Juni 2013

Trainingsjubiläum
Meinen Plan, diszipliniert und abwechslungsreich zu trainieren, habe ich nicht lange durchgehalten. Ich habe zwar nach acht Wochen einen neuen Trainingsplan erstellt und mache nun andere Übungen, aber mein Ehrgeiz, die Gewichte langsam aber stetig zu erhöhen und an meine Grenzen zu gehen, ist längst verflogen. So trainiere ich nur noch mit Mädchengewichten, versuche mich möglichst wenig anzustrengen und fühle mich schlecht, wenn ich, so wie jetzt, neben den ganzen durchtrainierten Kerlen trainiere. Auf die muss ich wie ein Nerd, der heute zum ersten Mal mtrainiert, wirken. Dabei bin ich seit nunmehr zehn Jahren dabei. Ich feiere also ein Jubiläum. Und weil man mir wirklich gar nicht ansieht, dass ich seit zehn Jahren dabei bin, feiere ich quasi inkognito, ganz für mich allein, meine großartigen Erfolge. Denn immerhin trainiere ich noch mit den gleichen Gewichten, wie zu Beginn meiner Trainingslaufbahn.. Also habe ich mich nicht verschlechtert, was ich wohl als Erfolg werten muss und deshalb feiern darf. Leider kostet es mich immer mehr Überwindung, überhaupt zum Training zu gehen. Wenn ich nicht wüsste, dass es für meinen Körper wichtig ist, wenigstens gelegentlich ein wenig zu trainieren, dann würde ich mir das nicht antun, weil es fast nie Spaß macht und mir der Ehrgeiz ernsthaft zu trainieren schon vor meiner Geburt abhanden gekommen ist. Muskeltraining ist nicht wirklich meine Welt. Traurig, aber leider wahr.

Die Rothose
Es ist wieder einer dieser Tage, an dem ich gleich mehrmals bei Penny einkaufen muss, weil ich ständig etwas vergesse. Schon beim Betreten des Ladens fällt mir eine schlanke Frau auf, die scheinbar gute Laune hat. Vielleicht ist sie auch geisteskrank, was weiß denn ich.
Schnell erledige ich meinen Einkauf und gehe zur Kasse. Vor mir die schlanke, möglicherweise geisteskranke Frau. Ich glaube, sie ist in meinem Alter. Hinter mir eine Mutter mit zwei Kindern. Ich bin gefangen zwischen zwei Welten. Ich schaue die Frau vor mir an. Obwohl sie schlank ist, fehlt irgendwas. Sie trägt ein schulterfreies Top und eine rote, sehr enge Hose. Sie hat irgendwie keinen Arsch und ich glaube nicht, dass es nur an der Hose liegt. Ich betrachte sie von oben bis unten und wieder zurück. Sie trägt ein Tattoo auf dem rechten Arm. Ein Tribal oder wie auch immer man das nennen mag. Für mich sieht es aus wie irgendein Geschmiere. Auf ihrem Rücken scheint sie ein großes Tattoo zu haben. Irgendwie wirkt das alles billig. Aber was erwarte ich, wir sind hier bei Penny. Sie hat trockene Haut. Vielleicht sollte sie sich eincremen. Ich überlege gerade, warum sie wohl solch eine Hose trägt und ob ihre trockene Haut auf zu viel Sonne oder zu geringe Flüssigkeitszufuhr zurückzuführen ist, da schiebt mich der kleine Junge von hinten etwas zur Seite. Er will an diesen Trennbalken, kommt aber nicht ganz heran. Ich helfe ihm natürlich nicht, sondern starre einfach nur auf seine Versuche, an den Trennbalken zu kommen. Es geht mich gar nichts an, ich bin gar nicht hier. Frau Rothose bemerkt die Bemühungen des Jungen und reicht ihm den Balken. Dabei grinst sie ihn an. Er beachtet sie nicht. Sie wirft einen Blick auf mich, ich sehe direkt durch sie hindurch. Beachtung wird sie hier nicht finden. Als sie an der Reihe ist, verwickelt sie die Kassiererin in ein Gespräch. Ich habe keine Ahnung wovon die beiden reden, starre einfach nur abwechselnd auf die Kassiererin und die Rothose. Ihre Ohrringe hätte sie sich auch sparen können. Mein Starren interpretiert die Rothose spontan völlig falsch und lächelt mich an. Ohne meinen desinteressierten Gesichtsausdruck zu verändern, schaue ich ihr dabei zu, wie sie lächelt und dann, als sie begreift, dass ich nicht zurücklächeln werde, den Blick abwendet und endlich geht. Was hat sie denn erwartet? Dass ich freundlich zurück lächle oder gar etwas sage? Warum sollte ich? Dazu bin ich nicht in der Stimmung. Wenn ich kommunizieren will, werde ich Mitglied in einem Debattierclub oder gehe zu den anonymen Plaudertaschen, aber ganz sicher nicht zu Penny.

