Mai 2013

Mundgeruch zum Nulltarif
Etwa zehn Tage nachdem der verhaltensauffällige Zahnarzt mir die Füllung gemacht hat, fühlt sich diese nicht nur unfein an, es bildet sich auch ein unangenehmer Geruch, der das Werk des Stümpers perfekt abrundet. Und so ist es wenig verwunderlich, dass ich unverzüglich einen Termin bei meinem Zahnarzt vereinbare, um die alte Ordnung in meinem Mund wiederherstellen zu lassen und den üblen Geruch zu beseitigen. Mundgeruch ist nämlich nicht nur unangenehm, sondern obendrein äußerst peinlich. Leider muss ich noch 12 Tage bis zu dem Termin warten. So lange stinke ich noch fröhlich durch die Gegend und bin eine Belastung für meine Umwelt. Ausgerechnet während dieser stinkenden Tage wird mich Agnes besuchen. Ich werde sie in dem Zustand kaum küssen können. Arme Agnes. Armer Doc. Wie soll ich das nur aushalten?

Nächtliche Störungen
Ich habe mich oft gefragt, ob es mir gefallen würde, eine Nacht neben mir zu verbringen. Die Antwort fiel immer negativ aus. Und das liegt nicht nur daran, dass ich vermute, dass ich nachts Blähungen habe und damit die Luft verpeste, sondern auch daran, dass ich nachts sabbere und aus dem Mund rieche. Doch das ist sicher nicht alles, weshalb ich Agnes frage, wie es ist, eine Nacht neben mir zu verbringen. Schließlich hat sie das zweifelhafte Vergnügen, ab und zu bei und vor allem neben mir, also im gleichen Bett, zu schlafen. So bekommt sie alles, was ich nachts anstelle, hautnah mit. Zu meiner Vermutung, dass ich nachts unter Blähungen leide, äußert sie sich sehr diplomatisch und sagt, dass sie davon noch nichts mitbekommen hat. Ich habe da allerdings berechtigte Zweifel, weil ich manchmal von meinen Blähungen aus dem Schlaf gerissen werde. Allerdings finde ich ihre Antwort sehr freundlich. Denn würde sie die Blähungen bestätigen, könnte ich vermutlich nicht mehr in einem Bett mit ihr übernachten. Das wäre mir peinlich. So verhindert ihr Schweigen, dass ich mich diesbezüglich schämen und den Rest meines Lebens alleine schlafen muss. Dafür bestätigt sie mir andere unangenehme Verhaltensmuster, die ich streng verurteile. Mein Schnarchen zum Beispiel. Schnarchen fand ich als Kind schon Scheiße. Und nun bin ich selbst ein Schnarcher geworden. Zwar soll mein Schnarchen keine Dauerbelästigung sein, dennoch schäme ich mich dafür. Mein Versuch, mit Nasenspray für eine freie Nase zu sorgen, funktioniert zwar, ändert aber nichts am Schnarchen. Arme Agnes. Blödes Schnarchen. Doch damit nicht genug. Eine weitere schlechte Angewohnheit von mir sind meine Alpträume. Und so kommt es des Öfteren vor, dass ich nachts schreie. Mag in Filmen ja ganz unterhaltsam sein, im wahren Leben eher nicht. Und wenn ich mal nicht schreie, dann rede ich im Schlaf. Dummerweise nenne ich die Namen von Ex-Freundinnen, was natürlich nicht wirklich eine gute Sache ist, wenn die aktuelle Freundin neben einem liegt. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich dafür gesorgt, dass alle meine Freundinnen denselben Namen haben. Das geht jetzt leider nicht mehr. Nach all den Informationen steht für mich fest, dass ich nicht neben mir schlafen möchte. Da käme ich nämlich nicht zur Ruhe und wäre am nächsten Morgen sicher total durcheinander. Das will ich einfach nicht.

