November 2011

02. November 2011
Weil mir langweilig ist, schaue ich durchs Schlüsselloch, um einen Blick auf die Alleinerziehenden, die nebenan etwas kochen, zu werfen. Ich entdecke eine neue Teilnehmerin. Gute Figur, gute Frisur. Ich bin ganz angetan und durchaus interessiert. Und so ist es wenig verwunderlich, dass ich nicht nur einmal durchs Schlüsselloch gucke. Normal kann ich echt nicht sein. Die Bürgerarbeiterin sagt, dass sie, als ich Urlaub hatte, auch durchs Schlüsselloch geschaut hat, weil ihr langweilig war. Ich weiß nicht, ob es dadurch besser wird, dass sie so etwas auch macht.
Am Nachmittag kommt eine Kundin zu ihrem Termin. Aber nicht allein. Eine Freundin oder Bekannte begleitet sie und übernimmt auch das Reden. Wir nennen sie Lilly und Tilly. Lilly, die den Termin hat, hat natürlich weder Lebenslauf noch Foto. Ihr Gehirn scheint obendrein mechanisch zu funktionieren, denn ihre Art zu kommunizieren, bzw. nicht zu kommunizieren, lässt keinen anderen Schluss zu. Tilly sorgt dafür, dass wir einen neuen Termin ausmachen. Lilly scheint selbst das zu überfordern. Ist echt scheiße, wenn man ein mechanisches Gehirn hat und der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig ist.


03. November 2011
Sicherheitsunterweisung. Eine Frau ist extra aus Warendorf angereist, um teilzunehmen. Die Sicherheitsbeauftragte liest 16 DIN A3 Seiten vor. Ich höre sie nicht, schaue mir eine Teilnehmerin, Typ Rene Russo, an. Sie ist wirklich gelungen. Tolle Hände, tolle Haare, schöne Haut, etwa 1,75m – 1,80m groß, schlank mit flachem Bauch. Entzückende Figur. Ich würde sie mir gerne mal gönnen.Werde ich aber natürlich nicht. Nach zweiundzwanzig Minuten endet die Sicherheitsunterweisung bzw. das vorlesen und alle sind so schlau wie eh und je. Ich bin froh, dass ich nicht aus Warendorf angereist bin, um mir diese Sicherheitsunterweisung vorlesen zu lassen.
Wieder einmal geht die Tür in Zeitlupe auf. Der Ehrengast. Er möchte telefonieren, weil er zwar ein Handy hat, damit aber aus Gründen, die nur er kennt, nicht telefonieren kann. Weil er auch nicht mehr weiß bei welchem Arzt er den Termin hat, ruft er einfach alle Neurologen in Dortmund an. Er muss sehr verwirrt sein. Nur gut, dass er das nicht wahrnimmt und glaubt, es sei alles in Ordnung. Natürlich ist man in den Arztpraxen etwas verwirrt, als er dort anruft und fragt, wann er einen Termin hat. Denn die meisten haben noch nie von ihm gehört. Und so sitzt er mir gegenüber mit seinem dunkelgrauen Kaputzenpulli und dem verwirrten Blick und telefoniert und telefoniert. Amüsiert und ungläubig beobachte ich das Schauspiel. Er riecht muffig. Während er noch sitzt und telefoniert kommt Eulalia zur Tür herein. Zeit den Ehrengast zu verabschieden und einmal kräftig durchzulüften. Eulalia braucht heute nur eine Bewerbung. Das bedeutet aber nicht, dass sie schnell wieder weg ist. Vierzig Minuten dauert ihr Aufenthalt. Sie ist verwirrt wie immer und hat viel zu erzählen. Kaum ist sie aus dem Büro, steht die Marokkanerin, die mit mir Kaffee trinken wollte, in meinem Büro. Ich will noch immer keinen Kaffee mit ihr trinken. Sie nur eine Bewerbung. Vorher fragt sie aber noch, wie es mir geht. Als höflicher Mensch frage ich sie natürlich auch, wie es ihr geht. Uns geht es beiden gut. Genug Konversation der privaten Art. Wir wollen schließlich keine Freunde werden. Sie guckt mich ab und zu an, als würde sie irgendwas erwarten, aber da es von mir nix zu erwarten gibt, kann sie sich das sparen. Wenig später verabschiedet sie sich und verlässt das Büro. Der Ehrengast kehrt zurück. Er möchte noch ein paar Neurologen anrufen. Einem spricht er aufs Band, dass er einen Rückruf erwartet. Mittlerweile sind zwei Stunden seit seiner Ankunft vergangen. Er fühlt sich scheinbar wohl und sieht es als Selbstverständlichkeit, dass er hier kostenlos telefonieren darf. Vielleicht sollte ich ihn einschläfern. Er quatscht zwei weitere Anrufbeantworter voll und sein Geruch umströmt meine Nase und ich habe keine Ahnung, was für eine Situation das hier sein soll. Irgendwas Krankes. Bevor er geht, erzählt er noch von Griechenland. Die machen nämlich, seit sie Fußball Europameister geworden sind, nur noch Schulden. Endlich ist das Geheimnis der Schuldenkrise gelöst. Ich bin ihm sehr dankbar für diese Information. Noch dankbarer bin ich, als er endlich geht.
Der letzte Kunde des Tages ist etwas unfähig. Dafür hat er eine recht hübsche Freundin, die sich um alles kümmert und ihm immer sagt, was er zu tun hat. Er ist 29 Jahre, fast zwei Meter groß und irgendwie fahrig und unbeholfen. Seine Freundin könnte ich mir sehr gut in meinem Bett vorstellen. Nicht auf Dauer, aber für den kleinen Hunger zwischendurch. So könnte sie auch mal entspannen. Ihren Freund könnte sie ja so lange irgendwo abgeben oder zu Hause einsperren. Er könnte in der Zeit seine Bewerbungsunterlagen ordnen. Ob ich ihr das vorschlagen soll?


