Die zweiten zehn Tage im Februar 2019

Der Termin bei der Heilpraktikerin verläuft anders als geplant. Sie sagt, dass mein Yin oder Qi, ich verstehe sie nicht richtig, gestärkt wurde, mein Darm langsamer arbeitet und ich im Gesicht mehr Farbe habe. Ob mir noch keiner sagte, dass ich frischer aussehe? Natürlich nicht, denn ich bin und bleibe ein Bleichgesicht. Meine Zunge, so sagt sie, sieht auch viel gesünder aus und die vielen Pickel in meinem Gesicht, die nach Pubertät ausschauen, findet sie toll, sind sie doch ein Zeichen, das der Darm entgiftet. Ab nächster Woche will sie an meiner Energie arbeiten. Anstatt zu protestieren und zu sagen, dass wir nach nunmehr 15 Terminen eine Pause einlegen wollten, sage ich, dass ich nächste um 10.00 Uhr wieder da bin. Ich bin echt inkonsequent. Vielleicht sollten wir daran arbeiten, wenn das Thema Energie abgearbeitet ist.

Der Vermittler ist nun auch schon fleißig dabei in unserer Maßnahme die Teilnehmer mit potentiellen Arbeitgebern bekannt zu machen. Er wirbelt, meist telefonierend, durch die Räume. Kaum ist er da, ist er schon wieder woanders, bietet Jobs an, knüpft Kontakte und lässt mich mehr als alt aussehen. Sein Eifer hat auch die beiden Kollegen angesteckt, so dass auch sie permanent Jobvorschläge für unsere Teilnehmer präsentieren. Kurioserweise lasse ich mich von so viel Elan und Tatendrang nicht anstecken. Vielleicht ist es wirklich das Beste für mich, wenn ich ab März an einem anderen Standort, an dem keiner so rumwirbelt, eingesetzt werde. So viel Eifer vertrage ich einfach nicht.

Die Teilnehmer verteilen aktiv ihre Viren bei uns. Kommen trotz Verdacht auf Norovirus her, fassen alles an, gehen dann doch zum Arzt, bringen danach AU-Bescheinigungen und wir müssen diese entgegennehmen. Wir versprühen Unmengen an Desinfektionsmitteln und hoffen, dass es uns nicht erwischt. Früher waren so Seuchen nicht so ausgeprägt. Früher war scheinbar nicht nur mehr Lametta, da war auch mehr Hygiene.

Der nächste, den die anscheinend nie mehr enden wollende Erkältungswelle erwischt hat, ist Carsten. Völlig verschleimt sitzt er neben mir, die Nase läuft, er hustet und hört sich furchtbar an. Es ist nur eine Frage der Zeit bis mich irgendeine dieser ganzen Wellen auch erwischt und mir die Tage versaut. Ich hasse das. Früher haben die Seuchen echt öfter Pause gemacht.

Das Ende der Maßnahme rückt näher und es tun sich scheinbar neue Möglichkeiten auf. Möglicherweise gibt es noch Bedarf an Mitarbeitern im Bereich Persönlichkeitscoaching. An dem Standort an dem ich schon vor zwei Jahren kurzzeitig eingesetzt war. Ich glaube zwar nicht, dass ich der Richtige für so ein Persönlichkeitscoaching bin, aber was weiß ich denn schon?

Ein Hauch von Frühling hat sich angeschlichen. Das Thermometer zeigt bis zu 18 Grad und ich genieße den Duft, den dieses Wetter verströmt. Ich mag diese Milde, das Sonnenlicht und genieße, dass es abends länger hell ist. Es ist als könnte ich freier atmen. Ich mag das.

Was sich am Freitagabend ankündigt, ist am Samstagabend Gewissheit. Meine Darmprobleme haben nur eine Pause gemacht und melden sich in Form von Darmkrämpfen zurück. Wie zu besten Zeiten gehe ich in der Wohnung auf und ab, sitze auf der Toilette, gehe auf und ab, sitze auf der Toilette und kann ich der Nacht nur auf dem Rücken liegen, weil alles andere zu weiteren Krämpfen führt. Am Sonntag fühlt sich an als hätte ich einen Darmmuskelkater. Das Myrrhinil-Intest-Experiment scheint doch kein Erfolg zu sein. Trotz des noch vorhandenen Unwohlseins, gehe ich zum Sonntagstraining, verzichte aber auch Geräteübungen und bleibe eine halbe Stunde auf dem Crosstrainer bevor ich 35 Minuten auf dem Fahrradergometer rumstrample. Zwischendurch habe ich durchaus Schmerzen, aber aufhören will ich dennoch nicht. Mir ist so oder so nicht zu helfen.

Nachdem letzte Woche die Nachbarin gegenüber darauf verzichtet hat, den Flur zu wischen, versucht es mein Nachbar diesen Monat tatsächlich mit putzen. Er ist dabei noch schneller und schlechter als ich und verschiebt oft den Schmutz nur an eine andere Position. Aber vermutlich darf man von den Menschen auch einfach nicht mehr verlangen, denn es könnte tatsächlich noch schlimmer kommen. Wie zum Beispiel bei den Leuten mit dem Gemeinschaftsbriefkasten, der mittlerweile voller Kleberesten ist, wegen der vielen Namensänderungen und weil die so doof sind die Schilder mit Sekundenkleber an die Briefkastentür geklebt zu haben. Die waren sicher sehr überrascht, dass die Papierfetzen mit den Namen sich irgendwie nicht mehr richtig lösen ließen als wieder ein paar Namen ausgetauscht werden mussten. Da haben sie sich eine bessere Lösung einfallen lassen und den Namen direkt in die Briefkastentür geritzt. Das sind vermutlich Fachkräfte gewesen, die unser Land so dringend benötigt und die so wenig Zeit haben, weil sie überall zum Arbeiten gebraucht werden, dass es einfacher und schneller ist, den Namen einzuritzen statt aufwendig Briefkastenschilder zu erstellen. Ob es noch Hoffnung gibt? Für die Menschheit? Wohl kaum.

