Im Laufe des Vormittags erfahre ich, dass ab dem 01.07. vier Teilnehmende mehr in der Maßnahme zu betreuen sind. Statt 15 sind es dann 19, was natürlich den Verwaltungsaufwand dementsprechend steigern wird. Aber es kommt noch besser. Nach Maßnahmeende sollen alle, so teilt der Chef es mir mit, die keinen Job gefunden haben, direkt ins Persönlichkeits-Coaching wechseln. Für drei oder sechs Monate, das wird sich noch zeigen. Persönlichkeits-Coaching bedeutet noch mehr Verwaltungsaufwand und wenn wirklich alle, die keinen Job gefunden haben, ins Persönlichkeits-Coaching wechseln, könnte ich auf 38, 47 oder noch mehr Teilnehmer kommen. Klingt für mich nicht ganz so prickelnd, weshalb ich dem Chef sage, dass ich dann hier aber noch jemanden brauche. Es laufen Einstellungsgespräche und man hofft, dass dabei jemand ist, den man einstellen und dann bei mir einsetzen kann. Wenn das mit dem Persönlichkeits-Coaching tatsächlich dermaßen ausufert, sollten mich eigentlich zwei Mitarbeiter unterstützen, denn ich werde auch zukünftig die Verwaltungskraft sein. Und wenn der neue Mitarbeiter so eine Gurke ist, wie viele der neuen Mitarbeiter, dann wird das sicher ein Mordsspaß. Vielleicht habe ich aber auch Glück und es kommt jemand, der anständig arbeitet und dazu noch unterhaltsam ist. Neben den Mehreinnahmen, die das Unternehmen hat, gibt es vermutlich einen weiteren Vorteil, den diese Aufstockung bringt, denn wenn die Maßnahme aufgestockt wird, dann wird sie sicher auch verlängert. Alles andere wäre albern und würde für mich keinen Sinn ergeben. Somit dürfte mein Job hier am Standort bis Oktober 2023 gesichert sein. Mal sehen, wie mir das Ganze ab Juli gefallen wird und wie viel zusätzliche Arbeit am Ende an mir hängen bleibt, weil ich das Glück habe der Maßnahmeleiter und verantwortlich zu sein. Ich hoffe, dass ich diesen ganzen Persönlichkeits-Coaching Mist an irgendwen delegieren kann, denn schließlich habe ich hier das Sagen. Zumindest bis die Chefin etwas anderes sagt. Vielleicht kann ich das ja heimlich delegieren.
Ein Teilnehmer hat beim Probearbeiten einen guten Eindruck hinterlassen und man würde ihm gerne einen Ausbildungsplatz anbieten. Einzige Bedingung ist, dass er vorher einen Deutschkurs macht. Dies wird aber derzeit abgelehnt, weil Menschen aus der Ukraine aktuell bevorzugt werden und der Teilnehmer, der aus dem Irak stammt, somit vermutlich erst in einem Jahr an der Reihe sein wird, was natürlich zu spät ist. Ich weiß nicht, ob das jetzt nicht auch irgendwie rassistisch ist, wenn Flüchtlinge aus der Ukraine einen höheren Stellenwert haben als Flüchtlinge aus dem Irak, aber das kann natürlich nicht sein, weil unsere Politiker Rassismus weder dulden noch fördern. Es muss also andere Gründe geben, bedeutet aber auch, dass wir ein Problem haben. Also bieten wir der Friseurin, bei welcher der Teilnehmer seine Ausbildung machen soll, an, dass er über eine Einstiegsqualifizierung ein Jahr für sie arbeitet und danach, wenn alles klappt, die Ausbildung offiziell bei ihr beginnen wird. So müssen wir nicht auf einen freien Platz in irgendeinem Deutschkurs warten und er kann in dem Jahr im praktischen Einsatz seine Sprachkenntnisse verbessern. Sie ist einverstanden und würde dem Teilnehmer gerne diese Chance geben. Morgen frage ich den Teilnehmer, was er davon hält. Dann wissen wir mehr.