04. November 2011
Telefonisch kündigt sich die Stadtplanfrau an. Heute will sie ein paar Leute mitbringen und fragt, ob ich eine Rede halten mag, wenn sie hier eintreffen. Möchte ich nicht. Ich beantworte gerne Fragen, damit ist es auch genug. Während ich mich auf die Ankunft vorbereite, was bei mir so aussieht, dass ich entsetzt die Tür anstarre, geht plötzlich und unerwartet eben diese Tür auf. Ganz langsam. Es gibt nur einen, der die Tür so öffnet. Der Ehrengast. Langsam streckt er seinen Kopf zur Tür herein. Ich erwache aus meiner Starre. Heute möchte er, dass ich ihm die Adressen der Neurologen, die er gestern angerufen hat, raussuche und ausdrucke. Telefonieren möchte er auch, was ich ihm aber untersage. Ich bin schließlich nicht der Vorsitzende einer Telefonzelle. Nachdem ich ihm die Adressen ausgedruckt habe, darf er wieder gehen. Sein Geruch bleibt allerdings noch eine Weile hier. Zeit den Raum mit “Aqua Touch” einzusprühen.
Um 11.32 Uhr kommt die Stadtplanfrau mit ihren sieben Zwergen ins Büro. Die sieben Zwerge haben allesamt Übergewicht und sind größer als gewöhnliche Zwerge. Die jüngste Zwergin möchte einen Job, bei dem sie sitzen kann und sich nicht bewegen muss. Genau so sieht sie aus. Die sieben dicken Zwerge stehen nebeneinander in einer Reihe und gucken mich an. Ich weiß nicht, wozu das gut ist. Die Stadtplanfrau redet wirres Zeug und ich habe keine Ahnung, was sie von mir will und was genau ihr Job ist. Die Zwerge waren heute Morgen bei der DASA. Ich fand es bei der DASA langweilig. Und natürlich sage ich das auch. Die Stadtplanfrau scheint das gar nicht gut zu finden und schaut mich irritiert an. Ich glaube, sie ist oft irritiert. Weil der Kurs, oder was auch immer das ist, in drei Wochen endet und sie danach eine weitere Gruppe Zwerge zu betreuen hat, kündigt sie einen weiteren Besuch mit der neuen Truppe an. Da freue ich mich schon sehr drauf. Nach zehn Minuten nimmt sie sich ein paar Broschüren und verabschiedet sich. Die sieben Zwerge folgen ihr.


Verwirrt am Samstag
Am Samstag fahren Manni und ich nach Lünen ins Extrablatt, um dort etwas zu trinken. Da die Geschäfte heutzutage bis spät in die Nacht aufhaben, gehen wir vorher noch bei Saturn ein paar Fernseher begutachten. Nachdem wir genug Fernseher gesehen und beschlossen haben, dass wir größere Fernseher brauchen, gehen wir rüber ins Extrablatt. Es sind erstaunlich viele junge Menschen hier. Für einen Moment kommen wir uns einfach nur alt vor. Dann stellen wir fest, dass wir alt sind und stellen uns vor, wie es wäre, wenn wir zwanzig Jahre jünger wären. In unserer Vorstellung sind wir genauso blöd wie eh und je und kriegen nichts auf die Reihe. Wir beschließen, uns heute nicht mehr vorzustellen, dass wir zwanzig Jahre jünger sind. Bringt ja nichts. So unterhalten wir uns über unsere Karrieren, die wir nicht gemacht haben und wohl auch nicht mehr machen werden. Manni erzählt, was er von dem Lottogewinn, den er noch nicht hat, machen würde und ich bin zu verwirrt, um zu wissen, was ich mit einem Lottogewinn machen würde. Ich spiele auch gar kein Lotto. Wir stellen fest, dass unsere Leben anders verlaufen sind als wir es uns vorgestellt haben. Wir wissen allerdings nicht, wie wir uns unsere Leben vorgestellt haben. Auf jeden Fall besser. Ich bestelle mir einen Pfefferminztee. Vom Tee werde ich müde. Wir sitzen noch eine Weile da und unterhalten uns über mehr oder weniger unsinnige Sachen, lachen viel und verabschieden uns dann.
Auf dem Weg nach Hause bereue ich, heute Morgen keine Bananen gekauft zu haben. Eine Banane würde den Abend perfekt abrunden. Es ist neblig und auf den Straßen nicht viel los. Ich setze Manni zu Hause ab und bringe meinen Wagen in die Garage. Normalerweise mache ich so etwas ja nicht, wenn ich nachts nach Hause komme, doch heute möchte ich nicht, dass mein Wagen draußen stehen muss. Es ist einfach zu kalt dafür. Nachdem die Garage verschlossen ist, gehe ich nach Hause. Ich bin sehr müde und könnte so einschlafen. Zu Hause angekommen, putze ich mir die Zähne, schlüpfe in meinen Pyjama und begebe mich ins Schlafzimmer, um meinen wohlverdienten Schlaf anzutreten. Ich lege mich ins Bett und werfe einen letzten Blick auf die Uhr, bevor ich das Licht lösche. Es ist 20.41 Uhr. Das ist jetzt echt blöd. Ich gehe doch seit Jahren nicht mehr so früh ins Bett, wenn ich nicht krank bin. Bevor ich mich an die angenehme Wärme des Bettes gewöhne, klettere ich wieder hinaus, weil ich doch jetzt noch nicht schlafen kann. Ich gehe ins Wohnzimmer, zünde drei Kerzen an, schalte den Fernseher und die Playstation ein und lege einen Film ein. Black Swan. Ich verstehe den Film nicht wirklich. Muss am Alter liegen. Zeit ins Bett zu gehen. Es war ein aufregender Abend. Und verwirrend. In Zukunft sollte ich nicht mehr schon um 17.00 Uhr ausgehen. Das bringt mich einfach zu sehr durcheinander.


07. November 2011
Der letzte Kunde des Tages ist ein 36 jähriger Libanese, der seit 1990 in Deutschland ist, aber erst jetzt die Erlaubnis hat, hier zu arbeiten. So ganz verstehe ich das zwar nicht, doch er ist sehr erfreut, dass er sich nun endlich einen richtigen Job suchen kann. Seit er in Deutschland ist, hat er erst ganz viele Maßnahmen gemacht und dann jahrelang diverse 1€-Jobs. Sein Lebenslauf klingt noch frustrierender als meiner. Während die Bürgerarbeiterin ein paar Kopien für den Mann macht, erstelle ich seinen Lebenslauf. Plötzlich fragt er nach meinem Namen. Nachdem ich ihm meinen Namen gesagt habe, hält er mir die Hand hin und sagt:”Herr F., ich freue mich Sie kennenzulernen.” Ich bin irritiert und ratlos. Mehr als “Ich mich auch.” kann ich nicht sagen. Diese Freundlichkeit hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Warum freut sich jemand mich kennenzulernen? Ich kann mich an die meisten Besucher, sobald sie mein Büro verlassen haben, nicht erinnern. Und er freut sich, mich kennenzulernen. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Nachdem die Bewerbungsunterlagen komplett sind, ist der Mann mit dem Ergebnis zufrieden. Ich finde zufriedene Kunden toll, kann aber nicht wirklich etwas damit anfangen. Ich finde es einfach nur schade, dass der Mann, trotz der schönen Bewerbungsunterlagen, nicht wirklich eine Chance auf einen guten Job hat. Und so weiß ich nicht, ob ich mich jetzt freuen oder deprimiert sein soll. Ich entscheide mich dafür, deprimiert zu sein. Damit kenne ich mich einfach besser aus. Zum Schluss erkläre ich ihm noch, wie man die Unterlagen in der Bewerbungsmappe anordnet. Als ich ihm sage, dass das Anschreiben auf die Mappe kommt, ist er irritiert. “Aber dann fällt das ja runter.” – “Nein. Sie packen die Sachen ja in einen Umschlag. Dann fällt da nix runter.” Sichtlich erleichtert vernimmt er meine Worte und entspannt sich. Es ist echt niedlich, aber auch erschreckend, was manche Leute für merkwürdige Vorstellungen haben.


