Dezember 2004

Donnerstag, 08. Dezember
Nachdem am letzten Donnerstag der Unterricht ausfiel dürfen wir heute Teil 3 des Themas ‘Haus und Wohnen’ über uns ergehen lassen. Zum Glück unter anderer Leitung. Ein Herr Klemmbrett hält den Unterricht ab. Auch er scheint mich zu mögen, denn er fragt mich ständig irgendwas. Antworten kriegt er von mir nur selten, denn woher soll ich das alles wissen? Trotzdem ist er von den bisherigen Vorturnern der Erträglichste, fast normal möchte ich mal behaupten. Was mich allerdings etwas verwundert ist, dass, wenn er seine Anekdoten von sich gibt, es dieselben sind, wie bei den anderen Vorturnern. Da fragt man sich natürlich, ob man als Mitarbeiter dieses Finanzdienstleistungsunternehmens grundsätzlich früher oder später dasselbe erlebt oder ob diese Geschichten doch nur der Unterhaltung dienen sollen und nichts weiter sind als ‘Grimms Märchen’. Ich habe das Gefühl, dass wir da vorne nur Märchenerzähler stehen haben, doch das behalte ich mal besser für mich. Glauben die wohl selbst den ganzen Dreck und die ganzen Geschichten, die sie da zum Besten geben?


Freitag, 10. Dezember
Während ich zu Hause gemütlich am PC sitze klingelt mein Telefon. Ein Herr B. aus Waltrop ruft an und ist furchtbar sauer. Was ich mir erlaube, ihm Werbematerial zu schicken. Er will die Erlaubnis sehen, die er erteilt hat und die besagt, dass er Infopost erhalten darf und wenn die nicht in den nächsten Tagen da ist, wird er weitere Schritte einleiten. Ich kann den Wüterich nicht beruhigen und verspreche ihm, mich darum zu kümmern. Da hab ich natürlich zu viel versprochen, weil ich gar nicht vorhabe, irgendwas zu unternehmen. Bringt mich meine seriöse Tätigkeit etwa bald ins Gefängnis? Das wäre sicher eine lustige Situation, wenn ich da mit meinem Anzug im Gefängnis sitze und Datenerhebungen mache. Irgendwie freue ich mich jetzt sogar darauf.


Samstag, 11, Dezember
Heute präsentiere ich Herrn Ekelfink den Widerspruch von Petra zu ihrer frisch vermittelten Fondspolice. Das überrascht Herrn Ekelfink auf dem falschen Fuß, denn er kann einfach nicht verstehen, wie jemand ein Produkt widerrufen kann, welches so hohe Kosten verursacht, dass man nach zehn Jahren aller Vorrausicht nach weniger rausbekommt als man eingezahlt hat. Tja, nicht alle Kunden lassen sich jeden Dreck andrehen. Dass ich den Mist auch sofort widerrufen hätte, verschweige ich ihm besser. Vor lauter Wut kündigt er an, dass wir ab sofort nichts mehr an Petra verkaufen. Bockig wie ein Schulkind führt er sich auf. Ich schweige, denn ich will ja noch ein paar Tage diesem lustigen Team, welches ständig neue und unglaublichere Merkwürdigkeiten zu Tage fördert, beiwohnen.
Den Rest des Tages beachte ich Herrn Ekelfink kaum noch. Als er mir vorschlägt den Vertrag selber zu übernehmen, damit es kein Storno gibt, weil es ja auch mein erster Verkauf war und meiner Karriere nicht dienlich ist, frage ich mich ernsthaft, ob er total durchgeknallt ist, mir diesen Mist jetzt aufs Auge drücken zu wollen. Ich gehe auf seine Frage dann auch nicht wirklich ein. Soll er den Vertrag doch selber übernehmen, wenn er ihn so toll findet. Später als Petra im Büro anruft, erkläre ich in Anwesenheit von Herrn Rotenbaum, dass ich das Verhalten von Herrn Ekelfink total kindisch finde und es kein Verlust ist, dass Petra nun nicht mehr von diesem Finanzdienstleistungsunternehmen betreut wird. Besser gar nicht als schlecht betreut. Was Herr Rotenbaum davon hält weiß ich nicht. Später jedoch, als ich mich weiter über diesen Vorgang aufrege, scheint er meiner Meinung zu sein. Alles irgendwie merkwürdig.


Sonntag, 12. Dezember
Heute findet der Weihnachts-Brunch für unser Büro statt. Ich nehme selbstverständlich nicht daran teil.


Donnerstag, 16. Dezember
19.00 Uhr. Schule steht auf dem Programm. Thema heute: Gesundheitsversorgung. Dozent Herr Eindhoven macht einen normalen Eindruck auf mich. Liegt vielleicht daran, dass er erst seit sechs Jahren dabei ist und schon über vierzig war als er dazu kam. Auch wenn der Unterricht sehr langweilig ist und auch er mir den Ball zuwirft, lässt es sich aushalten. Ich weiß nun, dass unser Gesundheitssystem keine Zukunft mehr hat. Schön. Zeit nach Hause zu fahren, denn es ist bereits kurz vor 22.00 Uhr.


Dienstag, 21. Dezember
Heute haben wir einen Termin bei einem Herrn B., Steuerberater. Das Gespräch verläuft etwas anders als erwartet, denn Herr B. hat keine Lust sich die Finanzdienstleisterstandardgeschichte erzählen zu lassen. Er will direkt wissen, wie er sein Geld anlegen kann. Herr Rotenbaum bietet wieder das Übliche an: Aufbauplan Schiff (Sparplan Segelyacht) und HAUS DREI (geschlossener Immobilienfonds), doch davon will Herr B. nichts wissen, denn das ist alles zu riskant und nichts für ihn. Er will Medienfonds. Haben wir nicht. Dafür bieten wir ihm US Renditefonds an, die tatsächlich sein Interesse wecken und worüber er mehr wissen will. Ich hingegen will davon nichts wissen. Gar nichts.

