Maßnahmegeschichten 38.23

Auch wenn es in der letzten Woche tagsüber teilweise noch richtig heiß war, ist unverkennbar, dass dieser vermutlich heißeste Sommer aller Zeiten, der sich aber komischerweise nur selten entsprechend heiß anfühlte, langsam zu Ende geht. Mir ist dummerweise noch nicht die Naivität abhandengekommen, weiter zu glauben, dass der Herbst ganz wundervoll wird und das Novembergrau bis November auf sich warten lässt. Auch wenn ich an vielen der dunklen Tage des unfassbar heißen, aber kurioserweise dunklen Sommers echt zu kämpfen hatte, sehe ich es nicht ein, mich schon jetzt mit den nächsten dunklen Monaten anzufreunden. Auch deshalb, weil mich das grau innerlich zermürben wird und Dunkelheit mich langsam aber sicher komplett runterziehen kann. Ich brauche viel Tageslicht, sonst sterbe ich innerlich ab, verliere jeglichen Antrieb und jegliche Motivation. Positiv daran ist dann nur, dass ich vermutlich weniger Geld ausgebe, weil mir auch dafür Motivation und Antrieb fehlen. Es kann aber auch anders kommen und ich gebe noch mehr Geld aus, weil ich mir was kaufen muss, um die dunklen Monate zu überstehen.

Nachdem ich am Montag Durchfall und Magenprobleme der üblen Art habe, schlafe ich in der Nacht erwartungsgemäß sehr schlecht und bin überrascht, dass ich nicht ständig auf die Toilette muss. Als ich morgens geweckt werde, bin ich natürlich komplett erledigt. An Frühstück ist nicht zu denken, weshalb es nur einen geschmacklich fragwürdigen Tee gibt. Beifußkraut mit etwas Wermutkraut. Geschmacklich absolut nicht zu empfehlen. Weiterhin wüsste ich gerne, was ich mir eingefangen habe, obwohl das auch nichts ändern würde. Bananen und Zwieback könnte sich mein Körper als Nahrung vorstellen. Nicht jetzt, aber vielleicht später. Ich hoffe, dass mich dieser Infekt nicht zu viel Körpergewicht kostet, weil es schwer ist, Gewichtsverluste wieder auszugleichen. Vermutlich habe ich komplett einen an der Waffel, das ich ins Büro will, aber ich versichere, das hat nichts mit Ehrgeiz zu tun. Auch will ich nicht Mitarbeiter des Monats werden, sondern hoffe lediglich, dass es mir, wenn der Tag strukturiert abläuft, eher wieder besser geht. Ich brauche einfach gewisse Strukturen, da kann man nichts machen. Ist halt so. Bei Lidl kaufe ich Bananen und Zwieback und sitze wenig später im Büro und werde rasch müder und müder, was wenig verwunderlich ist.

Teilnehmer 169, der vor zwei Wochen völlig überraschend eine Arbeit aufgenommen hat, lernte heute seine Chefin, die Urlaub hatte, kennen. Diese ist eine echte Kackbratze, was ich schon öfter gehört habe. Jedenfalls wird er für diese Frau nicht arbeiten und dementsprechend seinen Vertrag kündigen. Normalerweise müsste ich jetzt versuchen, ihn umzustimmen, aber erstens würde er nichts bringen und zweitens bin ich gedanklich mehr mit der Frage beschäftigt, wann ich aufgehört habe, so konsequent zu handeln. Wann wurde ich so ein angepasster und verweichlichter Mensch? Ist das überhaupt wichtig? Ich gebe Teilnehmer 169 noch ein paar Tipps mit auf den Weg und verabschiede mich von ihm. Mehr kann ich wirklich nicht tun.

Am Mittwoch versuche ich, wie Örge zu sein, aber wirklich gut bin ich dabei leider nicht. Immerhin schaffe ich es, zwei Stunden weder mit Teilnehmer 162 noch mit Teilnehmerin 167 zu reden. Was ich allerdings nicht schaffe, ist es, vor den beiden zu Frühstücken und mit irgendwem ein privates Telefongespräch zu führen. Was das angeht, ist noch viel Luft nach oben. Eine Gehaltserhöhung ist unter diesen Umständen natürlich keine Option. Dazu fehlen mir einfach ein paar bedeutende Fähigkeiten und ich frage mich, ob ich das in meinem Alter und ohne studiert zu haben, überhaupt hinkriegen kann.

Ein Mann, der in Zukunft an der Maßnahme teilnehmen soll, ist der Ex von Teilnehmerin 145. Dieser Mann soll angeblich erzählen, dass Teilnehmerin 145 etwas mit uns, also Jörg und mir, hat. Wir sind quasi ihre Affäre, oder was auch immer. Zumindest ist es das, was uns Teilnehmerin 145, die zwar schon lange nicht mehr an der Maßnahme teilnimmt, aber fas täglich Kontakt zu uns aufnimmt, sagt. Die Beschränktheit mancher Leute ist unglaublich und ich weiß nicht, ob es so gut ist, dass die alle frei herumlaufen dürfen. Es wird sicher ganz toll, aufregend und informativ, wenn wir ihn demnächst als Teilnehmer bei uns begrüßen dürfen.