08. November 2011
Gegen 10.26 Uhr geht die Tür im Zeitlupentempo einen Spalt auf und wieder zu. Das wird doch nicht der Ehrengast sein. Eine Minute später geht die Tür wieder auf und der Kapuzenkopf des Ehrengastes schaut durch den Türspalt. Als der ganze Ehrengast durch die Tür ist, fragt er, ob ich heute mehr Zeit habe. Ich frage ihn wofür. Er möchte, dass ich einen anonymen Brief an die ARGE schreibe, um einen Mann zu denunzieren, der angeblich ständig zu viel Geld von der ARGE bekommt. Angeblich hat der Mann sogar einen Plasmafernseher von der ARGE bekommen. Ich sage dem Ehrengast, dass das alles Blödsinn ist und ich keine solchen Briefe schreibe. Das ist nicht mein Job. Sichtlich enttäuscht versucht er mir nochmal zu erklären, dass er es beweisen kann. Ich sage ihm, dass er mir die Beweise auf den Tisch legen soll. Kann er nicht. Also kann ich nicht schreiben. Sichtlich enttäuscht zieht er davon. Die Kapuze seiner blauen Kapuzenjacke behält er auf seinem Kopf und seinen Rucksack auf dem Rücken. Seine blaue Jeans hängt wieder bis fast zu den Knien runter. Er gibt ein sehr skurriles Bild ab, wie er so über den Parkplatz geht.
Am Nachmittag ist die nächste Teamsitzung. Mir gegenüber sitzt die Mitarbeiterin aus Kamen. Sie trägt einen perfekt anliegenden Pulli und ich kann gar nicht aufhören hinzugucken. Leider passt das meiner Meinung nach immer noch nicht zusammen. Der Körper sieht nach mehr aus, aber die Mitarbeiterin lässt auch weiter jeglichen Elan fehlen, sodass ich mir absolut nicht vorstellen kann, dass sie einem im Bett Freude bereitet. Schade, wirklich sehr schade. Die Chefin ist von der Idee begeistert, dass wir alle nach Düsseldorf zu irgendeinem Treffen fahren. Ich schätze, sie hat schlechten Tee getrunken oder nimmt irgendwelche merkwürdigen Substanzen ein.


09. November 2011
Der erste Kunde hat eine Glatze und zwei Passfotos dabei. Auf einem der Fotos hat er einen Bart. Dieses Foto will er später benutzen, wenn er einen türkischen Namen, den er sich kaufen will, hat. Das möchte er machen, weil die Ausländer hier im Land bevorzugt werden. Ich äußere mich nicht zu seinen Äußerungen. Neben seinen Haaren fehlen ihm auch zwei Zähne. Einer im Oberkiefer, einer im Unterkiefer. Sieht Scheiße aus. Außerdem riecht er etwas muffig und abgestanden. Der kriegt bestimmt schwer einen Job und noch schwerer eine Frau. Aber das soll nicht mein Problem sein. Kaum ist er weg, steht eine dicke Frau in meinem Büro. Sie riecht noch ein wenig strenger als der Glatzkopf. Ich schreibe ihr ganz schnell eine Bewerbung. Sie schaut nicht einmal auf die Bewerbung. Es scheint sie nicht zu interessieren, was ich schreibe. Als sie das Büro verlassen hat, fordere ich die Bürgerarbeiterin auf, die Fenster zu öffnen. Die Luft ist hier mittlerweile mehr als schlecht. Ein paar Minuten später steht Sophie vor meiner Tür. Mit Sophie hatte ich mich im Sommer auf eine Fanta getroffen. Mit ihr hatte ich das kürzeste Date meines Lebens. Und jetzt möchte sie einen Termin, um sich Bewerbungen schreiben zu lassen. Wie klein die Welt doch ist.


10. November 2011
Wie erwartet erscheint Sophia am nächsten Tag nicht zu ihrem Termin. Ich vermute, dass es ihr peinlich ist. Kann ich gut verstehen.
Um 14.35 Uhr geht die Tür in Zeitlupe auf. Der Ehrengast. Er hat ein weiteres Problem mit E-Plus. Sein neues iPhone 4 war von Anfang an kaputt, weshalb er es zurückgeschickt hat. Das versprochene Leihgerät hat er nicht erhalten. Leider kann ich seinen Ausführungen dazu nicht wirklich folgen. Irgendwelche Leute aus dem Handyshop haben sich geweigert, ihm ein Ersatzhandy zu geben, weil er schon so viele Geräte hat. Ich bin verwirrt und sage ihm, dass er einfach seinen monatlichen Grundbetrag einbehalten soll. Das schreibe ich für ihn auch an E-Plus. Wirklich verstehen kann ich all die Zusammenhänge dennoch nicht. Der Ehrengast sollte nicht auf die Menschheit losgelassen werden. Er ist einfach noch nicht so weit. Seine Kapuzenjacke erscheint mir etwas zu dünn für diese Jahreszeit. Mir fällt auf, dass einer seiner Vorderzähne im Oberkiefer fehlt. Ob der Zahn schon länger fehlt, weiß ich nicht. Aufgefallen ist es mir vorher jedenfalls noch nie. Vielleicht wurde er ihm kürzlich von jemandem, den er mit seinen Briefen terrorisiert hat, ausgeschlagen. Noch Minuten nachdem er gegangen ist, riecht das Büro nach ihm. Trotz geöffneter Fenster. Ekelig.


