Nachdem ich am Vormittag das Bad geputzt und mir etwas gekocht habe, höre ich am Nachmittag Weihnachtsmusik und komme in eine merkwürdige Stimmung. Es ist als würde ich auf etwas warten, als stünde etwas bevor. Vermutlich die Bescherung. Auch wenn ich es oft nicht so prickelnd fand mit meinen Eltern auf die Bescherung, die Geschenkübergabe, zu warten, hatte es doch etwas beständiges, was ich heute, Jahre später, irgendwie vermisse. Zu dritt waren wir zuletzt 2012. 2014 waren mein Vater und ich zuletzt zusammen, aber da war es schon nicht mehr dasselbe. Und seit 2015 gibt es Familienweihnachten nicht mehr, dennoch ist das Gefühl ähnlich. Nachdenklich lausche ich der Musik, die sich in all den Jahren kaum verändert hat. Meine Weihnachtslieder und ich. Vertraut und manchmal deprimierend. Ich überlege, ob ich mir Ghost – Nachricht von Sam anschaue, denke aber, dass mich das möglicherweise unnötig deprimieren könnte. Zu viel Gefühl für den Moment. Realistisch betrachtet warte ich heute tatsächlich auf etwas, auf die traditionelle Weihnachtsrunde bei Manni mit kleiner Bescherung. Das traditionelle Treffen von drei durchaus merkwürdigen Personen, deren Entwicklung möglicherweise als fragwürdig bezeichnet werden kann. Vermutlich braucht man einfach solche wiederkehrenden Ereignisse, um nicht völlig aus der sogenannetn Normalität zu fallen. Einen Kuchen wollte ich heute eigentlich auch backen, aber ich möchte jetzt nur sitzen und Weihnachtslieder hören. Keine Ahnung, was mal aus mir werden soll.
Später schaue ich mir dann doch Ghost- Nachricht von Sam an. Demi Morre ist einfach entzückend, doch nach einer Stunde kann ich mich nicht mehr konzentrieren und höre wieder Musik. Zwischendurch höre ich meine neuen Nachbarn, was mich irgendwie deprimiert, weshalb ich wieder darüber nachdenke, die Wand zur Nachbarwohnung mit einem Lärmschutz aufzurüsten, was mich auch irgendwie deprimiert, weil es unrealistisch erscheint, dass ich das wirklich mache. Ich will keine Nachbarn. Ein paar Minuten später klettere ich auf mein Trampolin und hüpfe eine Weile rum. Was für ein komischer Tag. Ich hätte spazieren gehen sollen. Diese fragwürdige innere Unruhe kommt zurück nachdem ich vom Trampolin geklettert bin. Ich komme mir ein wenig vor wie David, der innerlich auch irgendwie unruhig wurde, bevor er sich zum ersten Mal in einen Werwolf verwandelt hat, halte es aber für unwahrscheinlich, dass ich heute zu einem Werwolf werde. Vermutlich verwandle ich mich in gar nichts, was auch irgendwie schade ist, weil ich mich ja auch in etwas Positives hätte verwandeln können. Da ich nicht weiter nachdenken mag, tanze ich zur Weihnachtsmusik durch die Wohnung bis ich aufbrechen muss.
Als ich Petra abhole wird jeder Ansatz von guter oder neutraler Laune im Keim erstickt, denn heute schaut sie aus wie Miesepetri und scheint auf nichts Lust zu haben. Sie sagt, dass es an der Corona-Seuche liegt und an irgendwelchen sozialen Zwängen. Treffen sind ihr zu gefährlich und ich frage sie, warum sie dann überhaupt mitkommt und nicht abgesagt hat. Es ist ja kein Zwang an der traditionellen Weihnachtsrunde teilzunehmen. Eine Antwort kann sie nicht geben, vielleicht will sie auch einfach mies drauf sein, um mies drauf zu sein. Man kann sich in so Zustände ja immer prima reinsteigern. Ich fahre kurz zur Packstation, um noch ein paar Pakete abzuholen. Miesepetri darf mir ihrer schlechten Laune im Auto sitzen bleiben. Vielleicht müssen wir sie doch zur Adoption frei geben, aber wenn sie so eine Schnute zieht, will sie vermutlich auch niemand haben.
