Damals – Oktober/Dezember 2012

Im Oktober und auch im Dezember 2012 habe ich definitiv zu viel Zeit damit verbracht, mich dem TV-Programm hinzugeben. Offensichtlich war damals schon klar, dass man davon früher oder später verblöden wird. Leider war ich zu dem Zeitpunkt schon anderweitig verblödet und habe all das nicht verstanden. Aber lesen sie selbst.


Undercover Boss
Am Abend gucke ich Undercover Boss. Das passiert mir leider öfter. Und je öfter ich das gucke, desto sicherer bin ich, dass Chefs entweder irgendwo am Fließband hergestellt werden oder in diversen Schulungen so gleichförmig geformt werden. Der Chef in der Sendung hat, wie sollte es anders sein, Schwierigkeiten, die Arbeit im Betrieb zu verrichten. Die Stimme aus dem Off versucht die Sache spannender zu machen. Untermalt wird alles von dramatischer, rührender und auch irgendwie verzweifelter Musik. Ich freue mich schon auf die Geschenke, die die Mitarbeiter im abschließenden Gespräch vom Chef bekommen. Wenn ich nicht immer kotzen müsste, wenn ich diesen Unsinn sehe, würde ich sicher Tränen der Rührung vergießen. Bin ich vielleicht ein kaltherziges Arschloch? Heute gibt es eine Ballonfahrt geschenkt. Spontan möchte ich applaudieren, frage mich dann aber wozu. Mir gefällt bei dieser Sendung nicht, dass die Geschenke für die Mitarbeiter so unterschiedlich teuer sind. Würde ich eines der günstigen Geschenke bekommen und dann im TV sehen, dass andere bessere Geschenke bekommen, würde ich mich sofort schlecht und minderwertig fühlen. Das ist doch diskriminierend was da abgeht. Warum gucke ich mir so einen Blödsinn eigentlich an? Ich hätte einen Film gucken oder mir einen runterholen sollen, aber wie so oft, habe ich keine Lust auf mich und kann mich auch für keinen Film entscheiden. Der Chef schleimt einen Mitarbeiter voll und schenkt ihm einen Flug nach Kuba. Ich fände es geil, wenn er mit einem Heißluftballon nach Kuba transportiert würde. Der nächste Mitarbeiter darf nach Amerika fliegen. Der Chef sagt “Wir fliegen Dich hin und zurück.” Als ob der Chef jemanden irgendwo hinfliegen würde. Gerade freue ich mich, dass es endlich vorbei ist, da wird bei Extra eine Art Fortsetzung angekündigt. Der Chef und einer der Mitarbeiter werden Freunde. Schon wieder bin ich den Tränen nah. Sind es Tränen der Verzweiflung? Bevor ich tatsächlich erste Tränen verliere, tritt Undercover Wallraff auf. Ich sollte auch mal Undercover auftreten und irgendwas verändern. Ich fühle mich dazu berufen, endlich Gutes zu tun und Menschen glücklich zu machen. Doch wie stelle ich das an? Während ich nachdenke, was es für mich bedeutet, dass der Undercover Boss nun der Freund eines seiner Mitarbeiter geworden ist, RTL nennt es Der Manager und der Müllman, muss ich spontan an M&M ́s Schokolinsen denken. M&M, Manager und Müllmann. Schokolinsen. Verrückt. Während ich nun das Gefühl habe, langsam völlig verrückt zu werden, spielen Müllmann und Manager zusammen am Kicker. Der Manager wird vermutlich jetzt Kult. Wann werde ich Kult? Reicht es, einen Müllmann einzuladen, muss ich erst Manager werden oder habe ich einfach nicht das Zeug zum Kultstar? Ich könnte Deutschlands sympathischster Arbeitsloser werden. Bevor ich ernsthaft darüber nachdenke, wie ich ein Kultkürtel werde, esse ich ein paar Salzstangen und schaue stumm und verwirrt auf den Bildschirm. Ist es das, was man Leben nennt? Und wenn ja, wie geht das? Spontan schalte ich den Fernseher aus, putze meine Zähne und bitte Agnes mich anzurufen. Ich hatte einen harten Tag und brauche Trost.