11. November 2011
Heute bringt die Stadtplanfrau vier arbeitslose Zwerge mit. Diese Zwerge, oder wenigstens einer von ihnen, riechen wie eine Mischung aus Urin, ranzigem Fett und Schweiß. Die Maßnahme nennt sich übrigens Mobilitätstraining. Täglich von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr sitzen diese hoffnungslosen Fälle beisammen und werden von der Stadtplanfrau vollgequatscht oder zu regelmäßigen Wanderungen animiert. Wanderungen machen mobil. Mars macht auch mobil, aber Mars bekommen die Teilnehmer nicht. Nach einer Weile ist der Raum von üblem Geruch gefüllt und die Leute verabschieden sich von uns. Alle bis auf einen. Dieser möchte noch eine Frage zu seinem Arbeitslosengeld stellen. Obwohl ich keine Ahnung habe, beantworte ich die Frage sehr überzeugend. Ich sollte so etwas nicht tun. Allerdings sollte ich so vieles nicht.
Der letzte Besucher des Tages ist die Frau, die mal ein Mann war. Heute trägt sie weiße Stiefeletten. Sieht scheiße aus. Noch beschissener ist ihre Frisur. Angeklatsche, verklebte, dünne blonde Haare. Das ist etwa so erotisch wie das blutige Fell einer toten Ratte. Da muss er, nein sie, unbedingt etwas gegen unternehmen.


Willkommen bei Penny
Die Pfandrückgabeautomaten bei Penny sind nicht jedermanns Geschmack. Zumindest nicht im Penny-Markt direkt vor meiner Haustür. Als ich dort ankomme, ist mal wieder einer der Automaten ausgefallen, vor dem anderen verzweifelt ein Mützenträger. Ich stelle mich hinter ihm an, um ihn bei seinen verzweifelten Versuchen, die Flaschen loszuwerden, zu beobachten. Er steckt eine Flasche in den Automaten. Der Automat müht sich redlich, doch die Flasche will er nicht. Der Mützenmann zieht die Flasche heraus und steckt sie dann wieder rein. Der Automat will nicht. So geht es eine Weile hin und her. Ich werde langsam ungeduldig und überlege, ob ich nicht besser mit meinen Flaschen ein anderes Mal wiederkomme, entscheide mich aber zu bleiben. Der Mützenmann dreht sich nun um und versucht zu kommunizieren. Er sagt, dass der Automat furchtbar ist und ihn wahnsinnig macht. “Ich weiß.” Mehr Kommunikation ist nicht drin. Er betrachtet den Automaten und die Flasche in seiner Hand. Als er sie wieder in den Automaten schieben will, sage ich. “Steck die Flasche andersrum rein.” Er ist nun völlig irritiert, schaut die Flasche an, will sie wieder wie bisher in den Automaten stecken, entscheidet sich kurz vor der Klappe aber anders. Der Automat lässt sich Zeit. Der Mützenmann wirbelt mit der zweiten Flasche vor der Klappe rum und will mir gerade klar machen, dass es auch andersherum nicht geht, als die Klappe sich öffnet und die Flasche verschwunden ist. Er wirft die letzte Flasche nach und auch diese wird angenommen. War das wirklich so schwer? Er nimmt seinen Bon und wünscht mir noch viel Spaß mit dem Automaten. “Danke. Werde ich haben.” Ich stecke die erste Flasche in den Automaten, er nimmt sie problemlos an. Hinter mir höre ich ein bellen und frage mich, wer seinen Hund mit in den Laden nimmt. Niemand. Das Bellen kommt von einer Frau, die eben den Laden betreten hat. Es ist vermutlich ihre Art, Hallo zu sagen. Ich stecke die nächsten Flaschen in den Automaten. Kein Problem.
Im Laden steht die Frau, die aussieht wie ein verfilzter Straßenköter und bellt das Obst an. Warum nicht? Hier sind eh fast alle verrückt. Vor dem Pfandautomaten steht ratlos die Frau, die nach mir ihre Flaschen in den Automaten stecken wollte. Die Klappe des Automaten ist verschlossen. Sie hat ihn wohl kaputt gemacht. Mich wundert es nicht. Menschen, die zu blöd sind Flaschen in einen Automaten zu stecken und verfilzte Straßenköterfrauen, die bellend durch den Laden gehen, sind hier bei Penny keine Ausnahmefälle, denn hier ist das Paradies der Blöden, der Nutzlosen, der Verrückten, der Stinkenden und Bellenden. Hier trifft sich regelmäßig die Unterschicht, der Mob. Menschen, die nicht lebensfähig sind und solche, die es vielleicht mal waren. Hier bin ich zu Haus. Willkommen bei Penny.


14. November 2011
Die alleinerziehenden Pflegefälle, die im Nebenraum Unterricht haben, bzw. dort ihre Zeit verbringen, sind echt nervig. Sie machen einen derartigen Lärm, dass ich teilweise meine Anrufer nicht verstehen kann. Besonders die Frau mit der furchtbaren Stimme sorgt immer wieder für einen Lärmpegel gegen den ein startendes Flugzeug kaum ankommen kann. Ich verspüre mit jedem Tag ein größeres Bedürfnis ihr den Kopf abzuschlagen. Manchmal, wenn ihre Stimme durch das Gebäude dringt, glaube ich, dass sie eine Hexe ist. Hat man Hexen früher nicht verbrannt? Wäre vermutlich das Beste für sie und all diejenigen, die unter ihrer Stimme leiden. Ich weiß auch nicht, wozu die anderen Alleinerziehenden gut sind. Ständig müssen sie darüber reden, wie man einkauft und wie man seinen Tag am sinnvollsten gestaltet. Doch die meiste Zeit brüllen diese Degenerierten nur wild durcheinander. Nicht Lebensfähig. So Menschen sollten sich niemals vermehren. Da sollte der Staat regulierend eingreifen. Erst als sie eine Dokumentation über Mohamed Atta, Al Qaida und den Anschlag aufs WTC gucken geben sie vorübergehend Ruhe.
Die nächste Kundin ist Lilly. Heute ohne Tilly, aber wieder mit mechanischem Gehirn. Drei Jahre hat sie an einem Deutschkurs teilgenommen. Viel gebracht hat ihr das nicht. Eigentlich haben wir in diesem Land keine Verwendung für sie. Aber wir bringen hier ja fast jeden durch, da müssen wir bei Lilly keine Ausnahme machen. Ich schreibe ihren Lebenslauf. Eine Bewerbung möchte sie nicht. Umso besser, so kann ich mich schneller um den nächsten Kunden, der ohne Termin, aber mit scheußlichen Bewerbungsunterlagen zu mir gekommen ist, kümmern. Er stinkt nach altem Tabak und furchtbarem Parfum. Eine widerliche Mischung. Weil er keinen Termin hat, bekommt er nur eine Light Version eines anständigen Lebenslaufs. Während ich an seinen Unterlagen arbeite, öffnet die Bürgerarbeiterin das Fenster. Der üble Geruch unseres Gastes ist mittlerweile wohl auch zu ihr vorgedrungen. Uns bleibt echt nix erspart. Willkommen in der stinkenden Hölle der Arbeitslosen und Gescheiterten.


