Maßnahmegeschichten 11.23

Nachdem sich letzte Woche Teilnehmer 5 beschwert hat, weil Örge kein Wort mit ihm geredet hat, kann es diese Woche nur besser werden, denn Örge hat Urlaub. Teilnehmer 5 hat sich letzte Woche nicht nur beschwert, er ist auch irgendwann einfach gegangen, weil ihm das zu blöd war. Finde ich nachvollziehbar und auch vernünftig.

Die Woche fängt damit an, dass Teilnehmerin 15 uns mitteilt, dass ihr Sohn krank ist und sie diese Woche daher nicht zu uns kommen kann. Meiner Bitte um einen Nachweis vom Arzt kann sie nicht nachkommen, da der Kinderarzt sich weigert, einen Kinderkrankenschein auszustellen und auch ihr Hausarzt weigert sich, ihr eine Bescheinigung auszustellen. Zumindest erzählt sie mir das, weshalb sie für mich unentschuldigt fehlt, da alle anderen mir immer wieder Bescheinigungen vorlegen, wenn ihre Kinder krank sind. Teilnehmer 9 sitzt seine Zeit hier konsequent ab, was ich zwar absolut nachvollziehbar finde, mich aber in Schwierigkeiten bringt, weil ich ja einen Bericht schreiben muss und nicht möchte, dass der TN dadurch irgendwelche Schwierigkeiten bekommt. Allerdings kann ich auch nicht schreiben, dass er wirklich aktiv mitgearbeitet hat. Gefällt mir nicht.

Teilnehmerin 20 bleibt verschwunden und ist nicht mehr zu erreichen. Nächste Woche bekommt sie die Kündigung, was aber erst ab Juli Konsequenzen haben würde, denn erst ab Juli können solche Fälle wieder sanktioniert werden. Ich finde ja, dass unentschuldigte Fehlzeiten grundsätzlich sanktioniert werden sollten. In meiner Zeit als Arbeitsloser habe ich mir solche Sachen nicht herausgenommen und alle meine Termine wahrgenommen, egal, wie Scheiße und sinnlos ich sie fand. Teilnehmerin 12 reicht seit Wochen AU-Bescheinigungen ein, weshalb wir sie aus der Maßnahme nehmen und eine psychologische Betreuung empfehlen. Teilnehmer 18 fühlt sich zwar nicht krank, möchte aber dennoch zum Arzt gehen. Das macht er schon seit Wochen so, weshalb auch er bald die Maßnahme verlassen wird. Teilnehmerin 19 fehlt nun auch schon eine Weile. Mittlerweile kündigt sie ihr Fehlen auch nicht mehr per Mail an. Mit ihr wird das in diesem Leben leider auch nichts mehr, weshalb ich ihr für ihre Sammlung eine Abmahnung schicke. So hat sie ein Andenken von uns, welches sie später ihren Enkelkindern zeigen kann. Teilnehmer 3 müssen wir schon nach zwei Wochen wegen gesundheitlicher Probleme aus der Maßnahme nehmen. Teilnehmer 4 haben wir bisher nur gesehen, wenn er uns AU-Bescheinigungen gebracht hat, weshalb wir ihn und uns von seiner Teilnahme erlösen. Teilnehmer 16 geht im Anschluss an die Maßnahme in eine Tagesklinik, um sein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Auch wenn wir ihn dahin vermittelt haben, zählt das nicht für unsere Vermittlungsquote, was ich ziemlich gemein finde. All diese (aktuell) nicht vermittelbaren Menschen ziehen die Vermittlungsquote natürlich konsequent nach unten. Und doch wird es uns am Ende vorgeworfen, wenn wir sagen sollten, was ich aber nicht mache, dass manche Leute nicht vermittelbar sind, weil solche Aussagen letztlich Ausreden und Entschuldigungen für unsere Inkompetenz sind.

Teilnehmer 1 ist auch goldig. Er möchte eine Ausbildung machen, schläft aber in der Regel immer bis 14.00 Uhr und länger, weshalb er nur sehr selten einen seiner Termine hier wahrnehmen kann. Vormittagstermine lässt er grundsätzlich ausfallen und nachmittags schafft er es nur in Ausnahmefällen zu uns. Sein Bruder ist da sehr ähnlich. Und auch die Eltern beziehen seit Jahren Leistungen vom Staat. Auch hier fände ich es sehr angebracht, wenn es Sanktionen gebe, denn die beiden Brüder ignorieren schon seit Jahren alle Termine, was durchaus nachvollziehbar ist, denn sie führen ein tolles Leben ohne Verpflichtungen. Teilnehmer 1 hat auch ein Fahrzeug zur Verfügung und ist somit mobil, um abends durch die Gegend zu cruisen und coole Sachen zu erleben. Der Familie fehlt es an nichts, wieso sollten sie daran etwas ändern? Um ihn von seinem Leid zu erlösen, schicke ich ihm gegen Ende der Woche die Kündigung. Was sollen wir uns weiter rumquälen? Die Familie wird vermutlich für immer vom Staat leben, auch daher bin ich weiter für das bedingungslose Grundeinkommen, auch wenn es mich meinen Job kosten würde.