Ein weiterer trostloser Tag
Die Zeit vergeht und auf RTL2 läuft Privatdetektive im Einsatz. Eine Sendung für schlichte Gemüter und solche, die es werden wollen. Da ich beschlossen habe zu verwahrlosen, schalte ich nicht ab, sondern beobachte die Schwachköpfe, die in der Sendung präsentiert werden. Die Verblödung der Menschheit ist wirklich nicht mehr zu stoppen. Ich kann gut verstehen, dass ich Menschen nicht besonders mag und die meiste Zeit in meiner Wohnung verbringe. Kaum sind die Privatdetektive vorbei, kommt der nächste hohle Unsinn. X-Diaries. Mir fehlen die Worte. Wie paralysiert sitze ich vor dem Fernseher und kann mich nicht bewegen. Blödheit unverblümt präsentiert. Und das gibt es mittlerweile täglich und auf fast allen Kanälen. So haben nutzlose Lebewesen plötzlich doch einen Nutzen. Ich habe gar keinen Nutzen. Bin ich vielleicht das nutzloseste Lebewesen auf Erden? Vielleicht sollte ich mich bei einer dieser zahlreichen Sendungen bewerben. Dann käme ich ins Fernsehen und könnte in meinem Lebenslauf schreiben, dass ich Schauspieler bin. Und vielleicht gibt es für so Auftritte auch Zertifikate. Zertifikate kann man nie genug haben. Bei X-Diaries sind plötzlich alle nackt. Die Intimbereiche werden aber gepixelt, damit die Zuschauer nicht zu geil werden und direkt vor den Fernsehern onanieren, masturbieren oder was es da sonst noch gibt. Sehr fürsorglich von RTL2. Lustlos schalte ich mich weiter durchs Programm und erstarre wenige Augenblicke später erneut. Vox zeigt “Plötzlich Reich”. Fassungslos betrachte ich die Idioten, die mir da präsentiert werden. Trivial-TV in Vollendung. Es ist ganz klar, die Deutschen sind vollkommen verblödet. Anders lässt sich diese Flut an schwachsinnigen Sendeformaten nicht erklären.

