Die letzten Tage im Februar 2019

Schon nächste Woche werde ich wissen, wo ich ab Mitte März eingesetzt werde. Selbst wenn ich zwischen den beiden Optionen, die mir logisch erscheinen, wählen dürfte, wüsste ich nicht, was besser ist. Es gibt die gleiche Maßnahme wie diese an einem Ort, an dem eigentlich keiner arbeiten möchte und eine mir noch unbekannte Maßnahme an dem Ort an dem ich schon eingesetzt war. Letzteres ist vermutlich besser, weil neue Orte einfach nichts für mich sind. Am liebsten würde ich einfach hier sitzen bleiben und darauf hoffen, dass die Maßnahme neu aufgelegt wird. Aber wozu Gedanken über noch ungelegte Eier machen? Da werde ich am Ende nur verrückt bei. Also noch verrückter als ich es eh schon bin. Das möchte ich nicht.

Ich verbringe zu viel Zeit damit mir Unterkünfte in Aachen, Boppard, Kassel und Trier anzuschauen, kann mich aber nicht dazu durchringen irgendein Zimmer zu reservieren. Wenn das so weitergeht, verbringe ich den Sommerurlaub auf dem Balkon.

Derzeit höre ich sehr viel Rick Astley, Wham und andere Klassiker der 80er und frühen 90er. Dabei fühle ich mich als befände ich mich noch in meinen Zwanzigern. Es erscheint vollkommen unlogisch, dass ich so alt bin, wie ich alt bin. Gefangen in einer Zeit, die schon lange vorbei ist, fühle ich mich der Pubertät näher als dem Ableben. Ein Zeitloser im Körper eines Sterblichen. Was für eine Verschwendung. Und dann denke ich an Helmut. Helmut kenne ich schon mein Leben lang. Helmut ist mittlerweile 80 Jahre und fährt fast täglich mit seinem VW Eos durch die Gegend. Das Dach auf, sobald es möglich ist, die Musik so laut, dass man ihn hört, bevor man ihn sieht und immer auf der Suche nach einer Frau für sich. Unser Vorschlag auch mal das Auto zu verlassen und irgendwo etwas zu trinken, um so vielleicht eine Frau kennenzulernen, überhörte er immer. Als ich gerade meinen Führerschein hatte und die Jahre danach war ich genauso. Wollte Frauen kennenlernen alleine dadurch, dass ich mit meinem alten Ford durch die Gegend fuhr. Helmut ist vermutlich auch ein Zeitloser. Zeitlose müssen mit der Unverschämtheit leben, niemals auch nur annähernd erwachsen zu werden und in einem sterblichen Körper zu stecken. Vermutlich sind wir viele, doch am Ende hilft uns das auch nicht und wir sterben zusammen mit unseren alten Körpern. Weil es ist, wie es ist.

Grundsätzlich ist es mein Bestreben, dass sich alle in der Maßnahme wohl fühlen. Denn wenn sich alle wohlfühlen, gibt es weniger Stress und man hat einen besseren Arbeitstag. Habe ich ausprobiert, ist tatsächlich so. Allerdings erfährt man mitunter auch Dinge von den Teilnehmern, die man nicht wissen möchte. So erzählt eine Teilnehmerin von ihrem Mann, der sie wohl gern mal verprügelt und vor dem sie nur sicher ist, wenn sie das Land verlässt. An Kontaktverbote würde er sich nicht halten und ihr würde so ein Kontaktverbot folglich gar nicht gut bekommen. Ich habe ihren Mann schon gesehen, wenn er sie abgeholt hat. Sieht beängstigend kaputt aus. Eifersüchtiger Psychopath. Ganz gefährliche Mischung. In einer anständigen Welt würden Leute wie er auf einer Insel, auf der nur so Bekloppte leben und von der es kein Entkommen gibt, untergebracht sein. Eine schöne Vorstellung.