Manni hat die Fensterbank weihnachtlich dekoriert und irgendwann verwandelt sich Miesepetri wieder in einen normalen Menschen. Vielleicht hat sie die Weihnachtsdekoration überzeugt. Oder sie hat gemerkt, dass ihre miese Laune auch keine Lösung ist. Nach einer Weile findet unsere Bescherung statt. Aus Miesepetri ist mittlerweile Strahlepetri geworden, die scheinbar Spaß an der Geschenkübergabe hat und sich freut wie Bolle, wobei wir gar nicht wissen, wie Bolle sich gefreut hätte, weil er lediglich eine fiktive Person aus einem Volkslied ist. Manni hat sich viel Mühe gegeben, während ich lediglich einen Geschenkgutschein für ihn dabei habe, was mir ziemlich unangenehm ist. Geschenkgutscheine sind ein Zeichen der Kapitulation. Sie dokumentieren die eigene Ratlosigkeit und Ideenlosigkeit. Eine Bankrotterklärung, die ich so von mir nicht erwartet hatte. Bis zuletzt konnte ich mir keine sinnvolle Kleinigkeit ausdenken, so dass ich einen Gutschein besorgte, den ich auch auf den letzten Drücker erst bekam. Versagen auf ganzer Linie werde ich mir nun bis zur nächsten Weihnachtsrunde vorwerfen können. Wie konnte ich nur so werden?
Später reden wir über dies und das und Manni stellt fest, dass er noch keine Vorsätze fürs nächste Jahr hat. Petra indes hält von Vorsätzen wenig, dennoch einigen wir uns darauf, dass wir im nächsten Jahr mehr für uns alternden Körper tun müssen. Auf Sixx läuft eine Dokumentation über Verbrechensaufklärung, zu der wir immer mal hinschauen, weil man das ganz automatisch so macht. Wir sitzen jedes Jahr auf den gleichen Plätzen und für mich durchaus überraschend werden heute keine alkoholischen Getränke konsumiert. Manni präsentiert uns ein Klassenfoto aus unserer glorreichen Schulzeit, auf dem ich aber nicht zu finden bin. Möglicherweise wurde es aufgenommen nachdem ich sitzen geblieben bin. Oder ich war aus anderen Gründen verhindert. Petra ist natürlich auch nicht auf dem Foto zu sehen, weil Petra nicht mit uns auf der Schule war. Anschließend präsentiert Manni noch ein paar Sieger- und Ehrenurkunden, was beweist, dass er früher ein sportlicher Geselle war. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je eine Ehrenurkunde für meine sportlichen Leistungen erhalten habe, weshalb ich irgendwie enttäuscht von mir bin. Obwohl ich nicht so lange Teil dieser Klassengemeinschaft war, erkenne ich mehr der Leute auf dem Foto als Manni, was mich durchaus verwundert. Sobald ich zu Hause bin, muss ich schauen, ob ich nicht vielleicht doch irgendwo eine Ehrenurkunde habe.
Kurz vor Mitternacht schauen wir noch ein wenig Loriot. Loriot geht eigentlich immer zur Weihnachtszeit. Nachdem Loriot gesehen wurde, verabschieden wir uns. Zu Hause öffne ich noch mein Weihnachtspaket, welches Agnes mir geschickt hat, und stelle anschließend alle meine Geschenke des Tages zusammen auf, um sie mir als Gesamtbild anzuschauen. Ich wurde heute wahrlich reichlich beschenkt, was so nicht zu erwarten war.
Der Schlumpf soll mich daran erinnern, dass ich oft zu viel meckere und mich vielleicht ein wenig bremsen. Ich weiß nicht, ob das klappen wird. Vielleicht werde ich eines Tages beim Meckern selber blau und bleibe es so lange bis ich endlich nicht mehr meckere. Aber auch das erscheint mir unwahrscheinlich.