Fragen über Fragen
Während ich mich der Arbeitslosigkeit und der Lethargie hingebe, ist mein Umfeld beschäftigt. Die meisten gehen arbeiten und Manni macht nun seit einem Monat eine Umschulung. Er wird Kaufmann, quasi ein Kaufmanni. Das ist irgendwie schon interessant, da zunächst Heiko und dann ich ebenfalls eine Umschulung zum Kaufmann gemacht haben. Alle drei sind wir gelernte Elektroniker. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Oder ist das purer Zufall? Ich weiß es nicht. Was mich irritiert ist die Tatsache, dass Manni schon so viel Stress hat mit seiner Umschulung. Er ist kaum einen Monat dabei und muss lernen und lernen und lernen. Manchmal vier Stunden am Stück. Und er macht sich voll den Stress, wegen irgendwelcher Klassenarbeiten. Während meiner Umschulung habe ich auf derartigen Stress größtenteils verzichtet. Ich saß gemütlich in der Schule, verstand selten etwas und war doch davon überzeugt, zumindest meistens, dass die mich schon irgendwie durch die Prüfung bringen. Sobald ich nach Hause kam, hatte ich frei. Ob ich deshalb so erfolglos bin, weil mich alles nur minimal interessiert hat und ich meine Zeit lieber damit verbracht habe, und auch heute noch verbringe, nichts zu tun, was nicht unbedingt getan werden muss? Vielleicht bin ich nicht in der Lage zu erkennen, was getan und was nicht getan werden muss. Ist meine Einstellung am Ende gar falsch? Aber kann sie so falsch sein, wenn ich am Ende alle Prüfungen mit dem geringsten möglichen Aufwand bestanden habe? Wer kann das wirklich beantworten? Kann es nicht sein, dass es für jeden einen anderen Weg gibt, der für ihn richtig ist? Und wie kann ich überprüfen, ob mein Weg richtig ist, wenn ich nicht in der Zeit zurück reisen kann, um zu probieren, was passiert, wenn ich einen anderen Weg wähle? Das Leben erscheint mir gar nicht einfach. Oder ist es am Ende doch einfach, wird aber durch das Denken verkompliziert? Und wenn es so ist, habe ich dann nicht alles richtig gemacht? Und wird es nicht allein dadurch, dass ich jetzt darüber nachdenke, schon wieder kompliziert? Stelle ich Dinge in Frage, die es nicht in Frage zu stellen gibt? Mache ich aus einer einfachen Sache erst durch mein Denken eine komplizierte Angelegenheit? Gibt es vielleicht in den meisten Fällen gar kein richtig oder falsch? Sind die Wege des Lebens vielleicht irgendwo festgelegt und wir haben keine Wahl? Ist es reiner Irrglauben, eine Wahl zu haben? Kann es sein, dass ich mit solchen Fragen meine Zeit verschwende? Und wenn ja, was wäre sinnvoll stattdessen zu tun? Zum Training gehen? Werde ich es je erfahren?

Mircos kranke Welt
Obwohl er schon lange keine Rückmeldung mehr erhält, schreibt Mirco Agnes weiterhin regelmäßig WhatsApp-Nachrichten. Belangloses aus seinem Leben und andere Dinge, die die Welt nicht bewegen.