Ich habe die saublöde Angewohnheit abends vor dem Schlafengehen die Balkontür zu öffnen, um zu lüften. Fast an jedem Abend höre ich dann den Lärm vom türkischen Café Bistro. Entweder schreit irgendwer einfach völlig unmotiviert herum oder es wird sich einfach nur laut unterhalten. Manchmal werde ich dann etwas wütend und merke, wie mein Blut in Wallung gerät. Dann sage ich mir immer, dass ich selber Schuld habe und wenn mich das stört jederzeit umziehen kann. Ich muss nur die Wohnung weit unter Wert verkaufen oder günstig vermieten und irgendwo anders hinziehen. Vorher müsste ich nur meine Arbeitszeit erhöhen, um mir das auch leisten zu können, schon wäre alles gut. Ich soll mich halt nicht so anstellen wegen dem bisschen Lärm, sondern mehr Mitgefühl mit meinen Mitmenschen, die abends und nachts gern gesellig sind, haben. Dann schließe ich die Balkontür, der Lärm verstummt und alles scheint so zu sein, wie es sein muss. Wenn doch nur alles so einfach wäre.

Am Sonntag fege ich zum allerersten Mal überhaupt meinen Parkplatz. Fühlt sich komisch an, aber da irgendwelche Nachbarn, oder wer auch immer es vorher getan hat, meinen Parkplatz schon lange nicht mehr gefegt haben, mache ich es gezwungenermaßen selbst. Das ist nichts, was ich öfter brauche. Später mache ich einen Spaziergang, weil das Wetter schon wieder Frühlingsgefühle weckt. Ich gehe alleine, weil ich keine Lust habe nach Begleitung zu fragen und weil ich gern alleine durch die Gegend wandere. Ich werde immer mehr zum Einzelgänger und genieße den Spaziergang. Einmal beobachte ich einen kleinen Vogel und komme vom Weg ab. Gut, dass neben dem Weg kein Graben ist, ich wäre direkt reingefallen. Nach etwa fünfzig Minuten beende ich den Spaziergang, weil ich durchaus k.o. bin. Trainieren und spazieren an einem Tag muss ich erst wieder lernen. Es ist zwar noch keine 17.00 Uhr, aber ab jetzt wird nur noch gechillt. Benutzt man das Wort chillen heutzutage eigentlich noch?

Da ich mal einen Montag ohne Akupunktur verbringen darf, nutze ich ihn natürlich angemessen. Bei strahlendem Sonnenschein putze ich alle sechs Fenster meiner kleinen Wohnung. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich so etwas getan habe, aber es ist mehr als nötig. Anschließend sehen die Fenster anders verschmiert als vorher aus. Als geputzt kann man sie vermutlich nicht bezeichnen, obwohl ich eine Menge Zeit investiert habe. Später hänge ich Wäsche zum Trocknen auf den Balkon raus. So praktisch ich das auch finde, erscheint es mir auch sehr bedenklich, denn es ist Februar und wenn sich das mit dem Wetter so weiterentwickelt, dann weiß ich nicht, ob ich Lust auf den Sommer habe.

Zum ersten Mal in diesem Monat Spiele ich Xcom. Noch immer will ich die letzte Mission nicht spielen, obwohl das völlig schwachsinnig ist. Vielleicht bin ich es auch, der schwachsinnig ist.

Ich glaube, wirklich spontan war ich selten in meinem Leben, aber mittlerweile ist mir die Spontanität vollkommen abhandengekommen. Und meine Prostata scheint mir auch egal zu sein, daher lehne ich das spontane Angebot für einen Rein-Raus-Quickie ab, ohne lange darüber nachzudenken. Der Gedanke, mich dafür noch zu duschen, die Zähne zu putzen und vom Sofa aufzustehen, lähmt mich dermaßen, dass ich keine Wahl habe. Kein spontaner Sex für mich und meine Prostata. Das ist irgendwie erbärmlich, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Stattdessen gucke ich einen ziemlich langweiligen Film. Das kann ich nicht nur besser als Sex, es ist auch mit viel weniger Aufwand verbunden. Und ich kann dabei essen. Ich bin so, wie ich nie werden wollte, aber schon immer war.

