Neue Maßnahme, neue Kollegin, neue Teilnehmer, neuer Irrsinn

Von sieben Teilnehmern, die für heute eingeladen wurden, schaffen es lediglich vier zu uns. Eine Frau spricht so schlecht deutsch, dass sie mir Antworten auf Fragen gibt, die ich nicht gestellt habe. Eine andere geht direkt nach dem Gespräch zum Jobcenter, um mitzuteilen, dass sie nicht an der Maßnahme teilnehmen will. Die nächste hat keine Ahnung, wie sie drei ganze Stunden am Stück hier aushalten soll und die vierte ist freiwillig hier, obwohl sie vor zwei Jahren meist durch Abwesenheit glänzte. Immerhin weiß ich, wie sie auf Dating-Plattformen aussieht, verrate es ihr aber nicht. Interessanterweise erscheint keiner der eingeladenen männlichen Teilnehmer zu seinem Termin. Die neue Kollegin ist 25, kommunikativ und telefoniert im Lauf des Tages öfter mit Kollegen von anderen Standorten. Eine Disziplin an der ich seit Jahren scheitere, denn ich weiß nicht, was ich groß mit Arbeitskollegen am Telefon bereden sollte. Vielleicht probiere ich es irgendwann nochmal aus, wie es ist, Kollegen anzurufen, ohne ein Anliegen zu haben. Aber ich glaube nicht, dass das irgendwen begeistern wird.

Da ich nun tatsächlich für die Verwaltung zuständig bin, muss ich natürlich erstmal alle Teilnehmer nachtragen und mir einen Überblick verschaffen, wie ich das alles gestalte, um zufrieden zu sein. Interessanterweise habe ich das zwar gewollt, aber anderseits wäre es mir lieber, wenn ich keine Verantwortung hätte und stattdessen einfach ein Mitläufer wäre, der fast unbemerkt seine Arbeit macht. Vielleicht hätte ich am anderen Standort bleiben sollen, denn dort wurde mir gesagt, was ich zu tun habe und ich konnte Unsinn reden statt nur Unsinn zu sein.

Im Teamforum findet sich der Hinweis, dass alle geimpften Mitarbeiter in der Verwaltung erfasst sind. Alle nicht geimpften werden aufgefordert sich solidarisch zu zeigen und impfen zu lassen. Wenn ich diese Scheiße schon höre oder lese, sich solidarisch zeigen, dieser unterschwellige Druck und diese Aufforderung, Aufforderung, nicht Bitte, sich doch impfen zu lassen. Ich merke, wie ich wütend werde, weil ich ein unsolidarisches Arschloch bin. Die Aufforderung zur Impfung ist sicher nur kurz davon entfernt, dass Ungeimpfte hier bald nicht mehr erwünscht sind. Zumindest interpretiere ich es so, weshalb ich überlege, wie lange ich mir das noch antun soll. Will ich als unsolidarisches Arschloch meiner Arbeit überhaupt noch nachkommen? Wie lange kann ich diesen Corona-Dreck noch ertragen und wie lange muss ich noch? Zu der Aufforderung gibt es noch die aktuelle Corona Verordnung und einen Bußgeldkatalog. Ich schaue mir die Scheiße an und bin sprachlos. Ich versuche grundsätzlich alles an mir abprallen zu lassen, was mir oft nur mittelmäßig gelingt, aber das hier, diese nun fast zwei Jahre andauernde Scheiße, macht mich echt sauer. Unsolidarisch. Bußgeldkatalog. Und dazu steigende Zahlen, obwohl über sechzig Prozent geimpft sind. Wie soll ich ernsthaft davon ausgehen, dass wir mit dem Wahnsinn aufhören, so lange nicht mindestens 90% geimpft sind? Und selbst dann erscheint es mir fragwürdig, warum plötzlich damit Schluss sein soll, denn so ein Virus verschwindet in der Regel nicht einfach wieder. Vielleicht hat meine Chefin Recht, vermutlich haben alle Recht, die mich für ein unsolidarisches Arschloch halten. Vielleicht sollte ich mich einfach nur noch zu Hause aufhalten und auf meinen Tod warten.