Am späten Nachmittag bringe ich Herrn B. die gewünschten Unterlagen und bin gespannt, ob er sich irgendwann deswegen meldet. So richtig daran glauben kann ich nicht.


Donnerstag, 23. Dezember
19.00 Uhr. Wieder Schule. Und wieder verbringen wir den größten Teil des Abends damit, die Einwandbehandlung über uns ergehen zu lassen und Telefongespräche zu üben. Etwas mehr Fachunterricht wäre sicher angebrachter. Glücklicherweise dürfen wir etwas eher gehen, da um 21.45 Uhr die Harald Schmid Show kommt und irgendwer den Dozenten davon überzeugt hat, dass man das sehen muss. Gute Sache.


Montag, 27. Dezember
Tatsächlich habe ich es geschafft pünktlich um 10.00 Uhr im Büro zu sein. Ich weiß auch heute nicht, was mich dazu getrieben hat und worin der Sinn dieses Ganzen liegt, aber da ich nun einmal hier bin, kann ich auch bleiben. Herr Ekelfink präsentiert, wie an jedem Montagmorgen, die Zeitungsartikel der letzten Tage. Ist eigentlich immer ganz nett. Man braucht nur dabei sitzen und hat seine Ruhe. Nach seiner Präsentation wird er allerdings wieder merkwürdig und verlangt von mir, dass ich für die nächsten beiden Tage Termine lege, dazu soll ich einfach irgendwelche Leute aus dem Telefonbuch anrufen. Ich gucke kommentarlos durch den Raum. Zu solch einem Unfug habe ich keine Lust. Später lasse ich Herrn Rotenbaum ein paar Anrufe für mich erledigen und irgendwann verschwinde ich, weil ich etwas Wichtiges zu erledigen habe. Termine habe ich keine. Wie überraschend.


Dienstag, 28. Dezember
Wieder sitze ich im Büro und bin gespannt, was der Tag bringen wird. Draußen schneit und stürmt es. Bei so einem Wetter sollte man zu Hause im Bettchen liegen. Wir beginnen mit leichter Verspätung den Arbeitstag und lernen etwas über den Sparplan Segelyacht und den HAUS DREI. Der HAUS DREI ist besser als eine Lebensversicherung und eine tolle Sache. Das in der Gesprächsnotiz extra darauf hingewiesen wird, dass ein Totalverlust möglich sein könnte, scheint im Büro niemanden zu interessieren. Das Produkt, so glauben hier scheinbar alle, oder zumindest tun sie so, ist absolut sicher und bringt eine hohe Rendite. Da frage ich mich natürlich, warum wir eine solche Gesprächsnotiz vom Kunden unterschreiben lassen, um aus der Haftung zu sein, wenn doch alles so sicher und gewinnbringend ist. Ich spreche die Frage aber nicht aus, denn es würde mich niemand verstehen. Der Spaß mit der Gesprächsnotiz ist auch für den Sparplan Segelyacht nötig. Die spinnen doch hier alle.


Mittwoch, 29. Dezember
Um 18.00 Uhr sitze ich im Büro und darf mir anhören, welche tollen neuen Produkte das Jahr 2005 bietet. Das Ganze verpackt in eine “Wir müssen den Umsatz steigern, alles wird besser” Show. Ich hoffe man sieht mir meine Begeisterung nicht an. Dies war nämlich ursprünglich mein Fußballabend, da habe ich grundsätzlich kein Interesse an neuen Produkten und erst recht nicht an irgendwelchen Motivationsrunden. Als dann auch noch das Motto für den kommenden Montag verkündet wird, reißt es mich fast vom Stuhl: “Zehn Termine in zehn Tagen”. Jetzt sind die völlig durchgeknallt. Wie soll ich denn zehn Termine vereinbaren, wenn niemand will, dass ich ihn belästige und ich auch nicht weiß, wen ich anrufen soll? Angeblich hat unser Teamleiter etwas vorbereitet für Montag. Ich halte das für blödes Geschwafel und bin sicher, dass am Montag nichts vorbereitet sein wird, was mich in irgendeiner Weise zu einem Termin führt. Ich will jetzt nur noch nach Hause, denn die Mitarbeiter hier sind doof.


Donnerstag, 30. Dezember
Eigentlich müsste ich in der Schule sein, aber erstens habe ich dazu gar keine Lust und zweitens habe ich Schnupfen und somit einen Grund zu Hause zu bleiben. Also gucke ich Big Brother, Big Boss und dann noch Pocher. All das ist tausendfach besser als so ein Besuch in der Schule der Anzugträger mit ihren langweiligen Geschichten.


Silvester 2004
Zeit für ein Fazit. Seit drei Monaten bin ich nun Teil dieses Finanzdienstleistungsunternehmens und meine Einnahmen sind, wie nicht anders zu erwarten, gleich Null. Wenn man jetzt noch die monatlichen Bürokosten von 150€ und die Fahrtkosten dazu addiert, stellt man sehr schnell fest, dass ich kein guter Geschäftsmann bin. Ich beginne das nächste Jahr trotzdem mit nur 300€ Mietschulden, weil allen Mitarbeitern die Monatsmiete für Dezember erlassen wurde. Läuft vielleicht doch besser als es den Anschein hat. Ich muss nur ganz fest daran glauben, dann wird das schon.

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