Musik und was sie mit mir macht

Normalerweise läuft der Samstag immer gleich ab. Morgens Wäsche waschen, mittags Essen gehen, dann einkaufen und später ein Spaziergang vor der Sportschau. Das ist herrlich berechenbar und auch etwas öde. Interessanterweise ist es meist nicht wirklich entspannend. Daher ist es fast schon bemerkenswert, dass ich statt des Spaziergangs Musik höre. Irgendwann werde ich mich vermutlich gar nicht mehr bewegen, doch das ist eine andere Geschichte. Die Musik mache ich so laut, dass mich keine Geräusche stören. Vermutlich ist sie sogar so laut, dass die Nachbarn denken, sie hätten bei sich Musik, die sie nicht wieder ausschalten können, angemacht. Zunächst höre ich mir alle Lieder von Röyksopp an, die ich in meiner Sammlung habe. Dabei stehe, sitze oder liege ich irgendwo herum und entspanne irgendwann zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder für einen längeren Zeitraum. Ich träume vor mich hin, bin alterslos und meine Tagträume sind so viel schöner als mein Leben es je sein kann. Vielleicht sollte ich für immer Musik hören, aber leider weiß ich aus eigener Erfahrung, dass das nicht funktioniert. Musik berührt mich heute viel mehr als sie es früher tat. Oft löst sie das Bedürfnis aus mich zu bewegen, zu tanzen, zu hüpfen oder anderweitige spastische Bewegungen zuzulassen. So etwas hätte es früher nicht gegeben. Und noch etwas hätte es früher nicht gegeben. Musik konnte mich niemals so intensiv berühren, dass ich plötzlich Tränen an mir runterlaufen spüre. Ich weiß, dass es nicht an den Texten liegt, denn bei englischer Musik höre ich meist überhaupt nicht zu, sondern höre nur die Musik und den Klang der Stimme. Vielleicht sind diese Tränen der Beginn der Altersschwachsinnigkeit, möglicherweise höre ich irgendwann von irgendwoher Musik, vielleicht reicht ein Klingelton, und ich fange hemmungslos an zu weinen. Oder bei Gesprächen oder einfach nur so. Irgendwas stimmt mit mir nicht und Tränen sind im Gegensatz zum Bewegungsdrang durchaus bedenklich. Vielleicht müssen wir mich schon bald einschläfern lassen. Ich könnte auch mal meine Therapeutin fragen, was das zu bedeuten hat, oder ich mache eine Musiktherapie. Oder ich gewöhne mir diese Gefühlsausbrüche, die mir fremd erscheinen, ganz schnell wieder ab. Das führt doch zu nichts. Glücklicherweise sind es (noch?) nur sehr seltene Momente dieser eigenartigen Sentimentalität. Nachdem es vorbei ist, bin ich erleichtert.

Ich vergesse zu essen und zu trinken und es ist fast so wie es oft war als ich zwischen 20 und 30 Jahre jung war. Danach gewöhnte ich mir diese Entspannung scheinbar mehr und mehr ab und somit genieße ich heute einen seltenen gewordenen Moment, der mehrere Stunden andauert. Nachdem ich alles von Röyksopp gehört habe, widme ich mich deutscher Musik aus meiner Sammlung. Nach etwa vier Stunden ist es an der Zeit wieder zur Samstagsroutine zurückzukehren und zwei Filme zu gucken. Weil es danach noch recht früh ist, setze ich anschließend die Kopfhörer auf und höre noch bis etwa 02.00 Uhr Musik. Ich glaube, das tut mir gut und in meinem Kopf entwickle ich Ideen, was ich alles in nächster Zeit unternehmen will. Auch wenn ich weiß, dass davon nach dem Aufstehen nichts mehr übrig sein wird, bin ich doch zufrieden und stelle mir mich als aktiven Menschen vor, der tatsächlich wieder mehr unternimmt und dabei Spaß hat. Dann schlafe ich ein. Als ich wieder aufwache sind die entspannten Momente verflogen und mein Interesse an irgendwelchen Unternehmungen ist dem grauen Alltag gewichen.

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