Am Mittwoch geht der Corona-Irrsinn weiter, denn ich werde gebeten, dass ich an den beiden Tagen an denen ich den Corona-Test mache, diesen fotografiere und an die Buchhaltung schicke. Ich denke, irgendwann werde ich den Test selber bezahlen müssen und spätestens dann werde ich mir ernsthafte Gedanken über meine berufliche Zukunft machen müssen. Klar ist aber auch, dass ich, wenn es soweit kommt, zunächst kein Geld vom Arbeitsamt bekommen werde, da ich durch eigenes Verschulden den Job verloren habe. Ja, die Schlinge zieht sich zu. Dumm nur, dass ich weiterhin ein unsolidarisches Arschloch bleibe. Mal schauen, wie lange ich das noch durchhalte bevor ich mich beuge. Oder ich ziehe es tatsächlich durch? Wir werden sehen. Passend dazu hat sie unsere Kanzlerin für massive Einschränkungen für Ungeimpfte ausgesprochen. Von mir aus, ich gehe eh fast nirgendwo mehr hin. Einmal in der Woche einkaufen, tanken, arbeiten. Ansonsten noch spazieren und mal Geocachen. Größtes Problem stellt also das Arbeiten dar, aber das könnte sich in absehbarer Zeit auch erledigt haben, wenn die mir alle weiter auf die Nerven gehen. Der Rest des Arbeitstages ist Unspektakulär, auch heute erscheinen von sieben Eingeladenen nur vier.

Auf der Rückfahrt muss ich an einer Ampel stehenbleiben. Plötzlich und unerwartet geht das Coupé aus. An dieser Stelle ging das Coupé vor einigen Wochen schon mal aus. Ich schalte den Warnblinker an, ziehe der Schlüssel ab, stecke ihn wieder rein, doch die Warnlampe der Traktionskontrolle bleibt an. Somit ist ein Motorstart unmöglich. Die Ampel wird rot, ein PKW rollt auf die Ampel zu und bleibt, obwohl ich offensichtlich die Warnblinker anhabe, ganz knapp hinter mir stehen. Ich merke, wie ich sauer werde. Die Ampel wird grün, der Penner hupt. Und dann mache ich etwas, was ich mir eigentlich abgewöhnt hatte ich schreie den Mann, der mich in seinem Fahrzeug nicht hören kann, an. Ich nenne ihn einen Haufen Scheiße, einen Wichser und brülle, dass es ja wohl offensichtlich ist, dass ich eine Panne habe und man das am Warnblinker erkennt. So irre habe ich mich ewig nicht aufgeführt. Nachdem ich ihn genug angeschrien habe, komme ich mir direkt wie ein Vollidiot vor und bin mir höchst peinlich. Es ist offensichtlich, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe. Zwei Ampelphasen versuche ich noch das Coupé zu starten, dann bekomme ich den Wagen irgendwie mit halb durchgetretener Kupplung während des Startvorgangs in die Nebenstraße, rolle ein wenig bergab und stehe an gleicher Stelle, wie vor Wochen. Weitere Startversuche scheitern, so dass ich beim ADAC anrufe. Während des Gesprächs versuche ich erneut das verfickte Coupé zu starten und tatsächlich springt der Haufen Scheiße an. Ich verabschiede mich vom ADAC-Mann und fahre Heim.

Später unterhalte ich mich mit den Opel-Autodoktoren. Es gibt mehrere Möglichkeiten, warum der Scheißhaufen immer ausgeht. Z-B. eine kalte Lötstelle am Steuergerät, ein Problem mit dem Transponder der Fernbedienung oder auch etwas ganz anderes. Ich soll mal den anderen Schlüssel versuchen. Da ich keinen anderen Schlüssel habe, geht das allerdings nicht. Ob denn die Fernbedienung funktioniert. Hat sie vor Jahren einmal. Also bringt uns das auch nicht weiter. Demnächst werde ich die Klapperkiste, die einst Coupé genannt wurde, zur Werkstatt bringen und habe dann ein paar Tage die Möglichkeit meine Abneigung gegen den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Das werden sicher tolle und unvergessliche Tage.