15. November 2011
Um 14.50 Uhr kommt eine Frau ins Büro. Sie hatt ihren Sohn dabei. Warum müssen die Leute immer ihren Nachwuchs mitbringen? Diese kleinen Menschen nerven. Die Frau ist ein Jahr älter als ich, hat extra viel Parfum aufgelegt und trägt eine Bluse, die tief blicken lässt. Und ich blicke selbstverständlich tief. Der Anblick ist äußerst verführerisch. Mit ihren Brüsten würde ich mich gerne näher beschäftigen. Die Brüste machen einen prima Eindruck. Bei der Körbchengröße bin ich mir nicht sicher. Vermute ein B-Körbchen. Oder doch ein kleines C? Ich würde sie gerne auspacken, um damit zu spielen und zu testen, ob sie sich so gut anfühlen, wie ich es mir vorstelle. Leider macht die Kommunikation mit der Besitzerin der Brüste vieles, was die Brüste aufgebaut haben, wieder kaputt. Als sie es am Ende nicht einmal schafft die Kurzbewerbungen so zu knicken, dass sie in einen Umschlag passen, und mich fragt, ob ich das nicht für sie tun kann, ist der letzte Rest Erotik verflogen. Vermutlich sind ihre Brüste klüger als sie. Bevor sie geht, schafft sie es aber, wieder meine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie leckt nämlich an den Briefumschlägen, um diese zuzukleben. Und irgendwie macht mich das an und so schaue ich ganz genau dabei zu, wie sie an dem letzten Briefumschlag leckt. Dann schaue ich noch ein letztes Mal in ihren Ausschnitt und verabschiede mich von ihren Brüsten.


16. November 2011
Der Höhepunkt am Mittwoch ist eine kleine Maus, die sich nebenan in die Werkstatt verirrt hat. Ein Teilnehmer der Werkstattmaßnahme fängt sie mit einem Karton und ich schaue sie mir an. Süße Maus. Er bringt die Maus raus und den Rest des Tages passiert fast nichts mehr. Ob ich wirklich eine Erkältung bekomme, lässt sich auch noch nicht abschließend erklären.


17. November 2011
Um 10.20 Uhr erscheint die Bürgerarbeiterin zum Dienst. Sie hat mir drei Teile der “Reitenden Leichen” auf DVD mitgebracht. Ich finde es großartig, wie sie mich, seit sie hier angefangen hat, mit Filmen versorgt. Gegen 10.42 Uhr kommt der Kuchenmann auf einen Plausch vorbei. Er hat einen Marmorkuchen dabei, den er mir überreicht. Es ist der zweite Kuchen, den er mir mitbringt. Damit ist er ab sofort mein Lieblingskunde. Nachdem er gegangen ist, stellen die Bürgerarbeiterin und ich ein paar Büromöbel um. Wir sind gerade fertig, als die Tür im Zeitlupentempo aufgeht. Der Ehrengast. Er trägt seine blaue Kapuzenjacke. Er muss sicher frieren, wenn er durch die Welt wandert. E-Plus hat seine Kündigung nicht akzeptiert, weil er sie nicht unterschrieben hat. Ups, da hatte ich wohl vergessen, ihm zu sagen, dass man besser jeden Brief unterschreibt. Hört er heute zum ersten Mal. Armer Ehrengast. Er trägt mir weitere Probleme mit E-Plus vor. Ich kann ihm nicht wirklich folgen, schreibe aber trotzdem einen weiteren Brief, in dem ich um einen neuen Benutzernamen und eine neue PIN für den Ehrengast bitte. Seinen Geruch hat er in der Zwischenzeit ordentlich im Büro verteilt. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Spätestens nächsten Donnerstag erwarte ich seinen nächsten Besuch. Alles andere wäre nicht normal. Er ist gerade aus dem Büro, als der Pilzberater zur Tür reinkommt. Für den Pilzberater habe ich eine Überraschung. Heute schenke ich ihm ein Buch über Wälder und Pflanzen der Umgebung, welches ich vor einiger Zeit hier im Büro fand. Ich glaube, dass der Pilzberater sich darüber freut. Ich bin ein guter Mensch.


18. November 2011
Plötzlich und unerwartet steht der Glatzkopf, der später mal ein Türke sein will, in meinem Büro. Er braucht eine Bewerbung und erzählt, dass er nächstes Jahr genug Geld zusammen hat, um die türkische Staatsbürgerschaft zu kaufen. Vorher will er sich irgendwo in Dortmund eine türkische Frau suchen, die er dafür bezahlt, dass sie ihn heiratet oder dafür, dass sie vorgibt, ihn zu kennen oder was auch immer. Ich höre ihm nicht wirklich zu, sage ihm aber, dass er mich auf dem Laufenden halten soll. Er betont noch einmal, dass Ausländer hier im Land bevorzugt werden und dass dieses Land erbärmlich ist, wenn er, nachdem er ein Türke geworden ist, herausfindet, dass er als “Ausländer” bevorzugt behandelt wird. In seinem Kopf hat der Frust wohl auch Teile seines Gehirns zerstört. Bei ihm erscheint mir eine Lobotomie angebracht.


Café Bistro – Nächste Runde
Das Café Bistro gibt es schon seit vielen Jahren. In dieser Zeit haben immer mal wieder Mieter, die im gleichen Haus wohnen, versucht, etwas gegen den Lärm, der vom Café Bistro kommt, zu unternehmen. Doch das Café Bistro ist unbesiegbar. Einige Jahre versuchte die Mieterin, die direkt über dem Café wohnt, für Ruhe zu sorgen. Sie rief jeden Abend die Polizei. Gebracht hat ihr das nicht wirklich was. Sie wohnt mittlerweile in einem Seniorenwohnheim. Ihre Wohnung über dem Café Bistro ist seitdem unbewohnt. Eine Etage höher wohnte ein älteres Ehepaar. Auch die beiden versuchten es mit der Polizei. Das hat auch nicht zum Erfolg geführt. Irgendwann starb die Frau und der Mann zog weg. Ich versuchte es mit der Polizei und dem Ordnungsamt. Die Polizei sagte, ich solle mich nicht so anstellen und das Ordnungsamt sah keinen Grund, etwas zu unternehmen.
In der Etage über der leer stehenden Wohnung der Frau, die jetzt im Seniorenwohnheim wohnt, wechseln ständig die Mieter. Ob es immer mit dem Café Bistro zu tun hat, weiß ich nicht. Kürzlich zog eine ältere Frau in eine der Wohnungen ein. Ihr ist der Lärm vom Café Bistro ein Dorn im Auge. Die ganze Nacht muss sie das Stühlerücken und anderen Lärm ertragen. Wenn sie das schon stört, dann bin ich gespannt, wie sie sich freut, wenn im Frühjahr der Lärm vors Café Bistro verlegt wird. Sie will auf jeden Fall etwas unternehmen und dafür sorgen, dass das Café Bistro geschlossen wird. Ich wollte ihr gerade viel Glück wünschen, als sie folgenden Satz nachschiebt. “Wenn das nicht klappt, dann muss ich eben wieder umziehen.” Ich gebe ihr höchstens ein paar Monate, bis es soweit ist. Denn das Café Bistro gewinnt immer. Armes Deutschland.