Eines Abends im Juni erreicht sein Mitteilungsbedürfnis einen neuen Höhepunkt. Er schreibt mehrere Nachrichten kurz hintereinander und teilt mit, dass Ursula vor über einem Jahr das letzte Mal auf meine Webseite geschaut und hat null Interesse an Kontakt zu mir hat. Das ist ihr gutes Recht und wir haben auch schon lange keinen Kontakt mehr. Ob seine Version dazu stimmt, sei mal dahingestellt. Weiter teilt er mit, dass sie mittlerweile irgendwie keine so gute Meinung mehr von mir hat, bzw. gewisse Dinge anders als früher bewertet. Oft bewertet man die Dinge mit Abstand anders. Das sind nun keine weltbewegenden Informationen, die er da verschickt. Viele Frauen von Tagtt, so schreibt er, sind ein rotes Tuch, weil die sich nicht an die Abmachungen gehalten haben. Ich wusste gar nicht, dass die Frauen eine Abmachung mit uns getroffen haben. Es ist scheinbar an mir vorbei gegangen, dass die Frauen so Abmachungen gemacht haben. Weiter schreibt er, dass ich, obwohl sie es nicht wollte, Frauen von Tagtt gehabt habe, womit er Recht hat. An dem Punkt war ich verlogen und habe jede Chance ergriffen, obwohl ich sagte, dass ich es nicht mehr mache. Aus ihrer Sicht, so führt er weiter aus, sind ausnahmslos alle diese Frauen, mit denen ich etwas hatte, Flittchen. Er allerdings, das gibt er zu, hätte sehr gerne etwas mit Agnes gehabt und ist enttäuscht, dass sie mich wollte. Weil ich halt das gewisse Etwas habe, was ihm offensichtlich fehlt. Da kann doch keiner etwas dazu. Außerdem hat er ja Ursula bekommen, die, wie er später betont, ein Lottogewinn ist, weil sie einfach reifer und weiblicher ist. Und ich weiß das, wie er mit einem Ausrufezeichen betont. Wie kann ein erwachsener Mann mit roten Haaren nur so eine gequirlte Scheiße schreiben? Dann weist er noch darauf hin, dass Ursula mich nicht mehr will und Agnes mich behalten kann. Als würde es eine Rolle spielen, was Ursula will. Muss er wahrscheinlich schreiben, um sich besser zu fühlen. Eine Warnung für mich hat er auch noch, denn sollte ich so einen Scheiss mit Agnes anstellen, wie mit Ursula, dann kriege ich es mit ihm zu tun. Als würde mich interessieren, was er so von sich gibt. Doch der Schwafler hat noch mehr mitzuteilen und verrät, dass Ursula sich wundert, weil Agnes eigentlich gar nicht mein Typ ist. Klingt wenig glaubwürdig, was er da so faselt.

Dann teilt er noch mit, dass Ursula mütterlicher und sexuell unschlagbar ist und Männer so etwas brauchen. Auch geht sie super mit…was einfach wichtig für Männer ist. Ich frage mich da natürlich: Wohin geht sie mit? Spazieren? Und wie kann er behaupten, dass sie sexuell unschlagbar ist? Hat er schon alle Frauen probiert? Und warum ist sie mütterlicher? Weil sie Kinder hat? Klingt, als müsse er sich seine Beziehung schönreden, um daran zu glauben, während er doch eine andere will. Weiter geht es und wir erfahren, dass Ursula einfach weiter im Leben ist und mehr erlebt hat, das prägt. Dann sollte er sich glücklich schätzen und seine Ausführungen beenden, was er aber nicht macht. Stattdessen erfahre ich, dass ich sicher kein schlechter Mensch per se bin, aber nicht treu sein kann. Sagt auch Ursula und sie weiß das wirklich. Er weiß, was Ursula weiß, was schon irgendwie beeindruckend ist. Er weist dann noch darauf hin, dass ich Agnes damit sehr verletzen werde, weil sie mit der Konkurrenz nicht klar kommen wird. Den Satz beendet er mit einem Ausrufezeichen. Damit unterstreicht er den Wahrheitsgehalt und seine seherischen Fähigkeiten. Doch ans Aufhören denkt er auch weiterhin nicht, sondern teilt noch mit, dass ich nicht gut über Ausländer rede, bevor er sich damit verabschiedet, dass er nun zu seiner Sexgöttin ins Bett muss. Puh, da hat er es uns aber richtig gegeben und ich fürchte, seine Sexgöttin hat ihm den Verstand rausgevögelt, wobei ich daran zweifle, dass er vorher davon so viel hatte.

Nur einen Tag später schreibt er, dass er Ursulas Tagebuch gefunden hat und darin liest. In dem Tagebuch schreibt Ursula, dass ihr die Beziehung zu mir so unendlich weit weg vorkommt und ich ihr wie ein Geist erscheine. Er liest nicht nur ihr Tagebuch, er teilt den Inhalt auch noch mit. Der Typ ist krank und respektlos. Hoffentlich wird er eines Tages beim Schnüffeln in privaten Sachen erwischt und dafür bestraft. Weil er es verdient und ich ihn nicht mag.

