Wie ich einmal den Maßnahmeleiter raushängen ließ und was dann passierte

Für den Vermittler scheint es ein Tag wie jeder Tag zu sein. Zunächst teilt er uns, kaum dass der Arbeitstag begonnen hat, mit, dass er einen Brief wegbringen muss und bald zurück ist. Kaum ist er eine Weile zurück, muss er ein Rezept einlösen und verabschiedet sich zur Apotheke. All das ist ja nicht schlimm, aber wenn es fast täglich so abläuft schon irgendwie befremdlich. Da er keine Teilnehmer hat, wissen wir nicht, was er die restliche Zeit treibt, da wir viel zu tun haben mit der neuen, alten Maßnahme.

Später will Kirsten in ihrer Pause zum Bäcker und der Vermittler fragt, ob sie ihm was mitbringen kann. Da sie aber zum falschen Bäcker geht, verzichtet er darauf, sich etwas mitbringen zu lassen, stattdessen geht er, nachdem Kisten zurück ist, selbst zum Bäcker. Es kommt halt darauf an, dass man zum richtigen Bäcker geht. Das war schon sein dritter Tagesausflug und ich frage mich abermals, was wohl mit ihm nicht stimmt.

Am Nachmittag leitet der Vermittler eine Mail an uns weiter, die er ans Jobcenter geschickt hat. Allein die Tatsache, dass er so etwas tut, ohne mich zu fragen, verwirrt mich. Vollends geschockt bin ich als ich die Mail lese, denn es ist ein Festival der Rechtschreibfehler, garniert mit dem fast kompletten Verzicht auf Satzzeichen. Nachdem ich die Mail gelesen habe falle ich in eine Art Schockzustand. Als ich den ersten Schock verdaut habe, wird mir bewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Wir sind blamiert und wenn sich herumspricht, dass wir nicht schreiben können, haben wir ein echtes Problem. Ich zeige Kirsten das Meisterwerk und wir sind beide der Meinung, dass es eine Katastrophe ist. Nachdem das geklärt und mir bewusst ist, dass es meine Aufgabe ist etwas zu tun, falle ich erneut in eine Art Starre aus der ich erst erwache als der Vermittler zu uns kommt, um uns mitzuteilen, was er getan hat. Und dann passiert etwas, was uns alle überrascht, denn wir alle hören mich sagen: „Genau das ist etwas, worüber wir jetzt reden müssen.“ Ich sehe, wie Kirsten völlig überrascht aufblickt, möglicherweise einen Überraschungsschock erleidet, spüre wie mir warm wird und erkläre dem Vermittler, dass künftig keine Mails mehr ohne Besprechung rausgehen. Ich weise auf die Vielzahl von Fehlern und die katastrophale Rechtschreibung hin und erkläre, was es für Folgen haben kann, wenn wir so etwas verssenden. Währenddessen spreche bei ich bei allem bewusst von uns und nicht von ihm und seinen Fehlern. Am Ende lacht der Vermittler als ich ihm erkläre, dass man uns beim Jobcenter für ziemlich unfähig hält, wenn wir so etwas formulieren. Sein Lachen irritiert mich, vermutlich will er so seine Hilflosigkeit oder seine Rechtschreibschwäche weglachen, dennoch hoffe ich, dass er mich verstanden hat und solche Mails nie wieder verschickt. Anschließend frage ich mich, ob es richtig ist mir so viel Verantwortung zu übertragen und ob ich nun ständig irgendwen zurechtweise, weil ich ja zwei Maßnahmeleiter in einer Person bin. Möglicherweise findet da gerade eine ganz ungesunde Metamorphose statt und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin echt zu alt für so einen Mist. Und überhaupt, ich will einfach nichts leiten.

Später frage ich mich, ob der Vermittler tatsächlich unter einer Rechtschreibschwäche leidet, weil er die Bewerbungen der Teilnehmer auch immer voller Fehler lässt und so absegnet. Vielleicht braucht er Hilfe.

Als er am nächsten Tag nicht zur Arbeit erscheint, weiß ich, dass es das für ihn war. Wenig später ist es dann auch schon offiziell und der Vermittler Geschichte. Die Entscheidung kann ich verstehen, aber irgendwie tut er mir Leid. Vielleicht hätte ich gestern schweigen sollen. Vor kurzem noch fulminant als Vermittler gestartet und heute raus. Vielleicht hat meine Ansprache ihm den Rest gegeben, vielleicht ist er das erste Opfer, welches ich als Maßnahmeleiter zu verantworten habe. Das gefällt mir nicht, doch die Welt ist ein Haifischbecken und schon morgen kann ich der nächste sein. Oder übermorgen. Das alles ist menschlich, aber ist das noch menschlich?

4 Kommentare

  1. “Chefsessel” sind unbequem, auch wenn man nicht ein Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen leitet, sondern nur eine Abteilung oder Maßnahme. Entscheidungen treffen zu müssen, Richtungen vorzugeben, im Notfall auch mal Tacheles reden zu können – dazu ist man entweder geeignet oder es belastet einen. Ich finde, Du hast das Richtige getan. Es geht schließlich nicht um ein Wurstbrot, sondern um eure Außenwirkung. Wie immer macht auch hier der Ton die Musik, und wenn der angemessen war, dann ist alles gut.

    • Ich sehe mich keineswegs als Chef und bin auch keiner. Habe nicht einmal einen angemessenen Sessel. Ich bin nur verantwortlich, wenn etwas schief geht.

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