21. November 2011
Im Nebenraum lärmen erneut die Alleinerziehenden, als wären sie alleine im Gebäude. Die Frau mit der Alptraumstimme sticht auch heute aus der Masse der Störenfriede heraus. Alleine für ihre Stimme müsste man sie lebendig begraben. Für ihre Blödheit müsste sie vorher noch ausgepeitscht werden. Bei dem Lärm kann ich nicht anständig arbeiten. Gesellschaftlicher Müll sollte gesondert aufbewahrt werden. Allerdings fernab jeglicher sonstiger Zivilisation.
Gegen halb zwei fliegen tausende Wildgänse über das Büro hinweg. Der emotionale Höhepunkt des Tages.


22. November 2011
Im Büro huste ich fröhlich vor mich hin und bin nicht in der Lage zu kommunizieren, was aber keine Überraschung ist. Während ich so vor mich hin vegetiere, entsteht drüben bei den Alleinerziehenden ein Streit. Die Frau mit der furchtbaren Stimme springt plötzlich auf, schreit, dass sie sich so nicht behandeln lässt und rennt wie eine Verrückte aus dem Raum. Eine andere Teilnehmerin will ihr nachlaufen, stellt sich aber etwas dämlich an und fällt hin. Das ist ganz großes Kino. Die Bürgerarbeiterin guckt gespannt durchs Schlüsselloch, kann aber nichts Außergewöhnliches entdecken. Das muss ich selber überprüfen und schaue nun durchs Schlüsselloch. Nichts zu erkennen außer dem üblichen Wahnsinn. Die Alleinerziehenden streiten sich darüber, warum sie überhaupt an der Maßnahme teilnehmen. Die ganze Schlichtheit der Teilnehmer wird uns unverblümt zur Schau gestellt. Weil ich Neugierig bin, gehe ich zum kopieren in den Raum der Alleinerziehenden. Tatsächlich sitzen dort sogar zwei Dozentinnen. Das schockiert mich, bedeutet es doch, dass die beiden den Laden nicht im Griff haben. Anstelle der Dozenten hätte man auch Pappfiguren aufstellen können.
Weil die Bürgerarbeiterin um 14.30 Uhr Feierabend hat, muss ich mich um den letzten Besucher des Tages kümmern. Er bringt natürlich Frau und Kind mit. Seine durchaus attraktive Frau kann ich gerade noch so akzeptieren, aber Kinder gehören einfach nicht ins Büro. Während ich am Lebenslauf schreibe, wird es plötzlich still und die beiden beobachten den Jungen, den sie unnötigerweise mit ins Büro gebracht haben. Er steht mitten im Raum und macht einen verwirrten Eindruck. Die Frau erkennt meine Verwirrung und sagt: “Er macht sein Geschäft.” Für einen Moment bin ich sprachlos und bewegungsunfähig. Dann sage ich, dass ich hoffe, dass er mir damit nicht sagen will, was er von mir hält. Die Mutter verneint. Nachdem sich das Gesicht des Jungen entspannt hat, zieht langsam der Geruch dessen, was er ausgeschieden hat, zu mir herüber. Ich öffne das Fenster und bin noch immer irgendwie sprachlos. Glücklicherweise sehen die Eltern irgendwann ein, dass der Geruch mich verwirrt und entscheiden, den Jungen aus dem Büro zu schaffen. Nachdem Mutter und Sohn verschwunden sind, bleibt der Duft des Grauens von dem Jungen zurück. Unter größten Anstrengungen gelingt er mir, mich nicht zu übergeben und die Bewerbung für den Vater des Hosenscheißers zu Ende zu schreiben. Morgen will die Familie wiederkommen, damit ich eine Bewerbung für die Frau erstelle. Hoffentlich muss der kleine Hosenscheißer dann nicht wieder kacken.