Zahnarztbesuch und weitere Schmerzen
Der Zahnarzt fragt, wie es so ist mit der Füllung. Unauffällig vom Gefühl, unerträglich vom Geruch, ist meine Antwort. Er pustet Luft an und um den Zahn herum. Der Geruch bringt mich fast zum Weinen, daher wird die Füllung vorsorglich gewechselt, was mich 64€ kosten wird. Ein angemessener Preis, wenn ich danach nicht mehr stinke. Das Entfernen der Füllung geht ganz locker und schmerzfrei. Das Einsetzen der Matrize hingegen ist schon sehr heftig. Doch es kommt noch schlimmer. Das Andrücken bzw. Reindrücken der Füllung ist so furchtbar, dass ich vor Schmerz umfallen täte, wenn ich nicht im Behandlungsstuhl sitzen würde. Mein Kreislauf spielt verrückt. Hätte ich mir vielleicht eine Spritze geben lassen sollen? Nach weiteren Schmerzen ist die Behandlung wenig später vorbei und mein Zahn sieht wieder gut aus. Hoffentlich stinke ich jetzt nicht mehr.
Beim Mittagessen kann ich nicht auf der Seite kauen. Eine Schmerztablette wäre vielleicht keine schlechte Idee. Andererseits finde ich es albern auf der einen Seite auf eine Spritze während der Behandlung zu verzichten und dann eine Tablette nach der Behandlung zu nehmen. Obendrein habe ich das Gefühl, dass ich weiter aus dem Maul stinke. Hatte die Behandlung am Ende gar keinen Sinn? Eine Stunde später gebe ich auf. Ohne Tablette halte ich das nicht mehr aus. Ich bin wohl doch ein Weichei. Zum Glück wirkt die Tablette nach einer Weile endlich und alles ist gut, solange ich den Zahn nicht berühre. Wieder und wieder spüle ich anschließend den Mund mit Lavendelöl. Die Stunden vergehen, dann muss ich auch schon ins Bett. Solange ich mich nicht auf die rechte Seite lege, ist alles okay. Ich fürchte, ich habe ein echtes Problem mit dem Zahn. Verdammt.

Am nächsten Morgen beiße ich die Zähne zusammen. Eine Art Selbstversuch. Tut weh. Die Nacht hat keine Fortschritte gebracht. Ist der Zahn verloren? Und wenn ja, warum? Und was dann? Mit Schmerzen vergehen weitere Tage. Der Zahn bleibt klopfempfindlich und das Zahnfleisch weigert sich zu heilen. Lavendelöl, Teebaumöl und Kamistad Gel scheinen wirkungs- und chancenlos zu sein. Obendrein stinke ich widerlich. Ich fühle mich wie ein verwesender Zombie und rieche auch so. Ist dies das Ende? Und muss das wirklich alles so sein?

Joggingversuch 2013
Nach fast genau einem Jahr starte ich, in der Hoffnung, dass die Behandlung beim Orthopäden mir geholfen hat, erneut einen Joggingversuch. Acht Minuten ist alles sehr entspannt, dann meldet sich das Knie zum ersten Mal. Enttäuschung steigt in mir auf. Vorsichtig jogge ich weiter. Nach 12 Minuten und 16 Sekunden meldet sich das Knie erneut. Statt weiter zu joggen, gehe ich nun und hoffe, dass es nur ein harmloser Versuch meines Knies ist, etwas Aufmerksamkeit zu erregen. Nach einer Minute jogge ich weiter. Ganze vier Minuten halte ich durch, dann zwingt mich mein Knie ein weiteres Mal in die Knie. Nach etwas mehr als einer Minute versuche ich weiterzulaufen. Klappt zunächst auch ganz gut. Ich bleibe natürlich skeptisch, denn meinem Knie traue ich nicht mehr. Und mein Misstrauen wird nach einer Gesamtzeit von 22 Minuten und 19 Sekunden als gerechtfertigt anerkannt. Das Knie will nicht mehr und ich will auch nicht mehr, da ich auch konditionell ziemlich am Ende bin. Allerdings nur für etwa zwei Minuten. Dann könnte ich theoretisch weiterlaufen. Doch praktisch kann ich das meinem Knie sicher nicht zumuten. Ich habe ernste Zweifel, dass ich je wieder regelmäßig joggen kann. Die Behandlung war wohl doch kein Erfolg.
Als ich die Treppen zu meiner Wohnung problemlos aufsteigen kann, keimt ein wenig Hoffnung auf. Ich dusche, fahre zu meinen Eltern und gönne mir ein Stück Kuchen. Meinem Knie geht es prima. Allerdings nur bis zu dem Moment, bis ich aufstehe und mich verabschiede. Sofort erkenne ich, dass ich ein Problem habe. Die Treppen schaffe ich nur mit großer Mühe. Das ist alles durchaus deprimierend. Mein zweiter Frühling findet definitiv nicht statt. Meinen gedämpften Optimismus hätte ich mir sparen können.
Um in meine Wohnung zu gelangen, nehme ich den Aufzug, quäle mich anschließend die letzten Stufen zu meiner Wohnung hinauf und setze mich deprimiert und ratlos auf mein Sofa. Das war es. Dieser Körper joggt nicht mehr und einen anderen gibt es nicht.

Drei Termine an einem Tag
Mit Hilfe einer Fußdruckmessung soll herausgefunden werden, was für meine Probleme mit dem Sprunggelenk verantwortlich ist. Es werden Aufnahmen vom Fuß gemacht, ich laufe mit Messgeräten im Schuh durch den Laden und weil alles einen guten Eindruck macht, bleiben meine Beschwerden ein Rätsel. Genauso hatte ich mir das vorgestellt. 15 Euro kostet der Spaß und bringt mich nicht wirklich weiter. Abgesehen davon, dass ich nun passgenaue Einlagen bekomme. Ob diese allerdings mehr bringen als meine jetzigen Einlagen, darf bezweifelt werden. Aber ich brauche eh neue Einlagen, warum also unzufrieden sein? Wegen meiner Knieschmerzen wird mir eine Laufbandanalyse vorgeschlagen. Kostet 45 oder 65 Euro. Ich werde mir zu gegebener Zeit Gedanken darüber machen. Aber nicht jetzt, denn jetzt muss ich mich seelisch auf meinen Termin beim Zahnarzt vorbereiten.

Kaum ist es 14.00 Uhr, sitze ich im Wartezimmer des Zahnarztes und fühle mich mies. Hätte ich doch nur damals dem gestörten Zahnarzt verboten, meinen Zahn zu bearbeiten, dann wäre ich jetzt nicht hier und alles wäre gut. In Zukunft kommt kein fremder Zahnarzt mehr an meine Zähne. Als ich an der Reihe bin, begutachtet der Zahnarzt meinen Zahn bzw. das Zahnfleisch und kommt zu folgendem Ergebnis. Meine Beschwerden sind Nachwirkungen der Zahnbehandlung mit der Matrize. Mein Zahn bekommt ein widerlich schmeckendes Medikament und diese Prozedur wiederholen wir morgen und eventuell auch übermorgen erneut. Hoffentlich hilft das, denn mittlerweile sind die Schmerzen nur noch schwer zu ertragen.

Der dritte Termin des Tages folgt wenig später. Bioresonanztherapie, Tag 6. Heute inklusive Pilzbehandlung. Wenn nach dieser Behandlung keine erkennbaren Veränderungen auftreten, wird es kritisch. Dann könnte es nämlich durchaus sein, dass diese teure Therapie nichts bei mir bewirkt. Doch noch ist es nicht soweit.

Der Benz beim TÜV 2013
Traditionell fahre ich alle zwei Jahre den Benz zum TÜV. So auch dieses Jahr, doch heute ist alles anders, denn als mir der TÜV-Prüfer sagt, dass mein Benz die Abgasuntersuchung nicht bestanden hat, bin ich selbstverständlich wenig begeistert. Als er dann auch noch von Rost im Radlauf spricht, bin ich deprimiert. Er zeigt mir den Rost, mein siffendes Getriebe und andere Kleinigkeiten. Mir fehlen die Worte, als ich staunend alle Mängel betrachten darf. Die Rostentfernung ist keine große Sache und kostet laut TÜV-Prüfer nur 350 Euro. Das entspricht in etwa dem Monatsgehalt eines Arbeitslosengeld-II-Empfängers. Und wer weiß, was es kosten wird, die Abgasuntersuchung zu bestehen. Vielleicht eine neue Lambdasonde oder einen neuen Kat? Alles halb so wild, wenn man nicht gerade Karriere als Dauerarbeitsloser macht. Ich zahle 91,90€ für die Untersuchung und fahre davon, bevor es noch schlimmer wird und ich anfange zu weinen.

Erhebliche Mängel hat mein Zahnfleisch auch weiterhin, wie mein Zahnarzt mir später, als ich im Behandlungsstuhl sitze, bestätigt. Erstmals seit meiner Zahnfleischentzündung sieht er nicht zuversichtlich aus. Das fehlte mir auch noch. Ich bin ein ebensolches Mängelexemplar wie mein Benz. Weil das Wochenende bevorsteht, bekomme ich ein Privatrezept. Dontisonol soll mich über das Wochenende retten. Und Montag wird mein Zahnfleisch, wenn sich bis dahin nicht erholt hat, betäubt und tiefenbehandelt. Klingt schmerzhaft. Wird aber kaum zu verhindern sein. Der Zahnarzt rät zur Ruhe. Das Dontisonol kostet mich 20,50 Euro. Ein stolzer Preis für 5g Medikament. Warum habe ich keine Medikamente erfunden? Ich wäre schon längst sehr wohlhabend. Irgendwie entwickeln sich einige Dinge gerade sehr mangelhaft und unbefriedigend.
Kaum habe ich mich von dem Schock erholt, sagt meine Mutter mir, dass ich langsam anfangen sollte, für ein anderes Auto zu sparen. Die Nachbarin hat einen Wagen, der etwas für mich wäre. Sie fährt einen Chevrolet Matiz. Zehntausend Euro kostet der nur. Ich schaue meine Mutter fragend an. “Und wie bitteschön soll ich so viel Geld zusammen kriegen? Ich bin arbeitslos und Du glaubst doch nicht, dass ich in diesem Leben nochmal arbeiten werde.” – “Doch. Dachte ich schon.” – “Wenn ich mal einen Job bekomme, dann höchstens als Helfer und sehr schlecht bezahlt, da werde ich sicher nichts sparen können.” Nun habe ich meiner Mutter auch noch die Hoffnung genommen, dass ihr Sohn irgendwann kein peinlicher Arbeitsloser mehr sein wird. Tut mir leid, aber die Realität ist manchmal schlecht zu ertragen. Auch für mich. Deshalb wechsle ich das Thema, sonst bekomme ich noch schlechte Laune. Ich muss gestehen, dass ich mir weder meinen Benz, noch meine Zähne leisten kann. Und der Gedanke, dass sich daran vermutlich nie etwas ändern wird, sondern dass ich wirklich irgendwann von meinem Benz und meinen Zähnen Abschied nehmen muss, lässt mich nicht gerade vor Freude durch den Raum schweben. Aber das ist nun einmal mein Weg. Also werde ich ihn tapfer so lange gehen, bis die erheblichen Mängel endgültig beseitigt sind. So oder so.

Die Beseitigung erheblicher Mängel
Am Freitagnachmittag ist mein Benz kein Mängelexemplar mehr. Für nur 120 Euro ist er wiederhergestellt worden und der TÜV hat seinen Segen erteilt. Was den Benz angeht, bin ich nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Von dem Benz muss ich mich jetzt noch nicht trennen.

Holz?
Am Samstag werden die Zahnschmerzen schlimmer und als ich am Nachmittag einen Blick auf das Zahnfleisch werfe, sieht das, was vorher wie eine kleine Eiterbeule aussah, verändert aus. Wie ein Knochen oder so. Ich nehme mir eine Pinzette und ziehe an dem Teil. Es lässt sich recht einfach aus dem Zahnfleisch herausziehen. Kaum ist es entfernt, blutet das Zahnfleisch. Ich spüle den Mund mit Teebaumöl und betrachte das Teil, welches ich aus dem Zahnfleisch zog. Es ist etwa einen halben Zentimeter lang, stinkt bestialisch und ist blutig. Ich wasche es ab und erkenne etwas, was wie ein Stück Holz aussieht. Wieso wächst Holz aus meinem Zahnfleisch? Wer hat das da eingebaut und warum? Was hat das zu bedeuten und habe ich noch mehr davon in mir? Wächst in meinem Zahnfleisch vielleicht ein Baum? Ich sollte mich am Montag mit meinem Zahnarzt über dieses Holz unterhalten.

Bereits um 08.00 Uhr geht es am Montag mit einem Zahnarztbesuch los. Ich möchte den Zahnarzt zu dem Fremdkörper in meinem Zahn befragen. Vielleicht hat er eine Idee dazu. Kaum schildere ich das Problem, hat der Zahnarzt eine Idee. Es ist ein Dorn, welchen der verhaltensauffällige Zahnarzt benutzt hat, um meine Füllung zu machen. Den hat er wohl tief ins Zahnfleisch gebohrt und einfach vergessen. Unfähiger geht es kaum. Mein Zahnfleisch regeneriert sich nun und der Geruch ist auch fast verschwunden. Bevor ich mich verabschiede, sage ich meinem Zahnarzt, in Anwesenheit einer Praktikantin, dass an meine Zähne nie wieder ein Praktikant oder eine Praktikantin kommt. Er ist einverstanden und zum Abschied bekomme ich die Rechnung für die beiden Kunststofffüllungen. 128 Euro. Das ist langsam echt zu viel für einen Dauerarbeitslosen wie mich.

Augendruckkontrolle
Kaum habe ich mich zu meinem Termin angemeldet, fragt mich die Dame im Vorzimmer, ob ich Augentropfen brauche. Da ich mir alle drei Monate die Tropfen verschreiben lasse, sage ich ja und bekomme Latanoprost aufgeschrieben. Ich komme mir schon ein wenig wie ein Betrüger vor, möchte aber niemandem die Illusion rauben, dass die Tropfen mir gut tun und helfen. Zu meiner Überraschung ist heute die sympathische Augenärztin da. Sie misst den Augendruck. Auf beiden Seiten 12. So gut wie noch nie. Da sie schon damals keine Tropfen aufschreiben wollte, sagt sie nicht, dass das Latanoprost für diese guten Werte verantwortlich ist. Hätte ich nur damals diesen Lasereingriff nicht vornehmen lassen, dann könnte ich noch Kontaktlinsen tragen und mein linkes Auge wäre nicht ruiniert. Ach, könnte ich doch nur durch die Zeit reisen und dafür sorgen, dass nichts so wird, wie es geworden ist.

Bioresonanztherapie
Am Mittwoch ist der nächste Termin, der meine Gesundheit fördern und unterstützen soll. Bioresonanztherapie. Weil bisher keine Veränderungen meiner Blähsucht erkennbar sind, erweitern wir das Programm. Ich spucke auf einen Tupfer und hole mit einem Wattestäbchen ein wenig Schmalz aus meinen Ohren. Tupfer und Wattestäbchen kommen in eine Röhre und werden mit dem Bioresonanzgerät verbunden. Anschließend lege ich mich auf die Matte, die sonst auf meinem Bauch liegt. Auf meinen Bauch kommt eine andere Matte. Alles sehr mysteriös. Ich komme mir vor wie in einem Mystery-Thriller oder in einer Doku über Sekten und deren Heilmethoden. Vor einigen Jahren habe ich so etwas belächelt, heute probiere ich es aus und bezahle auch noch dafür. Ein weiterer Beweis dafür, dass ich mich wohl doch weiterentwickle. Nur wohin? Nach der ganzen Zauberei bekomme ich die Rechnung für den Monat Mai. 100 Euro. Der sogenannte Wonnemonat Mai ist bisher der teuerste Monat des Jahres und ich lebe absolut über meine Verhältnisse. Aber was soll’s, wenn es sich jemand leisten kann, dann doch wohl ich. Oder? Das waren meine Gesundheitstermine für diese Woche. Kostenpunkt: 268 Euro. So geht das Leben.

Ein Verlorener namens Karl
Er ist 53 Jahre und die wenigen Zähne, die er noch hat, sind in einem desolaten Zustand. Seine Haare sollten mal wieder zum Friseur. Manchmal riecht er streng, heute zum Glück nicht. Sein Schnurrbart ist alles andere als gepflegt. Wir kennen uns seit mindestens dreißig Jahren und er war schon immer etwas zurück in seiner Entwicklung. Doch früher war es noch nicht ganz so schlimm, da kümmerte sich seine Mutter noch um ihn und er hatte nicht so merkwürdige und kaputte Freunde. Auch trank er damals noch nicht und seine Zähne befanden sich in ordnungsgemäßem Zustand in seinem Mund. Doch das ist lange her. Mir kommt es vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. Wie es ihm wohl vorkommt? Soll ich ihn fragen? Besser nicht.
Alle paar Wochen passiert es, dass er mich in ein Gespräch verwickelt und es gab Zeiten, da war es mir äußerst peinlich. Mittlerweile macht es mir nichts mehr aus. Die Gespräche interessieren mich zwar nicht, aber ich denke, dass es ihm ganz gut tut, wenn sich mal jemand mit ihm unterhält. Außerdem kennen wir uns schon so lange und ich habe ihn sogar mal besucht, als er noch nicht in diesem desolaten Zustand war. Dennoch war es irgendwie gruselig. Es muss etwa zwanzig Jahre her sein, dass ich ihn besuchte. Damals war er noch nicht ganz so merkwürdig, aber ähnlich schlicht in seinem Kopf. Und so ließ ich mich von seinem Betteln, ihn doch mal zu besuchen, erweichen. Wir saßen in seinem Zimmer, plauderten belanglos daher und während des Gesprächs bekam ich mehr und mehr den Verdacht, dass Karl sich sexuell eher zu Männern hingezogen fühlt, was sich mittlerweile längst bestätigt hat. Damals war das neu für mich, aber irgendwie passte es auch, denn selbst in seinem damaligen Zustand konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Frauen für ihn interessieren. Wobei ich mir auch nicht vorstellen konnte, dass ein Mann, der nicht ebenso merkwürdig wie Karl selbst ist, Gefallen an ihm finden könnte. Lediglich Menschen, die ebenfalls in ihrer Entwicklung weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, kamen meiner Meinung nach als Partner für Karl in Frage. Während er von seinen Erlebnissen berichtete, war ich gedanklich ganz woanders. Ich versuchte mir tatsächlich vorzustellen, was für Frauen und Männer das wohl waren, von denen er sprach. In meiner Vorstellung waren es ziemlich merkwürdige Gestalten und ich fragte mich, was ich hier eigentlich machte. Die Welt in der Karl und die Leute von denen er mir erzählte lebten, war mir nicht nur fremd, sie kennenzulernen erschien mir auch alles andere als erstrebenswert. Egal, wie viele Orgien sie auch feiern würden. Langsam kehrte ich aus meiner Gedankenwelt zurück und fragte mich, wie lange ich noch bleiben muss, damit meine Entscheidung zu gehen nicht unhöflich ist und ihn verletzt. Er sollte ja nicht merken, dass ich der Meinung war, dass irgendwas mit ihm ganz und gar nicht stimmt. Und damit meinte ich nicht, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Eher seinen komischen Allgemeinzustand. Als er wenig später eine leicht homoerotisch angehauchte Geschichte erzählte, war ich zwar nicht wirklich überrascht, wollte aber keine weiteren Details über seinen Kontakt zum männlichen Geschlecht und beschloss zu gehen. Dass ich ihn nicht noch einmal besuchen würde, stand indes schon vor der Geschichte mit dem berührten Geschlechtsteil eines anderen Mannes fest. Zu gering war mein Interesse an seinen komischen Geschichten, zu verschieden unsere Leben. Er suchte Freunde, ich wollte kein Freund werden. Weder auf die eine, noch die andere Art.
Im Gegensatz zu mir, weiß er bis heute nicht, dass ich ihn nie wieder besuchen werde. Und so lädt er mich immer wieder zu sich ein. Wie auch jetzt. Und wie immer erkläre ich ihm, dass ich keine Zeit habe, trainieren muss und ständig zu tun habe. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass er in einer anderen Welt lebt und ich diese nicht betreten möchte. Ich möchte nicht, dass er weint. Sein Weinen ist nämlich beängstigend. Er schluchzt und scheint vollkommen außer sich, wenn er weint. Ich habe bisher nie mit Sicherheit sagen können, ob diese Anfälle komplett gespielt sind oder echte Emotionen widerspiegeln. Nachdem seine Mutter starb, brach er oft in dieses Schluchzen aus, was mir immer unangenehm war, weil ich damit so gar nichts anfangen kann. Und ebenso heftig und schnell, wie es ihn überkam, verschwand es wieder. Und genau das ist es, was ich nie verstand. Gespielt oder nicht gespielt? Ich weiß es nicht, möchte es aber auch nicht mehr erleben. Also bin ich nett zu ihm, ignoriere alle seine verzweifelten Einladungen und verhalte mich meiner Meinung nach angemessen. Mehr kann ich nicht für ihn tun. Ich will gerade gehen, da weist er mich darauf hin, dass ich im August Geburtstag habe, und dass er das von meiner Mutter weiß. Ich habe da so meine Zweifel, da ich bisher nie im August Geburtstag hatte und davon ausgehe, dass auch meine Mutter das weiß. Selbstverständlich widerspreche ich ihm nicht. Die Illusion, meinen Geburtstag zu kennen, möchte ich ihm nicht rauben. Sein Geburtstag ist auch bald. Dann wird er 54. “54!”, ruft er es fast theatralisch heraus und macht eine Geste mit den Händen, die ich nicht verstehe. “Ich könnte Dein Vater sein.”, sagt er ganz aufgeregt. Ich finde das etwas unwahrscheinlich, ist er doch nur elf Jahre älter als ich. Doch darauf hinweisen möchte ich ihn nicht, weil ich fürchte, dass dann eine Welt für ihn zusammenbricht. Weil er so fasziniert von der Vorstellung ist, er könnte mein Vater sein und mich immer als jung bezeichnet, frage ich ihn, wie alt ich denn bin. “Mitte 30”, sagt er sehr überzeugt. Dann kann er tatsächlich mein Vater sein. So habe ich das bisher nicht gesehen. Als er mich erneut anbettelt, ihn doch mal zu besuchen, verabschiede ich mich unverzüglich, mache mich auf den Weg und lasse ihn in seiner speziellen Welt zurück.

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