Silvester mit mir
Gegen 20.00 Uhr schalte ich den Fernseher ein. Oliver Pocher stellt seine Lieblingslieder vor und quatscht zu viel. Will ich nicht sehen und schalte um. Nachrichten. Anschließend lande ich beim ZDF. Die ZDF-Hitparty unter der Führung von Andrea Kiewel. Fröhlich tanzend und singend kommen die Interpreten auf die Bühne. Frau Kiewel singt mit. Das Publikum ebenfalls. Das muss Silvesterfreude sein. Ich bin noch ganz überwältigt, da kommt auch schon der erste echte Auftritt. Mary Roos singt „Weit, weit weg“. Und ich merke, wie ich auftaue, tanzen will. Ich will gerade vom Sofa aufspringen, da steht Bernhard Brink auf der Bühne und gibt Gas. Jetzt möchte ich raus, mich bewegen, Frauen angucken. Der Geist von Silvester hat mich gepackt. Die Tänzerinnen sorgen für gute Optik und ich will mich paaren. Das wollte ich früher auch immer. Hat nie geklappt. Passend dazu läuft nun Crying at the Diskotheque. Mein Gott, was geht hier ab? Und dann steht Lena Valaitis auf der Bühne. Die ist fast siebzig und wirkt, als wäre sie zwanzig Jahre jünger. Toll restauriert. Und weil alle Playback singen, kommt der Sound über meine Anlage richtig gut rüber. Das Publikum tanzt ausgelassen, ich spüre, wie das Jahr mir aus den Fingern gleitet und drehe die Anlage auf. Moviestar. Ich höre alte Leute Musik, fühle mich fluffig und glaube, ich bin ein Partytiger. Ich muss unbedingt ausgehen im nächsten Jahr. Dieses Jahr habe ich keine Disko betreten und bin jetzt ganz durcheinander. Es kommt Andrea Berg, das alte Partyluder, auf die Bühne. Ich muss aufstehen und mich bewegen. Ich liebe das Leben. Die wilde Andrea sieht mit ihrem geilen Outfit aus, als würde sie heute noch viel Spaß haben. Kaum ist das Schlagerluder weg, kommt das nächste Partyluder auf die Bühne. Patrick Lindner. Der Patty. Ich bin kurz vorm durchdrehen. Keine Ahnung, was der da singt. Aber alle haben Spaß. Das Publikum veranstaltet eine Polonaise. Die sind echt zu blöd. Verwechseln den Patrick Lindner mit Gottlieb Wendehals. Deppen. Ob die alle betrunken sind, oder ist das so, wenn man ausgelassen feiert? Nächstes Jahr Silvester muss ich unbedingt ausgehen. Aber nicht wieder zu einer Kaffeefahrtveranstaltung. Ich will so eine richtige Party mit Ludern und allem was dazu gehört. Um alle etwas abzukühlen, quatscht nun Frau Kiewel von einem Twistmedley. Und schon geht es los. Bernhard Brink, Ireen Sheer, Lena Valaitis und Mary Roos geben Gas. Die müssen doch was genommen haben. Ich finde das peinlich. Die sollen aufhören, sonst schalte ich noch um.
Senderwechsel. RTL2. Werbung. Das ist doch krank. Warum zeigen die kein Konzert von Leonard Cohen, das würde mir gefallen. Stattdessen muss ich zurück zu den Schlagerrentnern und ihrem Twistmedley. Ob ich in dem Alter auch noch so abgehe? Das Publikum verlangt eine Zugabe und weiter geht’s. Die vier haben Spaß, das Publikum tanzt. Gut, dass das nicht live ist. Bis Mitternacht hält das sicher niemand durch. Ich jedenfalls nicht. DJ Ötzi singt von sieben Sünden in einer Nacht. Ob es eine Sünde ist, was ich hier mache? Oder sind es gar sieben Sünden auf einmal? Auf 3Sat ist ein Konzert von A-HA. Take on me. Das waren noch Zeiten. Da war ich genauso gestört wie heute. Nur war es mir damals noch nicht so bewusst. Rüber zum MDR. Goombay Dance Band. Noch ein Rentner, der für mich singt. Auch hier Playback. Zum Glück. Warum tu ich mir das nur an? Weiter zu VIVA. Gossip. Na also, geht doch.

Zwei Stunden später sitze ich noch immer da und gucke VIVA. Das ist durchaus deprimierend. Noch 85 Minuten bis zum Jahreswechsel. Zurück zum ZDF. Das ist doch alles Scheiße. Das ist wie warten auf etwas, was es nicht gibt. Zeit für einen Kamille-Fencheltee und Two and a half Men. Das hätte ich früher einschalten sollen. Um 23.42 Uhr nutze ich eine Werbepause und lande im Silvsterstadl. Alte Menschen und solche, die es gerne wären, tanzen wild durcheinander. Garniert wird der wilde Wahnsinn von einer Polonaise. Von Gottlieb Wendehals auch hier keine Spur. Das ist peinlich. Die müssen alle üble Pillen eingeworfen haben. Arme Zombies. Schnell umschalten. ZDF. Schwarzer Mann mit Sonnenbrille. Kenne ich nicht. Takata singt er. Hab ich schon mal gehört. Schnell zurück zu Pro7.


Das waren die Rückblicke auf Höhepunkte des Jahres 2012. Irgendwann wird es vermutlich mit den Rückblicken 2013 weitergehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert