Ausgesperrt

Der Morgen verläuft zunächst so unspektakulär, wie es sich für einen Morgen in meinem Leben gehört. Das Einzige, was etwas untypisch ist, passiert kurz bevor ich das Haus verlasse. Aus unerklärlichen Gründen ziehe ich eine andere Jeanshose an und bringe so den alltäglichen Ablauf völlig durcheinander, ohne es zu ahnen. Gerade als ich zur Tür raus will geht ohne ersichtlichen Grund der Radiowecker an. Es war keine Weckzeit eingestellt, weshalb ich leicht verwirrt bin während ich ins Schafzimmer gehe, um die Musik auszuschalten. Weil sich das Radio nicht ausschalten lässt, ziehe ich den Stecker raus und verlasse anschließend die Wohnung. Normalerweise prüfe ich, bevor ich die Tür zuziehe, ob ich den Schlüssel eigesteckt habe. Heute mache ich es andersherum, was sich schnell als Fehler herausstellt. Denn direkt nachdem ich die Tür zugezogen habe stelle ich fest, dass der Haustürschlüssel nicht da ist, wo er sein sollte. Er befindet sich stattdessen in der Hose, die ich ursprünglich anziehen wollte. Nach kurzer Verwirrung beschieße ich, die Tür heute nicht abzuschließen und erstmal zur Arbeit zu fahren. Schnell stelle ich fest, dass auch dies ein Ding der Unmöglichkeit ist, da auch der Autoschlüssel noch in der anderen Hose steckt. Jetzt habe ich definitiv ein Problem, denn ich muss ja zur Arbeit und so. Erster Gedanke: Ersatzschlüssel. Der ist im Keller. Dort komme ich nur rein, wenn irgendwer ihn aufschließt. Für gewöhnlich holt der Nachbar von gegenüber morgens sein Fahrrad aus dem Keller. Heute scheinbar nicht. Die Nachbarin aus der zweiten Etage steht gewöhnlich sehr früh auf und hört schon morgens Musik. Heute scheinbar nicht. Ich gehe nach draußen, um zu schauen, ob irgendwo im Haus Licht brennt. Heute natürlich nicht. Dann endlich fällt mir ein, dass Petra einen Ersatzschlüssel hat. Für gewöhnlich verlässt Petra das Haus erst in einer Stunde, aber da ich ein Notfall bin, sagt sie mir am Telefon, dass sie sich beeilt. Weil mich das alles überfordert und meinen morgendlichen Ablaufplan völlig durcheinander bringt, fange ich an zu schwitzen und gehe wieder hoch zu meiner Wohnung, was durchaus sinnlos ist. Kaum bin ich oben, höre ich, dass unten jemand ins Haus kommt. Zack, renne ich runter und treffe auf die attraktive Arzthelferin, die ich sofort frage, wie sie es schafft schon morgens so gut auszusehen. Das mache ich natürlich nicht, sondern frage stattdessen, ob sie einen Kellerschlüssel hat. Hat sie nicht, aber gegen 08.00 Uhr kommt die Ärztin, was mir allerdings zu spät ist.
Wenige Minuten später ist Petra mit dem Ersatzschlüssel da. Ich gehe hoch zur Wohnung, befreie mich vom Körperschweiß und ziehe mich um. Hätte ich zuvor die Schuhe ausgezogen, wäre der Boden sauber geblieben. Kann ein Tag schöner beginnen? Wohl kaum.

Da es abzusehen ist, dass ich nicht pünktlich im Büro bin und eine Teilnehmerin schon um 08.00 Uhr ihren Termin hat, rufe ich Anke an. Doch ans Telefon geht eine Mitarbeiterin eines anderen Standortes. Da ich davon ausgehe, dass die Rufumleitung noch nicht ausgestellt wurde, sage ich, dass ich die andere Nummer noch versuchen werde. Auch die Nummer führt mich zu der Kollegin des anderen Standortes. Ich beschließe in ein paar Minuten nochmal anzurufen, weil die Kollegin vom anderen Standort die Tür eh nicht für meine Teilnehmerin aufschließen kann. Auch der Anruf wenige Minuten später wird von der Kollegin am anderen Standort entgegen genommen. Dieser schildere ich nun mein Problem und sie will Anke eine Mail schreiben, damit diese sich kurz um meine Teilnehmerin kümmert bzw. sie wenigstens reinlässt. Ein paar Minuten später erfahre ich, dass Anke spontan woanders einspringen musste und niemand die Tür aufschließen kann, weil ich heute der einzige Mitarbeiter vor Ort bin. Das Konzept, dass an einem Standort nur ein Mitarbeiter ist, erscheint mir etwas wagemutig. Aber ich bin auch ein mutloser Spießer, der jedes Risiko scheut und alles gerne mehrfach absichert.

Als ich endlich am Büro ankomme, steht die Teilnehmerin noch brav vor der Tür. Wäre ich etwas später gekommen, sagt sie, wäre sie hoch zur Verwaltung gegangen, um nachzufragen, was los ist. Das hätte sie allerdings nicht weiter gebracht, weil sie dort niemanden angetroffen hätte. Ich weiß nicht, ob das alles wirklich durchdacht ist. Vermutlich mache ich mir einfach nur zu viele Gedanken. Ich muss entspannter werden, aber die Sache mit dem Schlüssel, der heute im Keller für mich unerreichbar war, sollte ich besser nochmal überdenken.

Ein Kommentar

  1. einer der gründe, warum auch ich meinen zweitschlüssel im notfall deponiert habe.

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