Die vierzehnte geteilte Arbeitswoche

Kurz bevor ich auf die Autobahn fahre, schalte ich das Navi ein, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass es eine gute Idee ist. Sofort werde ich umgeleitet, weil ein Stau auf der A42 für unnötige Verzögerungen sorgt. Ich werde über die A2 geleitet. Die Kontrollleuchte für die Motorelektronik leuchtet natürlich und ich warte irgendwie ständig darauf, dass der Motor ausgeht. So macht Autofahren jedenfalls keinen Spaß mehr. Kurz bevor ich am Arbeitsplatz ankomme, klingelt mein Telefon. Da ich die Nummer nicht zuordnen kann, bin ich gespannt, wer das wohl ist. Es ist die Chefin. Sie fragt, ob ich den Büroschlüssel vom anderen Standort dabeihabe und bittet mich dann, dass ich zum anderen Standort fahre. Mit einem Fahrzeug, dem man traut kein Problem, mit einem Coupé voller Fehler einfach nur nervig. Am alten Standort bauen wir ein wenig für die neue Maßnahme um. Dabei erfahre ich, dass Kollege Jens nur an zwei Tagen mit mir arbeiten wird. Dazu kommt dann noch die jüngste Kollegin des Unternehemens, die an drei Tagen vor Ort sein soll. Ich glaube, dass das nur offiziell so angegeben wird, ich aber meistens alleine sein werde. Vermutlich ist nur am Montag und am Freitag jemand da. Wir werden sehen. Weil das alles länger als erwartet dauert, komme ich erst gegen 14.00 Uhr zurück zum anderen Standort. Mein Büro ist besetzt, weshalb ich zu JJ ins Büro muss. Da er um 15.30 Uhr Feierabend macht, bin ich die letzte halbe Stunde alleine, aber nur in der Theorie, in der Praxis sieht es so aus, dass Oma Sheriff und auch Anke öfter auf einen Plausch vorbeikommen. Das wird mir schon ein wenig fehlen am alten Standort. Da werde ich dann wieder voll der Exot, der kaum mit jemandem redet. Vermutlich ist das nicht gut, aber das wird mir schon bald nicht mehr bewusst sein.

Auf der Rückfahrt geht plötzlich und unerwartet die Kontrollleuchte für die Motorelektronik aus, dafür aber die Abgas-Kontrollleuchte an. Ich schätze, da kommen in Kürze weitere Kosten auf mich zu. Ein wirklich tolles Fahrzeug habe ich da. Sobald ich ein bezahlbares Auto, das meinen Vorstellungen entspricht, finde, wird das Coupé nicht mehr benötigt. Ich muss nämlich leider sagen, dass ich mit dem Coupé abgeschlossen habe. Leider, oder zum Glück, gibt es nur wenige Fahrzeuge, die meinen Ansprüchen genügen und obendrein bezahlbar sind.

Am Mittwoch bin ich kaum im Büro, ist auch schon der Chef da. Er erzählt ein paar Dinge, dann landen wir unweigerlich beim Thema Corona. Er hofft, dass bald endlich alle geimpft sind. Ich sage nichts, weil er bei mir vergeblich hofft und für mein Verhalten sicher kein Verständnis hat. Während seiner Anwesenheit tragen wir permanent Masken, weil das sicher sicherer ist. Egal, wie weit wir voneinander entfernt sitzen, die Maske bleibt auf. Ich spiele brav mit, weil ich nur ein ungeimpfter Angestellter bin, der für seine Dummheit noch immer ungeimpft zu sein, eigentlich die Maske niemals mehr abnehmen dürfen sollte. Einfach um der Welt zu zeigen, dass ich unsolidarisch und geisteskrank bin. Wir sprechen dann auch noch über die Mitarbeiter dieser Maßnahme und ich erfahre, dass die Kollegin nur selten vor Ort sein wird, weil sie woanders gebraucht wird. Mich überrascht das nicht und denke eh, dass ich die meiste Zeit alleine hier sein werde.

