Die Grüßerin

Gegenüber von unserem Büro ist ein Ärztehaus mit vielen Mitarbeiterinnen, die man gelegentlich sieht und an guten Tagen auch grüßt. Manchmal vergesse ich auch zu grüßen, weil grüßen nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört. Einige der Frauen stehen oft draußen und rauchen und manchmal, wenn es regnet, stehen sie vor unserem Gebäude, weil das kleine Überdach sie trocken hält. In der Regel beachten wir uns dabei nicht weiter. Jörg hat sich natürlich schon mit mindestens einer der Frauen unterhalten und findet eine davon irgendwie toll. Oder gut. Sympathisch, nett. Ich weiß es gerade nicht, auf jeden Fall hat er sich positiv über sie geäußert. Da ich nicht so kommunikativ wie Jörg bin und auch nicht wüsste, worüber ich mit den Frauen reden sollte, werde ich es auch künftig nicht tun. Egal, wie nett die nun sind oder nicht sind.

Vor einiger Zeit standen drei der Frauen wieder vor einem unserer Fenster und ich wanderte telefonierend durchs Büro, weil ich beim telefonieren meistens durchs Büro wandere. So ging ich zur Überraschung der Frauen an dem Fenster vorbei, vor dem diese standen. Die Frau, die Jörg so nett findet, fand das erschreckend oder witzig, vielleicht auch erschreckend witzig, dass sie lachte, vielleicht lächelte sie auch nur, entweder weil ich quasi vor ihr stand, oder weil ich beim telefonieren gelegentlich gestikuliere. Jedenfalls lächelte ich zurück, vermutlich grinste ich auch nur blöd, aber irgendwie fand ich die Situation sympathisch und die Frau hat sich nicht angewidert abgewendet, was mir durchaus gefallen hat. Jedenfalls änderte sich durch diese Situation das Grußverhalten. Ein paar Tage später stand diese Frau rauchend draußen, schaute zu mir rein, ich schaute raus und nickte ihr zu. Zu meiner Überraschung nickte sie zurück. Das gefiel mir so gut, dass ich ein paar Tage später in ähnlicher Situation den rechten Arm leicht hob, um sie so zu grüßen. Zu meiner Begeisterung grüßte sie auf die gleiche Art zurück. Wieder ein paar Tage später ging sie an dem anderen Büro vorbei, lächelte mich an und ich lächelte zurück. Wobei mein Lächeln sicher auch als debiles Grinsen bezeichnet werden könnte. Ich muss allerdings gestehen, dass ich längst Gefallen an unserem Grußritual gefunden habe. Als ich Tage später von der Post zurückkam, standen drei der Frauen draußen. Ich grüßte, schaute aber nur die grüßende Frau an und grinste sie an, bis ich an ihr vorbei war. Sie lächelte zurück und ich fand ihr Lächeln sehr angenehm. So leicht bin ich mittlerweile zu begeistern und ich bin gespannt, wie lange wir dieses Ritual noch fortsetzen.

Seit die Umarmerin nicht mehr zum Umarmen kommt, ist das Grüßen der grüßenden Frau, die ich ab nun nur noch die Grüßerin nenne, der Höhepunkt meiner Arbeitswoche. Keine Ahnung, was das über mich aussagt und wo es enden wird.

2 Kommentare

  1. Wenn die Grüsserin zur Umarmerin 2 wird, darf sie aber keine Raucherin mehr sein.

    • Da sie aber eine Raucherin ist und ich nicht mit ihr rede, wird das nichts mit dem umarmen. 🤷‍♂️
      Wie sagte einst ein großer Philosoph: Irgendwann ist die Zeit des Umarmens vorbei.

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