Zwei defekte Herzklappen

Dummerweise gehöre ich zu den Menschen, die große Probleme mit der Sterblichkeit haben und darum ist das Thema seit meiner Jugend ein treuer Begleiter. Nicht durchgehend, aber immer wieder. Sterblichkeit macht mir Angst. Der Tod macht mir Angst und besonders das Sterben. Stelle ich mir total schmerzhaft vor. Da hilft auch kein Realismus. Komme nicht klar mit der Begrenztheit des Daseins. Ergibt keinen Sinn für mich und natürlich weiß ich, dass die Suche nach Sinnhaftigkeit schon ein ganz falscher Ansatz ist. Nüchtern und mit Abstand betrachtet ist das halt so, aber es ist Scheiße. Über mein eigenes Ableben mache ich mir seit unzähligen Jahren Gedanken. Woran könnte ich sterben und wie wird es sein? Qualvoll, vermutlich. Auch jämmerlich. Jedenfalls grausam. Möglicherweise erbärmlich auf eine schrullig, verschrobene Art. Ein defektes Herz ist mir dabei zwar auch mal in den Sinn gekommen, aber so richtig konkret nicht. Herzinfarkt. Schmerzen. Ende, vermutlich im Krankenhaus. Hoffentlich nicht so wie meine Mutter, dann lieber wie mein Onkel. Umfallen, vielleicht noch eine Weile verwirrt rumliegen und dann alle Lichter aus. Jetzt zwingt mich das Ergebnis einer blöden Herzuntersuchung, mir unplanmäßig konkrete Gedanken zu meiner begrenzten Haltbarkeit zu machen, dabei wollte ich meine Gedankenzeit damit verschwenden, wie ich es schaffen kann, dieses Jahr ein Date zu haben und woran ich erkenne, dass ich ein Date habe. Das muss nun warten. Stattdessen habe ich mich entschieden, nein, werde quasi dazu gezwungen, darüber nachzudenken, wie sehr ich meine kostbare Lebenszeit verschwendet habe. So habe ich mir das nicht vorgestellt, doch wenn der Kardiologe sagt, dass zwei Herzklappen leicht undicht sind, dann hilft es wenig, wenn er anfügt, dass es noch nicht schlimm ist, weil daraus zu hören ist, dass es schlimm wird. Und wenn er die Untersuchung mit den Worten, dass er zufrieden ist, beendet, klingt es fast nach Zynismus. Was hilft es mir und meinem Herz, wenn er mit sich zufrieden ist? Einen Scheiß nützt es. Für ihn ist es natürlich toll, denn früher oder später wird er mit mir mehr Geld verdienen. Vermutlich ist er deshalb zufrieden. Geld kann man nie genug haben.

Konsequenterweise suche ich seitdem nach Informationen zu meinem Dilemma und weiß nun, dass defekte Herzklappen nicht regenerieren. Diese Art Verschleiß kann man manchmal reparieren, oft müssen die Klappen auch ersetzt werden. Dazu wird man in der Regel richtig aufgeschnitten. Es geht zwar auch mit minimalinvasiven Eingriffen, aber nur bei Reparaturen und warum sollte ich dieses Glück im Unglück haben. Ich spüre quasi schon, wie ich operiert werde, die Schmerzen, mein Unwohlsein, den Gewichtsverlust und in meiner Fantasie überlebe ich es vielleicht, vermutlich aber nicht. Und falls doch, bin ich danach nur noch ein faltiger Schatten meiner selbst, um Jahre gealtert und eine Art Opa. Natürlich kann es Jahre dauern, bis so eine Routineeingriff nötig ist, es kann aber auch schon schneller nötig sein. Ist es verwerflich, dass ich seit der Diagnose Schmerzen habe, die vom Herzen kommen? Herzschmerz sozusagen. Abgesehen davon fühle ich mich, als wäre ich spontan gealtert. Fürs erste ist das mein Endgegner. Das Herz, die Batterie des Menschen. Gut geschützt unter den Rippen versteckt. Es wird dauern, diese Diagnose zu meinem Verfall zu verdauen. Wäre ich nie drauf gekommen, dass mein Herz mal so kaputt geht, zumindest nicht in meinem Alter. Mitten in der Pubertät zwei defekte Herzklappen, das ist schon mies und sollte eigentlich nicht möglich sein. Und natürlich weiß ich, dass es theoretisch möglich ist, dass in den nächsten Jahren nichts passieren muss und es mir ohne die Diagnose, heute wie gestern gehen würde und dass es Menschen mit echten gesundheitlichen Problemen gibt, aber das nützt nichts und ändert meine Gemütslage gerade nicht. Vielleicht morgen, vielleicht niemals.

Am ersten Arbeitstag nach der Diagnose bin ich weiter sicher, dass ich Schmerzen im Herzen habe und alles sinnlos wie eh und je ist. Vermutlich ist das alles nur in meinem Kopf so mies, aber das ändert nichts daran, dass ich mich frage, was das soll und mir wieder einmal vor Augen führe, dass ich in meinem Leben nicht wirklich was auf die Reihe bekommen habe und es fraglich ist, wozu ich überhaupt existiere und warum ich an dem Leben hänge. Vermutlich eine menschliche Schwäche, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Ach, hätte man mich nur rechtzeitig eingeschläfert, dann wäre mir und anderen einiges erspart geblieben.

5 Kommentare

  1. Hey Doc, Du liegst da falsch: Nicht nur Reparaturen, auch der Wechsel von Herzklappen werden nur minimal-invasiv gemacht. Bestes Beispiel auch hier wieder: mein Papa. Und meine Oma.
    Mir selbst immer wieder ein Rätsel, wie so was funktioniert – “einfach” durch die Vene schieben das Ersatzteil, anknispeln und dann funktionierts. Wahnsinn, was die Medizin heute alles so kann.
    Waren die Beiträge, die Du da gelesen hast, eventuell schon etwas älter? 🙂
    Eben so Wahnsinn, wie man(n) sich so reinsteigern kann 😉
    Letztlich natürlich sehr schade und irgendwie sicherlich auch bezeichnend, dass man als Patient so wenig bis gar nicht aufgeklärt, sondern mit seinen Gedanken und Ängsten stehengelassen wird. Im Zweifel lieber genauer nachfragen. Gerne auch mal beim Hausarzt, der bekommt ja die Befunde auch zugeschickt. Sollte er jedenfalls.

    • Manchmal liege ich gerne falsch. Vielleicht waren es ältere Beiträge. Ich weiß es nicht, war zu verwirrt.
      Ich kann mich super reinsteigern. Gäbe es da Weltmeisterschaften, ich wäre immer einer der Favoriten.
      Ich bin gespannt, ob die Hausärztin die Befunde bekommt. Vielleicht frage ich sie mal.

  2. Ich war echt betroffen gestern nacht, als ich das gelesen hab und wusste beim besten willen nicht, was ich darauf antworten könnte!
    Aber was Helma Ziggenheimer da schreibt, klingt ehrlich richtig gut!!
    Oma sagt, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird!!
    Also nicht gleich weichkochen lassen!!
    Darf ich dich mal drücken? ❤️
    Sabine

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