Arbeiten bei Amazon
Der Besuch bei meiner Arbeitsvermittlerin verläuft nicht so ganz nach meinem Geschmack. Ich bekomme zwei Jobangebote in Autohäusern und werde gefragt, ob ich in den letzten zwölf Monaten bei Amazon gearbeitet habe. Natürlich nicht. Blöde und überflüssige Frage. Meine Betreuerin erklärt mir nun, dass Amazon Mitarbeiter für den Versand sucht und noch bevor ich meine Zweifel äußern kann, sind wir auf dem Weg zu einer Kollegin von ihr. Diese hat ein extra Büro, das nur für Bewerber für Amazon errichtet wurde. Wie ich später erfahre, gibt es so ein Büro auch in Bergkamen. Kaum hat mich meine Betreuerin abgeliefert, ist sie auch schon verschwunden. Die will mich scheinbar ganz schnell loswerden. Die Amazonvermittlerin fragt, ob ich denn Interesse an dem Job habe. Weil ich, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen, kaum sagen kann, dass ich nicht bei Amazon im Lager arbeiten will, sage ich ihr, dass ich skeptisch bin, weil ich viele Bewerbungen für Leute schreibe, die schon mal bei Amazon gearbeitet haben und wenig begeistert waren. Nun hält sie ihre Rede, die sie vermutlich täglich jedem Arbeitslosen hält, der es nicht hören will. Amazon hat mittlerweile einen Betriebsrat, das Arbeitsklima ist toll, die Bezahlung von fast zehn Euro brutto besser als bei allen anderen. Ich soll zu einem Test, danach wird entschieden, ob ich tauglich bin. Es gibt einen Saisonvertrag. Wie lange eine Saison andauert, sagt sie nicht. Sollte der Vertrag nicht verlängert werden, kann es sein, dass ich nächstes Jahr zur Saison wieder eingestellt werde. Außerdem macht es sich gut, wenn in meinem Lebenslauf steht, dass ich bei Amazon war. Andere Arbeitgeber wissen das zu schätzen. Ob die sich selber manchmal zuhört? Weiter geht es. Da die Wege zum Pausenraum sehr weit sind, wurde die Frühstückspause, die 15 Minuten dauerte, mit der Mittagspause, die nun 45 Minuten dauert, zusammengelegt. Manchmal treffen sich die Mitarbeiter in der Mittagspause auf dem Parkplatz, holen ihr Essen aus Kühltaschen und essen gemeinsam. Das spricht für ein gutes Arbeitsklima und einen prima Zusammenhalt. Jetzt sollte ich mich vermutlich freuen und den Wunsch haben, Teil dieser Amazongemeinschaft zu werden. Doch leider ticke ich anders. Ich bestelle gerne bei Amazon, möchte aber nicht dort arbeiten. Sage ich ihr aber nicht. Sie redet weiter und erzählt von einem “Gentleman ́s Agreement”. Das bedeutet, dass ich zwar zu dem Vorstellungstermin muss, dort aber sagen kann, wenn ich den Job nicht will. Sie wird davon nichts erfahren. Wieso glaube ich ihr das nicht? Schon in der kommenden Woche wird mein Vorstellungsgespräch, inkl. Einstellungstest, stattfinden. Sie wirkt erfreut, ich bin es nicht. Zeit zu gehen.

Der Vorstellungstag bei Amazon ist genau nach meinem Geschmack. Lauter Arbeitslose, die wie am Fließband durchgewinkt werden. Am Eingang wartet die Frau vom Jobcenter auf uns, trägt die Zeit ein, zu der wir erschienen sind, weist uns eine Nummer zu und erklärt irgendetwas. Ich bin die Nummer 23. Da ich ihr nicht weiter zuhöre, bekomme ich kaum etwas von dem, was sie mitzuteilen hat, mit. Wichtig kann es eh kaum sein. Den letzten wichtigen Hinweis, nehme ich dann allerdings doch wahr. Wir sollen uns, wenn wir durchs Treppenhaus in die dritte Etage wandern, am Geländer festhalten. Hat wohl etwas mit der Arbeitssicherheit zu tun. Ich will das Geländer aber gar nicht anfassen, weshalb ich auf die Arbeitssicherheit pfeife. Auf einem der Zettel, den die Frau vom Jobcenter mir gegeben hat, stehen Arbeitslohn, Arbeitszeiten und Arbeitstätigkeiten. Am Wochenende wird auch gearbeitet. Und in zwei Schichten. Es gibt fast 1700 Euro Brutto, was zwar heutzutage durchaus als guter Verdienst zu bezeichnen ist für eine 38,5 Stunden Woche, mich aber nicht begeistert, da ich nicht im Lager arbeiten möchte, keine 8 bis 10 km täglich gehen möchte, schon gar nicht, wenn ich dabei ständig 5 – 15 Kilo an Gewichten mit mir rumtragen muss, sondern einfach nur, wenn ich schon arbeiten muss, etwas tun will, dass mich nicht so ankotzt. Aber da verlange ich vermutlich zu viel vom Leben. Ich fühle mich abermals fremdbestimmt. So als würde ich dem Jobcenter gehören. Dabei haben die Leute beim Jobcenter ihre Jobs doch nur, weil es Leute wie mich gibt. Wo wären die denn ohne Leute wie mich? Vermutlich an meiner Stelle bei diesem sogenannten Informationstag bei Amazon. Nur wer hätte sie hergeschickt? Ich bin verwirrt und versuche an etwas anderes zu denken. Die Wartebereiche sind in Farben aufgeteilt. Zunächst warte ich im gelben Bereich. Nachdem meine Personalien von einem merkwürdigen Mitarbeiter, der wirkt, als wäre er High oder von einer Sekte ausgebildet, aufgenommen worden sind, darf ich im blauen Bereich warten. Oder war ich erst im blauen und bin jetzt im gelben Bereich? Ist mir egal, weshalb ich nicht versuche, es herauszufinden. Die Bereiche sind mit Kartons voneinander getrennt. Mir gefällt das nicht. Es wirkt nicht so, als könnte ich mich hier wohlfühlen. Ich fühle mich sowieso selten wohl, wenn ich etwas gegen meinen Willen machen muss. Auch bin ich nicht gerne an Orten, an denen ich nicht sein will. Hier will ich nicht sein. Zwei der Mitbewerber sind mir bekannt, habe ich ihnen doch vor kurzer Zeit noch Bewerbungsunterlagen erstellt. Es ist so paradox, dass wir nun gemeinsam hier sitzen müssen. Oder bilde ich mir nur ein, dass es paradox ist und es ist in Wirklichkeit nichts weiter als eine Realität, vor der ich gerne die Augen verschließe?

Der Hebetest ist der Startschuss für Teil 2 der Prozedur der Mitarbeiterfindung. Lächerlich. Es folgt ein Test, der so einfach ist, dass ich es kaum schaffe, Aufgaben falsch zu machen. Jeder Fehler, den ich einbaue, ist mir total peinlich, weil selbst ein Großteil der Erstklässler diesen Test problemlos bestehen würde. Ich versuche, etwa die Hälfte der Aufgaben falsch zu machen. Gar nicht so einfach. Warum ich von der Idee besessen bin, möglichst viele Fehler zu machen, kann ich nicht genau sagen. Vermutlich hoffe ich, dass die denken, ich sei zu dumm für die Jobs, die sich hier im Angebot befinden. Ich will das alles nicht. Weiter in den nächsten Wartebereich. Warten aufs Abschlussgespräch. Kaum beginnt das Abschlussgespräch, weise ich darauf hin, dass es mir mit meinem Sprunggelenk kaum möglich sein wird, 8 bis 10 Kilometer täglich zu laufen. Sofort will die Amazonmitarbeiterin einen Vermerk für das Jobcenter schreiben. Hatte die Frau beim Jobcenter nicht etwas von einem Gentleman ́s Agreement gesprochen? Ich wusste doch, dass das nur blödes Geschwätz ist. Nun werde ich sicher demnächst nachweisen müssen, dass mein Sprunggelenk defekt ist. Dazu habe ich schon jetzt keine Lust. Die zwei Stunden, die mir hier gestohlen werden, bekomme ich auch nicht zurück und kann sie auch keinem in Rechnung stellen. Ich hasse es, dem Jobcenter zu gehören.

