammenarbeit dann allerdings überraschend, weil der junge Mann die vielen Worte seines Coaches vielleicht doch gehört hatte und sich intensiv um einen Praktikumsplatz bemühte und diesen auch bekam, weshalb der Coach, also ich, ihn sehr lobte. Auch ein mittelmäßiger Coach, der völlig planlos vorgeht, muss in der Lage sein, gute Mitarbeit entsprechend zu würdigen.

Am eigentlich fünften Tag seines Praktikums sitzt der junge Mann vor mir und erzählt, dass der Chef nach drei Tagen das Praktikum beendet hat. Da ich die merkwürdige Geschichte merkwürdig finde und es jetzt eh nicht mehr zu ändern ist, habe ich dem auch nichts hinzuzufügen. Der junge Mann möchte wieder an der Maßnahme teilnehmen, was derzeit nicht geht und ihm vermutlich auch nicht helfen würde. Wir können ihm nicht helfen, weshalb ich im Abschlussbericht empfohlen habe, dass er an der gleichen Maßnahme wie der Somalier teilnehmen soll. Seine IFK hält das auch für eine gute Idee, der junge Mann allerdings nicht. Nach Hause will er jetzt auch noch nicht, aber das kennen wir ja. Also sitzt er noch eine Weile bei mir und wie so oft, will er unbedingt meine Hand anfassen. Keine Ahnung, was ihn an alten Händen so fasziniert, doch ich möchte nicht von Teilnehmern oder Teilnehmerinnen angefasst werden, es sei denn es ist die Umarmerin, bei ihr würde ich eine Ausnahme machen, aber ansonsten bin ich kein Jobcoach zum Anfassen. Wenig später ruft seine Mutter den jungen Mann an. Er ist sofort auf 180, sie will, dass er arbeiten geht, sofort an der bereits erwähnten Maßnahme teilnimmt und kaum hat sie aufgelegt, beschimpft er sie mit Worten, die man nicht benutzen sollte. Ich weise ihn darauf hin, dass man so nicht über seine Mutter spricht und sie schließlich nur das Beste für ihn will. Kurz einigen wir uns darauf, dass seine Mutter es einfach nicht besser weiß, selbst nicht so gebildet ist und lediglich das versucht, was ihr möglich ist, damit es ihrem Sohn besser geht. Das ausgerechnet ich, der ja auch kein Vorzeigesohn war, so klug daherrede ist schon ziemlich schräg. Nachdem er sich noch einmal über seine Mutter aufgeregt hat, beruhigt er sich. Irgendwann sagt er: “Ich li …” bricht dann ab und sagt “Ich hab sie gern.”, zu mir. Ich bin der Coach der Herzen, weiß aber gerade nicht, was ich davon halten und vor allem, wie ich mich verhalten soll. Dieter Hallervorden würde es vermutlich mit einem gespielten Witz versuchen, ich mache einfach weiter und ignoriere die Aussage. Vielleicht sollte ich in Zukunft nicht mehr so umgänglich sein und dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr so ein Vertrauen entwickeln. Wieder einmal lässt meine fehlende Professionalität mich an meiner Berufswahl zweifeln. Vielleicht sollte ich doch etwas anderes machen, ohne Kundenkontakt. Aber darüber kann ich später nachdenken, jetzt muss ich dem jungen Mann dazu raten, dass er an besagter Maßnahme teilnimmt, weil man ihm dort sicher mehr helfen kann, als wir es hier können. Und sollte er am Ende doch wieder bei uns landen, dann muss Jörg es nochmal mit dem jungen Mann versuchen, obwohl auch Jörg dem jungen Mann bei der ersten Teilnahme nicht helfen konnte. Wenige Minuten später verabschiedet sich der junge Mann und ein weiteres Kapitel der Erfolglosigkeit endet.

2 Kommentare

  1. Ich hatte selbst mal so einen Kandidaten in meinem Freundeskreis. Dieser hat sich dadurch ausgezeichnet das er, wenn er sich motivieren ließ, extrem akribisch war. Da die Motivation aber niemand leisten konnte, lebte er vor sich hin trank und glotzte TV und gab allen anderen die Schuld an seiner Situation.
    Ein Mensch der Nähe und Aufmerksamkeit suchte, aber nie bekam und genau so agierte. Er liebt dich, wenn er sich etwas erhofft und hasst dich sobald er merkt du willst das er selbst agiert. Du bist in der ersten Gruppe, seine Mutter in der anderen.

    Man könnte solchen Leuten helfen und glücklich machen, wenn man sie zwingt etwas zu tun. klingt für uns seltsam und das jetzige Sozialsystem kann das nicht leisten, aber wenn man erlebt hat, wie gewissenhaft solche Leute sein können ist das ein Verlust.

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