Zur sogenannten Auftaktveranstaltung treffen die beiden Chefs vom Jobcenter und eine blonde Frau ein. Die Frau ist jünger als erwartet, hat eine gute Figur, blonde Haare und schöne Hände/Finger. So kann ich mich nicht konzentrieren und muss ständig zu ihr rüber sehen. Dabei sind Frauen mit blonden Haaren doch eigentlich nicht mein Fall. Sehr merkwürdig. Als wir später auf unseren Plätzen sitzen und die Gäste ihre Masken abnehmen bin ich erleichtert, dass ich nun auch endlich das Ding abnehmen kann. Auch ohne Maske wird die blonde Frau nicht unattraktiver. Kurz landet man bei Thema Corona, der eine Chef ist voll durchgeimpft, wie er sagt. Fehlt nur noch, dass er gechippt wird und eine Wurmkur macht. Können wir bitte mit dem Thema aufhören? Danke. Es folgt der offizielle Teil, der innerhalb weniger Minuten erledigt ist. Ich weiß echt nicht, was so Termine sollen, aber ich weiß so vieles nicht. Nach dem offiziellen Teil stehen wir noch eine Weile irgendwie unbeholfen in den Räumen herum und ich bin damit beschäftigt die blonde Frau zu beobachten. Dass sie mich nicht beachtet ist wenig verwunderlich, da ich mindestens zwanzig Jahre zu alt bin, um von ihr beachtet zu werden. Sie hat hellblaue Augen, was mir sehr gut gefällt, und ist ein durchaus gelungenes Gesamtkunstwerk. Ob es an zweieinhalb Jahren ohne Sex liegt, dass ich so begeistert bin? Und wann werde ich beim Anblick attraktiver Frauen nicht mehr nur glotzen, sondern auch sabbern? Endet das denn nie?

Bevor es zurück nach Herne geht machen der Chef und ich ein paar Witze, ich verliere kurzfristig meine unkommunikative Art und bringe den Chef mehrfach zum Lachen. Ich weiß nicht, ob das professionell und akzeptabel ist.

Zurück in Herne teile ich mir das Büro abermals mit JJ. Um mitzuteilen, dass ich wieder da bin, gehe ich in die Verwaltung und winke den beiden Damen. Oma Sheriff gibt mir ein Handzeichen, dass ich in ihr Büro kommen soll, was ich natürlich selbstverständlich mache. Aus noch ungeklärten Gründen setze ich mich und wir unterhalten uns über dies und das. Es gibt eine Aktion, die sich Speed Dating nennt und die jährlich stattfindet. Vom beruflichem Speed Dating zu privatem Speed Dating ist es nur ein kurzer Weg, weshalb ich ihr davon erzähle, dass ich schon ewig vorhabe mal so ein Speed Dating zu besuchen. Schnell entwerfen wir ein paar verrückte Ideen und dann verliere ich zum zweiten Mal am heutigen Tag meine professionelle Distanz und duze Oma Sheriff. Natürlich entschuldige ich mich sofort für diesen Fauxpas und sieze sie dabei ordnungsgemäß. Wenig später sagt sie, dass sie Oma heißt. Ich bin Doc. Kurz bevor ich nicht mehr an diesem Standort arbeite, habe ich meinen Plan, dass wir konsequent beim Sie bleiben, selbst geschrottet. Meine Professionalität ist mir nur für einen Moment abhandengekommen und nun sind wir per Du. Um das zu verarbeiten, verlasse ich direkt danach das Büro. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen?

Später führe ich im Büro von JJ drei Einzelgespräche und bin dabei so albern und laut, dass Oma Sheriff aus ihrem Büro zu uns kommt, um nachzusehen, was da wohl los ist. Sie ist sehr verwundert, dass ich nicht in meinem Büro sitze, weil das ja frei ist. Davon wusste ich nichts, sonst hätte ich mich natürlich abgesondert.

Als der Kollege später rauchen ist, kommt Oma Sheriff erneut vorbei und wundert sich, dass ich nicht zurück in mein Büro gegangen bin und stattdessen weiter hier sitze. Ich sage, es ist Teil meiner Vermenschlichung und Resozialisierung. Wir landen erneut beim Thema Essen, reden über meine Essgewohnheiten bzw., meine Weigerung frisch zu kochen. Sie bietet mir Nüsse an und da wir uns schon wieder siezen, sage ich, dass wir doch eigentlich beim Du waren. Stimmt, aber das sollen nicht alle wissen, weil die das dann auch wollen. Das kann ich gut verstehen, ich will auch nicht jeden duzen, duze aber fast jeden hier. Die verbleibende Zeit bis ich komplett an den anderen Standort zurückkehre, will Oma Sheriff nutzen, um mich dazu zu bringen, öfter selber zu kochen und gesünder zu essen. Ich bin schon gespannt, wie sie das anstellen will, verrate aber nicht, dass daran schon andere gescheitert sind. Es bleibt scheinbar spannend bis zu meinem letzten Tag hier.

