Maßnahmegeschichten 32.23

Da Örge heute etwas zu spät erscheint und Teilnehmerin 15 zu früh dran ist, setzt sich diese zu mir und Örge hat somit am Vormittag quasi frei, weshalb ich ihr am Nachmittag Teilnehmerin 176 überlasse, damit sie nicht den ganzen Tag einfach nur hier sitzt und sich langweilt.

Am Dienstag erfahren wir, dass die Jobcenter keine Dokumente mehr per Mail verschicken dürfen. Der Datenschutz erreicht die nächste Stufe. Auch Namen dürfen im Mailverkehr nicht mehr angegeben werden, nur noch Kundennummern. Letztlich wird dadurch die Kommunikation erschwert, aber der Datenschutz gewährleistet. Das ist so herrlich widersprüchlich zu all dem, was während der Corona-Pandemie gelaufen ist. Da gab es, besonders für ungeimpftes Pack, irgendwie keinen Datenschutz. Lächerlich. Einfach lächerlich.

Der Mittwoch bietet wenig Unterhaltung, abgesehen von zwei überraschenden Fürzen von Örge, die mit einem “Huch” kommentiert werden. Darum teile ich das Büro so gerne, weil man einfach so vertraut wie ein altes Ehepaar werden kann. Später telefoniert sie sehr lange und laut mit ihrer Mutter, so dass ich das Büro verlassen muss und Jörg später die Tür schließt, weil er im Büro am anderen Ende des Gebäudes nicht coachen kann, wegen des Lärms. Auf die Frage, wo ich denn war, antworte ich ihr später wahrheitsgemäß, dass es mir zu laut war. Daher führt sie das nächste Gespräch auf dem Flur zwischen den Büros. So werden alle maximal beteiligt, bis Jörg sich beschwert, weil das einfach nicht zu ertragen ist. Ich, der Stellvertreter von irgendwem, sage nichts dazu, denn ab nächster Woche leitet Örge an einem anderen Standort eine andere Maßnahme. Bis dahin sitze ich das aus. Kurz vor Feierabend habe ich noch einen Brief, der unbedingt heute abgeschickt werden muss. Da sie heute schon bei der Post war, sagt sie, dass ich den Brief wegbringen soll, was ich ablehne. Als ich kurz zur Toilette verschwinde, bekomme ich mit, dass sie die Aufgabe an Jörg übergibt. Sie weiß, wie man delegiert und eine Maßnahme leitet. Da ich es nicht wieß und Jörg den Brief mitnehmen will, wenn er Feierabend hat, der Briefkasten dann aber schon geleert ist, mache ich mich auf den Weg. Ich lasse auch weiterhin jegliche Führungsqualitäten vermissen.

Teilnehmer 178, gerade 18, erwartet in Kürze Nachwuchs. Also nicht er, sondern seine Frau. Kein Zufalls-, sondern ein Wunschkind nach bereits einer Fehlgeburt. Bevor es soweit ist, möchte er noch wissen, was Einfüllungsvermögen bedeutet. Es dauert einen Moment, bis klar wird, dass in der Stellenanzeige Einfühlungsvermögen steht und es nicht darum geht, wie gut jemand irgendwas irgendwo einfüllen kann. Das wäre allerdings leichter zu erklären, denn mit Einfühlungsvermögen kann der Teilnehmer nichts anfangen und er versteht trotz mehrer Erklärungsversuche nicht, was das sein soll. Übersteigt komplett seinen Horizont. Mir tut das Kind jetzt schon Leid, weil es bei dem Vater kaum eine Chance haben wird, sich ordnungsgemäß zu entwickeln. Der Teilnehmer klagt darüber, dass er immer Augenschmerzen hat. Den Hinweis, dass es eventuell davon kommt, dass er die Nächte durchzockt, findet er sehr merkwürdig. Dass es da einen Zusammenhang geben könnte, hält er für absolut unmöglich. Obendrein neigt er zu Wutausbrüchen, bei denen er Gegenstände zertrümmert oder sich die Fäuste blutig schlägt. Meiner Meinung nach sollte er mindestens vier Kinder haben. Einfach, um den Untergang dieser Gesellschaft zu beschleunigen. Warum er die Ausbildung machen will, kann er nicht sagen. Was es ist, was ihm daran gefällt, weiß er nicht. Auch diese Fragen liegen außerhalb seines Verständnisbereichs. Leider ist er kein Einzelfall. Hier hat das Elternhaus komplett versagt, in der Schule konnte man ihm auch nicht helfen und wir sind leider zu spät, um da noch irgendwas zu retten. Wir geben unser Bestes, werden aber höchstwahrscheinlich kläglich scheitern.

Am Donnerstag bekommen wir zwei Arbeitsverträge, schreiben eine Kündigung und sehen Teilnehmerin 1 zum letzten Mal. Sie seiht wieder köstlich aus und ich werde ihren Anblick wirklich vermissen. Besonders dankbar bin ich dafür, dass sie auch heute bauchfrei trägt, so kann ich noch einmal ihren schlanken Bauch betrachten. Wie leicht man mich doch mit solchen Sachen begeistern kann.

Am Freitag haben wir Besuch vom Jobcenter. Man ist zufrieden mit uns und hofft, dass wir auch in Zukunft zusammenarbeiten, weil wir so viele Leute vermitteln. An mir liegt es sicher nicht, sondern an Örge, was sie gestern auch dem Jörg erklärt hat. Dank ihr ist die Quote so hoch. Den Leuten vom Jobcenter erzählt sie, dass sie einen Teilnehmer auf Türkisch gecoacht hat. Unglaublich, wie souverän sie das vorträgt. Das geht nur, wenn man auch daran glaubt und sie glaubt an sich. Kurioserweise wird ihr nicht applaudiert. Sie applaudiert sich auch nicht, was mich fast schon überrascht. Da sie ab nächster Woche weg ist, wird die Quote einbrechen, so viel ist klar. Auch, wer dafür verantwortlich zu machen sein wird. Da ich in der nächsten Woche mindestens an zwei Tagen alleine für alles verantwortlich bin, kann es nur ein Desaster werden. Ich freue mich drauf und kann es kaum erwarten.

Die Abschiedsquote liegt bei 34,76%. Ab jetzt geht es abwärts, was bedauerlich, aber auch vollkommen logisch ist, wenn die beste Mitarbeiterin die Maßnahme verlässt. 27 von 38 Terminen wurden eingehalten. Auch das ist fast sensationell.

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