Der neue Teilnehmer 2 hatte jahrelang einen Handyladen, der aber Corona nicht überlebt hat. Vermutlich war der Laden ungeimpft. Jedenfalls ist der junge Mann nun bei uns, möchte sich aber wieder selbstständig machen, doch dazu fehlt ihm das Eigenkapital. Ich habe keine Ahnung, was ich mit ihm machen soll, aber das ist mein Problem und nicht seins. Vermutlich hat er den falschen Jobcoach zugelost bekommen. Bei seinem zweiten Termin möchte ich, dass er mir sagt, was er wirklich will und nicht sagen soll, was das Jobcenter oder ich in seinen Augen von ihm hören wollen. So kommt es, dass wir wenig später auf Jobsuche gehen. Also er unter meiner Aufsicht. Das ist zwar Quatsch, klingt aber als wäre ich Aufseher, was mir gefällt. Zunächst sucht er meiner Meinung nach, nach falschen Jobs, aber ich lasse ihn erstmal machen. Nach etwa zwanzig Minuten sagt er, dass das so nicht funktioniert. Ich erwidere, dass ich das weiß und er gibt nun, ohne dass ich etwas dazu sage, einen anderen Suchbegriff ein. So ergibt seine Suche einen Sinn, auch wenn es nur sehr wenige passende Stellen gibt für ihn. Ich mag es, wenn Teilnehmer selber Ideen haben und Lösungen finden. Natürlich hätten wir es anders machen können und vorher darüber reden, dass die erste Suche zu nichts führen würde, aber das ist nicht meine Art zu arbeiten. Ich möchte, dass die Teilnehmer selber einen Weg finden und lasse sie auch mal in die falsche Richtung stolpern. Ein systemischer Coach würde so etwas vermutlich nicht machen, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, denn ich habe keine derartige Ausbildung und finde das so alles viel interessanter. Wir werden sehen, ob Teilnehmer 2 so zum Ziel kommt, oder eben nicht. Dann kann Jörg zur Not übernehmen.

Teilnehmerin 13 hat sich Montag krank gemeldet, aber bisher keine AU-Bescheinigung vorgelegt, weshalb sie eine Abmahnung bekommt. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Telefonisch ist sie auch nicht mehr zu erreichen. Dabei ist sie eine der wenigen, der wir Chancen einräumen, einen Job zu finden. Auch Teilnehmerin 8 sollte Chancen haben. Sie ist derzeit nicht nur die jüngste hier, sondern auch die einzige, die wirklich einen klaren und nachvollziehbaren Plan für ihre berufliche Zukunft hat. Den hat Teilnehmerin 14 zwar auch irgendwie, aber sie ist wie eine Maschine, die nur sehr langsam anläuft und auch kein hohes Tempo erreichen kann. Sie ist wirklich nett und redet oft mit sich selbst, aber die Trägheit, die sie vermittelt, ist für Arbeitgeber bisher wenig reizvoll gewesen, so dass sie zwar derzeit die meisten Vorstellungsgespräche hat, aber leider nicht eingestellt wird, was mir durchaus leid tut. Sie wird eigentlich von Örge betreut, aber sie fragt auch weiterhin nur mich, wenn sie etwas wissen will und lässt mich immer kontrollieren, ob sie die Bewerbungen so abschicken kann. Örge scheint dafür in ihren Augen nicht zuständig zu sein. Sehr interessant. Eigentlich ist Örge für fünf Teilnehmerinnen und einen Teilnehmer zuständig. Tatsächlich kümmert sie sich nur um zwei Teilnehmerinnen, die anderen scheint sie mir einfach überlassen zu haben. Natürlich müsste ich als stellvertretender Maßnahmeleiter da einschreiten, aber ich kann letztlich die Leute auch nicht zwingen, dass sie sich an Örge wenden und Örge mag sowieso lieber über Essen und andere Dinge reden. Ich glaube, aber das darf ich nicht sagen, dass sie eigentlich einen anderen Job machen sollte. Allerdings kann ich das nicht wirklich beurteilen und es ist auch unfair, weil ich ihr als stellvertretender Maßnahmeleiter viel mehr helfen und sie auf den richtigen Weg bringen müsste. Doch irgendwie weiß ich nicht wie, weshalb ich auch nur Stellvertreter bin. Auch hier werden mir meine Grenzen als Coach aufgezeigt. Außerdem habe ich ihr mal gesagt, dass sie kein Buch lesen soll, wenn Teilnehmer hier sind. Da hat sie sich auch nur ein paar Minuten dran gehalten, was zeigt, dass sie mich gar nicht ernst nimmt und meine Anweisungen für Kokolores hält. Aus mir wird jedenfalls keine Führungskraft mehr, so viel steht fest.

