Das Ende vor Augen

Seit der Arzt mir gesagt hat, dass meine Bauchschlagader
verkalkt, ist irgendwie alles anders. Ich frage mich, warum er keine weiteren
Adern untersucht hat. Meine Mutter hatte diese Verkalkungen an der
Halsschlagader. Ich muss ihn am Montag darauf hinweisen und darum bitten, dass
ich gründlich untersucht werde. Ich habe schließlich nicht nur eine Bauschlagader,
sondern noch eine ganze Menge anderer Adern, die verkalken können, und vermute,
dass ich längst komplett verkalkt bin. Nicht nur geistig.
Meine Mutter war 58, wenn ich mich richtig erinnere, als
sie ihren Schlaganfall hatte. Ihr Bruder, mein Onkel, starb mit 69 direkt vor
der Haustür der Wohnung, die ich nun bewohne. Todesurasche Herzinfarkt oder
Schlaganfall. Oder beides. So stelle ich mir das auch vor. Ich sterbe auch vor
der Wohnungstür. Das hätte dann was Traditionelles. Allerdings warte ich damit
nicht bis ich 69 bin. Auch nicht bis ich 58 bin. Nach meinen Berechnungen bin
ich mit 47 dran. Dann liegen immer elf Jahre zwischen den Ereignissen. Das hat
irgendwas. Im Gegensatz zu meiner Mutter, werde ich den Schlag- oder auch
Herzanfall aber nicht überleben, weil ich alleine sein werde, wenn es passiert.
Also wird, wie bei meinem Onkel, zunächst niemand merken, dass ich da vor der Wohnungstür
liege. Erst wenn irgendeine Nachbarin ihre Wohnung verlässt, wird sie sich
wundern, dass ich da so tot vor meiner Tür liege. Aber dann ist es eh zu spät.
Ursprünglich war ich davon ausgegangen, dass ich
mindestens bis zu meinem sechzigsten Lebensjahr relativ gesund sein würde, aber
da war ich wohl etwas naiv. Ich verblöde nicht nur frühzeitig, ich verkalke
parallel dazu. Was für eine Ironie.
Seit der Ultraschalluntersuchung fühle ich mich nicht
mehr jünger als ich bin. Auch nicht so alt, wie ich tatsächlich bin. Ich fühle
mich wirklich alt, ohne eine Zahl dazu nennen zu können. Tja, so kann es gehen.
Eine kleine Untersuchung und schon ist einem die eigene Sterblichkeit richtig bewusst.
Die verdammten Gene können einem das Leben echt versauen. Besser hätte ich mir
das Leben selbst nicht versauen können. Diese verdammte Endlichkeit mochte ich
noch nie und nun scheint mein Countdown weiter fortgeschritten zu sein als es
geplant war. Ob ich diese Gedanken nochmal los werde? Ich meine, vor meinem
Ableben?

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