In der Nacht wache ich gegen zwei Uhr auf, weil eine Art piepen meinen Schlaf stört. Ich versuche herauszufinden, was es war, aber da das Geräusch nicht mehr zu hören ist, döse ich wieder weg. Kurz bevor ich einschlummre, piepst es wieder. Ich bin völlig gerädert und vermute, dass einer der beiden Rauchmelder verantwortlich ist. Also stelle ich mich aufs Bett und nehme den Rauchmelder von der Decke. Nichts zu hören. Da ich gerade dabei bin, nehme ich die Leiter vom Schrank und gehe in den Flur, um dort den anderen Rauchmelder abzunehmen. Da ich nicht wirklich wach genug für solche Aktionen bin, reiße ich dabei direkt die Dübel aus der Decke. Staub rieselt auf mein Haar und ich bin genervt. Nichts piept. Ich warte eine Weile, dann entferne ich die Batterien aus dem Rauchmelder, der im Schlafzimmer hing und lege mich wieder hin. Es bleibt ruhig und etwa eine halbe Stunde später kann ich wieder einschlafen. Den Rauchmelder im Flur hätte ich einfach nicht beachten sollen.

Auf der Fahrt zur Arbeit kommt mir ein LKW entgegen und in mir spüre ich sehr deutlich den Impuls das Lenkrad kurz nach links zu drehen und in den LKW zu steuern. Ein kurzer Knall und dann wäre es vorbei. Doch wie auch schon früher, als ich diesen Impuls recht häufig hatte, tue ich es nicht. Schwer zu sagen, was der Impuls mir sagen will. Es sprach und spricht noch heute dagegen, dass, wenn ich es tun würde, der LKW-Fahrer ja nichts dazu kann und ich eventuell sein Leben versaue. Außerdem fürchte ich, ich könnte nicht wirklich dabei sterben, sondern schwerverletzt überleben. Diesen Gedanken mit dem Gegenverkehr hatte ich schon als ich noch keinen Führerschein hatte. Damals hatte ich als Beifahrer ähnlich gedacht. Später als ich selber fahren durfte, kam mir der Gedanke eine Zeitlang recht häufig. Neu ist, dass ich, wenn ich diesen Impuls habe, mit der rechten Hand das Lenkrad umfasse, weil ich meiner linken Hand nicht mehr zu trauen scheine. Lange Zeit hatte ich den Impuls in den Gegenverkehr zu fahren übrigens nicht mehr, jetzt kommt er wieder regelmäßig. Nach den Situationen bin ich jedes Mal angespannt, oft läuft mir ein regelrechter Schauer über den Rücken. So auch jetzt. Ich denke, ich komme immer weniger mit meinem Leben klar und merke, dass ich meine scheinbare Kontrolle über das Leben mehr und mehr verliere. Mein monotones Leben, dieses sinnlose altern, dieser Corona-Wahnsinn, dieses allgemeine Sinnlosigkeit kann ich an manchen Tagen nur schwer ertragen und daher sind solche Impulse vermutlich normal für mich. Vielleicht brauche ich solche Situationen, um mir zu beweisen, dass ich doch noch die Kontrolle habe, weil ich es nicht mache. Weil ich stark genug bin dem Impuls nicht nachzugehen, sondern bewusst entscheide es nicht zu tun. Oder ist es ein Beweis dafür, dass ich nicht einmal in der Lage bin in den Gegenverkehr zu lenken. Ein weiteres Zeichen meiner völligen Unfähigkeit irgendwas im Leben zu entscheiden und somit der Beweis, dass ich nichts kontrolliere. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben Psychologen darauf eine Antwort. Vielleicht frage ich eines Tages jemanden, der sich damit auskennt. Es sei denn, ich frage nicht. Dann werde ich es allerdings nie erfahren.

Der Arbeitstag bietet einen wundervollen Kontrast. Die drei Anwesenden am Vormittag brauchen kaum Unterstützung und kommen gut alleine klar, die beiden Teilnehmerinnen am Nachmittag kann man eigentlich gar nicht alleine lassen. Eine der beiden kann nichts mit einem PC anfangen und ist davon ausgegangen, dass sie während ihrer dreistündigen Anwesenheit durchgehend von mir unterhalten wird. Da ich zeitgleich aber auch noch zwei Kunden der anderen Maßnahme hier habe, ist das alles nicht möglich, da ich obendrein auch alleine bin. So wirklich begeistern kann mich das nicht. So ist es wenig verwunderlich, dass ich am Ende des Arbeitstages unzufrieden bin.

