Arbeiten mit und für Frauen

An meinem ersten Tag am neuen Arbeitsort empfängt mich Kirsten vor meinem Büro, zeigt mir alles, hilft mir beim Einrichten des Rechners und wenig später sitze ich schon in der ersten Teamsitzung. Es würde mich sehr wundern, wenn Kirsten nicht die Maßnahmeleitung ist, denn außer ihr scheint mir keiner von uns anderen Anwesenden dazu besser geeignet. Kollegin Nora finde ich komisch und ich frage mich, ob das nur an ihren rot geschminkten Lippen liegt. Geschminkte Lippen sind etwas, was ich nur in wenigen Ausnahmefällen für angemessen halte. In diesem Fall eher nicht. Sandra ist unsere Sozialcoachin. Wie alt Sandra ist, kann ich nicht einschätzen. Möglicherweise irgendwo in den Dreißigern. Die drei verteilen eine Menge Informationen, die mir zu viel und zu theoretisch sind, da ich die Leute, über die gesprochen wird, noch nicht kenne. In den nächsten Wochen oder Monaten werde ich mit den drei Frauen zusammenarbeiten. Allein unter Frauen. Könnte lustig werden. Oder eine Katastrophe. Wir werden sehen.

Kaum ist die Teamsitzung beendet, lerne ich meine erste Teilnehmerin, die etwas Unsympathisches an sich hat, kennen. Sie hat fast jede Woche mindestens ein Vorstellungsgespräch, bekommt aber nur Absagen oder soll warten, bis man etwas für sie hat. Ich würde sie nicht einstellen und denke, dass es vielen Arbeitgebern auch so geht. Die Frau hat sich erst kürzlich beim Jobcenter über Nora beschwert, weil diese sich ein wenig unglücklich ausgedrückt hat. Das trifft sich gut, da ich mich ganz gerne mal unglücklich und unangemessen ausdrücke. Sie möchte, dass ich während der zwei Stunden ihrer Anwesenheit bei ihr im Schulungsraum bleibe und es dauert nicht lange, da packt sie ihr Frühstück aus, weil sie ja irgendwann mal essen muss. Ich verabschiede mich, weil es mir zu blöd ist, ihr beim essen zuzuschauen. Nachdem sie gestärkt ist, darf ich wieder neben ihr sitzen und für sie nach Jobs suchen, während sie gelangweilt mit ihrem Smartphone spielt. Ich finde zwei Stellen, die sie hätte selber finden können, wenn sie ihre Suche nicht frühzeitig eingestellt hätte. Die Bewerbungen werden verschickt, dann wird wieder mit dem Smartphone gespielt. Weil mich das langweilig und ihr Verhalten mich stört, frage ich sie, ob sie uns nicht ein Gedicht vortragen will. Will sie nicht. Singen will sie auch nicht. Leider bin ich froh, als sie nach zwei Stunden weg ist. Ein guter Coach würde sich nicht darüber freuen, sondern versuchen konstruktiv mit der Frau zusammenzuarbeiten. Ich glaube nicht, dass wir zusammenarbeiten werden in den nächsten Wochen, sondern gehe davon aus, dass ich für sie arbeiten werde. Örge, die vorher für sie zuständig war, fand sie gut. Es kommt halt doch darauf an, dass man die richtigen Coaches zugeteilt bekommt.