23. November 2011
Ich esse gerade etwas, als die Tür aufgeht und ein vergammelter Mann mein Büro betritt. Sofort umströmt sein muffiger Geruch meine Nase. Der Mann ist 60 Jahre, riecht, als hätte er seine Kleidung mindestens genau so lange nicht gewaschen, und hat ein Jobangebot vom Jobcenter mitgebracht. Genau das gleiche Jobangebot hat man ihm schon im August 2010 mitgegeben. Das Foto auf seinen Bewerbungsunterlagen scheint noch älter als der Gast selbst zu sein. Er ist definitiv nicht auf dem Foto zu erkennen. Dafür ist das Foto voller Flecken und sehr blass. Solche Fotos werden oft in Horrorthrillern verwendet. Glücklicherweise hat er mir ein neues Foto mitgebracht. Dummerweise zeigt auch das Foto einen Mann mit dem er keine Ähnlichkeit hat. Dazu hat es in der Ecke einen Stempel. Er muss es aus irgendeinem Ausweis genommen haben. Außer dem Foto und dem Datum ändere ich nichts an seinen Bewerbungsunterlagen. Die Bewerbungsunterlagen sind unglaublich schlecht, aber sie passen einfach zu dem Mann, weshalb ich sie nicht verbessere. Den Job als Recyclinghelfer will er eh nicht haben. Er hat Gicht und sieht sich nicht in der Lage, harte körperliche Arbeit zu verrichten. Ich teile seine Meinung und frage mich, was so ein Jobangebot soll. Der Geruch des Mannes hat sich mittlerweile im ganzen Büro verteilt. Ich schaffe es nur mit Mühe und Not, nicht zu würgen oder mich gar zu übergeben. Nachdem er das Büro verlassen hat, öffne ich alle Fenster. Ist eigentlich zu kalt dafür, muss aber sein. Irgendwas läuft verdammt falsch in diesem Land. Nur scheint es niemanden wirklich zu interessieren.
Um 12.24 Uhr sehe ich den Ehrengast kommen. Weil ich keine Lust auf seinen Wahnsinn habe, schließe ich die Tür ab. Zehn Minuten steht er im Flur, ohne zu versuchen die Tür zu öffnen. Dann drückt er endlich den Türgriff runter. Er scheint irritiert, versucht es erneut, diesmal mit mehr Elan. Die Tür bleibt verschlossen. Er murmelt irgendwelche Flüche, geht dann zu einem anderen Büro und fragt nach. Niemand weiß, wo ich bin. Er kommt zurück. Wie ein Wilder zerrt er am Türgriff und flucht. Er versucht es an der anderen Tür und schimpft. “Das gibt’s doch nicht. Scheiß Türken. Scheiß Muchels. Immer dasselbe!” Er geht. Ich bin amüsiert. Ich will gerade wieder die Tür aufschließen, als ich ihn erneut anmaschieren höre. Er zerrt an der Türklinke, flucht, geht in den Nebenraum, versucht dort durch die Tür in mein Büro zu gelangen. Die Türen bleiben verschlossen. Er geht fluchend hinaus. Ich schließe die Tür auf. Er steht mitten auf dem Parkplatz und versucht anscheinend irgendwo anzurufen. Nach drei Minuten versucht er erneut in mein Büro zu gelangen. Diesmal hat er Erfolg und regt sich auf, das vorhin abgeschlossen war. Ich sage ihm, dass ich das immer so mache, wenn ich das Büro verlasse. Dafür hat er kein Verständnis. “Dann müssen Sie da einen Zettel aufhängen, dass Sie gleich wiederkommen.” – “Nö. Muss ich nicht.” – “Na gut, ich will nicht mit Ihnen streiten.” Der Ehrengast ist sichtlich sauer. Wir wechseln das Thema. Er erzählt von Arztterminen, hat aber keinen Durchblick und möchte telefonieren. Das geht nicht, hat er doch vor einiger Zeit schon genug hier telefoniert. Wenn er sich besser gemerkt hätte, was er da mit wem vereinbart hätte, dann wäre es nicht nötig erneut anzurufen. Er findet es nicht gut, dass ich ihn nicht telefonieren lassen will und fragt, ob er nicht mit meinem Mobiltelefon telefonieren darf. Ich erkläre ihm, dass dies hier keine Telefonzentrale ist. Frustriert und leicht angesäuert, verlässt er mein Büro.
Das Jobcenter hat mittlerweile meine Gehaltsaufstockung für Oktober neu berechnet. Statt der 42€ bekomme ich nun 102,63€. Jeden Monat eine neue Summe. Damit habe ich im Oktober gut 961€ verdient. Das ist zwar nicht viel für das, was mir hier manchmal zugemutet wird, doch insgesamt bin ich fast zufrieden damit. Ich bin sehr gespannt, welche Summe im November für mich ausgerechnet wird. Ganz schön spannend ist das.


24. November 2011
Was mir immer wieder auffällt und mich echt nervt, ist die Tatsache, dass vor allem ausländische Frauen fast nie alleine zu mir kommen. Meist bringen sie ihre Männer, Freunde, Stecher, Aufpasser oder was auch immer für eine Position ihre Begleiter einnehmen, mit. Auch die männlichen Besucher mit Migrationshintergrund bringen ganz gerne ihre Partnerinnen mit. Ich verstehe das nicht. Familienausflüge mögen ja eine feine Sache sein, aber Familienausflüge ins Arbeitslosenzentrum stelle ich mir irgendwie albern vor. Ich vermute, dass meine Besucher und Besucherinnen ohne den Partner nicht lebensfähig sind. Ziemlich traurige Sache. Besonders gefallen mir die Blicke der ausländischen Männer, wenn ich Bewerbungsunterlagen für deren Frauen erstelle. Sie mustern mich genau, beobachten, wie ich mit deren Frauen rede und die Frauen angucke. Mir ist das unheimlich. Ich habe zwar eine Schwäche für vergebene Frauen, doch das Klientel, welches mich hier aufsucht, gehört eher nicht zu meinem Beuteschema. Unabhängig davon, ob der Aufpasser als Begleitschutz dabei ist oder nicht. Die Besucherin vor mir hat natürlich auch ihren Mann dabei. Sie ist eine 18-jährige Albanerin, die wirklich gut aussieht, frisch verheiratet ist und dringend einen Job braucht, um Geld für sich und ihren Ehemann zu verdienen. Dieser Ehemann spricht kein deutsch, ist frisch im Lande und arbeitet gerade an seiner Aufenthaltsgenehmigung. Der Job ist für die junge Frau wichtig, damit ihr Mann hier bleiben kann, sagt sie. Mir ist das alles suspekt und ich mag nicht wirklich darüber nachdenken. Besser wäre es, wenn die Frau eine Ausbildung machen würde. Doch das habe ich nicht zu entscheiden.
16.07 Uhr. Draußen ist es bereits wieder dunkel. Ich nehme mir ein Buch, stelle mich an einen Schrank und lese. Nach ein paar Minuten mag ich nicht mehr stehen und lege mich auf einen der Tisch. Außer der Putzfrau, die den Nebenraum wischt, ist nichts zu hören. Ich werde müde, lege das Buch beiseite und entspanne. Die Putzfrau verschwindet in die untere Etage und ich höre gar nichts mehr. Dann nicke ich kurz weg. Zum Glück verschlafe ich nicht den Zeitpunkt, um das Büro zu verlassen.