Die Teilnehmer 7 und 10 haben zwar ein richtig ausgeprägtes Selbstbewusstsein und voll den Durchblick, aber dennoch sind sie bei uns. Ob der Arbeitsmarkt einen Platz für sie hat, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt zumindest fragwürdig. Dann gibt es noch Teilnehmer 6, den Jörg irgendwie bescheuert findet und der ihm und mir auch unterschiedliche Versionen zu seiner beruflichen Zukunft erzählt. Keine Ahnung, wieso er das tut. Leicht zu vermitteln ist er mit beiden Versionen nicht. Ob ich je herausfinden werde, warum manche uns so völlig andere Geschichten erzählen und was sie damit bezwecken? Vermutlich nicht.

Der neue Teilnehmer 12 spricht sehr mäßig deutsch und möchte als Fahrer arbeiten. Das macht er seit Jahren schon als Minijob und ich weiß nicht, wie wir ihm helfen können. Vor etwa vier Jahren saß er schon einmal bei uns seine Zeit ab, da die Kommunikation sehr schwierig ist und er Arbeitgeber schon damals nicht von sich begeistern konnte. Einziger Trost für mich ist, dass Jörg sich um ihn kümmern muss. Und Jörg ist sofort Feuer und Flamme, weil er kein Verständnis dafür hat, dass der Mann so schlecht deutsch spricht und einen Eindruck hinterlässt, als wäre er Rentner, obwohl er erst Anfang 40 ist. Aber das Fortpflanzen klappt gut bei ihm. Ich glaube nur nicht, dass ihm das bei seiner Jobsuche hilft.

Mit dieser talentierten Truppe endet eine fast erfolgreiche Woche, in der 19 von 38 Terminen eingehalten worden sind. Mehr kann man derzeit einfach nicht verlangen. Die Quote liegt nun bei 34,43%. Tendenz fallend. Die Chance, bis zum Ende der Maßnahme auf 40% zu kommen, liegt meiner Meinung nach bei null Prozent. Um den Negativtrend zu stoppen, empfehle ich, den stellvertretenden Maßnahmeleiter endlich durch eine Fachkraft zu ersetzen, denn so darf es einfach nicht weitergehen.

Kurz vor dem Ende der Woche erfahren wir vom Chef höchstpersönlich, wieso wir die Maßnahme immer voll belegt haben und alle Plätze besetzt sind. Es liegt am Jobcenter, weil die immer dafür sorgen, dass das so ist. Dass ich ständig dort anrufe und versuche, Teilnehmer zu bekommen, scheint komplett unnötig zu sein. Daran erkennt man, wie falsch ich meinen Anteil daran eingeschätzt habe und warum ich nie mehr als ein Stellvertreter sein kann. Meine Bemühungen, immer genug Nachschub zu bekommen, sind völlig überflüssig und sie stehlen mir Zeit, die ich für sinnvollere Dinge verwenden könnte. Ich bin für den ersten Arbeitsmarkt einfach nicht geeignet, aber ich mache das wirklich nicht extra. Sollte es tatsächlich irgendwann mal dazu kommen, dass wirklich nicht mehr genug Leute an der Maßnahme teilnehmen, möchte ich nicht hören, dass es mein Versagen ist, gehe aber davon aus, dass es so kommen wird. Und dann wird man mich auch wieder auffordern, dass ich beim Jobcenter anrufe, um die Maßnahme vollzubekommen. Ich erkenne da einen Widerspruch, aber vermutlich geht es nur mir so. Ich freue mich jedenfalls schon auf nächste Woche, denn da bekommen wir gleich fünf neue Talente für die Maßnahme geliefert. Wir haben echt Glück, so viel steht fest.

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