Eine Weile später erscheint Oma erneut im Gemeinschaftsbüro, um mitzuteilen, dass sie gerade in mein Büro wollte und feststellen musste, dass noch immer abgeschlossen ist. Da JJ anwesend ist, siezen wir uns. Am Ende des Gesprächs vergleicht mich Oma mit Graf Zahl. Wenn ich es richtig verstehe, soll ich so einen Umhang tragen. Dann muss sie ganz schnell weg. Das ist alles wirklich unterhaltsam und vielleicht auch ein bisschen verrückt. Ich google nach Graf Zahl, weiß aber nicht, was ich davon halten soll.

Nachdem JJ seinen Arbeitstag beendet hat, besucht mich Oma Sheriff ein letztes Mal für heute. Sie duzt mich, ich umgehe eine persönliche Anrede, weil ich länger brauche, um das Du nutzen zu können, wenn ich es nicht versehentlich nutze. Während sie so in der Tür steht, erinnert sie mich auf einmal an Birte. Sie ist ungefähr so alt wie Birte damals war, als wir uns kennenlernten. Oma Sheriff ist in etwa gleich groß, hat eine ähnliche Figur und hat auch irgendwas, was mir gefällt. Ich nehme mal an, dass mir der Gedanke an Birte eine Warnung sein soll, denn das war damals eine sehr ungesunde Beziehung. Aber Oma hat so schöne Hände und so glatte Haut und ich finde das einfach entzückend. Bestimmt sind das alles Auswirkungen meines Sexentzugs und das Fehlen körperlicher Nähe, weshalb ich hier ganz durcheinander bin. Nach einer Weile kommt auch Anke kurz vorbei und erst jetzt fällt mir auf, wie sie sich heute gekleidet hat. Schwarze Schuhe, schwarze Strumpfhose und darüber ein schwarzes, enges Kleid. Ich bin für einen Augenblick ganz verwirrt und hoffe, dass ich nicht debil grinse oder anfange zu sabbern. Das ist doch alles ein abgekartetes Spiel der beiden, weil sie mich in den Wahnsinn treiben wollen. Nachdem Anke wieder weg ist, möchte Oma Sheriff, dass ich für sie in meinem Büro Zettel oder Nachrichten hinterlasse, die sie dann, wenn sie mal etwas Zeit hat, in dem Büro sucht. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Zwei Wochen muss ich noch durchhalten, dann bin ich ganz zurück am anderen Standort und in Sicherheit.

Der Besuch in der Werkstatt ist ernüchternd. Angeblich ist der Luftmassenmesser verantwortlich. Der wurde im Mai letzten Jahres ausgetauscht und ich glaube irgendwie nicht, dass er tatsächlich schon kaputt ist. Der Fehlerspeicher wird gelöscht. Ich werde das beobachten und bei Bedarf entscheiden, wie es weitergeht.

Am Donnerstag bin ich am alten Standort und schreibe direkt drei Berichte, die ich zur Kontrolle an Frau Kleinkariert schicke. Ich kann es kaum erwarten, ihre Anmerkungen dazu zu lesen und die Berichte zu überarbeiten. Später bekomme ich eine Mail von Oma Sheriff. Während ich weiterhin die übliche Grußformel verschicke, endet ihre mit LG Oma. Da muss ich mich echt erst dran gewöhnen.
Als wir später telefonieren ist es noch immer ungewohnt sie nicht mehr zu siezen und ich muss mich voll konzentrieren, es nicht zu tun. Zwischenzeitlich wird das Gespräch etwas ausgelassen, albern, vielleicht auch zweideutig oder etwas frivol. Vor etwa drei Jahren wäre ich auf so etwas vermutlich eingestiegen, egal, welche Konsequenzen das gehabt hätte. Bei so einem Gespräch wäre ich ganz angetan gewesen. Heute muss ich darauf verzichten aktiv an dem Gespräch teilzunehmen und werde so immer mehr zu einer Witzfigur. Vielleicht kann man anfangs glauben, ich sei nur angenehm zurückhaltend oder auch etwas schüchtern, aber irgendwann wird man feststellen, dass ich auf gar nichts einsteige und den Spaß verlieren solche Gespräche mit mir zu führen. Wäre nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass ich auf gar nichts einsteige. Auch wenn mir solche Gespräche und Albernheiten fehlen werden, werde ich froh sein am anderen Standort derartigen Gefahren nicht mehr ausgesetzt zu sein, denn was nützt all der Spaß, wenn man letztlich doch nicht mitspielen kann? Ich finde das irgendwie frustrierend.

