August 2013

Röntgen, Spritzen und Auf Wiedersehen
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag habe ich Schwierigkeiten, mich im Bett umzudrehen. Meine rechte Schulter tut weh und ich weiß nicht warum. Ob ich verspannt bin? Den Tag über habe ich weiter Schmerzen, die zum Abend hin schlimmer werden. Ich schaffe es am Abend nicht einmal mehr, mein T-Shirt so auszuziehen, dass ich nicht vor Schmerzen schreien muss. Ich kann mit der rechten Hand fast gar nix mehr machen. Das macht mir etwas Angst. Jede Bewegung wird zur Qual. Zur schmerzhaften Qual. Liegt das wirklich an der Schulter oder kommen diese Schmerzen gar vom Rücken? Was auch immer es ist, ich werde einen Arzt dazu befragen müssen. Die Nacht ist dementsprechend gruselig. Vier Stunden Schlaf, mehr ist nicht drin. Meinen Plan, zum Hausarzt zu gehen, verwerfe ich. Stattdessen werde ich zu der Orthopädiepraxis gehen, zu der ich nicht mehr wollte. Dumm nur, dass ich hier im Ort nur mit Termin angenommen werde. So muss ich nach Lünen fahren.

Nach zwei Stunden Wartezeit bin ich auch schon an der Reihe. Der Arzt befragt mich, bewegt meine Schulter und schickt mich zum Röntgen. Die Schmerzen beim Ausziehen des T-Shirts sind enorm. Noch heftiger sind sie beim Ankleiden. Ich könnte schreien, das geht aber nicht, weil mir das peinlich wäre. Der Arzt schaut sich die Röntgenbilder an, kann nichts feststellen und gibt mir zwei Spritzen in den Nacken. Er schreibt mir ein Tens-Gerät auf. Das soll ich mir für drei Monate leihen. Dann darf ich auch schon gehen.

Da die Krankenkasse dieses Tens-Gerät genehmigen muss, rufe ich dort an und werde gefragt, ob der Arzt alle Möglichkeiten, u.a. Physikalische Therapie, ausgeschöpft hat. Hat er nicht. Also gibt es auch kein Tens-Gerät. Ich soll nochmal mit dem Arzt reden, was ich aber nicht möchte, weil ich mich bei dem Arzt nicht gut aufgehoben fühle. Ist ja nicht das erste Mal, dass einer der Ärzte dieser Gemeinschaftspraxis irgendwie ratlos erscheint und nicht wirklich etwas unternimmt. Was das angeht, passen die wirklich prima zusammen. Wäre ich doch nur zum Orthopäden nach Dortmund gefahren. Ich Depp. Diese Praxis ist so typisch für vieles in diesem Land. Da haben die eine tolle Webseite und werben mit ganz vielen Dingen, die sie draufhaben und durchführen können, aber mehr als Röntgen, Spritzen geben oder Bestrahlungen verordnen, kommt am Ende nicht dabei heraus. Hauptsache ein toller Internetauftritt. Große Show, nichts dahinter. Marketing ist alles, der Patient nur notwendiges Beiwerk. Oder sind all diese Leistungen nur für Privatpatienten? Wundern würde mich das nicht.

Jobangebote und eine neue Eingliederungsvereinbarung
Es ist Montag und ich habe schon wieder einen Termin bei meiner Betreuerin. Ich fürchte, dass sie irgendeine aberwitzige Idee hat, wie sie mich loswerden kann. Dämliche Jobangebote oder vielleicht auch irgendeine Maßnahme, die mich ganz weit nach vorne und vor allem aus der Arbeitslosenstatistik rausbringen soll. Daher bin ich schon angespannt, als ich mich auf den Weg mache, um meinen Pflichttermin wahrzunehmen.