Die letzten drei Wochen der Maßnahme haben begonnen und auch der letzte Tag meiner Zusammenarbeit mit Carsten. Er kommt an einen anderen Standort und die Wahrscheinlichkeit, dass wir in absehbarer Zeit nochmal zusammen arbeiten liegt somit bei etwa 0,7 Prozent. Ich indes komme an keinen anderen Standort, sondern wechsle nur das Büro und betreue zukünftig die Erziehenden. Was mir daran nicht gefallen will ist die Tatsache, dass ich auch dort den Maßnahmeleiter spielen soll und ein Kollege deshalb an einen anderen Standort versetzt wird. Das tut mir leid. Später fragt eben dieser Kollege mich, ob ich meine Haare färbe und schätzt mich auf Anfang fünfzig. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich schon mal so alt geschätzt wurde. Mein Verfall scheint in letzter Zeit sehr schnell vorangeschritten zu sein und ich weiß gar nicht mehr, ob mir der Kollege überhaupt noch Leidtun sollte wegen seiner Versetzung. Anfang fünfzig. Der Tag ist versaut.

Am frühen Abend bin ich schlapp, mache ein spontanes Nickerchen und fühle mich danach kein bisschen erholt. Im Gegenteil fühle ich mich als käme eine Erkältung zu Besuch. Ich nehme Anfokali und Angocin, mache eine Nasenspülung und bestelle zu meiner eigenen Sicherheit einen Vorrat Angocin, um vorbereitet zu sein. Mir ist unnötig kalt und vor dem schlafen gehen gurgle ich einfach mal mit Teebaumöl, weil mein Hals kratzt. Ich fürchte, mein Immunsystem konnte all die Viren, denen ich im Büro ausgesetzt war, nicht abwehren. Im Glücksfall bin ich nur ein Hypochonder, der überreagiert. Bald weiß ich sicher mehr.

Ich habe wirklich interessante Träume. In diesem befinde ich mich in einem recht dunklen Raum, in der Mitte ist ein Teich oder sowas, Nebel ist über dem Wasser und Geister und Dämonen verfolgen mich. Ich bin sehr angespannt. Jemand sagt mir, dass diese Gestalten mich nicht töten, sondern nur ärgern wollen. Das beruhigt mich ein wenig. Doch dann greift irgendwas meine Schulter an und ich versuche danach zu schnappen. Wie ein Tier will ich meinen Angreifer beißen. Dabei werde ich langsam wach und bekomme noch mit wie ich mehrfach in mein Nackenkissen beiße. Wie von Sinnen beiße und sabbere ich ins Kissen bis ich endlich richtig wach bin und wieder Kontrolle über meinen Körper habe. Das nasse Nackenkissen habe ich im Mund. Möglicherweise bin ich ein Dämon, wer weiß das schon? Jedenfalls bin ich nassgeschwitzt und es ist erst kurz vor Mitternacht. Glücklicherweise bin ich zu müde, um weiter über den Traum und meine Beißattacke nachzudenken.

Eine Nussschale und eine Zuckerstange versüßen mir den vorletzten Tag des Februars.

Weiberfastnacht. Da wird gesoffen, gepimpert und gekotzt als gäbe es kein Morgen. Ich würde, selbst wenn es tatsächlich kein Morgen gäbe, dennoch auf diesen Unsinn verzichten, denn Karneval zeigt die Menschen zumeist so, wie ich sie nicht sehen will. Zu oft sehen diese Karnevalsfeierbiester aus wie Geistesgestörte. Vollgesoffen Spaß haben mag spaßig sein, aber halt nicht für mich. So werde ich die Chance, den Tag zu nutzen, um mich von einer willigen und übermütigen Frau vernaschen zu lassen, wie üblich verstreichen lassen. Auch weil ich alles andere als gesellig bin und sowieso keine abkriegen würde. So ehrlich muss man als Pappnase schon sein. Helau und Alaaf.

Laut dieser Liste habe ich auch im Februar eindeutig zu viel Zeit vor dem Fernseher verbracht.

Einen interessanten Bericht, den ich entweder nicht kannte, oder längst vergessen hatte, las ich, weil ich nicht wusste, wohin ich meine elektrische Terrorzahnbürste, die mich eines Nachts aus dem Schlaf riss, weil sie ohne Grund anging, entsorgen soll.

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