Am Freitag erfahre ich, dass Arbeitgeber keine Bescheinigungen, dass man im Unternehmen negativ auf Covid-19 getestet wurde, mehr ausstellen dürfen. Somit hat sich meine samstägliche Massage auch erledigt. Nun gut, unsolidarische Arschlöcher wie ich haben es auch nicht anders verdient. Zwei kleine Pikser könnten mein Leben wieder normalisieren, selbst schuld, wenn ich mich fürs impfen derzeit nicht begeistern mag. Dummerweise wird meine Meinung zu den aktuellen Impfstoffen nicht gerade besser, wenn ich höre, dass in einigen Ländern nicht mehr mit dem guten Stoff von Moderna geimpft wird. Ähnliches ist ja auch schon mit dem guten Stoff von Astrazeneca passiert. Gut, das sind reine Vorsichtsmaßnahmen und vermutlich nicht nötig, weshalb man das Zeug in Deutschland auch weiterhin bekommen kann, aber dummerweise nimmt mir das ein wenig die Begeisterung für die gesunde und schützende Impfung für Zwischendurch. Klar, stelle ich mich da ein bisschen an wie eine Mimose, aber ich bin jetzt auch in einem Alter, in dem eine gewisse Schrulligkeit sich mit einer Portion Starrsinn vermischt. Dazu noch der aufkommende Altersschwachsinn, so verzögern sich manch sinnvolle Handlungen leider manchmal um mehrere Monate. Aber eines Tages, so wird es sein, werde auch ich zur Vernunft kommen. Bitte haben Sie noch ein wenig Geduld mit mir, dann wird das schon. Sollte ich vorher versterben, habe ich es auch nicht anders verdient. Genug jetzt davon, ich muss weiterarbeiten.

Zunächst schreibe ich noch zwei Berichte, die ich im Anschluss an Frau Kleinkariert schicke. Zu den drei beichten von gestern hat sie sich noch nicht geäußert. Mal schauen, wann ich von ihr höre. Bis dahin schicke ich die Berichte erstmal nicht ans Jobcenter. Den Rest des Arbeitstages verbringe ich damit Unterlagen, Listen und Vorlagen für die kommende Maßnahme vorzubereiten. Die Zeit vergeht fast rasend schnell. Zwischendurch verabschiede ich einen Teilnehmer, der heute zum letzten Mal bei uns ist. Einem anderen erzähle ich, wie wichtig das so beliebte Netzwerken für seine berufliche Zukunft ist. Ich habe zwar von nichts eine Ahnung und kann mich selber nicht fürs Netzwerken begeistern, aber da ich der Coach bin, hört der Mann mir zu und glaubt am Ende möglicherweise, dass ich weiß wovon ich rede. Doch eigentlich weiß ich gar nichts. Ich rede nur, weil man mich lässt und ich dafür bezahlt werde. Obwohl ich es einerseits gut finde, dass ich hier alles nach meinen Vorstellungen gestalten kann, selbstverständlich im Rahmen des Erlaubten, frage ich mich mehrfach, ob es nicht besser wäre, wenn ein anderer verantwortlich wäre. Ich vergesse nämlich ständig was, mache Fehler, rege mich tierisch darüber auf und beschimpfe mich jedes Mal, wenn ich irgendwas nachfragen muss. So einer kann und darf kein Maßnahmeleiter sein. Da sollte der Gesetzgeber echt eingreifen. Tut er aber nicht. Und so endet die Arbeitswoche. Noch zwei geteilte Arbeitswochen, dann bin ich dauerhaft hier, darf eine junge Frau anlernen und werde danach meine eigenbrötlerisches und unsoziales Arbeitsleben fortführen. Im besten Fall zwei Jahre lang.

4 Kommentare

  1. Das hätte eine verrückte Arbeitsehe werden können. 🤭 Sie unterschätzen ja völlig Ihren Magnetismus. 😎

    Sie kannten Graf Zahl nicht??? 😱

    • DrSchweins Magnetismus. Das klingt lustig.
      Arbeitsehe hingegen klingt fast schon beängstigend. 😁

      Ich wusste, dass es Graf Zahl gibt, mehr aber auch nicht mehr.

      • Wer weiß, wer da noch alles in Ihrem Kosmos kreist…. 🙃

        Arbeitsehen können interessante Konstrukte sein, mit Humor, Sticheleien, Spaß, Motivation, Ansporn usw. Wenn man sich versteht und ergänzt, vom Miteinander in vielerlei Hinsicht profitiert.

        • Das wüsste ich auch gerne, ob da noch wer kreist.

          Okay, dann versuche ich es in zwei Jahren vielleicht Mal mit einer Arbeitsehe. 🙂

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