Der nächste Termin bei der Heilpraktikerin. Wieder bestätigt sie mir meine Fortschritte, trotz des wenig erbaulichen Wochenendes mit den Darmproblemen. Normalerweise braucht man 15 Termine, um Probleme zu lösen, bei mir, so sagt sie, kann es sein, dass wir weitere 15 Termine benötigen. Klar, ich kann es mir schließlich leisten monatlich bis zu 200 Euro für so Behandlungen auszugeben. Verzichte ich halt weiter auf anderen unnützen Unsinn und gebe weiterhin monatlich mehr Geld aus als ich einnehme. Mir ist eh nicht zu helfen und Geld muss immer im Umlauf sein. Wirtschaftskreislauf oder so. Jedenfalls machen wir nun eine Pause, was bedeutet, dass der nächste Termin in zwei Wochen ist. Das wäre dann der 17 von mindestens 31. Natürlich könnte ich aufhören, aber doch nicht jetzt, wo meine Zunge so viel schöner aussieht, mein Gesicht frischer wirkt und ich, was nicht von der Hand zu weisen ist, entspannter als üblich durchs Leben gehe. Da kann man ruhig noch den einen oder anderen Euro riskieren, um am Ende gesundheitlich und vielleicht auch optisch in eine neue Dimension vorzudringen.

Eine Frau, keine Teilnehmerin, wurde vom Jobcenter geschickt, damit ich für sie Bewerbungsunterlagen erstelle. Sie ist Mitte 30 und von schlanker Statur. In ihrem Gesicht hat sie drei Muttermale. Das kann passieren. Aus diesen Muttermalen wachsen schwarze Haare, die länger als meine Barthaare sind. Das sollte nicht passieren und ist etwas, was für mich einfach gar nicht geht. Und weil mich das so irritiert, schaue ich mir das Kunstwerk sehr genau an. Warum macht sie die Haare nicht weg? Mit einem Rasierer oder einer Pinzette? Oder hat sie das schon am Morgen gemacht und die Dinger wachsen innerhalb weniger Stunden so stark als hätte sie ein experimentelles Bartwuchsmittel genommen? Eine Weile entsteht der Eindruck ich rede nicht mit der Frau, sondern mit ihren Bartstoppeln. Ja, ich weiß, das ist unhöflich, aber ich kann da echt nichts für. Als ich die Kontrolle über meine Augen zurückgewonnen habe, würdige ich ihre Warzenhaare, die ja eigentlich Muttermalhaare sind, keines weiteren Blickes. Ich sehe nur noch die andere Gesichtshälfte der Frau an, wenn ich sie überhaupt ansehe. Schon übermorgen kommt sie wieder und wird länger bleiben. Ob sie ihre seltsame Gesichtsbehaarung wieder dabei haben wird? Ich hoffe nicht.

Zum Abschluss dieser launigen zweiten zehn Tage im Februar bat ich einen Teilnehmer, dass er seine Gitarre mitbringt und für uns etwas spielt. Zum Entsetzen von Carsten hat er das getan und weil ich das so großartig finde, hole ich die beiden Kollegen aus dem Nebenbüro auch noch dazu, um bei der Show dabei zu sein. Zu meiner Überraschung spielt der Mann nicht nur Gitarre, sondern singt direkt drauf los. Fünf Stücke gibt er zum Besten. Ich erkenne lediglich ein Lied von Johnny Cash. Meine Kollegen hingegen scheinen mehrere der Lieder zu erkennen. Also kann es nicht so schlecht sein, was uns geboten wird. Mich hingegen findet man komisch, weil ich für diese kleine Unterhaltung, die laut Vertrag kein Teil dieser Maßnahme ist, irgendwie verantwortlich bin. Das passiert halt, wenn man mich zum Maßnahmeleiter macht. Ich kann wirklich nichts dafür.

Meinen Sommerurlaub habe ich noch immer nicht gebucht, weil ich so gar kein Gefühl dafür habe, wohin ich eigentlich will. In der Auswahl befinden sich derzeit Aachen, Trier, Boppard, Kassel und noch irgendein Ort, den ich aber schon wieder vergessen habe. Der wird es dann vermutlich nicht.

Und schon sind weitere zehn Tage meines Lebens vorbei. Theoretisch hätte ich in diesen zehn Tagen mindestens siebenmal Sex haben müssen. Das Ziel habe ich deutlich verfehlt. Warum ich das jetzt erwähne, erfahren Sie ganz bald. Versprochen.

Ach ja, irgendwie überzeugt mich dieses alle zehn Tage einen Bericht schreiben nicht wirklich. So lange Texte will doch niemand lesen. Da schläft man am Ende nur bei ein.

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