Nach ein paar Wochen müssen wir uns bei den Arbeitgebern der früheren Teilnehmer erkundigen, ob der Teilnehmer noch beschäftigt ist und uns ein Formular ausfüllen lassen. Hin und wieder gibt es dabei Probleme. Dieses Mal ist es eine Geschäftsführerin, die mich fragt, wer ich überhaupt bin und warum ich sie anschreibe. Ich erkläre ihr per Mail den Grund meines Schreibens. Ihre Antwort ist einfach köstlich. Sie kennt uns nicht. Dass sie mich vor Wochen angerufen hat, um nach den Fördermöglichkeiten zu fragen und ich den Kontakt zum Jobcenter hergestellt habe, scheint ihr entfallen zu sein. Sie kennt den Teilnehmer von dem Praktikum, welches er in dem Unternehmen absolviert hat, und er benötigte keine Hilfe beim Bewerbungsvorgang. Woher sie dieses Wissen hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der gute Mann ohne Hilfe tatsächlich keine Bewerbungen versendet hätte. Als nächstes schreibt sie, dass geprüft werden sollte, warum scheinbar unnötige Steuergelder ungeprüft ausgegeben werden. Diesbezüglich hat sie angeblich mit dem Jobcenter Kontakt aufgenommen. Das finde ich großartig, denn sie lässt es sich bezahlen, dass der Teilnehmer nun bei ihr arbeiten darf. Diese Förderung aus Steuergeldern ist für sie natürlich keine Geldverschwendung. Ich weise sie daraufhin, dass sie gerne nachprüfen kann, wer mit dafür gesorgt hat, dass sie vom Jobcenter Geld für den Mann bekommt. Erwartungsgemäß höre ich danach nichts mehr von ihr.

Die Maßnahme endet in sechs Wochen. Eine neue wird es dieses Jahr nicht geben. Vielleicht nächstes Jahr. Man will ja, aber es tut sich nichts. Führungskräfte, die es monatelang nicht schaffen, eine Maßnahme auszuschreiben, können ihren Job scheinbar nicht richtig, aber was weiß ich denn schon von den Herausforderungen in Führungspositionen? Ich kann immer nur verurteilen, meckern und kritisieren und behaupte frech, dass besagte Führungskräfte nur reden, heiße Luft ausblasen, aber ihren Job nicht wirklich ordentlich machen. Oder sie wollen nicht, weil es ihnen reicht, die Macht zu haben. Sie allein entscheiden, denn sie haben derart sichere Jobs, dass sie kaum in Verlegenheit kommen, diese zu verlieren, egal, was sie abliefern. Selbst wenn sie nichts abliefern. Ich werde also wieder Monate komplett oder mit etwas Glück nur teilweise an einem anderen Standort verbringen und die Chancen stehen nicht schlecht, dass es diesmal ein Standort wird, der doppelt weit entfernt ist. Fahrzeit eine Stunde oder mehr, wenn die Straßen zu verstopft sind. Es gibt natürlich öffentliche Verkehrsmittel, das würde dann nur fast dreimal so lange dauern. Grüne Träume in Perfektion. So viel Zeit sollte einem die Umwelt schon wert sein. Mir ist meine Lebenszeit leider wichtiger als dumme grüne Ideologien. Aber ich bin auch kein Maßstab, sondern ein dummer weißer Mann, der obendrein seine Haare färbt, um nicht sofort identifiziert zu werden. Aber ich schweife ab, eine weitere unnütze Eigenschaft, die ich einfach nicht loswerde. Vielleicht wird auch alles ganz anders, ich habe Glück und werde Örges Mitarbeiter, dann kann sie sich weiter zurückziehen und ihren Arbeitstag komplett damit verbringen, Nahrung zu sich zu nehmen, Kochsendungen zu schauen und sich ihrer Flatulenz hinzugeben. Wer zwei Euro mehr pro Stunde verdient, der hat es sich auch verdient.

Die Quote liegt bei 36,21 Prozent. Zum Glück ist Örge nun zwei Wochen lang jeweils an drei Tagen pro Woche meine Vertretung, quasi die Vertretung des Stellvertreters, sodass nach meiner Rückkehr die Quote sicher gestiegen sein wird. Alles andere würde mich sehr wundern. Wir können froh sein, dass wir sie haben und dass sie noch so jung ist, denn das bedeutet, dass sie sich noch verbessern kann und wird. Dann bekommt sie sicher noch mehr Gehalt, weil sie es verdient hat und Qualität sich am Ende bezahlt macht, auch wenn ich diese Qualität oft nicht erkenne. Mein Fehler. Der Stellvertreter ist jetzt erstmal weg und übergibt die Maßnahme an eine echte Leitung, eine Fachkraft, von denen es einfach zu wenige gibt.

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