Kaum bin ich da, darf ich auch schon zu ihr rein. So sollte es immer sein. Meine Betreuerin sagt, dass die Eingliederungsvereinbarung zwar erst nächsten Monat abläuft, wir aber, wenn ich nichts dagegen habe, schon heute eine neue Eingliederungsvereinbarung unterschreiben können. Klar, sonst muss ich ja nächsten Monat schon wieder herkommen. Das möchte ich nicht. Bevor ich die Eingliederungsvereinbarung bekomme, teilt meine Betreuerin mir mit, dass es eine Änderung gibt. Für Bewerbungen gibt es zukünftig nur noch 2,50 Euro und nicht mehr 5 Euro. Weil einige behaupten, dass das zu wenig sei, ist es mir selbst überlassen, ob ich noch schriftliche Bewerbungen verfasse. Zwingen kann sie mich dazu wohl nicht. Außerdem ist nicht sicher, ob es bei den 2,50 Euro bleibt, weil es sicher viele Widersprüche dagegen geben wird. Ich mag heute nicht widersprechen und sage, dass ich darüber nachdenken werde. Obendrein vereinbaren wir, dass weiter gezielt nach einem Arbeitsplatz auf dem dritten Arbeitsmarkt für mich gesucht wird. Hoffentlich kommt bald ein vierter Arbeitsmarkt dazu. Auf den Arbeitsmärkten 1 bis 3 gibt es nämlich keine Verwendung für mich. Abschließend einigen wir uns darauf, dass ich auch weiterhin alle zwei Monate hier erscheinen darf. Erscheint mir zwar wenig sinnvoll, doch zu widersprechen kommt mir gar nicht in den Sinn. Ich bin einfach zu harmoniebedürftig, um irgendetwas abzulehnen. Nachdem der Eingliederungskram erledigt ist, hat sie noch zwei Jobangebote für mich. Angebot eins ist in Hagen. Hagen ist weit weg. Zu weit, um täglich dahin zu pendeln. Sage ich aber nicht. Das zweite Jobangebot passt noch weniger. Ein Automobilverkäufer, der mindestens über einjährige Erfahrung im Verkauf erklärungsbedürftiger Produkte verfügt und dazu gutes automobiltechnisches Verständnis hat. Damit kann ich nicht dienen. Dafür bieten die aber ein attraktives Compensation & Benefit Paket. Da ich nicht weiß, was das ist, möchte ich das auch nicht haben. Ist bestimmt irgendeine moderne Art der Mitarbeiterausbeutung, die einen unverständlichen Titel trägt und suggerieren soll, dass es was ganz Tolles ist. Nicht mit mir. Zeit zu gehen.

Wer bin ich und wer sind die anderen?
Neulich fragte mich Agnes, ob sie mich wirklich kennt oder ein völlig falsches Bild von mir hat. Bin ich in Wirklichkeit ganz anders und spiele ihr nur etwas vor, damit sie mit mir zusammen ist? Die meisten hätten wahrscheinlich sofort klar Position bezogen und gesagt, wer sie sind. Ich hingegen konnte das nicht. Ich habe zwar eine Meinung dazu, muss diese aber stets hinterfragen, da ich in meinem Leben ja auch mal anders war als ich es jetzt bin. So etwas nennt man vermutlich Entwicklung und ist normal. Ich hingegen zweifle alles und vor allem mich an. Was, wenn Agnes Recht hat und sie sich in mir täuscht? Wie soll sie wissen, wer und wie ich bin, wenn ich es selbst nicht mit Gewissheit sagen kann? Sicherlich kann ich sagen, so bin ich und fertig. Doch wenn ich mein Leben betrachte, dann kommt es mir so vor, als wäre ich viele und vieles. Und fast alles scheint möglich zu sein. Ich traue mir selbst nicht über den Weg. Und je mehr ich mich, meine Vergangenheit und mein Verhalten durchleuchte, desto merkwürdiger finde ich mich. Ich komme mir schlicht vor, geistig wenig entwickelt und eingeschränkt. Ich drehe mich tatsächlich meist nur um mich selbst, ohne allerdings zu wissen, um wen ich mich da tatsächlich drehe. Ich weiß nicht einmal, wer oder was ich sein will. Früher hatte ich davon eine klare Vorstellung, so glaube ich zumindest. Doch wenn ich es ernsthaft betrachte, frage ich mich, wer oder was ich denn sein wollte, bleibt mir nur ein Schulterzucken. Was weiß denn ich?
Leider weiß ich weder, wer ich bin, noch weiß ich, wie ich bin. Woher soll ich denn die Gewissheit haben, dass das, was ich zu sein glaube, der Wahrheit entspricht? Ich lebe in meiner eigenen kleinen Welt, die ich nicht verstehe, die mir aber, wenn ich nicht weiter darüber nachdenke, die nötige Sicherheit gibt, um zu überleben, ohne permanent verrückt zu werden. Viel mehr weiß ich scheinbar nicht und frage mich, ob das ganze Leben nicht nur eine einzige Illusion ist. Ob das, was wir sehen und fühlen, real ist und ob wirklich alle in der gleichen Situation, diese tatsächlich ähnlich beurteilen und fühlen, oder völlig unterschiedlich beurteilen.. Das werde ich wohl nie wissen. Aber sollte ich nicht wenigstens wissen, wer ich wirklich bin? Zumindest eine Vorstellung davon haben? So sehr ich nach einer Antwort suche, so vieles scheint mir möglich zu sein, aber weiter bringt mich das nicht. Es verunsichert mich höchstens und es gibt mir das Gefühl, unzulänglich zu sein. Und je mehr ich mich mit meinem Verhalten, meinem Leben und mir beschäftige, desto schlichter komme ich mir vor. Ich erkenne, dass ich nicht annähernd so klug und klar bin, wie ich es gern wäre. Ich bin nur mäßig intelligent und sehe es immer deutlicher. Ohne es zu wissen, habe ich mich den größten Teil meines Lebens, obwohl ich nie viel von mir gehalten habe, überschätzt. Geahnt hatte ich es allerdings schon früher. Möglicherweise habe ich nicht nur mich, sondern auch andere täuschen können. Nun aber bröckelt das Kartenhaus und entpuppt sich nicht als die Festung, die es mir zu sein schien. Ich bin ein mäßig intelligentes Lebewesen, das scheinbar kaum etwas über andere und noch viel weniger über sich selbst weiß. Ich bin nicht ohne Grund da, wo ich jetzt bin. Ich bin dort, weil meine Möglichkeiten einfach nicht mehr zulassen. Vor allem nicht das zulassen, was ich für mich als angemessen hielt. Ich bin ein Mensch, der sich immer für besser hält, als er es tatsächlich ist. Ist das vielleicht die Antwort auf die Frage, wer ich bin? Oder nur eine Teilantwort? Und wer sind die anderen?

Parkfest
Nachdem ich bereits gestern meinen traditionellen Besuch des Waltroper Parkfests hinter mich gebracht habe, überlege ich, ob ich heute tatsächlich nochmal hin soll. Dafür spricht, dass ich ein Drei-Tages-Ticket habe und Manni ebenfalls zum Parkfest will. Dagegen spricht, dass es womöglich später regnet und ich und mein frisch gewaschener Benz nass werden könnten.

Weil Trägheit und Faulheit keine Dauerlösung sein können, geht es gegen 19.00 Uhr los. Ich fahre mit dem Benz, während Manni mit dem Fahrrad anreist. Begleitet wird er von einem benachbarten Ehepaar, seiner Nachbarin Koko und deren Freundin Gina. Ich kenne die Leute nur vom sehen. Nachdem ich einen Parkplatz im absoluten Halteverbot gefunden habe, mache ich mich auf den Weg, die anderen zu finden. Diese stehen an einem Getränkestand und ich habe die Gelegenheit mir meine Begleiter des Abends anzusehen, um zu wissen, mit wem ich eigentlich hier bin. Manni kenne ich ja schon. Koko erscheint mir etwas überdreht, vielleicht leidet sie unter dem Zappelphilipp-Syndrom. Jedenfalls tanzt sie immer wieder, was mich irritiert, da hier keine Tanzfläche ist und sonst niemand tanzt. Und da ich Dinge, die ich nicht verstehe, immer benennen muss, nenne ich es Zappelphilipp-Syndrom oder von mir aus Hyperaktivität. Für mich ist die Situation nicht leicht, habe ich doch von jeher Schwierigkeiten, mich in einer Gruppe mit fremden Leuten zu positionieren. Und so stehe ich einfach da und beobachte meine Freunde für diesen Abend. Gina scheint ganz nett zu sein und ich bilde mir ein, dass ich sie schon irgendwo gesehen habe. Vermutlich in irgendeiner Fernsehserie. Aber da das nicht sein kann, gehe ich davon aus, dass sie nur jemandem aus einer Fernsehserie ähnlich sieht. Oder ich möchte einfach nur, dass sie jemandem aus einer Fernsehserie ähnlich sieht, damit ich das Gefühl habe, dass ich sie kenne. Dass die beiden Frauen rauchen, finde ich übrigens gar nicht gut. Während Koko weiter zappelt und sich ihrer Überdrehtheit hingibt, erzählt Gina etwas von S. Oliver. Und so erfahre ich, wofür das S. steht. Sven. Sven Oliver. Ich dachte immer, dass das S. für Sir steht. Sir Oliver. Ob Gina uns verarschen will? Oder weiß sie mehr als der Durchschnittsbürger? Nachdem die Sache mit Sven geklärt ist, wandern wir los. Nach einer Weile haben wir Durst und machen halt. Das Ehepaar kauft Kartoffelchips. Wollte ich schon immer mal probieren, die beiden lassen mich zugreifen und ich finde sie natürlich sofort beide nett. Dann passiert, was ich befürchtet habe. Die ersten Regentropfen fallen auf mich herab. Es folgen weitere Tropfen. Dann wird der Regen stärker und wir flüchten unter eine Art Bierzelt. Na super. Mein armer Benz. Der Regen wird noch stärker und scheint nicht aufhören zu wollen. Wäre ich doch nur zu Hause geblieben, dann wäre mein Benz nicht nass und ich nicht traurig. Das hat mein Benz nicht verdient.
Irgendwann hört der Regen tatsächlich wieder auf. Die Menschen, die sich ebenfalls unter dieses Zelt gedrängt hatten, gehen endlich weg und ich kann wieder atmen. Doch leider nur für kurze Zeit, denn dann möchte meine Gruppe zur Bühne, weil dort Alphaville auftritt. Widerwillig folge ich der Gruppe Richtung Bühne. Überall auf dem Weg sind Pfützen und in die eine oder andere latsche ich natürlich rein. Das macht doch keinen Spaß. Wir erreichen die Bühne, gehen über die nasse Wiese in die Menschenmenge und bekommen einen Platz, der es uns ermöglicht, die Jungs auf der Bühne zu sehen. Ich bevorzuge es, bekannte Leute im Fernsehen zu sehen. Die Musik ist verdammt laut und der Klang schlecht. Unterhalten kann man sich hier nicht. Nur anschreien. Das möchte ich aber nicht. Also stehe ich einfach nur da und starre zur Bühne. Die Lieder, die ich zu hören bekomme, kenne ich nicht. Die Leute um mich herum mag ich auch nicht beobachten. Es ist zu dunkel und die Leute sind mir auch irgendwie zu nah. Ich verschränke meine Arme. Regentropfen fallen auf meinen Kopf.
Der Regen wird wieder stärker, ich verabschiede mich von Manni und mache mich auf den Weg. Der Weg zum Ausgang ist weit und der Regen hat mich mittlerweile durchnässt. Mit grimmigem Blick kämpfe ich mich bis zum Ausgang durch. Dann ist es geschafft. Der Regen lässt nach. Alphaville spielt Big in Japan, ich habe meinen Benz erreicht, entschuldige mich bei ihm dafür, dass er nass geworden ist, steige ein und fahre los. Ein weiterer kräftiger Regenschauer erwischt uns kurz vor der Garage. Dann sind wir am Ziel. Nass zwar, aber am Ziel. Der Benz kann sich ausruhen, ich muss noch eine kleine Wanderung bis nach Hause machen. Dann ist es geschafft. Ich werfe die nassen Klamotten in die Ecke, trockne mein Haar und setze mich aufs Sofa. Ein Jahr Pause bis zum nächsten Parkfest. Bis dahin sollte ich mich erholt haben.

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