Tote Ameisen

Eigentlich wollte ich in friedlicher Koexistenz mit den Balkonameisen leben, doch dann passiert etwas, was mich durchaus erschreckt, denn an einem Sommertag wird aus einer noch überschaubaren Anzahl an Ameisen eine Invasion. Dazu gesellen sich diese großen Ameisen und fliegende, ebenfalls große Ameisen, die sich über den Balkon verteilten und schlimmer noch, in einem der Blumenkästen scheint der Boden sich zu bewegen. Als feierten sie ein großes Fest, als wollten sie anschließend alle bei mir auf dem Balkon leben. Von der Situation überfordert und auch enttäuscht, dass meine Gutmütigkeit so ausgenutzt wird, beschließe ich zu handeln und bestelle Gift. Dieses Gift sollen die Arbeiterameisen ihren Königinnen bringen. Die Königinnen sterben ordnungsgemäß und dann wird das Volk ausziehen. So jedenfalls die Theorie.

Als das Gift ein paar Tage später da ist, sind längst alle großen Ameisen fort und überhaupt scheinen viele Ameisen ausgezogen zu sein, denn wirklich etwas los ist nicht auf meinem Balkon. Das bleibt einige Tage so und mittlerweile glaube ich, die haben sich nur versteckt, um mich zu täuschen.

Doch kurze Zeit später werden die Ameisen nachlässig oder übermütig, denn es scheint sich wieder überall etwas zu bewegen. Als ich genauer hinsehe, scheint es nicht nur so, es ist auch so. Diese Ameisen, die angeblich Lavendel nicht mögen, spielen auf den Lavendelpflanzen ihre Spiele, was vermutlich daran liegt, dass ihnen niemand sagte, dass sie kein Lavendel mögen. Menschen glauben so viel zu wissen, aber wirklich wissen tun wir doch ziemlich wenig. Ich weiß in diesem Moment lediglich, dass es mir reicht mit diesen Gästen. Ich liebe meine Blumen, will sie aber nur mit Bienen und Hornissen teilen. So hole ich das Gift, verteile es auf den Ameisenwegen und schon wenig später ist richtig was los. Was die Ameisen da tun, weiß ich nicht, aber während ich sie bei ihrem Treiben beobachte, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Musste ich wirklich so streng sein und Gift verteilen? Stirbt wirklich nur die Königin und die Arbeiter ziehen fort? Oder sterben am Ende alle, weil Arbeiterameisen auch essen müssen? Während ich darüber nachdenke, tun die kleinen Biester was sie wohl tun müssen. Selbst nach zwei Stunden, als es schon dämmert, arbeiten sie weiter an der möglichen Vernichtung ihres Volkes. So klug und am Ende doch nicht klug genug? Und werde ich als Ameisenmörder in die Geschichte eingehen? Dabei wollte ich meinen Balkon doch nur für mich. Ist das so verkehrt?

Am nächsten Tag gleicht die Blumenkästenlandschaft einer toten Stadt. Eine einzelne Ameise zieht einsam ihre Runden, vereinzelt liegen tote Ameisen auf den Giftködern. Als wären sie mitten während der Arbeit gestorben. Ihre Lieblingsplätze sind verwaist und es gibt keine Aufregung als ich die Blumen gieße. Augenscheinlich war das Gift nicht nur für die Königin, sondern fürs ganze Volk. Doch obwohl ich verantwortlich bin, hoffe ich, dass der Großteil des Ameisenvolkes einfach nur weitergezogen ist und nur vereinzelte Ameisen versehentlich gestorben andere nur zurückgelassen wurden, um nach dem Rechten schauen und nach verwirrten, zurückgebliebenen Ameisen zu suchen, um diese einzusammeln. Unter diesen Voraussetzungen haben die ameisenlosen Blumenkästen irgendwie ihre Unschuld verloren und vielleicht bin ich am Ende doch nur ein Ameisen mordendes Arschloch.

Am zweiten Tag nach der scheinbaren Vernichtung der Ameisenkolonie ist es eine einzelne Ameise, die unterwegs ist. Als sie die am Giftköder verendeten Ameisen entdeckt, wird sie scheinbar ganz aufgeregt und für einen Moment hat es den Anschein als würde sie mit einer der toten Ameisen Kontakt aufnehmen wollen. Sie rennt um diese Ameise, klettert hinauf, scheint sie zu untersuchen. Vielleicht begreift sie das Ausmaß nicht, vermutlich ergibt es keinen Sinn für sie. Statt auf viele aktive Ameisen zu treffen, findet sie Leichen. Wie muss das wohl für sie sein? Bald schon zieht sie weiter und ich verliere sie aus den Augen.
Als ich später die Blumen gieße, passiert nichts. Keine aufgeregten Ameisen, die hin und her rennen und gucken, was da los ist. Erst als ich die letzte Blume gieße, zeigen sich kurz zwei Ameisen. Sie bemerken mich, schauen mich kurz angewidert an und verstecken sich direkt wieder. Ob sie wissen, dass ich der Ameisenmörder bin? Ich glaube, sie wissen es. Natürlich wissen sie es.

In den nächsten Tagen bleibt der Balkon Ameisenlos. Genau wie ich es wollte, doch wollte ich es so?

6 Kommentare

  1. Die fetten geflügelten Ameisen haben sich als ein wahrer Fledermaus-Magnet herausgestellt, wenn sie ausfliegen (was sie nach ein paar Tagen auch zuverlässig tun). Da Fledermäuse toll sind und ich sie gerne bei der Jagd beobachte, habe ich mit der alljährlichen Ameiseninvasion mittlerweile meinen Frieden gemacht.

  2. Ich hatte mal eine kleine Erdgeschosswohnung mit winziger Terrasse. Zwischen den steinfliesenlücken wimmelte es von kleinen Ameisen. Ich dachte mir so, lass die mal und so durften sie sein. Am Ende des Sommers warf ich einen Blick durch die terrassentür und wurde Zeuge einer riesenameisenflugaktion. Tausende dicke fette Ameisen mit Flügeln schwärmten wie auf ein Kommando aus den sandigen Steinfliesenlücken. Die Luft war kurz schwarz, es war unangenehm und faszinierend zugleich. Ca 1 Minute später waren fast alle dieser offenbar unter den Steinplatten herangezüchteten flügelviecher weggeflogen. Wohin weiß ich nicht aber ich hab noch gedacht, das merk ich mir. 10 von 10 für mein erinnerungsvermögen.

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