Das Leben als Problem
Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt kam, seit dem ich nicht mehr mit dem Leben klarkomme. Seit vielen Jahren jedoch mache ich mir etwas vor, versuche zu sein, was ich nicht bin, täusche mich selbst und stelle doch immer wieder fest, dass das Leben mir verdammte Angst macht. Es überfordert mich stets aufs Neue und es gibt Tage, da weiß ich nicht, warum ich aufstehen soll, welchen Sinn das hat und wie ich das Leben ertragen soll. Und nur darum scheint es zu gehen, ein Leben, das einem für eine gewisse Zeit gegeben wurde, zu ertragen. Und so verletze ich mich und andere, ohne es zu wollen. Quäle mich und andere, weil es scheinbar meinem Wesen entspricht und entferne mich immer weiter von dem, wie ich sein will, von dem, wie ich leben wollte und natürlich von dem, wie es wäre, wenn es besser wäre. Ich belüge mich selbst und bemerke es nicht, verstecke mich, werde aber gesehen, gebe vor stark zu sein, bin es aber nicht. Betrachte mein Leben und frage mich, wann es endlich losgeht, wann ich es endlich lebe und ob ich das überhaupt kann. Oft erwische ich mich dabei, mir zu wünschen, irgendwelche Mittel zu nehmen, die mich so weit ausschalten, dass ich entspanne und loslassen kann. Diazepam oder Promethazin, deren Wirkung mir bekannt ist. Doch gleichzeitig habe ich Angst davor, Angst vor Nebenwirkungen, Angst vor Abhängigkeit. Angst, Angst, Angst. Als gäbe es nichts anderes. Und so schleppe ich mich durch ein Leben, welches mir Angst macht, welches mich schafft, weil ich es nicht schaffe. Ich ziehe mich zurück in meine eigene Welt, baue Mauern auf, nur um später festzustellen, dass diese Mauern mir mehr schaden als nutzen, weil diese Mauern keine Festung sind. Sie sind löchrig an verschiedensten Stellen und stürzen immer wieder ein. Und was mache ich, ich errichte sie neu. Und so bleibt das Leben eine Art Endlosschleife, ein Wurmloch, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Und ich bleibe, was ich nicht sein will, ein verängstigter Junge, der sich fürchtet und nicht weiß, was er tun kann, um die eigenen Mauern zu brechen und zu leben. Einfach zu leben und den Leuten etwas zu geben, dass das Leben lebenswert macht.

Bioresonanztherapie. Tag 11
Die Wochen sind irgendwie verflogen. Mittlerweile ist es das elfte Mal, dass ich bei der Bioresonanztherapie bin. Erfolg bisher nicht erkennbar. Dennoch kein Grund für mich aufzugeben und die Sache zu beenden. Die Behandlungen dauern mittlerweile eine paar Minuten länger, weil der Heilpraktiker andere Programme dazu genommen hat. Für mich bleibt diese Bioresonanztherapie ein Rätsel. Vielleicht ist diese Behandlung nichts für mich. Weil sie mir aber auch nicht schaden kann, setze ich sie unbeirrt fort. Bis zum bitteren Ende.
Da ich als blähender Mensch nicht nur selber leide, sondern auch die Gefahr besteht, dass die Menschen in meiner Umgebung in Mitleidenschaft gezogen werden, was ich gerne vermeiden würde, nehme ich mittlerweile dreimal täglich Pankreaticum-Hevert ein. Sollten meine Beschwerden in den nächsten Tag tatsächlich nachlassen, wird es zwar schwierig sein, herauszufinden, ob die Bioresonanztherapie oder das Mittel dafür verantwortlich ist, aber das ist mir egal, weil ich dann nämlich kein “Pupsendes Speckrippchen”, wie Agnes mich neulich zu nennen pflegte, mehr bin.

Essstörung
Ich weiß nicht genau, seit wann ich Essgestört bin, doch leider bin ich es und leide zu bestimmten Zeiten sehr darunter. Besonders in Zeiten, in denen ich in schlechter Verfassung bin, macht sich diese Störung bemerkbar. Ich habe keinen Appetit, ekel mich sogar vor dem Essen und schaffe es kaum, ausreichend und regelmäßig zu essen. Vielmehr wird mir schon beim Gedanken ans Essen schlecht. Esse ich dann doch, bekomme ich ab und zu üble Würgeanfälle, die alles noch unerträglicher machen. Und so gerate ich in einen Kreislauf, in dem sich zwar alles ums Essen dreht, nichts davon aber schön ist. Ich zwinge mich zu essen, weil ich weiß, dass es noch schlimmer und schwieriger wird, je länger ich nichts esse. Und so bin ich auch in diesen Situationen, bei denen sich alles ums Essen dreht und mir einfach nur schlecht ist und ich keinen Rat mehr weiß, oft ganz nah dran, nach Diazepam zu greifen, um einfach nicht mehr leiden zu müssen, um mich einfach künstlich zu entspannen. Doch Diazepam ändert die Tatsachen nicht. Höchstens, wenn ich es täglich nehme und es so dosiere, dass ich gar nichts mehr mitbekomme. Doch das kann vermutlich keine Lösung sein. Oder ist das die einzige Lösung für mich? Werde ich es je erfahren?

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