Später möchte Sandra, dass ich für einen Kunden Bewerbungsunterlagen überarbeite. Zunächst bin ich wenig begeistert, denn das ist nicht mein Kunde, aber dann denke ich, man kann ja nicht schon am ersten Tag ein Arschloch sein und gehe mit dem Kunden in Sandras Büro. Während wir das Anschreiben überarbeiten, gebe ich meine üblichen Kommentare ab, die Sandra wohl gefallen, denn ständig lacht sie und muss manchmal sogar kurz die Arbeit unterbrechen. Endlich funktioniert mein Humor und natürlich steigere ich mich in einen Wahn aus sinnfreien Kommentaren. Nach langer Zeit kann ich mal wieder mein einziges Talent ausspielen. Auch der Teilnehmer hat seinen Spaß, was das Ganze noch weiter aufwertet. Endlich kann ich der Clown sein, der ich lange nicht war. Ich liebe es, wenn ich Frauen mit meinem Humor unterhalten kann. Nachdem der Kunde gegangen ist, fragt mich Sandra, ob ich Germanistik studiert habe, weil ich so schöne Sätze formuliere. Wenn man wirklich Germanistik studiert haben müsste, um so zu reden, wie ich rede, dann wären wir dem Untergang noch mindestens einen Schritt näher und schon jetzt komplett verloren. Da Sandra meinen Humor scheinbar mag, unterhalten wir uns bis zum Feierabend noch häufiger und ich denke, mit ihr könnte die Zusammenarbeit ganz lustig sein. Besonders gefällt mir, dass ich keine Verantwortung an dem Standort habe. Keine Abmahnungen, keine Kündigungen, keine Materialbestellungen, keine Verantwortung fürs Fahrgeld, nichts zu tun mit der Kasse, keine Verwaltungsaufgaben. Um all das muss sich Kirsten kümmern, die daher die Nachfolgerin von Özge als Leitung sein muss. Somit arbeite ich mit ihr und für sie. Wenn es hier so lustig weitergeht, will ich vielleicht nie mehr zurück zum alten Standort.

Der Freitag am alten Standort bietet kaum Zeit zum Durchatmen, obwohl nur ein Teilnehmer für zwei Stunden da ist. Ich muss Berichte schreiben und kontrollieren, neue Verträge machen für Leute, die möglicherweise nie kommen, Termine machen und mir anhören, dass ein früherer Teilnehmer nicht am Persönlichkeitscoaching teilnehmen will, obwohl er bisher sagte, dass er Hilfe braucht und froh ist, wenn er weiter Unterstützung bekommt. Nun will er erstmal beim Jobcenter nachfragen, was das soll. Ständig ändert er seine Meinung, ständig hat er andere Ideen. Entweder hat er einfach nur einen an der Waffel oder irgendein Parasit hat sich in seinem Gehirn eingenistet. Überhaupt klappt nur wenig und es wird erst gegen Mittag interessant, als eine attraktive, junge Frau vor der Tür steht. Eine frühere Teilnehmerin, die aber nur dreimal da war und die ich daher auch nicht kenne. Sie war mit der Hilfe von Jörg sehr zufrieden, mit Örge nicht, denn Örge hatte ihrer Meinung nach keine Lust, ihr zu helfen und hat sie einfach sitzen lassen. So nett die Frau auch anzuschauen ist, Örges Arbeitsweise scheint sie nicht verstanden zu haben. Da mir ihr Anblick gut gefällt, kann ich mir gut vorstellen für sie zu arbeiten und schlage ihr vor, dass sie beim Jobcenter nachfragt, ob sie nicht einen Vermittlungsgutschein bekommen kann, um am Persönlichkeitscoaching teilzunehmen. Ich werde ihr zwar nicht helfen können, aber ich könnte sie grenzdebil angrinsen und mich an ihrem Anblick erfreuen.
Am Nachmittag kommt noch eine zwanzigjährige, frühere Teilnehmerin vorbei, um zu unterschreiben, dass ihr weitere drei Monate hier geholfen wird. Als ich ihr auf Nachfrage mitteile, dass nicht Jörg, sondern ich für sie zuständig sein werde, ist sie sichtlich erleichtert. Die beiden haben irgendwie gar keinen Draht zueinander finden können. Helfen kann ich ihr zwar nicht, aber da sie mich nett findet, macht das vermutlich nichts.

Mein Fazit am Ende der Woche: Am neuen Standort gefällt es mir, weil ich dort keine weitere Verantwortung habe und dort mindestens zwei Frauen meinen Humor verstehen. Außerdem ist es sicherlich für mein Sozialverhalten besser, wenn ich dort bin. Dieses ständige alleine arbeiten ist nämlich durchaus zermürbend und fördert sicher irgendwelche Zivilisationskrankheiten. Allerdings soll man den neuen Arbeitsort nicht schon nach einem Arbeitstag loben, denn oft sind die Dinge anders, als sie im ersten Moment erscheinen. Wie gut mir die Arbeit mit und für Frauen dort tatsächlich gefallen wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Ich bin gespannt.

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