25. November 2011
Heute sind die Alleinerziehenden wieder im Gebäude. Sofort steigt der Lärmpegel um mehrere hundert Prozent. Vor allem die Nervstimmenfrau ist wieder in Hochform. Sie unterhält heute wieder alle, selbst die, die nicht unterhalten werden wollen. Der Lärm lässt auf einen Klassenausflug oder ein lustiges Zusammensein schließen. Jedenfalls klingt es nicht nach Unterricht. In meinem Kopf wird die Stimme immer lauter, die sagt. “Töte die Alleinerziehenden. Töte sie alle.” Die Stimme macht mir Angst. Gegen 09.25 Uhr verlassen die Alleinerziehenden das Gebäude. Ich hoffe, dass sie heute nicht, oder besser noch, nie mehr wiederkommen.
Wenige Minuten später sehe ich Olga und Wolga über den Parkplatz wandern. Sie betreten das Gebäude und sind dann eine Weile verschwunden. Minuten später betreten sie mein Büro und entschuldigen sich für die Verspätung. Sie mussten mal. Und da sind sie einfach hier unten auf die Toilette gegangen. Ich habe gar nicht gewusst, dass wir eine öffentliche Toilette haben. Die beiden hängen ihre Mäntel auf und nehmen Platz. Olga, die auch heute auf einen Teil ihrer Zähne verzichtet hat, möchte einen Job als Briefzustellerin. Ich sage ihr, dass es einen solchen Beruf nicht für sie gibt. Die beiden halten mich tatsächlich für eine Art Jobvermittler. Olga trägt heute einen leicht ungepflegten Oberlippenbart. Ich schreibe ihr eine Bewerbung als Reinigungskraft und sage ihr, dass sie zu allen Seniorenheimen der Umgebung gehen soll, um dort persönlich nach einem Job zu fragen. Olga ist zufrieden und will damit heute noch anfangen. Nun ist Wolga an der Reihe. Wolga möchte als Krankenpflegerin arbeiten. Vollzeit. Fast eine Stunde suche ich für Wolga nach einem Job. Je länger ich suche, desto sinnloser finde ich es. Wenn ich täglich auch noch mit der Stellenrecherche für meine Besucher zuständig wäre, dann würde ich noch depressiver werden. Zwei Stellenangebote sagen ihr letztendlich zu. Auch ihr empfehle ich, dass sie sich überall persönlich vorstellt. Wobei das ihre Chancen, schon alleine wegen des Geruchs ihres Mantels, nicht erhöhen wird. Zum Schluss hat sie noch ein Anliegen. Die Bewerbungen, die ich ihr vor sechs Wochen geschrieben habe, konnte sie leider nicht abschicken, weshalb sie mich bittet sie erneut auszudrucken, mit aktuellem Datum. Es ist total bescheuert, eine Bewerbung sechs Wochen später abzuschicken, doch ich lasse es unkommentiert und drucke die Bewerbungen einfach erneut aus. Auf dieser Welt sind scheinbar alle vollkommen verpeilt und ich bin irgendwie viel zu schade, um bald selber wieder richtig arbeitslos zu sein. Nächsten Freitag wollen die beiden wiederkommen. Wenn ich nur wüsste warum.


28. November 2011
Um 12.30 Uhr erscheint eine weitere außergewöhnliche Besucherin. Ihr Foto hat sie in einem Automaten schießen lassen. Als die Bürgerarbeiterin das Foto zum einscannen nimmt, sagt die Frau mit einer unverwechselbar gruseligen Stimme. “Das habe ich gerade machen lassen.” Eigentlich schreit sie es mehr als dass sie es sagt. Dann bricht sie in ein kurzes, furchtbar und unnatürlich klingendes Lachen aus. Ich bekomme Angst, lasse es mir aber nicht anmerken. Unmittelbar nach dem dämonischen Lachanfall sagt die Frau keinen Ton mehr und starrt die Rückseite meines Monitors an. Bei ihr wäre ein Exorzismus vermutlich mehr als angebracht. Als ich das eingescannte Foto auf dem Deckblatt einfüge, dabei zwangsläufig das Bild anschaue, kann ich mir ein Lachen kaum verkneifen. Gut, dass die Frau, bzw. der Dämon, starr auf die Rückseite meines Monitors starrt. Ich werde demnächst besser ein paar Kruzifixe hier aufhängen. Für alle Fälle. Nachdem der Dämon das Büro verlassen hat, können die Bürgerarbeiterin und ich uns das Lachen nicht länger verkneifen. Weiche von mir, Satan. Weiche von mir.


29. November 2011
Um 09.36 Uhr kommt eine Frau in mein Büro und bittet um einen Termin. Die Frau hat eine herrlichen Kinnbart und macht keinen besonders gepflegten Eindruck. Ich bin gespannt, ob sie öfter zu Gast sein wird.
Um 10.32 Uhr geht die Tür auf und der Dämon von gestern steht im Büro. Sie möchte einen Termin für Bewerbungen. Sie weiß aber nicht, warum und ob sie sich überhaupt bewerben will. Sie erzählt etwas von einem Jahr Urlaub, den sie nun eigentlich hat. Ich kann ihren Ausführungen nicht folgen. Sie ist fast schon raus, als sie mir sagt, dass ich ihren Namen ja kenne. Ich bestätige, sie wiederholt ihren Namen trotzdem und lacht dämonisch los. Kaum ist die Tür geschlossen, müssen die Bürgerarbeiterin und ich laut lachen. Das ist wirklich zu skurril. Jetzt haben wir schon unseren eigenen Dämon in Gestalt einer älteren Frau. Das ist in der Tat eine unglaubliche Weiterbildung.
Um 12.23 Uhr geht die Tür in Zeitlupe auf. Herein kommt der Ehrengast und möchte Briefe an E-Plus schreiben. Er ist noch immer unzufrieden, weil er kein angemessenes Leihgerät bekommen hat. Und so drohen wir mit einem Anwalt und schreiben ein paar furchtbare Zeilen an E-Plus. Natürlich schreiben nicht wirklich wir, sondern nur ich. Der Geruch des Ehrengastes ist mittlerweile, es sind keine drei Minuten vergangen, zur Bürgerarbeiterin vorgedrungen, die unverzüglich das Fenster öffnet. Mir bringt das leider keine Vorteile. Ich sitze direkt in der Duftwolke des Ehrengastes, die mehr und mehr mein Hirn aufweicht. Nach zwanzig Minuten ist der Spuk vorbei. Der Ehrengast hält noch einen kleinen Plausch mit mir, was bedeutet, dass er mich mit größtenteils unverständlichen Sachen zutextet, und macht sich dann auf den Weg in eine goldene Zukunft. Oder in einen Handyshop, um dort einen neuen Vertrag abzuschließen. Ob es seinen Geruch wohl auch in Dosen gibt?


30. November 2011
Um 10.51 Uhr kommt die Frau, die ein Dämon ist, ins Büro. Drei Bewerbungen möchte sie. Als ich ihr das Deckblatt ausdrucke, hat sie auf dem Passfoto plötzlich und unerklärlicherweise rote Haare. Irgendwas stimmt nicht mit dem Ausdruck. So etwas ist vorher noch nie passiert. Sehr merkwürdig. Ihre Bewerbungen unterschreibt sie grundsätzlich mit ihrem schwarzen Filzstift, den sie immer dabei hat. Zwischendurch wirft sie ein paar schnell abgefeuerte Sätze in den Raum. Leider verstehe ich nur die Hälfte, weil sie zu undeutlich und für mich viel zu schnell spricht. Am Ende der Sätze lacht sie. Lachen ist gesund. Zum Abschied wünscht sie mir einen guten Rutsch. Ist ja bald soweit.

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