Mond, Mars und ISS

Wenn Petra mich nicht darauf hingewiesen hätte, wäre die außergewöhnliche Konstellation einfach an mir vorübergegangen, ohne dass ich davon gewusst hätte. Doch weil Petra aufmerksam war klettern wir jetzt auf die Halde Großes Holz in Bergkamen. Für eine mäßig trainierte Person gar nicht so einfach, weil durchaus anstrengend. Doch wer etwas erleben will, der muss auch was dafür tun. Glücklicherweise ist Petras Kondition weniger ausgeprägt, so dass ich mich etwas besser beim Aufstieg fühle als mir zusteht.
Oben angekommen treffen wir auf nicht unbedingt wenige Leute, die sich das kommende Schauspiel auch nicht entgehen lassen wollten. Ein Geheimtipp ist diese Halde sicher nicht. Menschen haben ihre Kameras mitgebracht und Stative aufgestellt. Hier wird heute Geschichte geschrieben und ich bin dabei. Ein persönlicher Smart Home Berater nutzt die Gelegenheit gleich doppelt und trägt ein pinkfarbenes Shirt mit dem er sich als persönlicher Smart Home Berater zu erkennen gibt. Das nenne ich Einsatz. Und dann beginnt das große Warten. Warten auf, auf was denn eigentlich? Ich weiß es nicht genau. Der Mond soll erscheinen, der Mars ebenso und die Raumstation ISS soll vorbeisausen. Ziemlich viel für einen Freitagabend. Mehr und mehr Pilger pilgern zu uns herauf. Und weil der Deutsche nur dann vollständig ist, wenn es auf Events dieser Art etwas Ordentliches zu trinken gibt, haben einige Bier mitgebracht. Das lockert auf, hebt die Stimmung, simuliert Geselligkeit. Da mache ich gerne nicht mit. Im hohen Gras bzw. Gestrüpp haben sich einige Menschen niedergelassen und ich kann förmlich spüren, wie die Zecken sich auf sie stürzen. Bierchen, Zeckchen, wunderbar. Es ist so schön Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Ich gucke zum Himmel, alle gucken zu Himmel, die Kameras sind bereit, doch es passiert nichts. Gar nichts. Wie wir sehen, sehen wir nichts. Da nehme ich an einer Veranstaltung teil, bei der es etwas Außergewöhnliches zu sehen geben soll und dann sehe ich nichts. Das nenne ich spannend. Irgendwann werden ein paar Leute neben uns unruhig als hätten sie etwas entdeckt. Alle wollen durch die Kamera des Mannes schauen, um die Sensation zu sehen und sind anschließend ganz begeistert. Ich starre ratlos zum Himmel und entdecke nichts. Vielleicht machen die das, um für Verwirrung zu sorgen. Nun erkennen auch andere etwas und sind ganz aufgeregt. Das Gemurmel nimmt zu. Ich starre zum Himmel und erkenne auch weiterhin nichts. Bin ich hier in eine Massenveranstaltung von „Verstehen Sie Spaß?“ geraten und werde auf den Arm genommen? Einer der Jungs vor mir hat ein Foto gemacht und präsentiert es den anderen. Ein roter Mond. Nur woher hat er ihn? Da ich auch weiterhin nichts sehe, verhalte ich mich möglichst unauffällig und beobachte abwechselnd die Menschen und den, für mich Mondlosen, Himmel. Möglicherweise bin ich kurzsichtiger als gedacht. Ich kneife die Augen zusammen, blicke in die Richtung in die alle anderen schauen und sehe noch immer nichts. Da ist Mondfinsternis und ich sehe maximal Finsternis. Weitere Kameradisplays zeigen einen Mond und ich werde langsam durchaus unruhig. Dann endlich entdecke auch ich ihn. Es gibt ihn tatsächlich und ich bin doch nicht verloren. Roter Mond. Jetzt ist alles so, wie es sein soll. Die Halde ist mittlerweile voller Menschen und es kommen noch immer neue nach. Ein etwas fülliger, kleiner Mann klettert die Halde hoch, dreht sich um, fällt hin, steht auf und tut als wäre nichts geschehen. Immerhin werde ich hier unterhalten. Plötzlich sagt Petra, sie sieht den Mars und deutet auf einen roten Punkt. Für den Mars erscheint mir der Punkt zu klein, ich vermute eher eine Ampelanlage. Doch das kann auch nicht sein, weil Ampeln in der Regel nicht so weit über dem Boden angebracht werden. Wenige Augenblicke später herrscht Gewissheit, es ist der Mars. Rechts unter dem Mond. Wir erleben hier alle gerade etwas unglaublich Außergewöhnliches und ich weiß nicht, ob wir angemessen damit umgehen. Aber wie geht man angemessen mit solchen Ereignissen um? Ich bin noch ratlos, da zeigt vor mir jemand dem Smart Home Berater etwas am Himmel. Die ISS scheint auf dem Weg zu sein, anders kann ich mir diese Aufregung nicht erklären. Und tatsächlich saust etwas über unsere Köpfe hinweg. Verdamm schnell, verdammt klein, verdammt beeindruckend. Was für ein Abend. Ich dachte die ISS würde von der anderen Seite kommen und direkt zwischen Mond und Mars entlang fliegen. Da habe ich mich wohl geirrt. Dieses einmalige Erlebnis wird sich so wohl nie wiederholen und ich stehe hier mit lauter fremden Menschen und überlege, was so ein Erlebnis wohl mit uns macht. Müsste ich nicht emotionaler damit umgehen? Wieder starre ich Mond und Mars an und frage mich, wieso ich sterblich bin. Ich bin vermutlich älter als die Menschen vor und neben mir, glaube aber, jünger zu sein. Irgendwas an mir ist da wohl schiefgelaufen und weder Mars noch Mond können etwas daran ändern. Die Attraktivität steigt proportional zur Dunkelheit, ist alles, was wir in diesem Moment einfällt. Ich bin schon ein komischer Mensch. Mittlerweile ist es tatsächlich richtig dunkel geworden und ich denke über den Rückweg nach. Ich hatte gelesen, dass man besser eine Taschenlampe mitbringt, aber da ich nicht an Taschenlampen glaube, habe ich das nicht gemacht, Nun frage ich mich, wie ich bei der Dunkelheit hier wohl nachher runterkomme. Natürlich hat mein Smartphone eine Taschenlampe, natürlich hat auch Petra eine Taschenlampe, aber ich mache mir gerne unnütze Gedanken. Das liegt in meiner Natur.
Es ist bereits nach 23.00 Uhr als ich das Bedürfnis verspüre, diesen Ort zu verlassen und so machen wir uns wenig später an den Abstieg. Petra leuchtet die Dunkelheit einfach weg und es scheint schwieriger zu sein von einer Halde hinabzusteigen als hinaufzuklettern. Aber vermutlich bilde ich mir das nur ein, weil ich ja seit dem Aufstieg weiter gealtert bin. Und je älter man wird, desto schwieriger wird so manches. Der Mond wird langsam heller und ich werde sicher noch eine Weile über dieses Ereignis nachdenken. Anderseits ist es aber ebenso möglich, dass ich das nicht tue, weil es ja vorbei ist.


Gemeinsames Warten auf die Mondfinsternis. Ein Event für jedermann.

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