Am letzten Arbeitstag der kurzen Arbeitswoche telefoniere ich mit der zuständigen Mitarbeiterin vom Jobcenter, um alles für die Zeit meiner Abwesenheit zu regeln. Wir reden auch über die Aussage meines Chefs, dass nach der Maßnahme alle Teilnehmenden, die keinen Job bekommen haben, ins Persönlichkeits-Coaching wechseln sollen. Dies soll, wie ich erfahre, aber gar nicht alle betreffen, sondern nur die, bei denen Aussicht auf Erfolg besteht. Da wir in der Regel bei allen, bei denen wir davon ausgehen, dass sie in absehbarer Zeit vermittelt werden können, die Maßnahme um drei Monate verlängern und die anderen, nicht alle, aber die meisten, in absehbarer Zeit kaum zu vermitteln sind, sollten eigentlich nicht so viele Leute im Persönlichkeits-Coaching landen, was sich für mich vernünftig und durchaus akzeptabel anhört. Somit hoffe ich, dass uns nur in Ausnahmefällen jemand im Anschluss für weitere Monate erhalten bleibt und bin jetzt einfach so naiv zu glauben, dass meine Hoffnung sich erfüllen wird. Drei der vier neu gewonnen Plätze habe ich bereits belegt und um den letzten Platz kümmere ich mich zu gegebener Zeit. Ein gutes Gespräch, was dazu beigetragen hat, dass ich nun durchaus erleichtert ins lange Wochenende abdriften kann. Mit 19 Leuten werde ich fertig, alles was darüber hinausgehen wird, sollte ich an Örge delegieren können. Vielleicht wird am Ende alles doch nicht so viel, wie es gestern nach dem Gespräch mit dem Chef noch klang. Man sollte immer mehrere Seiten hören, bevor man verzweifelt oder resigniert das Handtuch wirft. Interessantes bringt zum Abschluss unseres Gesprächs der Abgleich der Vormerkliste. Örge hat am Montag aus Gründen, die wohl nur sie kennt, jemanden von der Liste gelöscht, der gar nicht gelöscht werden sollte. Alles sehr verwirrend. Nun steht er wieder auf der Liste und alles ist so, wie es sein soll.
Der Teilnehmer, der keinen Deutschkurs bekommt, weil er aus dem falschen Land geflohen ist, kann ab August mit der Einstiegsqualifizierung beginnen. Zählt für uns zwar nicht als Vermittlung, sondern wird als nicht vermittelt gewertet, aber das ist nicht mein Problem. Für mich ist er vermittelt, auch wenn das die Quote nicht verbessern, sondern verschlechtern wird. Es sei denn, wir kreuzen einfach etwas anderes an. Wäre nicht das erste Mal. Schwachsinnsregeln von Schwachsinnigen kann ich einfach nicht ernst nehmen. Letztlich ist es egal, denn die Maßnahme wird weitergehen, weil die Jobcenter derzeit eine Menge Geld haben, welches ausgegeben werden muss. Nichts scheint einen Sinn zu ergeben und genau das ist vermutlich der Sinn dahinter. Jetzt und hier ist mir das einfach nur egal. Ich habe frei, frei, frei.
Vielen Dank für diese abermals aufschlußreichen Einblicke in die alltägliche Wirklichkeit der Arbeitswelt in deutschen Landen! Und was die Geflüchteten anlangt, so ist eine Priorisierung in gewissen Notsituationen einfach unausweichlich, und ein Krieg in Europa ist jawohl eine solche Notsituation, oder? Der Ukraine und den Menschen, die aus dem Kriegsgebiet die gefährliche Flucht nach Westen wagen, muß jetzt geholfen werden, nicht erst in einem Jahr! Das würde der gute Iraker sicher auch verstehen, wenn es ihm unsere, was die internationale Politik anlangt, so versierte Außenministerin einmal erklären würde – oder auch jemand mit ähnlich starkem Durchblick und Durchsetzungsvermögen.
Unsere Außenministerin hat den Durchblick? Ich mag Ihren Humor. 🙂
Danke für die Blumen, aber ich wüßte nicht, wo ich gescherzt hätte! Halten Sie unsere Außenministerin etwa nicht für die beste, die wir jemals hatten?
Ihr Humor aber ist ohne Frage über jeden Zweifel erhaben, sehr geehrter Herr Doktor!
Sie ist in der tat außergewöhnlich, aber um die beste zu sein, fehlt ihr noch ein wenig der Durchblick. Doch sie ist noch jung, ehrgeizig und stets bemüht ihr volles Potential abzurufen. Das sind gute Voraussetzungen.
😎
Da kann ich mich Herrn James nur anschließen. Frau Barbock enttäuscht bis jetzt ja so gar nicht.
Auch die aktuelle Flüchtlingslage mit der jetzigen Prioisierung kann ich uneingeschränkt nachvollziehen. Lg Lörzi
Dann ist doch alles wunderbar. Da freut sich Baerbocki sicher sehr. 😎
“Der Teilnehmer, der keinen Deutschkurs bekommt, weil er aus dem falschen Land geflohen ist,” – der ganze Irrsinn in einem Halbsatz, Kompliment.
Danke. Manchmal fließt es einfach aus mir heraus.