Ich habe die Angewohnheit, dass ich nachts ab und zu aufwache. Manchmal muss ich zur Toilette, manchmal muss ich gar nichts. Seit Monaten versuche ich dann immer zu raten, wie spät es wohl gerade ist. Meist weicht meine Vermutung nur maximal zehn Minuten von der tatsächlichen Zeit ab, gelegentlich passt die Zeit exakt. Heute überlege ich, ob es 02.40 Uhr, 03.23 Uhr oder 05.35 Uhr ist und entscheide mich dann für 03.23 Uhr. Wie üblich schalte ich die Beleuchtung der Uhr ein, um meine Vermutung zu überprüfen. Es ist exakt 03.23 Uhr. Manchmal finde ich das irgendwie unheimlich, aber vermutlich ist das ganz normal und kein Grund zur Beunruhigung.

Am Freitag ist Jens wieder zurück und so läuft es wie bei der letzten Maßnahme. Der Unterschied ist nur, dass er nur zweimal in der Woche hier sein wird. Am anderen Standort hat er sich bestens mit Miss Omelette angefreundet. Ich finde Miss Omelette bekanntermaßen eher überflüssig, teile es aber nicht mit, denn wenn die sich so gut verstehen und auch privat treffen, dann gibt es sicher nichts, was sie nicht erfährt. Nebenbei erfahre ich noch, dass immer mehr Mitarbeiter sauer auf Kirsten sind, weil diese sich unkollegial verhält und auch Miss Omelette dafür kein Verständnis hat. Ein komischer Sauhaufen ist das hier und ich bin irgendwie froh, dass ich mit den meisten nichts zu tun habe.

Von Jens erfahre ich später, dass in diesem Unternehmen nur noch drei Mitarbeiter nicht geimpft sind und er der Chef sich überlegt, wo er uns zukünftig einsetzen kann, wenn Ungeimpfte nicht mehr mit den Teilnehmern Kontakt haben dürfen. Von den zehn Teilnehmern, die bisher bei uns erschienen sind, sind sechs noch nicht geimpft. Vielleicht darf ich in Zukunft nur noch Ungeimpfte coachen. Vielleicht bin ich auch bald arbeitslos. Wundern würde mich das ehrlich gesagt nicht. Dann kann Jens die Maßnahme leiten. Ich habe eh das Gefühl, dass er gerne was leitet. Keine Ahnung, was daran so reizvoll ist.

Vom anderen Standort habe ich gar nichts mehr gehört. Selbst zwei dienstliche Mails, die ich an Oma Sheriff geschickt habe, bleiben unbeantwortet. Es ist als wäre ich nie dort gewesen, was ich irgendwie erschreckend, aber auch faszinierend finde.

4 Kommentare

  1. Ich hoffe, Sie können dem Impuls dauerhaft widerstehen! Sie wissen ja selbst, wie beängstigend das ist und es sich anfühlt. 😔❤

  2. Den Impuls mit dem Gegenverkehr (oder auch Brücken etc.) kenne ich. Auch, dass der mal häufiger kommt, mal weniger und auch mal viele Jahre gar nicht. Was der Impuls zu sagen hat, weiß ich aber auch nicht.

    Manchmal argwöhne ich, dass es einfach Fluchtfantasien zur Selbstberuhigung sein könnten. Eben um sich vorzugaukeln, dass es eine finale Exit-Strategie gäbe, wenn mal alle Stricke reißen sollten.

    Vielleicht bedeutet der Impuls aber auch einfach nur, dass man absolut keinen Bock mehr hat, was eigentlich sogar eine gesunde Reaktion auf ungesunde Verhältnisse sein könnte. Aber was weiß ich schon.

    Ein Psychiater oder Psychotherapeut könnte evtl. mehr dazu sagen, aber wer weiß, was der daraus macht. Das ist mir zu riskant und so behalte ich die Sache mit diesem Impuls lieber für mich.

    Ich hoffe, du behälst deine Zweifel gegenüber dem Impuls und lässt dich auch weiterhin nicht von ihm verleiten. Ich fände es jedenfalls schade um dich. … Sterben tut man ja irgendwann eh, warum das Ganze beschleunigen … .

    • Vielleicht ist es am Ende gar ein weit verbreiteter Impuls.

      Dann warte ich noch eine Weile mit dem Sterben und schreibe weiter über die Höhepunkte aus meinem Leben.

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